Protocol of the Session on October 12, 2011

Es ist sehr wichtig zu beachten – darauf habe ich die ganze Zeit hinzuweisen versucht –, dass es eine Architektur unserer Volksgesetzgebung gibt. Diese Architektur müssen auch Sie beachten.

Das tun Sie mit Ihrem Gesetzentwurf eben nicht. Ich werde das noch begründen.

Ich wiederhole: Im Freistaat Sachsen liegt das Quorum bei Volksbegehren bei 12,8 %; in der Mehrheit der deutschen Länder liegt es bei 10 %. Wir haben neben dem Freistaat Bayern und dem Land Hessen kein Zustimmungsquorum beim Volksentscheid. Damit entscheidet bei uns beim Volksentscheid die einfache Mehrheit derjenigen, die an der Abstimmung teilnehmen.

(Zuruf des Abg. Klaus Bartl, DIE LINKE)

Sie können dann noch einmal Ihren Beitrag leisten. – In den deutschen Ländern, in denen beim Volksbegehren das Quorum bei 10 % liegt, gilt beim Volksentscheid oft ein Quorum von 25 %. 25 % der Wähler müssen also zustimmen. Jetzt komme ich zu dem schönen Beispiel Berlin: Dort sind es sogar 33 %! Ist Ihnen das bewusst, Frau Roth? Ich weiß nicht, ob das ein Beispiel für den Freistaat Sachsen sein kann, wo das entsprechende Quorum bei 0 % liegt. Berlin ist insoweit eine Leernummer.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich habe darauf hingewiesen, wir haben kein Zustimmungsquorum bei Beginn des Volksbegehrens. Wir haben ein Zustimmungsquorum im Freistaat Sachsen, das null ist beim Volksentscheid. Wir haben freie Unterschriftensammlungen, so wie es die verfassungsgebende Versammlung gewünscht hat. Wir haben die längste Frist für die Sammlung der Unterschriften. Jetzt erzähle mir jemand, dass das eine schlechte Volksgesetzgebung wäre.

Bislang wurden im Freistaat Sachsen acht Anträge als Volksanträge und vier Volksbegehren beim Präsidenten des Sächsischen Landtages eingereicht. Von den vier Volksbegehren hatte der Antrag der Bürgerinitiative „Pro kommunale Sparkassen“ Erfolg. Das Volksbegehren mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Erhaltung kommunaler Sparkassen wurde von mehr als 450 000 Unterzeichnern unterstützt. An dem Volksentscheid am 21. Oktober 2001 – just glatt vor knapp zehn Jahren – beteiligten sich 25,9 % der Stimmberechtigten, von denen 85,2 % mit Ja und 14,8 % mit Nein abstimmten. Der Gesetzentwurf war damit angenommen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zusammenfassen. Der Freistaat Sachsen hat eine moderne Volksgesetzgebung, die genutzt und die natürlich auch mit Leben erfüllt werden soll, wenn das Volk der Meinung ist, eine solche Initiative auf den Weg zu bringen.

Ich weise nochmals darauf hin:

Erstens. Die Höhe des Quorums beim Volksbegehren liegt mit 12,8 % in der Nähe der Mehrheit der deutschen Länder, die 10 % in ihren Rechtsgrundlagen festgeschrieben haben. Saarland und Hessen mit 20 % sowie BadenWürttemberg mit 16,7 % liegen weit darüber.

Zweitens. Die Höhe des Quorums liegt bei der Abstimmung zum Volksentscheid bei Null. In Hessen, Bayern und eben im Freistaat Sachsen entscheidet beim Volksentscheid die Mehrheit ohne ein Mindestquorum. In den

meisten anderen deutschen Ländern liegt das Zustimmungsquorum bei 25 %, in Berlin, MecklenburgVorpommern und Baden-Württemberg eben bei diesen 33,3 %.

Drittens. Im Freistaat Sachsen gibt es nach wie vor die Straßensammlung, in der Mehrheit der anderen deutschen Länder die Amtseintragung. Der Bürger muss in der Frist zum Amt gehen und dort eintragen.

Viertens. Die Frist ist mit acht Monaten die weitestgehende und bürgerfreundlichste Frist, die es im Vergleich der deutschen Länder gibt. Einige Länder liegen bei zwei Wochen, acht Wochen und dann bei zwei bis sechs Monaten. Sachsen ist auch hier spitze.

