Protocol of the Session on October 13, 2011

Nun die SPD-Fraktion; Herr Abg. Jurk, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

(Interne Wortwechsel zwischen SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Ich bitte doch um Aufmerksamkeit. Herr Präsident, Entschuldigung, wenn ich Ihnen einmal vorgreifen muss, aber das gehört sich nicht.

Wenn man allein alle Kleinen Anfragen seit der 2. Legislaturperiode zum RAVON und zur Müllverbrennungsanlage Lauta zusammenzählt, kommt man auf über 40. Es waren natürlich in erster Linie Anfragen und Anträge aus den Oppositionsfraktionen. Schlaglichter der parlamentarischen Initiativen waren beispielsweise: Sicherheitsneugründung des RAVON, Bürgerbegehren gegen die Müllverbrennungsanlage Lauta 1997, Diskussion zum Ausstieg aus dem Vertrag mit der VEAG/STEAG, also dem Betreiber der T. A. Lauta, im Jahre 2001, Überdimensionierung der Müllverbrennungsanlage usw. usf.

Wie ist die Situation? Ich möchte zunächst auf die Konsequenzen aus den vertraglichen Regelungen hinweisen. Der Beginn des Betreibervertrages war am 21.07.2004, und die Laufzeit betrug immerhin 25 Jahre. Die ursprünglich vereinbarte Anliefermenge betrug 110 000 Tonnen pro Jahr, wobei nach meiner Erinnerung noch eine zusätzliche Anlieferung bis 125 000 Tonnen pro Jahr als Anliefermöglichkeit zu gleichen Konditionen vereinbart worden war. Die Gesamtkapazität der Anlage beträgt übrigens 225 000 Tonnen pro Jahr. Wichtig ist, dass bei Minderanlieferung der RAVON – und damit der Müllgebührenzahler – verpflichtet ist, einen aus jahresspezifischen Durchsatzkosten und Fehlmengen bei einem Heizwert von 9 000 Megajoule pro Tonne errechneten Betrag an das Konsortium zu zahlen. Ich kann im Moment nicht aktuell sagen, wie viel Geld das wäre, aber bereits zum 1. Januar 2006, Kollege Bienst, trat eine Fehlmenge von 5 000 Tonnen pro Jahr auf.

Als Lösung des Problems wurde in der Verbandsversammlung eine unproblematische Fremdakquise von Abfällen dargestellt. Diese Akquise erwies sich übrigens als unzureichend, obwohl sogar über Abfälle aus der Region Neapel verhandelt wurde.

(Dr. Monika Runge, DIE LINKE: Hört, hört!)

Für den Zeitraum 2007 bis 2011 wurde dann vom Konsortium eine Absenkung der Anliefermenge auf 95 000 Tonnen pro Jahr vereinbart. Offensichtlich laufen zurzeit Verhandlungen zur weiteren Absenkung, da auch diese Menge nicht mehr erreicht wird. Laut Statistik des RAVON lag das Müllaufkommen im Jahr 2010 bei circa 70 000 Tonnen pro Jahr und die Müllfraktion DSD, also bekanntermaßen der gelbe Sack, bei circa 23 000 Tonnen pro Jahr, sodass selbst bei vollständiger Verbrennung des DSD – worüber ich eigentlich nur den Kopf schütteln kann – die erforderliche Menge nicht erreicht werden würde.

Ich will auch meinen Beitrag aus der Vergangenheit liefern. Wie hat sich das denn dargestellt? Es war tatsächlich so: Der politische und finanzielle Druck auf die Verbandsmitglieder zum Abschluss des damaligen Konsortialvertrages war außerordentlich hoch.

(Dr. Monika Runge, DIE LINKE: Hört, hört!)

