Protocol of the Session on January 25, 2012

Manche Fragen sind schwierig zu beantworten, wenn sie auf sich selbst gerichtet sind. – Gut. Weiter.

Wir kommen jetzt noch zu § 15 Abs. 2 des Versammlungsgesetzes. Darin heißt es: „Eine Versammlung und ein Aufzug kann insbesondere verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht werden, wenn die Versammlung oder der Aufzug an einem Ort von historischer Bedeutung stattfindet, der a) an Menschen, die unter der nationalsozialistischen oder kommunistischen Gewaltherrschaft menschenunwürdiger Behandlung ausgesetzt waren, oder b) an Menschen, die Widerstand gegen die nationalsozialistische oder kommunistische Gewaltherrschaft geleistet haben, oder c) an die Opfer eines Krieges erinnert.“

Jetzt kommt die besondere Regelung, dass Beispiele und insbesondere Orte aufgeführt worden sind, wie zum Beispiel das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig, die Frauenkirche und der Neumarkt in Dresden und für den 13. und 14. Februar noch Teile der Dresdener Alt- und Neustadt.

Diese Orte sind als Orte von historischer Bedeutung zu schützen. Für die wiederaufgebaute Frauenkirche gilt dies umso mehr, als bereits die Frauenkirchenruine für die Dresdener Bürgerschaft das Mahnmal gegen die kriegerische Zerstörung war und gerade in räumlicher Nähe zum Altmarkt an die zahllosen zivilen Opfer erinnerte.

Diese antinazistische und antikommunistische Konzeption, die wir gewählt haben, halten wir für zulässig. Sie ist

zulässig. Hinsichtlich der einzelnen Orte gibt es sicherlich Konkretisierungsbedarf – na klar. Dies ist meiner Ansicht nach aber nicht die Aufgabe des Gesetzgebers. Das wurde auch in der Anhörung deutlich. Das kann die Behörde in der Praxis Hand in Hand mit der Rechtsprechung organisieren. Es ist nicht Aufgabe des Gesetzgebers. Insofern ist es kein Kritikpunkt an dem Landesgesetz.

Um einem Vorwurf vorzugreifen, der immer wieder gemacht worden ist und der bestimmt wieder kommen wird: Es geht eindeutig um den Schutz der Menschenwürde für Opfer nationalsozialistischer oder kommunistischer Gewaltherrschaft. Wir setzen das an Menschen begangene Unrecht nicht gleich, wie es immer wieder gesagt und wie es uns immer wieder fälschlicherweise vorgeworfen wird. Wir lehnen beide Unrechtsregime und Gewaltherrschaften strikt ab. Dies hat Aufnahme in die Präambel der Sächsischen Verfassung gefunden. Artikel 116 weist ebenfalls auf diese Verantwortung im Freistaat Sachsen hin. Dieser werden wir auch politisch gerecht.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Bei dem vierten Abschnitt, den Straf- und Bußgeldvorschriften, war es der Koalition wichtig, dass es nicht um eine Bagatelltat geht, die mit einer Ordnungswidrigkeit abgetan werden kann.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Er will sein Zweites Staatsexamen haben!)

Ich habe mein Zweites Staatsexamen.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Ich wundere mich nur! Ich wundere mich echt! Fahren Sie fort, Herr Kollege!)

Herzlichen Dank. Das ist reizend.

Wir sind der Auffassung, dass es nicht um eine Bagatelltat geht, die mit einer Ordnungswidrigkeit abgetan werden kann. Vielmehr ist der Strafrechtscharakter der Tat hervorzuheben.

Wer den Tatbestand einer der Normen des vierten Abschnitts erfüllt, der soll nicht mit dem gleichgestellt werden, der einfach falsch parkt. Es handelt sich um ein Vergehen, das mit einer Geld- bzw. mit einer Freiheitsstrafe geahndet werden kann. Das ist keine Lappalie.