Fünftens. Artikel 73 Abs. 3 Sächsische Verfassung regelt den Anspruch der Initiatoren auf Erstattung der notwendigen Kosten für die Organisation des Volksbegehrens. Viele Länder – das müssen Sie auch wissen, das gehört in den Wettbewerb mit hinein – sehen keinerlei Kostenerstattung vor. Nur Hamburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Schleswig-Holstein zahlen nur bei zustande gekommenen Volksbegehren. Auch hier kann keiner Beschwerde gegen den Freistaat Sachsen führen, sind wir doch das einzige deutsche Land mit klarer Kostenerstattung. Wir müssen uns alle nicht verstecken, wir sind sehr modern.

Wer nun die Verfahren des Freistaates Sachsen ändern möchte, der muss sich der jetzigen ausgewogenen Architektur der Volksgesetzgebung stellen. Wer die Quoren unter 10 % beim Volksbegehren setzt – so wie die Einreicher –, der wird nicht umhin kommen, die Quoren beim Volksentscheid einzuführen, um vergleichbar mit anderen deutschen Ländern zu sein. Ein Blick in die Tabelle zeigt dann mindestens bei unter 10 % 25 % Zustimmungsquorum beim Volksentscheid.

Nach alledem spricht alles für die Beibehaltung des geltenden sächsischen Verfassungsrechts. Es bietet Ausgewogenheit, einerseits direkte Demokratie fördernd und ermöglichend, und andererseits die Gesetzgebung des Landtages gleichberechtigt erweiternd.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hoffe, dass ich Ihnen mit diesem Vortrag die Möglichkeit gegeben habe, dass Sie bei Ihrer Entscheidung keine Zustimmung für diesen Gesetzentwurf für nötig halten.

Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU, der FDP und der Staatsregierung)

Für die SPD-Fraktion als nächste Rednerin Frau Friedel.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Weil vorhin ein bisschen darüber gerätselt wurde, ob denn nun Sachsen ganz weit oben oder ganz unten im Bundesländerranking zum Thema „Direkte Demokratie“ steht: Es steht genau in der Mitte. Wir sind auf dem 8. Platz. Das ist kein schlechter. Ich denke auch, dass es tatsächlich im Freistaat Sachsen Regelungen in

Sachen Volksgesetzgebung gibt, die sehr positiv sind und die uns positiv von anderen Bundesländern unterscheiden. Ich denke dabei beispielsweise an die Fülle der zulässigen Themen, die wir hier in Sachsen bereit sind, der Volksgesetzgebung anzudienen. Aber wir haben auch negative Seiten, sonst wären wir nicht auf dem 8. Platz. Dazu gehört mit Sicherheit das auch von Ihnen, Herr Schiemann, schon beschriebene recht hohe Unterschriftenquorum.

Die eigentliche Nachricht aber ist: Der Freistaat Sachsen ist in diesem Bundesländerranking abgesunken. Wir sind nach hinten gerutscht. Wir waren einmal auf dem 5. Platz und dann auf einmal auf dem 6. Platz. Da wundert man sich eigentlich, warum, das kann doch gar nicht sein. Wir haben an unseren Regeln in den letzten 20 Jahren gar nichts verändert. Da können wir uns doch nicht nach hinten bewegen. Das stimmt. Wir haben uns nicht bewegt. Die anderen Länder haben sich bewegt. In den vergangenen zehn, 20 Jahren ist in den anderen Bundesländern ganz viel passiert. Sie haben ihre Regelungen angepasst und das hat dazu geführt, dass manche Bundesländer in diesem Ranking an uns vorbeigezogen sind.

Herr Schiemann, Sie haben gesagt – darin bin ich ganz bei Ihnen –, so eine Volksgesetzgebung hat eine richtige Architektur. Da kann man nicht nur die eine Regelung ändern und die andere nicht. Darin sind wir sehr beieinander. Aber wenn wir schon die Architektur bemühen, dann muss man auch feststellen: Ab und an muss man ein solches Haus renovieren. 20 Jahre sind ein guter Zeitraum, um einmal nachzuschauen, sind wir denn wirklich noch so up to date oder gibt es das eine oder andere, was man anpassen muss.

Meine Fraktion hat den Eindruck gewonnen – gerade nach der Anhörung und nach der Aufnahme vieler Punkte aus der Anhörung in einen Änderungsantrag –, dass die einbringende Fraktion hier einen recht maßvollen Vorschlag für eine solche Renovierung vorgelegt hat. Wir befürworten die Absenkung des Quorums. Wir finden auch richtig, dass nicht nur über Quoren gesprochen wird, sondern dass das Verfahren der Unterschriftensammlung Gegenstand in diesem Gesetzentwurf ist, dass beispielsweise ein Beratungsanspruch der Initiatoren festgeschrieben wird, das Thema „Abstimmungsbüchlein“. Ich denke, hier sind viele Aspekte neben der eigentlichen Quorendebatte enthalten, die es zu einem ganz guten Gesetzentwurf werden lassen. Wir werden dem deshalb auch zustimmen.