In diesem Zusammenhang ist auch der Zwangsbeitritt der kreisfreien Stadt Görlitz im Jahr 1995 und der schwierige Verkauf der Deponie Kunnersdorf im Jahr 1998 zu sehen. Beim Deponieverkauf wurde politischer Druck, kombiniert mit finanziellen Anreizen – es ging damals um 10 Millionen DM – vom Freistaat Sachsen aufgemacht. Von vornherein war das Konstrukt Landkreis, später RAVON, als Halter der Betriebsgenehmigung und Stadt Görlitz über die Stadtreinigung als Eigentümer wenig praktikabel.

Hier stellt sich auch die Frage, wieso wenig später bezüglich der kreisfreien Stadt Hoyerswerda keine Zwangsmitgliedschaft durchgesetzt wurde, obwohl hierdurch dem RAVON Müllaufkommen verloren ging. Wenn ich mich

recht erinnere, hat die kreisfreie Stadt Hoyerswerda seinerzeit zur Deponie Cröbern geliefert. Zu dem Zeitpunkt gab es noch ausreichend Deponiekapazitäten auf den Deponien Kunnersdorf, Radgendorf bei Zittau und Nadelwitz bei Bautzen. Kunnersdorf und Radgendorf waren nach dem Stand der 2. TA Siedlungsabfall ertüchtigt. Auf alle drei Deponien hätte bis zur Kapazitätsauslastung bzw. bis zum Inkrafttreten der 2. TA Siedlungsabfall ab 1. Juli 2005 Abfall angeliefert werden können. Insofern war der damalige Zeitdruck für die T. A. Lauta nicht glaubhaft.

In der Verbandsversammlung gab es nicht nur seitens der kreisfreien Stadt Görlitz erhebliche Bedenken bezüglich der Dimensionierung und der Kosten der T. A. Lauta. Die in der Planung und insbesondere an der Ausgestaltung des Konsortialvertrages maßgeblich beteiligte „Wibera“ hatte allerdings „überzeugende“ Unterlagen vorgelegt, sodass es später, nämlich im Jahr 1997, zu jenem Beschluss kam. Die „Wibera“ ist meines Wissens nach sogar staatlich gefördert worden, um die entsprechende Leistung zu liefern.

Der Freistaat Sachsen, meine sehr verehrten Damen und Herren, war ständig involviert, da bei allen Verbandsversammlungen das Regierungspräsidium – zumindest aber das damalige staatliche Umweltfachamt – anwesend war.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Stellungnahme der Staatsregierung, die Abfallentsorgung sei weisungsfreie kommunale Pflichtaufgabe und unterliege der grundgesetzlich geschützten kommunalen Selbstverwaltung, mehr als zynisch. Mir fällt da auch kein anderer Begriff für dieses Verhalten ein, Frau Kollegin Roth.

Ich komme auf die Aktivitäten und die Antworten der Staatsregierung in der Vergangenheit zu sprechen. Ich möchte aus der Vielzahl der Kleinen Anfragen an eine Kleine Anfrage aus der 3. Legislaturperiode, Drucksache 3/4535, meiner Kollegin Frau Dr. Simone Raatz, SPD, erinnern. Sie wurde am 13.09.2001 durch den damaligen Staatsminister für Umwelt und Landwirtschaft, Herrn Steffen Flath, beantwortet. Die Frage lautete: „Ist Bezug nehmend auf die vorgenannten Zahlen“ – diese habe ich soeben dargestellt – „ein auf 25 Jahre abgeschlossener Vertrag zu verantworten?“

Die Antwort der Staatsregierung lautete: „Auf der Basis der prognostizierten Entwicklung des Abfallaufkommens im RAVON wird kein Anlass gesehen, die vereinbarte Vertragslaufzeit infrage zu stellen. Auch die kommunalrechtliche Prüfung des Vertrages durch das Regierungspräsidium Dresden, bei der auch externer Sachverstand einbezogen wurde, hat ergeben, dass der Abschluss des Vertrages die finanzielle und dauernde Leistungsfähigkeit des RAVON nicht gefährdet und auch bei einer Veränderung des Abfallaufkommens im Verbandsgebiet gegen die Vertragslaufzeit grundsätzlich keine Bedenken bestehen, da seitens des RAVON durch Akquisition von Fremdmüllmengen zu Marktpreisen die für die Auslastung der Anlage erforderlichen Abfallmengen ausgeglichen werden können.“

Dies ist derzeit nicht der Fall. Jetzt muss ich einfach an Ihre Ehre und Ihr Gewissen appellieren: Wir müssen dort helfen!

