Meine Damen und Herren! Herr Fritzsche, Sie haben auf das Papier angespielt, das bei der Konferenz der ostdeutschen Regierungschefs mit der Bundeskanzlerin durch Herrn Bergner veröffentlicht wurde. Darin spricht Sachsen von der Überalterung, als hätten die Menschen in Sachsen ein Schild mit einem Mindesthaltbarkeitsdatum, ansonsten sind sie überaltert. Einerseits freuen wir uns darüber, dass die Menschen älter werden, dass sie gesund älter werden. Aber Sie beschreiben mit diesem Begriff nicht tatsächlich den Prozess, der hier abläuft. Nicht die Alten fallen vom Himmel – oder wie es die Herkuleskeule in einem Programm gesagt hat: „Es ist schon blöd, wenn mit einem Mal so viel Alte geboren werden“ –, sondern sie waren schon immer da und sind halt älter geworden. Unser Problem ist, dass wir es mit einer „Unterjüngung“ zu tun haben, einer wanderungsbedingten Unterjüngung und daraus folgend mit einem Geburtenrückgang, weil die Kinder der Kinder auch schon wieder fehlen.
Meine Damen und Herren! Wenn Sie wirklich den demografischen Wandel positiv begleiten wollen, sei Ihnen noch ins Stammbuch geschrieben: Gestalten können Sie den Wandel nicht, das wollen die Kollegen von Rechts, sie wollen den irgendwie gestalten,
Sie können das nicht. Sie können ihn begleiten und die Folgeerscheinungen in irgendeiner Weise bewältigen, aber den demografischen Wandel gestalten können Sie nicht.
Meine Damen und Herren! Womit haben wir es also zu tun? – Wir wollen positiv herangehen. Die Staatsregierung hat ein Handlungskonzept aufgeschrieben, darin steht dann Demografiecheck. Tolle Sache. Haben Sie den schon mal gesehen? Ich nicht. Das hätte sich in irgendeiner Weise im Doppelhaushalt wiederfinden müssen. Das haben wir nicht gefunden.
(Alexander Krauß, CDU: Es hat sich wiedergefunden! Wir haben einen ausgeglichenen Haushalt vorgelegt!)
Der Landtag hat mit der Mehrheit – ach Mensch, hören Sie doch erst einmal zu, ich habe Ihnen doch auch zugehört, Ihr Gegacker geht mir auf die Nerven, ganz ehrlich –, die da sitzt, meine Damen und Herren, beschlossen, in § 15a der Geschäftsordnung einen Beauftragten für Generationengerechtigkeit und Demografie einzuführen. Tolle Sache, das haben Sie im Koalitionsvertrag geschrieben. Wo ist er denn? Haben Sie noch niemanden gefunden, der sich an diese Aufgabe heranwagt? – Also, wenn man schon den Mund zu voll nimmt und Vorbild sein will, sollte man es auch erfüllen.
Meine Damen und Herren! Gehen wir weiter. In diesem Papier wird von neuen Wegen gesprochen. Sie haben sie auch angesprochen, blumig umrahmt, wunderbar, ist ja toll, Frau Schütz, da kann man nur Beifall klatschen. Interkommunale Zusammenarbeit: Ja, neue Wege in der
interkommunalen Zusammenarbeit sind dringend geboten. Das finde ich vollkommen richtig. Aber Sie lassen sich nicht darüber aus, wie diese aussehen sollen.