Zum Schluss noch eine Bemerkung zum Verhalten der linken Seite des Hohen Hauses: Es verwundert sehr, dass Sie sich derart gegen das neue Versammlungsrecht wehren. Bei Ihnen nicht genehmen Demonstrationen sind Sie verbal ganz schnell beim Verbieten, und wenn das nicht geht, beim Blockieren genehmigter Aufzüge.

Herr Bartl, Sie sprechen in Bezug auf die Veränderungen des Versammlungsgesetzes von einer „Operation an der Luftröhre der Demokratie“. So stand es heute in der Zeitung. Das heißt so viel wie akute Lebensgefahr, wenn ich das richtig interpretiert habe. Ich frage mich nur, wo?

(Zuruf des Abg. Klaus Bartl, DIE LINKE)

Okay. – Vielleicht geht es auch einmal ein bisschen kleiner und ein bisschen sachlicher, Herr Bartl. An der Luftröhre der Demokratie – –

(Sabine Friedel, SPD: Was sind für Sie Grundrechte?)

Vielleicht sollten Sie und Ihre Partei einmal Ihr Verhältnis zu unser aller demokratischen Grundrechten überdenken! – Das zu dem Thema Sitzblockaden.

(Beifall des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Wir wollen das Recht auf Versammlung weiterhin schützen. Wir wollen bestimmte Orte und historische Daten vor Missbrauch schützen. Wir wollen unsere Demokratie stärken und sie vor den Feinden schützen. Demonstrationen und Versammlungen gehören für uns als grundlegende Elemente der Demokratie dazu. Wer wie Sie etwas anderes behauptet und der CDU etwas anderes unterstellt, verdreht bewusst die Tatsachen.

Unterstützen Sie uns lieber darin, dass das Versammlungsgesetz schnellstmöglich umgesetzt werden kann und die Polizei und die Behörden klare Vorgaben erhalten. Der nahende 13. Februar in Dresden braucht ein würdiges Gedenken.

Stimmen Sie unserem Gesetzentwurf bitte zu.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Wir fahren in der ersten Runde der allgemeinen Aussprache fort. Er spricht nun Herr Bartl für die Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Werter Herr Kollege Modschiedler! Der fünfte Ausschuss des damaligen ersten Deutschen Bundestages, der sich Ausschuss zum Schutze der Verfassung nannte, hat tatsächlich drei Jahre über den Inhalt des Versammlungsgesetzes debattiert.

Es lagen zwei Prinzipien im Streit miteinander: ein weitgehend liberaler Ansatz, der vom Wortlaut des Artikels 8 ausgeht, alle Deutschen haben das Recht, sich unter freiem Himmel friedlich und ohne Waffen zu versammeln – und ohne Anmeldung; das stand auch noch darin –, und der Ansatz, das Versammlungsrecht im Gesetz zunehmend repressiv einzuschränken.

Nach den drei Jahren hat sich bedauerlicherweise weitgehend der repressive Ansatz durchgesetzt. Das war ein Hinweis, den einer der Sachverständigen in der Expertenanhörung – meines Wissens Herr Prof. Geis oder Dr. Lehmann – dem Ausschuss ausdrücklich gegeben hat.

Was ist jetzt in der Gesetzgebung im Freistaat Sachsen im Umgang mit dem Versammlungsrecht geschehen?

Der Ausdruck, die Versammlungsfreiheit sei die Luftröhre der Demokratie, kommt von einem sehr großköpfigen Wissenschaftler. Das habe ich nur aufgegriffen und darauf Bezug genommen.

Die Koalition ist letzten Endes den gleichen Weg gegangen. Sie hat sich für ein repressiveres Gesetz entschieden.

Es gibt bestimmte Politikgebiete in diesem Landtag, in denen die CDU und die FDP bzw. deren Regierung zu einer Art Masochismus neigen. Sie wissen genau, wie dieser erste Gesetzentwurf gescheitert ist. Sie wissen auch ganz genau, dass das Verfassungsgericht in seiner Entscheidung im April 2011, den Gesetzentwurf für nichtig zu erklären, auf formale Gründe zurückgegriffen hat. In der gesamten Auseinandersetzung vor dem Verfassungsgericht haben aber vor allem materiell-rechtliche, inhaltliche verfassungsrechtliche Fragen eine Rolle gespielt.