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Wir können die Menschen in den Landkreisen Görlitz und Bautzen nicht im Regen stehen lassen.

(Dr. Monika Runge, DIE LINKE: Richtig!)

Wir haben immer wieder von Rednern der Koalition gehört, dass es um die Zukunft gehen müsse. Man müsse aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, um die Zukunft beschreiten zu können und um künftig handlungsfähig zu sein. Lieber Herr Fraktionsvorsitzender Flath, ich weiß, dass man als Minister vieles unterschreibt und sich dabei darauf verlassen muss, dass die Verwaltung gut gearbeitet hat. Ich hoffe aber, dass Sie unserem Änderungsantrag, den wir noch einbringen werden, wenigstens zustimmen werden. Es ist sehr wichtig, dass deutlich wird, dass der Freistaat Sachsen seiner Verantwortung bei der Nachverhandlung des Vertrages gerecht wird. Der Freistaat Sachsen hatte maßgeblichen Einfluss auf die Ausgestaltung der vorliegenden Verträge

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

und damit auch eine Verantwortung, sich jetzt, wenn die Konsequenzen spürbar werden, entsprechend zu verhalten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPDFraktion unterstützt das Vorhaben der Fraktion DIE LINKE, den Rechnungshof um die Erstellung eines Gutachtens zu bitten, um die Zusammenhänge gründlich darzustellen und aufzuklären.

Ich möchte, nachdem die heutige Debatte von CDU und FDP deutlich gemacht hat, wie schwierig sich der demografische Wandel in Sachsen darstellt, noch einmal auf den Titel dieser Debatte hinweisen. Er lautete: „Gestaltung des demografischen Wandels in Deutschland – Sachsen ist Vorbild!“ – Jeder kann sich seinen eigenen Reim darauf machen.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Es spricht für die FDPFraktion Frau Abg. Jonas. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Zweifelsohne sind die geschilderten Probleme gravierend und besonders für die Menschen, die in dieser Gegend leben, sehr bedeutsam. Dennoch ist es so: Die Organisation von Abfällen und die Entsorgung überlassungspflichtiger Abfälle unterliegt aufgrund der aktuellen Rechtslage der kommunalen Ebene – unabhängig davon, ob man diese Bemerkung jetzt als zynisch bezeichnet oder nicht.

Das gilt demnach auch für den Regionalen Abfallverband Oberlausitz/Niederschlesien und dessen geschlossene

Verträge. Das Ministerium als zuständige Rechtsaufsicht hat nur in einem begrenzten Spielraum die Möglichkeit, in diese Vertragshoheit einzugreifen. Das ist eine schwierige Konstellation für die Vertragspartner. Auch das ist sicherlich jedem der Anwesenden, der sich mit der Thematik auseinandergesetzt hat, bewusst.

Die Informationen der Kommunalpolitiker vor Ort lassen die Schlussfolgerung zu, dass sich die Vertragsparteien ihrer Verantwortung für die betroffenen Bürger bewusst sind. Mein Kollege Herr Bienst ist darauf schon eingegangen. Deswegen möchte ich das nicht wiederholen.

