Protocol of the Session on December 14, 2011

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte mit dem beginnen, was der Ministerpräsident vorgestern zum Jahrestag „Festveranstaltung Rechnungshof“ gesagt hat. Er sagte, wir müssen jeden Steuer-Cent sparsam ausgeben, und er erging sich dann in solchen Themen wie Schuldenbremse, Garantiefonds und ähnlichem. Vermisst habe ich, dass er nicht einmal gefragt hat, wozu wir Steuern erheben. Früher hat das ja der Alte Fritz gemacht, der gesagt hat, ich brauche das und das. Daraufhin hat er dann die entsprechenden Steuern erhoben. Über diese Zeit sind wir zum Glück hinweg.

Heute haben wir auf verfassungsmäßiger Grundlage und in einer parlamentarischen Demokratie in Gesetzgebungsverfahren über das Parlament die Möglichkeit, die Aufgaben des Staates, die er zu leisten hat, zu definieren. Wir definieren die Aufgaben, und dann erheben wir dafür Steuern, um sie bezahlen zu können. Nur so wird ein Schuh daraus. Wir bekommen nicht irgendwoher Geld oder Steuern und überlegen, was wir damit machen. Nein, wir definieren die Aufgaben, die dieser Staat gesellschaftlich zu erledigen hat: Polizei, Justiz, aber auch Bildung, Kita und Soziales, und dafür erheben wir Steuern.

Ich darf einmal zu dem gestrigen Interview des Herrn Flath schwenken: Wir treten für eine stärkere Anerkennung der Familie ein, die die Erziehung ihrer Kinder in die eigenen Hände nimmt und damit auch den Staat entlastet. Das ist für mich ein sehr verräterischer Satz, wenn man sich diesen genau auf der Zunge zergehen lässt. Also Eltern, die ihre Kinder in die Kita geben, erziehen ihre Kinder nicht selbst! Sie belasten außerdem den Staat, sie sind Nassauer des Staates, sie kosten Geld! Doch die Selbstbestimmtheit der Teilhabe an Beruf und gesellschaftlichem Leben kommt da überhaupt nicht vor. Dass die Wirtschaft natürlich im Bereich des Fachkräftemangels dringend auf die Arbeitskräfte angewiesen ist, kommt darin auch nicht vor. Das wird vollkommen ausgeblendet.

Dass sich die Erde aber weitergedreht hat, flexibler, anspruchsvoller, aber auch härter geworden ist, wird dabei ebenfalls vollkommen ausgeblendet. Es ist ein Weltbild

des ausgehenden 19. Jahrhunderts, wo alle schön auf dem Dreiseitenhof gewohnt und Kinder, Eltern und Großmama sich um die Kinder gekümmert haben. Das hat funktioniert und war außerdem kostengünstig. Dieses Weltbild verbirgt sich dahinter.

Warum sage ich das? Wenn man in diesem Weltbild seine Aufgabe definiert, was dieser Staat leisten soll, dann kommt darin natürlich nicht vor Kita, Bildung – das leistet doch die Familie – und auch nicht Ehrenamt. Das kann man doch selbst organisieren, das heißt doch Ehrenamt.

Wenn also dieses abstruse Weltbild herrscht – es herrscht ja mehrheitlich hier in Sachsen –, dann muss man sich nicht wundern, dass im Sozialhaushalt – – Herr Krauß, im Bergbau während meiner Lehre hätte man sich gesagt, man kann sich die Lehre auch schönsaufen, aber Sie scheinen sich ja regelmäßig schönzuträumen. Es sind nun einmal 13 % Kürzungen im gesamten Sozialhaushalt in diesem Haushalt vorhanden. Das ist eine Tatsache. Ob Sie dahinten irgendwo eine Stellschraube links oder rechtsrum gedreht haben, so sind es doch 13 % weniger, sodass es zulasten der frühkindlichen Bildung gegangen ist. Es gibt auch kein kostenloses Kindergartenjahr mehr, die Kommunen sind belastet mit der Jugendhilfe, und wir haben 147 Stellen in Sachsen verloren in diesem Bereich. Aber bei diesem Weltbild brauchen wir das ja nicht, das regelt ja alles die Familie, das kostet ja alles Geld, konsumtive Ausgaben! Das ist eine Herangehensweise, die uns nicht guttut.