Im Übrigen: Wenn Sie auf die Enquete-Kommission „Demografischer Wandel“ anspielen, Herr Fritzsche, dann sollten Sie sich bitte schön die Handlungsempfehlungen vornehmen. Ich werde Ihnen im zweiten Teil exerzieren, wie man da herangehen sollte, um zu prüfen, wie vorbildhaft Sie sich hier in Sachsen gerieren und wie vorbildhaft Sachsen bei der Bewältigung des demografischen Wandels agiert. Interkommunale Zusammenarbeit finden Sie im Bergner-Papier auf Seite 29 ff. Das können Sie nachlesen, das muss ich jetzt nicht ausführen. Hier wird beschrieben, was im Bericht der Enquete-Kommission – –
Das war Kollege Stange für die Fraktion DIE LINKE. – Als Nächstes ergreift für die SPD-Fraktion Kollege Dulig das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestaltung des demografischen Wandels in Deutschland – Sachsen ist Vorbild. Ja, eine Überschrift gehört mit zur Hülle. Dann habe ich die Reden gehört, und ich war mir nicht so sicher, ob Sie selbst an den Titel geglaubt haben. So richtig inspirierend war es nicht. Aber ich kann Ihnen auch sagen: Die Debatte, die Sie hier angefangen haben, ist ein Rückschritt gegenüber dem, worüber wir schon einmal gemeinsam waren.
Wir hatten hier im Sächsischen Landtag eine EnqueteKommission zur demografischen Entwicklung und es war – und das sage ich, glaube ich, fraktionsübergreifend – ein intensiver, guter Prozess. Ich hätte mir wirklich gewünscht, dass die ehemaligen Mitglieder dieser EnqueteKommission in der CDU-Fraktion das Wort ergriffen hätten, um dort anzuschließen, wo wir bei dem Bericht gewesen sind. Matthias Rößler war der Obmann der CDU-Fraktion in diesem Ausschuss. Wir haben dort eine gute Arbeit gemacht. Ich wäre ganz vorsichtig, jetzt schon wieder die Muskeln spielen zu lassen: Sachsen ist der Größte und der Schönste und wir sind Vorbild. Vorbild für wen denn? Vorbild durch was denn?
Nehmen Sie doch einmal das ernst, was Sie selbst mit erarbeitet haben! Haben Sie sich denn überhaupt einmal den Bericht durchgelesen? Haben Sie sich einmal die Handlungsempfehlungen durchgelesen? Da spreche ich nicht einmal von den Minderheitenvoten, sondern davon, was wir einmal gemeinsam erarbeitet haben. Dann schau
en Sie einmal, was Sie wirklich in die politische Umsetzung gebracht haben. Ich frage mich auch: Woran machen Sie jetzt Ihre Vorbildfunktion fest – am Straßenbau, an Haushaltszahlen?
Zum Beispiel die Frage der Unterjüngung. Dieses schöne Zitat von Michael Behr, der unser Experte in der EnqueteKommission war, deutet auf ein Problem hin, das zum demografischen Wandel gehört. Das ist nämlich der Fachkräftemangel. Ich sage Ihnen eines: Sachsen ist nicht Vorbild! Sachsen wird durch Ihre Politik gerade Mittelmaß. Das finden Sie vorbildhaft?
Sachsen hat 10 % Schulabbrecher. Im Bundesdurchschnitt sind es 6,5 %. Während wir in Sachsen mit 31 % Abiturquote stolz sind, liegt der Bundesdurchschnitt bei 47 %. Während in Sachsen knapp über 7 % auf dem zweiten Bildungsweg zum Abitur kommen, sind es im Bundesdurchschnitt 14 %. – Vorbildrolle?
Hallo? Reden Sie doch einmal mit den Unternehmerinnen und Unternehmern. Die sagen, dass sie die demografische Entwicklung tatsächlich vor einen Fachkräftemangel stellen und welche Antworten sie von der Politik verlangen. Reden wir doch mal über eine andere Bildungspolitik. Dann reden wir auch einmal über eine andere Sozialpolitik. Wir gehen hier in Sachsen auf eine wirklich gravierende Altersarmut zu. Das wird vor allem die Frauen betreffen. In 15 Jahren werden 50 % der Frauen unter 600 Euro Rente bekommen. Das muss doch unsere Herausforderung sein.