Ich will noch gern an einen Punkt herangehen. Herr Schiemann, Sie haben gesagt: „Die Volksgesetzgebung ist ein wichtiger und unverzichtbarer Bestandteil der Verfassung.“ Das stimmt. Sie haben auch gesagt, die Sachsen werden hier beschimpft, weil sie sich nicht zwischendurch einbringen würden. Ich hatte nicht den Eindruck, dass das wirklich Anliegen der Sprecherin war, hier diese Beschimpfung zu machen. Ich glaube, darum geht es auch gar nicht. Aber wir müssen uns schon fragen, wie es denn kommt, dass die Sachsen selten von diesem Instrument Gebrauch machen. Sie haben ja den Sparkassenentscheid

nicht zu Unrecht erwähnt. Das jetzt als ein erfolgreiches Beispiel für Volksgesetzgebung hier stehen zu lassen, das ist im Rückblick ein bisschen verklärend, weil man daran erinnern muss, dass die Initiatoren den Volksentscheid vor dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof erstreiten mussten, weil der Freistaat nicht bereit war, die Unterschriften anzuerkennen. Man muss auch daran erinnern, dass dieser Volksentscheid sehr klar war. Sie haben gesagt, dass dieser Gesetzentwurf eine ganz klare Zustimmung fand. Nur, er wurde niemals umgesetzt. Auch das wissen Sie. Da ist es natürlich kein Wunder, dass sich viele Leute überlegen: Nehmen die uns überhaupt ernst, selbst, wenn wir mitentscheiden?

Ich denke, wenn wir politisches Engagement von den Menschen wollen, dann müssen wir sie ernst nehmen, wenn sie sich engagieren. Dann dürfen wir sie nicht beschimpfen. Das macht hier, glaube ich, auch keiner. Dann dürfen wir sie auch nicht kriminalisieren, sondern wir müssen sie dazu ermutigen, ermuntern und unterstützen. Ich glaube, wir kommen allein mit diesem Gesetzentwurf nicht besonders weiter.

Davon wird die sächsische Demokratie auch nicht viel lebhafter und das Engagement nicht viel größer. Es ist ein Baustein, aber wichtiger ist, dass die Unterstützung der Politik für das Engagement der Bürger kommt. Diesbezüglich haben wir trotz Gesetzentwurf noch einen langen Weg vor uns.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Für die FDP-Fraktion spricht der Abg. Biesok.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute viel über direkte Demokratie gehört. Ich möchte dem einen weiteren Aspekt hinzufügen. Für mich ist die direkte Demokratie ein notwendiges Korrektiv innerhalb einer parlamentarischen Demokratie. Auch wenn sich die parlamentarische Demokratie als die beste Staatsform herausgestellt hat, so bedarf sie meines Erachtens doch eines starken Gegengewichts. Wir Liberale sehen das in der Stärkung der Bürgerbeteiligung bei der Teilhabe an politischen Entscheidungsprozessen. Wir sehen als einzige Kraft der politischen Freiheit in diesem Land eine Stärkung direkter demokratischer Elemente als wesentlichen Bestandteil zur Fortentwicklung unserer Demokratie an. Wir setzen Eigenverantwortung beim Volk an. Eigenverantwortung setzt voraus, dass das Volk entscheiden kann und die Verantwortung für diese Entscheidungen tragen muss.

An dieser Stelle möchte ich auf Ihren Beitrag eingehen, Frau Friedel. Beim Sparkassen-Volksbegehren hat man die Verantwortung nicht beim Volk belassen. Man hat den Volksentscheid für die Sachsen-Finanzgruppe abgelehnt und anschließend im Parlament gesagt, das machen wir trotzdem. Man hat lediglich kosmetische Korrekturen vorgenommen und damit dem Volk die Verantwortung für

die eigene Entscheidung genommen, nämlich wie man sich das öffentlich-rechtliche Kreditwesen im Freistaat Sachsen vorstellt, und wieder ins Parlament zurückgezogen. So etwas darf es in Zukunft nicht wieder geben.