In diesem Bereich unterscheiden wir uns auch ganz deutlich. Für uns hat sich die Erde weitergedreht, wir wohnen nicht auf einem Dreiseitenhof, er ist nicht mehr lebensprägend in diesem Bereich, sondern wir glauben, dass diese Gesellschaft Investitionen in Solidarität, in gesellschaftlichen Zusammenhalt und im Bereich unserer Schwächsten, was auch unsere Zukunft ist, nämlich im Bereich der Kinder, braucht. Da unterscheiden wir uns ganz maßgeblich von Ihnen.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion spricht Frau Abg. Schütz, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will meine Rede beginnen mit Lernen durch Wiederholen – an die Linksfraktion gerichtet. Wir haben eine ähnliche Debatte bereits im März 2010 geführt, und Sie werden sich nicht wundern, dass ich dieselben Argumente jetzt wieder bringen werde, die letzten Endes zur Haushaltssituation im Sozialhaushalt geführt haben, so wie sie jetzt sind.

Wir müssen uns den Realitäten stellen und da, Herr Pecher, sind wir, glaube ich, näher dran als Sie mit Ihrer Weltfremdheit, die Sie hier dargestellt haben. Das Schimpfen und das Mehr-Verlangen, das ja der SPD eigen

ist, hat sich auch in Ihrem Redebeitrag deutlich widergespiegelt.

Wir setzen Steuermehrausgaben in den Bereichen Kita und Schule ein; das wissen Sie, das ist nicht neu. Wir haben eine Steigerung des Haushaltes 2012 zu 2011 um 2 %. Ich weiß, es gab die Haushaltskürzungen, wenn man den Haushalt 2012 zu 2010 ins Verhältnis setzt von prozentual 9,5 %, die es weniger waren. Aber wir haben auch zum vergangenen Jahr, also Haushaltsjahr 2011 zu 2012, eine zweiprozentige Aufstockung. Auch das sei hier mit genannt.

Bis 2020 – um das zu wiederholen – haben wir die zurückgehenden Einnahmen des Landes in den kommenden Jahren; einfach für Sie auch zur Erinnerung. Wir verlieren durchschnittlich jährlich, wenn wir gerade an die Berechnung der Jugendpauschale denken, 20 000 Jugendliche unter 27 Jahren in den jeweiligen Stichtagsberechnungen. Ich bitte, einfach mal diese Fakten zu sehen. Diese wenigen Einwohner in unserem Freistaat führen natürlich auch dazu, dass wir weniger Finanzmittel zur Verfügung haben, dass sich unsere Handlungsspielräume verkleinern und wir tatsächlich die richtigen Prioritäten setzen müssen; und das tun wir im Sozialhaushalt.

Wir haben bei der Aufstellung des Doppelhaushaltes konsequent auf die Konsolidierung des Haushaltes geachtet, weil wir es für vernünftiger halten – Herr Pellmann, auch wenn Sie hier von humanistischen Botschaften oder von menschlicheren Botschaften gesprochen haben –, der nächsten Generation nicht mehr Schulden zu hinterlassen, als sie heute schon bestehen, sondern dem Abbau der Schulden Vorrang zu geben, und das wird auch weiterhin die Politik dieser Koalition sein.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)

Wir halten nach wie vor – das ist ein wichtiger Schwerpunkt – an der Jugendpauschale fest: 11,4 Millionen Euro sind dafür im Einzelplan bereitgestellt worden. Die einzelnen Zahlen der Beantragungen spiegeln dies deutlich wider. Wir werden uns nicht aus dieser Verantwortung zurückziehen, auch wenn Kinder- und Jugendarbeit Aufgabe der Landkreise und der Kommunen ist. Wir haben uns im Koalitionsvertrag dazu bekannt und bekennen uns auch weiterhin im Haushalt dazu.

