analyse, um Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, damit das, was in den letzten Jahren passiert ist, nie wieder passiert.
Man muss auch darüber diskutieren, ob es wirklich sinnvoll ist, 16 Landesverfassungsschutzbehörden zu haben. Man muss darüber diskutieren, ob es wirklich gut ist, wie diese derzeit kooperieren, oder ob man diesbezüglich nicht zu einer Strukturreform kommen muss. Ich halte diese Diskussion für angebracht. Es ist höchste Zeit, darüber zu sprechen, denn offensichtlich arbeiten unsere Behörden nicht effizient zusammen.
Aufklärung muss Vorrang haben. Kollege Flath hat gesagt, dass dies das Gebot der Stunde sei. Ich warne vor voreiligen Schlüssen, weil voreilige Forderungen und Konsequenzen, wie man sie auch in der heutigen Debatte gehört hat, nur allzu oft an den wirklichen Problemen vorbeigehen. Ich habe heute gehört, dass einige Kollegen bereits endgültige Schlüsse gezogen haben, obwohl noch kein komplettes Lagebild vorliegt. Auch ich weiß noch nicht, wie alles zusammenhängt, wie sich die Rolle dieser Kameraden dort und der V-Leute darstellt.
(Andreas Storr, NPD: Also wir sind Ihre Kameraden! Das ist aber nett, dass Sie uns auf eine gemeinsame Ebene heben!)
Ich will genau wissen, wie sich das darstellt, und erst dann Schlussfolgerungen ziehen. Ansonsten kann eine solche Diskussion auch ein Vorwand dafür sein, dass am Ende nicht richtig aufgeklärt wird. Genau das wäre falsch. Wir müssen wissen, woran es gelegen hat. Wir müssen wissen, ob wir mit den bestehenden Strukturen überhaupt noch klarkommen und ob wir damit dem Rechtsextremismus Einhalt gebieten können.
Wenn wir jetzt voreilige Schlüsse ziehen, dann ist das falsch und es verhindert die notwendigen Konsequenzen. Das können wir nicht akzeptieren, meine Damen und Herren.
Ich finde es persönlich falsch, dass es bereits einen erkennbaren gegenseitigen Überbietungswettbewerb an Forderungen gibt. Es wurde zum Beispiel bereits gefordert zu prüfen, welcher Haushaltsansatz denn jetzt der richtige sei, um ihn zu erhöhen.
Ich rate, dann erst einmal abzuwarten. Ich würde zunächst schauen, welche die richtigen Instrumente sind, um den Rechtsextremismus hier in Sachsen zu bekämpfen. Was sind die richtigen Konsequenzen? Ich denke, die Zeit, die wir dafür brauchen, sollten wir uns nehmen. Ich warne davor, wenn einige politische Gruppierungen in unserem Land mit dem Schicksal der Opferfamilien ihr eigenes politisches Geschäft betreiben wollen, meine Damen und Herren.
Deshalb möchte ich zum Schluss wiederholen, was unsere Bundesjustizministerin, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, in der letzten Woche gesagt hat: Sie sagte nämlich: „Wir versprechen den Opferfamilien eine lückenlose Aufklärung, eine Neubewertung der Ereignisse und als Zeichen des Mitgefühls und der Solidarität eine finanzielle Entschädigung.“
Ich denke, das sind die richtigen Worte zum richtigen Zeitpunkt. Die politische Debatte darüber, welche Konsequenzen wir genau aus diesen Verbrechen ziehen müssen, werden wir zu einem späteren Zeitpunkt führen müssen.
Das war Herr Kollege Zastrow für die Fraktion der FDP. – Als Nächste spricht für die Fraktion GRÜNE Frau Kollegin Hermenau.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Denken Sie bitte kurz einmal an Ihren Vater und stellen Sie sich vor, jemand hat vor Ihrer Haustür Ihren Vater erschossen. Vom Täter fehlt jede Spur. Gerüchte werden laut: Vielleicht steckt ja die Mafia dahinter. Er hatte eine Fleischerei; Feinde hat man als Geschäftsmann immer. Und überhaupt, ein bisschen komisch war er schon immer.