Ich habe an dieser Verhandlung auf der Seite der Antragstellerinnen, wie meine verehrte Kollegin Friedel und mein verehrter Kollege Lichdi von der Gerichtsbank aus gesehen rechts, teilgenommen. Im Saal saß nach meinem Eindruck mit einigem Leidensdruck auch Kollege Biesok und hörte der Verhandlung zu.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Mit schmerzerfülltem Gesicht!)

Mit schmerzerfülltem Blick.

Wir waren danach der Auffassung, dass jeder einen ersten Versuch hat und der Versuch gründlich ins Auge gegangen ist. Wir waren der Auffassung, dass man sich besinnen wird, nachdem es diesen Schriftwechsel und die sehr qualifizierten verbalen Erläuterungen speziell des Prozessbevollmächtigten auf der Seite der Antragsteller Prof. Poscher gab, und dass man für einen neuen Gesetzentwurf möglichst die Verständigung mit der demokratischen Opposition suchen wird.

Wenn man ein sächsisches Versammlungsgesetz macht, muss man zu einem möglichst konsensualen Gesetz kommen, das dann tatsächlich die aktuelle Entwicklung des Versammlungsgeschehens, des Versammlungsrechts, der Versammlungsrechtsprechung und die Gemengelage, die sich sicherlich um den 13. Februar in Dresden, 5. März in Chemnitz, im April in Plauen usw. ergibt, behandelt.

(Karl Nolle, SPD: Weit gefehlt!)

Als wir dann tatsächlich – nach 21 Jahren lässt man sich im Parlament nur noch selten beeindrucken – einen Gesetzentwurf von der Koalition vorgelegt bekamen, der als einzigen Unterschied nicht wieder nur den Torso des § 15 und die Anpassung aus dem § 21 hatte, aber ansonsten den vollen, verstaubten Wortlaut des Bundesversammlungsgesetzes übernahm, ist etwas passiert, was relativ selten geschieht: Ich war zunächst einmal sprachlos.

Es ist schlicht eine Herangehensweise gewesen, zu der ich sage: Es ist die Strategie der drei weisen Affen, und man will mit dem Kopf partout durch die Wand. Man hat es in den Koalitionsvertrag hineingeschrieben: Wir machen für Dresden ein Versammlungsgesetz und das ziehen wir jetzt unbeeindruckt von allem, was uns in den Schriftsätzen des Verfassungsgerichtes mehr oder weniger um die Ohren geflogen ist, weiter durch.

Nachdem die zweite Expertenanhörung stattgefunden hat – wir hatten ja ein paar neue Experten dabei, was den Unterhaltungswert gesteigert hat –, ist die Koalition mit dem Gesetzentwurf mitnichten besser weggekommen als in der ersten Expertenanhörung.

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Es gab noch viel mehr Haue von den Professores und von den gediegenen Versammlungsrechtlern und -wissenschaftlern zu der ganzen Sache. Danach hatten wir die Hoffnung: Nun gut, vielleicht hat jetzt der zweite Nachwasch der Expertenanhörung geholfen. Dann gab es eine Zwischensitzung, bei der allen Ernstes die Koalition in den Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss kommt und sagt: So schlimm war das nicht; im Großen und Ganzen hat man zugestimmt. Wir lassen es so, wie es ist.

(Heiterkeit bei den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Das war die zweite Situation der Sprachlosigkeit.