Ich sage Ihnen: Selbstverständlich ist eine solide Haushaltspolitik eine Grundlage dafür, auch Zukunftspolitik zu machen. Nur, liebe FDP, wer hat denn die Handlungsspielräume in unserem Land eingeschränkt durch seltsame Steuersenkungen für seine eigene Klientel? Wer hat denn die Hotelsteuer eingeführt?
Es war die SPD, als sie in der Regierung war, die den ersten schuldenfreien Haushalt in Sachsen mit beschlossen hat. So viel zu Ihrer Legende.
Ich erkläre noch einmal: Lesen Sie doch einmal das, was wir in dem Bericht gemeinsam erarbeitet haben. Dort sind Handlungsempfehlungen, zum Beispiel Erstellung eines Demografiebudgets als Anlage zum Haushaltsplan und der Mittelfristigen Finanzplanung. Wir waren doch gerade beim Thema Haushalt. Wo ist es denn? Wo ist genau
dieses Demografiebudget? Wo ist der Teil der Mittelfristigen Finanzplanung? Wo ist zum Beispiel die Anpassung des FAG an die demografischen Herausforderungen? Darüber waren Sie sich nämlich in den eigenen Reihen nicht einig. Aber ich bitte Sie, nehmen Sie doch einmal das ernst, worüber wir schon einmal innerhalb dieses Landtages Konsens hatten. Die Debatte, die Sie hier mit Ihrer sogenannten Vorbildrolle angezettelt haben, ist ein Rückschritt gegenüber dem, wo wir schon einmal waren.
Für die SPD-Fraktion war das Herr Kollege Dulig. – Für die Fraktion GRÜNE spricht jetzt Frau Kollegin Hermenau.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Sie haben vollkommen recht, Herr Kollege Dulig. Das Parlament ist in Fragen der Demografie weiter, es war schon vor fünf Jahren weiter, als es die Regierung jetzt ist. Da haben Sie völlig recht. Wer diese Vorbildrolle Sachsens festgestellt hat, ist offen geblieben, außer dass man vielleicht ein autosuggestives Moment wahrnimmt, wüsste ich nicht, wer offiziell in Deutschland festgestellt hat, dass Sachsen im Vergleich zu anderen Regionen mit demografischen Entwicklungen, die Schwierigkeiten verursachen, diese besonders gut löst.
Ich bin nicht der Meinung, dass wir es hier mit einem inhaltlichen Vorreiter zu tun haben, sondern eher mit einem getriebenen Vorausreiter, weil die Dynamik der Zahlen in Sachsen am verheerendsten ist. Das ist das, was passiert. Hier geht es einfach schneller und heftiger zu. Das macht uns sozusagen zum vordersten Experimentierfeld in ganz Deutschland. Dem müsste man sich auch ein bisschen stellen. Genau daran krankt es aber. Ich höre dann immer so ein bisschen vollmundig: In Sachsen sei die Welt noch in Ordnung und man wäre eben Vorreiter und Vorbild. Das ist keine Insel der Glückseligen. Ich habe eher das Gefühl, Sachsen liegt eben ein wenig abseits in Deutschland. Deswegen kommt es hier etwas später an. Aber im Kern können wir einmal Tacheles reden, weil wir nicht die Größten auf der Welt sind.
Die mittleren Städte werden in Sachsen in den nächsten Jahren massiv die Verlierer dieses Prozesses sein. Das hat hier keiner thematisiert. Das ging keinen etwas an. Sie haben sich hinter der Monstranz der strengen Haushaltsführung, die hier auch ein Gemeinschaftsprodukt mehrerer Parteien ist, versteckt. Sie haben den Kommunen – wie ich richtigerweise finde – die Doppik übergeholfen, aber das Land selbst befasst sich damit nicht oder will das erst in zwei; drei Jahren nachvollziehen. Die Kommunen gewinnen inzwischen eine Klarheit über ihre Investitionen und Unterhaltungskosten, dass sie in der Lage sind, vernünftig zu reagieren. Das Land ist aber immer noch ein bisschen planlos und unklar.