Sie und Ihre Familie müssen sich das beim Einkaufen, im Kindergarten anhören. Die Jahre vergehen, die Wunde schließt sich nicht, weil Sie im Ungewissen sind. Was ist geschehen?, fragen Sie sich oft und zermartern sich den Schädel. Dann, nach langer Zeit, klärt sich die Tat durch Zufall auf. Irgendjemandem, den Sie nicht kannten, gefielen Männer mit Schnurrbart nicht. Er hielt sie für minderwertig. Deswegen hat er sie erschossen, wenn sie ihm vor die Flinte kamen. Er hat Menschen ohne Grund einfach ausgelöscht. Er hat Väter, Großväter einfach aus ihren Familien gerissen, weil sie Schnurrbärte oder Vollbärte trugen oder Glatzen hatten.
Es ist völlig egal, wie man ihren Namen in der jeweiligen Landessprache ausspricht: Jan, Jean, Giovanni, Jachja, Ivan, Johannes oder Gottlieb. Der Name bedeutet immer, was er schon vor 2 000 Jahren in Israel bedeutete: Jochanan – seine Geburt war ein Geschenk Gottes.
Sie, die Regierungen und die sie tragenden Fraktionen, haben in diesem Politikbereich meiner Meinung nach versagt. Warum, das wird uns noch lange beschäftigen. Das ist so. Es sollte uns zuallererst auch selbst beschäftigen. Heute haben einige davon gesprochen, dass Demut und Ehrlichkeit am Platze seien und dass Selbstgerechtigkeit fehl am Platze sei. Ich habe mir die Debatte sehr aufmerksam von beiden Seiten angehört. Ich bitte darum, dass beide Seiten sich das zu Herzen nehmen. Beide Seiten!
Toleranz und Ernsthaftigkeit in der Politik wird das erfordern. Es ist nicht leicht. Jeder hat seine Schmerzen
bei diesem Thema. Das wurde am unterschiedlichen Beifall deutlich. Aber darum kann es jetzt nicht gehen. Es wird sowieso von außen immer wieder thematisiert werden, wie wir Sachsen mit diesem Problem umgehen. Wir stehen unter öffentlicher Beobachtung. Der Aufbau Ost ist nicht nur ein technischer, sondern vor allem ein zivilisatorischer. Das wird jetzt in beschämender Härte klar – ich hoffe, jedem. Das ist kein gesellschaftlicher Schnörkel, den man sich mal leisten kann, wenn genug zu essen auf dem Tisch steht. Hier geht es auch nicht um gesellschaftlichen Luxus, sondern um eine zivilisatorische Grundlage unserer Gesellschaft hier im Freistaat Sachsen.
Entweder gelingt dieser Aufbau einer freien, demokratischen Bürgergesellschaft oder er gelingt nicht, vielleicht auch nicht schnell genug. Dann wird das, was an wirtschaftlichen Erfolgen in den letzten 20 Jahren erreicht worden ist, zunichte gemacht. Ich frage Sie: Wollen Sie von der sächsischen Union sich Ihre eigene wirtschaftliche Aufbauleistung durch die politische Verfemung unseres ganzen Landes wegen dieser politischen Brandstifter und Terroristen zunichtemachen lassen? Wollen Sie das wirklich?
Wir leben in bewegten Zeiten und Gewissheiten zerbrechen. Sicher geglaubte Orientierung geht verloren. Der Rechtsstaat und die Demokratie müssen stehen. Sie muss den Halt geben in dieser Gesellschaft, von ganz links bis nach rechts. Sie ist es, hinter der wir uns alle versammeln müssen.
Herr Flath, Sie sagen, die Behörden sollen uns die Fakten auf den Tisch legen, dann werden wir sie bewerten. Es geht um Aufklärung; das höre ich. Aber wer kontrolliert die Behörden? Diese Frage steht doch im Raum. Diese Frage steht im Raum: Wer kontrolliert die Behörden?
Da kann man keinen Persilschein ausstellen, wie ich es gestern gehört habe, und sagen, dass dabei sicherlich keinerlei Fehler gemacht worden seien. Das ist unglaubhaft und beschädigt diesen Prozess, von dem ich gerade spreche. Meiner Meinung nach muss – das werden Sie entscheiden; das ist nur meine Meinung – die sächsische Union Schritt für Schritt in dieser Innenpolitik umsteuern. Das wird viele Gespräche und auch Zeit brauchen. Aber Sie sind beschämt und erschrocken. Das habe ich heute gehört, das ist sehr glaubhaft. Es hat aber Konsequenzen. Sie müssen, weil Sie in der Regierung sind, in absehbarer Zeit zur politischen Handlungsfähigkeit kommen. Das ist ganz klar.