Nach 20 Jahren ist es meines Erachtens Zeit, im Landtag darüber zu diskutieren, wie wir die direkte Demokratie weiter stärken können. Mein Kollege Marko Schiemann hat viele wichtige Aspekte hervorgehoben. In der Beurteilung sehe ich es ein bisschen anders. Gerade die Tatsache, dass wir nur ein einziges erfolgreiches Volksbegehren hatten, zeigt für mich, wie wichtig es ist, diese Regelung genauer anzusehen, ob die Quoren noch stimmen. Ich stimme dem Kollegen Schiemann zu, dass man das als Gesamtpaket sehen muss. Es ist nicht nur das Quorum, wie man zu einem Volksbegehren, Volksentscheid oder Ähnlichem kommt, sondern auch, welche Abstimmungsquoren eingehalten werden. Da bin ich mit dabei. Man darf meines Erachtens keine Quoren schaffen. Trotzdem sind die Hürden viel zu hoch. Es ist daher das politische Ziel meiner Fraktion, die Quoren für Volksbegehren und Volksentscheid herabzusetzen.

Trotzdem werden wir dem Gesetzentwurf der LINKEN nicht zustimmen, weil er einige konstruktive Mängel enthält. Im Gesetzentwurf der LINKEN wird eine starre Grenze eingeführt und zugleich eine prozentuale Grenze vorgesehen. Meines Erachtens ist das ein konstruktiver Mangel. Wir sollten uns lediglich auf eine prozentuale Grenze beschränken.

(Beifall bei der FDP – Andrea Roth, DIE LINKE, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Das Gleiche gilt für die Unterstützungsunterschriften. Auch hier sollte man einen bestimmten Prozentsatz abhängig von den Wahlberechtigten festlegen.

Herr Biesok, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Biesok, haben Sie festgestellt, dass wir mit der starren Zahl – wie Sie sagen – und der Prozentzahl die Architektur – um den sehr verehrten Kollegen Schiemann zu zitieren – der bisherigen Volksgesetzgebung in der Verfassung aufgegriffen haben?

So steht es jetzt drin.

So steht es jetzt drin, genau.

Frau Kollegin, das habe ich schon verstanden. Ich halte den Ansatz nur nicht mehr für zeitgemäß. Ich möchte lediglich einen prozentualen Anteil der Bevölkerung mit entsprechenden Quoren haben. Wir haben heute schon über die demografische Entwicklung im Freistaat gesprochen. Das zeigt mir sehr deutlich, dass wir sagen müssen, so und so viel Prozent der Wahlberechtigten benötigen wir für einen Volksentscheid und für ein Volksbegehren. Warum man daneben noch eine starre

Grenze setzen muss und sie deutlich höher als zum jetzigen Zeitpunkt ansetzt, dafür sehe ich keine Veranlassung. Dafür mag es vor 20 Jahren, als man die Verfassung gemacht hat, gute Gründe gegeben haben – heute sehe ich diese Punkte nicht mehr.

Wir möchten, dass für die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeiten der direkten Demokratie erweitert werden. Wir möchten damit auch die Gleichrangigkeit der direkten und der parlamentarischen Demokratie stärken. Wir müssen über ein neues Instrument nachdenken, welches in der Expertenanhörung negativ bewertet wurde. Das ist die Sperrwirkung. Wir haben es bei Bürgerentscheiden auf kommunaler Ebene, dass über einen Gegenstand, über den ein Bürgerentscheid stattgefunden hat, das Kommunalparlament nach einer gewissen Frist nicht mehr entscheiden kann. Das haben wir in Dresden lebhaft diskutiert. Meines Erachtens sollten wir, wenn wir uns im Landtag mit den Regelungen beschäftigen, auch darüber diskutieren, ob man solch eine Sperrwirkung auch auf Landesebene einführt. Dann kann es nicht so sein, wie es beim Volksentscheid über den Sachsenfinanzverband gewesen ist: dass einfach die Entscheidung des Volkes vom Parlament wieder kassiert wird.

Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der LINKEN hat noch einen anderen konstruktiven Mangel: die fehlende Berücksichtigung der unterschiedlichen Regelungen in den Ländern. Mein Kollege Marko Schiemann hat schon darauf hingewiesen. Es wird nur darauf abgestellt, dass es die Regelungen in den anderen Ländern gibt. Meines Erachtens sollten wir das berücksichtigen, wenn wir uns über die Quoren unterhalten.

Ich möchte deshalb für meine Fraktion erklären, dass wir einer maßvollen Absenkung der Zulassungsquoren positiv gegenüberstehen und damit die Demokratie stärken wollen.