Die Höhe der Pauschale – das, was immer wieder als „Kahlschlag“ bezeichnet wird – ist mit aktuell 10,40 Euro – orientiert an dem Niveau, als die Jugendpauschale 2002 eingeführt wurde, von 10,25 Euro – sicherlich auf ähnlichem Niveau zu bewerten, auch wenn natürlich Arbeit seitdem teurer geworden ist und viele andere Ausgaben gestiegen sind. Trotzdem kann ich in unserem Freistaat weiß Gott keinen Kahlschlag – in welcher Hinsicht auch immer – erleben. Die Sozialarbeiterinnen und -arbeiter leisten eine hervorragende Arbeit vor Ort. Von einem „umfassenden Aderlass“, so wie Sie es in der Debatte bereits benannt haben, kann auf gar keinen Fall die Rede sein. Mit dem „Aderlass“, wie Sie es immer in der Pole

mik bezeichnen, in der Kinder- und Jugendarbeit schüren Sie Ängste der Bürgerinnen und Bürger.

Sie haben vielleicht selbst in Ihren Kommunen – wie ich vor drei Wochen hier im Landtag – viel ehrenamtliches Engagement erlebt, bei dem Sie so tun, als gäbe es dieses nicht, als wären diese einzelnen Personen allein im Freistaat. Nein, wir haben ganz viele davon. Wir fördern weiterhin die Zivilgesellschaft, auch im Programm „Wir für Sachsen“. Es wird in keiner Weise gestrichen werden, es wird weiterhin allen Ehrenamtlichen zur Verfügung stehen, damit ihr Aufwand, den sie damit haben, entsprechend gewürdigt werden kann.

Ich darf noch einmal zusammenfassen: Wir wollen mit dem Blick auf die Zukunft, dass gerade die junge, nachfolgende Generation ökonomisch selbstbestimmt bleibt.

Frau Schütz, ich bitte Sie zum Schluss zu kommen.

Wir werden unserer aufgabenpolitischen Verantwortung gerecht werden, und das ist für uns soziale Verantwortung.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU und der Staatsregierung)

Herr Dr. Pellmann, Sie wollen sicherlich das Instrument der Kurzintervention nutzen.

Herr Präsident! Frau Schütz, zwei Dinge würde ich Ihnen gern mit auf den Weg geben. Zunächst möchte ich Sie auf einen hier immer wieder – nicht von Ihnen, oft mehr von Ihren Fraktionskolleginnen und -kollegen – gemachten Denkfehler aufmerksam machen: Sie gehen davon aus, dass Sie sagen, wenn die Bevölkerung in Sachsen zurückgeht – sie ist seit 1990 um 800 000 zurückgegangen –, dann muss sich das natürlich gegebenenfalls auch in einem Rückgang an Sozialausgaben widerspiegeln, adäquat der Rasenmähermethode.

Dazu sage ich Ihnen: Die Reduzierung der sächsischen Bevölkerung durch Abwanderung betraf eben nicht in erster Linie jene, die auf unsere Hilfe und unsere Sozialleistungen angewiesen sind; sondern es sind vor allem jene gegangen, die von vornherein leistungsfähiger sind. Deswegen können Sie nicht sagen: Die Sozialausgaben können adäquat zur Bevölkerungsreduktion zurückgehen.

Die zweite Bemerkung. Sie haben gesagt, wir werden auch weiterhin allen Ehrenamtlichen durch „Wir für Sachsen“ Unterstützung geben. Wenn Sie sich die Antworten der Staatsregierung auf meine Anfragen anschauen, dann wird Ihnen klar geworden sein: Das gegenwärtige Programm „Wir für Sachsen“ hat nicht alle Anträge berücksichtigen können; das war noch nie so und ich befürchte, dass es immer weniger wird.