Dann kam der Überraschungseffekt, das gebe ich gern zu: Vor der Januarsitzung des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses wurde ganz plötzlich, drei Tage vorher, durch den hochverehrten Herrn Modschiedler als Vorsitzenden ein Informationsmaterial vom 06.01.2012 ausgereicht. Ein Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen kommt auf den Tisch, der – das will ich genauso gut positiv konstatieren – zumindest versucht, eine ganze Reihe von sprachlichen Modernitäten einzuführen und Klarheiten einzubringen. Anstelle der „Anmeldung“ bekommen wir jetzt gewissermaßen die „Anzeige“ einer Versammlung, anstelle von „Auflagen“ bekommen wir jetzt „Beschränkungen“ und dergleichen mehr war formuliert. Bestimmte Begrifflichkeiten sind also entwickelt worden. Der § 15 Abs. 1 wird herausgenommen – auch das will ich als in letzter Minute gezeigte Bereitschaft, bestimmte Konsequenzen zu ziehen, konstatieren.

Aber bei einem bleiben Sie stupide: bei dem Ansatz des § 15 Abs. 2. Dort tun Sie etwas, wozu wir meinen, dass es im Grunde genommen von Prof. Poscher in dem Schriftsatz zum Antrag vom 9. August 2010 trefflich beschrieben ist; ich zitiere daraus. Er hat zur Verfassungswidrigkeit des § 15 Abs. 2 Sächsisches Versammlungsgesetz gesagt: „Artikel 2 Nr. 2 des Gesetzes über die landesrechtliche Geltung des Gesetzes über Versammlungen und Aufzüge vom 20. Januar 2010, die enthaltene Fassung des § 15 Abs. 2 Sächsisches Versammlungsgesetz verletzt das Grundrecht auf Meinungsfreiheit des Artikels 20 Abs. 1, Artikel 3 Sächsische Verfassung, § 15 Abs. 2 Sächsische Verfassung stellt in der Fassung des Artikels 2 Nr. 2 durch Artikel 20 Abs. 3 Sächsische Verfassung nicht zu rechtfertigendes Sonderrecht dar, das auch nicht durch einen Ausnahmevorbehalt gedeckt ist. Darüber hinaus ist die Vorschrift in weiten Teilen zu unbestimmt und verstößt gegen den Wesentlichkeitsgrundsatz. Sie verletzt damit auch das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aus Artikel 23 Sächsische Verfassung.“

Er operiert also mit mehreren Verfassungsartikeln und Verfassungsbestimmungen und sagt klipp und klar: So könnt ihr es nicht machen. Ihr könnt nicht aus dem Ansatz heraus, quasi die Totalitarismuskonzeption in das Versammlungsrecht zu transformieren, aus dem Ansatz heraus, die eigene Vorstellung von verordneter Erinnerungskultur in das Versammlungsrecht zu bringen, gewissermaßen ignorieren, dass ihr damit in die Meinungsfreiheit hineinkommt. Indem ihr bestimmte Zeiten, bestimmte Orte, bestimmte temporäre und lokale Bezüge hineinschreibt und es an bestimmte Wertungen bindet, seid ihr bereits in der Verletzung des Versammlungsrechts, des konstitutiven Grundrechts auf Meinungsfreiheit, Koalitionsfreiheit und dergleichen mehr. Das ist so eingängig aufgeschrieben, dass wir es einfach nicht verstehen, warum der § 15 Abs. 2 in dieser Fassung bestehen bleibt.

Mehr Worte, als bereits im Ausschuss ausgetauscht worden sind, sind hier fehl am Platze. Wenn es nicht gelingt, dass der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, den § 15 Abs. 2 zu streichen – es gibt noch Anträge zur Anpassung des § 12, den wir genauso unterstützen; wir haben keinen eigenen Antrag eingebracht, weil eine Dopplung keinen Sinn macht –, wenn es nicht gelingt, dass der Antrag die erforderliche Mehrheit findet, und wenn dies nicht auf Vernunft stößt, werden wir uns wieder in Leipzig treffen. Wir werden uns auf dem Gebiet des wirklich sensiblen Versammlungsrechts wieder vor dem Verfassungsgericht streiten, werden die Verantwortung letztendlich wieder dort abladen und es werden wieder die Gleichen sein, die sich wegen dieses Streites unter Demokraten die Hände reiben, nämlich jene, die hier ganz rechts sitzen.