Ich glaube, so kann man nicht miteinander umgehen. Es fehlt tief greifendes Vertrauen der verschiedenen Ebenen ineinander in diesem Land. Trotzdem wird die Kommune der Ort der Wahrheit sein. Dort wird sich herausstellen, ob die Politik in Sachsen in der Lage ist, mit dem demografischen Wandel und dessen Folgen so umzugehen, dass die Menschen hier halbwegs zufrieden leben können, oder nicht. Das ist der Ort der Wahrheit.
Sie haben bei den Kommunen überproportional gekürzt. Sie vertrauen den kommunalen Ebenen nicht wirklich. Es gibt ständig Schwierigkeiten bei Transparenz, Kommunikation und Partizipation. Die sächsische Hütte müsste eigentlich wetterfest gemacht werden. Das predigen wir hier seit Jahren.
Es geht natürlich auch um die Menschen, am meisten eigentlich. Hier wäre eine lebenslauforientierte Politik ganz wichtig, insbesondere während der Rushhour, wenn man Familie hat und gleichzeitig seinen beruflichen Weg aufbaut. Die Frage, dass der Mensch in Würde altern und sterben darf, ist ein großes Tabu in diesem Land und wird nicht wirklich thematisiert. Es ist aber für viele Menschen gerade in ländlichen Räumen ein großes Problem, das sie auch seelisch belastet.
Die Rolle des Zugangs zum Wissen ist nicht geklärt, und die Zukunftsaufgabe Zuwanderung und Integration wird Einzelnen überlassen, die versuchen, dort wirklich etwas zu bewegen, wie Herr Gillo das tut. Aber das bleibt das Geschäft einiger weniger, und das ist falsch.
Ich habe mir diese Erklärung des Bundes und der Länder einmal angeschaut. Das ist in der Tat eine Kapitulationserklärung gegenüber dem ländlichen Raum. Nach dem Zentrale-Orte-Prinzip kommt als nächster Schritt die Feststellung: Wir können euch nicht helfen, helft euch bitte selbst, wir haben kein Geld, und wir haben auch keine Ideen. – Das steht in diesem Handlungskonzept. Es wird zwar wenigstens nicht oktroyiert, sondern nur empfohlen, aber trotzdem nützt diese Empfehlung nichts.
Bei Wasser, Abwasser und Abfall wird empfohlen, die Bürger sollten mit ihren Versorgern ins Gespräch kommen. Aber die Gebühren werden trotzdem steigen. Erforderlich wären Investitionen in den Rückbau und die Anpassung der Infrastruktur, damit die Kosten heruntergehen und die Gebühren stabil gehalten werden.
In der Landespolitik machen Sie das. Da wird jedes Jahr schön dafür gesorgt, dass die Pro-Kopf-Verschuldung nicht ansteigt, aber bei den Gebühren, bei Wasser, Trinkwasser und Abfall, was alles sehr wichtig ist, machen Sie das nicht. Völlig unlogisch, wie Sie hier vorgehen.
Dann kommt die Frage Energie. Dazu muss ich als GRÜNE sagen, dass sich da die gute Idee der Bürgerkraftwerke durchgesetzt hat. Es ist schön, dass das langsam Eingang findet.
Dann die Frage des Internetzugangs und des Breitbandes. Ja, tun Sie das endlich! Die Versorgungslücken sind seit Jahren bekannt, und wir haben das immer wieder thematisiert.
Mobilität: Nach dem Haushaltsmassaker von 2011 und 2012 im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs kann ich nur sagen, dass Sie das auch in den Jahren 2013 und 2014 nicht wieder geheilt bekommen. Die gravierende Fehlentscheidung hat brutale Konsequenzen über mehrere Jahre hinweg. Das weicht völlig von dem ab, was im Handlungskonzept steht.