Freiheit und Bürgerrechte sind die wesentliche Grundlage unserer Verfassung. Auch wenn es schmerzt, dabei sind meiner Meinung nach Korrekturen nötig. Haben Sie denn die Sicherheitslage hier im Freistaat noch im Griff? Laufen hier vielleicht noch mehr braune Killerkommandos durch die Gegend? Werden die vielen Helfer dieser
Terrorzelle jetzt vielleicht selbst zu aktiven Terroristen? Diese Fragen stehen im Raum und das sind keine aus der linken Hälfte des Hauses.
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat das am Sonntag sehr genau beschrieben. Ich zitiere: „Das abgetauchte Trio setzte sich nicht ins Ausland ab, Sachsen reichte vollkommen.“
Wir müssen uns neu verständigen über Demokratieerklärungen und Gesinnungs-TÜV, über die Aufgaben der Polizei, der Staatsanwaltschaft und vor allem des Verfassungsschutzes und – offensichtlich noch wichtiger – deren Pflicht zur Kommunikation und Kooperation. Ein großes politisches und dienstrechtliches Aufräumen in diesen Behörden wird wohl auch auf der Tagesordnung stehen. Da Sie regieren, ist das Ihre Aufgabe.
Herr Flath, Ihre Meinung, das sei jetzt nicht die Stunde der Politik, teile ich ausdrücklich nicht. Meine Meinung ist: Für uns alle hier im Parlament, von links bis rechts, von LINKEN bis CDU, damit es keine Missverständnisse gibt, meine Herren,
ist der Moment der Wahrheit gekommen. Vielleicht ist auch das, was Sie meinen – ich weiß es nicht –, marktschreierische Politik, Ad-hoc-Politik, umfragenbasierte Politik, verzweifelt gemiedene Aufarbeitung eigener Fehler und Schuld vor 1989 und auch danach. All diese Placebos haben sich erschöpft – haben Sie doch eine Scheindebatte über politischen Extremismus im Scheinwerferlicht gehalten, währenddessen sich eine richtige und wahrhaftige Terrorzelle in diesem Land nicht nur bilden, sondern auch noch jahrelang verstecken konnte.
In wenigen Tagen haben Sie einen Landesparteitag, auf dem sich die CDU in Sachsen zu einem neuen Grundsatzprogramm verständigen wird. Meiner Meinung nach müssen Sie sich auch zu neuen Grundsätzen der Innen- und Sicherheitspolitik verständigen. Wer in die Zukunft aufbrechen will, muss grundsätzlich neue Prämissen setzen.
Herr Apfel, nun sind Sie ja erkennbar der Kopf dieser ganzen NPD und vielleicht auch lockeren, verknüpften Bewegungen – das ist zumindest in Rede – und Sie versuchen sich hier als bürgerlich zu tarnen.
Aber die Geister, die Sie riefen, als Sie mit den freien Gruppen kooperierten, werden Sie nicht mehr los. Sie sind enttarnt. Mir ist völlig egal, was Sie dazwischenbrüllen, Ihre Worte entlarven Sie bei allem, was Sie tun. Sie
Egal wie schamlos Sie versuchen werden, darüber hinwegzutäuschen, wie nahe Sie selbst den freien Gruppen der rechtsextremen Szene stehen, wir werden Ihnen vereint über kurz oder lang hier in Sachsen das Handwerk legen. Darauf können Sie sich verlassen!
Der gemeinsame Entschließungsantrag aller fünf demokratischen Fraktionen zu diesem Thema ist dafür der erste Schritt.
Für die Fraktion GRÜNE sprach die Abg. Hermenau. – Jetzt spricht für die NPD-Fraktion der Abg. Apfel.
(Karl Nolle, SPD: Wo haben Sie Ihren Wohnwagen geparkt, Herr Apfel? – Jürgen Gansel, NPD: Gehen Sie lieber in die Kantine!)