Im Übrigen verweise ich Sie darauf, dass eine ganzjährige Unterstützung ohnehin nicht möglich ist, sondern dass es jeweils auf neun oder sieben Monate reduziert ist.

Frau Schütz, Sie möchten auf die Kurzintervention antworten; dazu haben Sie Gelegenheit.

Ich möchte noch einmal richtigstellen, dass ich mit den zurückgehenden Einwohnerzahlen auf die Einnahmensituation hingewiesen habe. Ich habe es nicht adäquat zu den Sozialausgaben gestellt. Dass wir aber speziell in der Jugendhilfe mit weniger Jugendlichen natürlich schauen müssen, wie wir die Angebote effizient gestalten und entsprechende Leistungen anbieten können, darin werden Sie mir sicherlich recht geben.

Dass wir weniger Sozialausgaben oder Arbeitsmarktförderungsmaßnahmen haben, zeigt sich auch in der positiven Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen

Arbeitsverhältnisse. Das heißt, dass wir sehr richtig bis hierher investiert haben und dass wir diese Bürgerinnen und Bürger nun in Arbeit bringen können, sodass wir auf diese Maßnahmen überhaupt nicht mehr angewiesen sind.

Herr Pellmann, nehmen Sie die Situation im Land, die Tatsachen zur Kenntnis und spiegeln Sie nicht immer wieder Ihr Bild, das Sie gern hätten.

Herzlichen Dank.

(Vereinzelt Beifall bei der FDP und der CDU)

Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Herrmann.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Jugendpauschale ist nun wahrlich ein schlechtes Beispiel, wenn Sie sagen, die zurückgehende Zahl von Jugendlichen rechtfertigt die Kürzung der Jugendpauschale. Es ist ja eine Pauschale, weil sie pro Kopf ausgereicht wird. Das heißt, wenn es weniger Jugendliche sind, ist es nicht gerechtfertigt, dass die Pauschale automatisch in gleicher Weise zurückgeht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vor einigen Tagen wurden die Ergebnisse der Heitmeyer-Studie, der letzte, zehnte Band für dieses Jahr, vorgestellt. Verkürzt dargestellt, findet diese Studie heraus, dass die Gewaltbereitschaft rechtsextremer Kreise zugenommen hat. Begründet wird das mit einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft.

Die Sozialwissenschaftlerin Anetta Kahane beschreibt dieses Ergebnis der Studie so:

(Jürgen Gansel, NPD: Die absolute Fachkraft!)

Die Untersuchung fungiert als Gradmesser für Stimmungen und Einstellungen.

(Erneuter Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Halten Sie bitte den Mund da drüben, Sie können sich gern melden!

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der FDP)

Die Untersuchung fungiert als Gradmesser für Stimmungen und Einstellungen. Mit ihr kann empirisch belegt werden, dass sich Veränderungen der sozialen Bedingungen in den Einstellungen der Bevölkerung niederschlagen – etwa, dass Themen von rechts außen salonfähig werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da müssten uns in Sachsen gerade in dieser Zeit doch die Ohren klingen.

(Beifall des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Wilhelm Heitmeyer übt insbesondere Kritik, weil die Solidarität mit den „unteren“ Klassen aufgekündigt wird. Er sagt, die Würde bestimmter Menschen und die Gleichwertigkeit von Gruppen sind antastbar. Die Studie stellt heraus, dass die Akteure in diesem Geschehen nicht nur die organisierten Neonazigruppen sind, sondern dass bisher Einstellungsmuster der Bevölkerung als Legitimation für Gewalt eher unbeachtet blieben.

Wenn Sie mich jetzt fragen, was das mit dem Thema Haushaltskürzung zu tun hat, dann sage ich Ihnen, Sozialpolitik ist die Basis der Demokratie. Soziale Rechte sind Rechte auf Teilhabe, sie sollen den Zusammenhalt der Gesellschaft fördern und wahren und sie sollen die Gesellschaft vor Verwahrlosung bewahren.