(Zuruf der Abg. Dr. Monika Runge, DIE LINKE)

Die Abfallgebühren für die Betroffenen in einem erträglichen Maß zu halten, ist eine der wichtigen Zielstellungen der kommunalen Verhandlungspartner. Zeigen wir also Vertrauen in die Arbeit der Kommunen, denn unabhängig davon bleibt es dabei: Die kommunale Selbstverwaltung ist ein wichtiger Gestaltungsgrundsatz unserer demokratischen Gesellschaft. Diese gesicherte Souveränität gilt es zu respektieren. Eine direkte Einflussnahme in die kommunale Selbstverwaltung seitens des Landtages wird es nicht geben. Deswegen ist die Ablehnung des Antrages nur folgerichtig.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Nach dem Beitrag der FDP-Fraktion nun die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Es spricht die Abg. Frau Kallenbach. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie erinnern sich bestimmt noch an die Gründerjahre um 1990, an die optimistischen Prognosen der blühenden Landschaften. Damals sind überdimensionierte Anlagen aller Art geplant und gebaut worden: Gewerbeparks, Freizeitbäder, Abwasseranlagen, Deponien und natürlich auch Müllverbrennungsanlagen.

Wir GRÜNE waren gegen diese Wachstumsideologie und haben vergeblich versucht, für alternative Konzepte und dezentrale Projekte zu werben. Das geschah zum einen aus ökologischen Gründen, zum anderen aber auch, weil vorhersehbar überdimensionierte Anlagen enorme Folgekosten haben werden, die meistens weder benannt noch kalkuliert waren.

Nun liegt das Kind im Brunnen. Ob wir über die Deponie Cröbern, diverse Kläranlagen oder die Müllverbrennung im Landkreis Bautzen sprechen: Mit falschen Prognosen wurden zu große Anlagen gebaut, Verträge mit garantierten Abnahmemengen und langen Laufzeiten geschlossen, die zudem nicht offengelegt wurden. Herr Bienst, das sind keine Horrorszenarien, sondern schlichtweg Fakten.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Die Zeche zahlen die Bürgerinnen und Bürger über steigende Gebühren. Jenen greift man immer tiefer in die Tasche. Wer ist daran schuld?

(Zuruf von der CDU: Sie!)

Eigentlich niemand! – Daher begrüße ich, dass mit diesem Antrag der Linksfraktion heute öffentlich diskutiert wird, dass wir die Chance haben, Ross und Reiter zu benennen. Ja, es waren die Verbandsräte im regionalen Abfallverband, die diesen Betreibervertrag abgeschlossen und sich über den Tisch haben ziehen lassen. Aber es waren die oberen und obersten Behörden, die mit ihrer Fach- und Rechtsaufsicht kläglich oder wissentlich versagt haben.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Wo war das Veto gegen die Gebührenkalkulation, die ja nach Sächsischem Abfallwirtschafts- und Bodenschutzgesetz der Aufsichtsbehörde vorzulegen war? Über die Gebühren sollen zudem laut Gesetz effektive Anreize zur Vermeidung, Verwertung und umweltverträglichen Beseitigung von Abfällen geschaffen werden. Haben die Behörden nicht bemerkt, dass für diese enorme Laufzeit Verpflichtungen von nahezu gleichbleibenden Mindestliefermengen gesichert wurden? Sich nunmehr zurückzulehnen – Sie hören es heute zum dritten Mal – und zu sagen, das sei doch kommunale Selbstverwaltung, finde ich unverfroren.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Wie bereits gesagt: Die Zeche zahlt der Bürger. Ökologisch sinnvolle Müllvermeidung ist teuer im Regionalverband RAVON. Daher halte ich es für unerlässlich, dass die zuständigen Behörden endlich alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen und ihre Pflicht bei anstehenden Nachverhandlungen erfüllen; denn sonst können wir diese Behörden gleich abschaffen.

Ich möchte aber auch die in erster Linie zuständigen Verbandsräte nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Sie müssen die Konsequenzen für ihr Handeln tragen. Es ist ja bekannt, dass überwiegend lokale CDU-Granden in Hinterzimmerverhandlungen solche absurden Knebelverträge protegieren.