Protocol of the Session on October 12, 2011

Das sah wohl ursprünglich auch der GO- und Immunitätsausschuss so, als er nach ausführlicher Beratung im April die Entscheidung vertagte und von der Staatsanwaltschaft wissen wollte, was mir denn nun eigentlich konkret vorgeworfen werde und wie man dem Vorwurf begegnet, dass ich allein wegen meiner Funktion als Fraktionsvorsitzender – quasi stellvertretend für die Fraktion – angeklagt werden soll, was eindeutig rechtswidrig wäre. Denn natürlich ist es niemandem vermittelbar, wenn in gleicher Sache das Verfahren gegen unseren Parlamentarischen Geschäftsführer, der im Übrigen die ganze Zeit vor Ort war, ohne jede Auflage eingestellt wird. Ich verweise noch einmal ausdrücklich auf die bemerkenswerte Begründung all dieser Einstellungen. Darin heißt es nämlich, die Betreffenden hätten sittlich, moralisch positiv gehandelt und es bestehe kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung.

(Lachen des Abg. Andreas Storr, NPD)

Wenn dem aber so ist, dann muss das auch für die Verfahren gegen Bodo Ramelow, Willi van Ooyen, Janine Wissler und mich gelten. Warum das nicht geschehen ist, darüber mag sich jeder sein eigenes Urteil bilden.

Inzwischen ist jedenfalls bewiesen, dass es – entgegen anderslautenden Behauptungen – doch politische Einflussnahmen auf mein Verfahren gegeben hat. Ich halte es für ein absolutes Unding, dass in einem Immunitätsverfahren gegen einen Oppositionspolitiker Briefe der Staatsanwaltschaft an den Landtag im Justizministerium redigiert werden, wie es im vorliegenden Fall geschehen ist. Die „sächsische Demokratie“ lässt wieder einmal grüßen.

Das gilt auch für das gesamte Verfahren zur Aufhebung meiner Immunität. Der entsprechende Antrag der Staatsanwaltschaft ist weder mir als Betroffenem noch meinem Anwalt jemals offiziell zugestellt worden, sondern ging nur an den Ausschuss – ein klarer Verstoß gegen die Immunitätsrichtlinien des Landtages. Dies gilt auch für angeblich nachgeschobene Beweismittel, über die ich als Betroffener von der Staatsanwaltschaft nie in Kenntnis gesetzt wurde und zu denen ich daher auch nicht Stellung nehmen konnte. Auch das verstößt gegen die Richtlinien zur Immunität und natürlich auch gegen die Strafprozessordnung.

Dass dann noch der CDU-Fraktionsvorsitzende ohne Kenntnis der Ausschussdebatten und der Vorgänge über die Zeitung verkündet, dass die CDU natürlich der Immunitätsaufhebung zustimmen werde, passt dabei voll ins Bild. Gänzlich abgerundet wird das Ganze durch das erfreulich offenherzige Geständnis der Staatsanwaltschaft, dass ich tatsächlich allein wegen meiner herausgehobenen Funktion als Fraktionsvorsitzender angeklagt werden soll. Genau das aber, gerade bezogen auf parlamentarische Funktionen, ist eklatant rechtswidrig; denn das Strafrecht kennt solche Regeln nicht. Hier zählt die konkrete Tat und nicht die Funktion eines Beschuldigten, und im Übrigen: Dass kein Fraktionschef gegenüber frei gewählten Abgeordneten irgendwelche Weisungsrechte hat, dürfte eigentlich auch der Staatsanwaltschaft bekannt sein.

Dass die Dresdner Staatsanwaltschaft offenbar nicht bereit ist, einen Fehler einzugestehen, wird spätestens beim Umgang mit der vor wenigen Tagen bekannt gewordenen Expertise des Deutschen Bundestages deutlich, von der heute Morgen bereits die Rede war. Die Expertise stammt von Anfang Oktober, und wir haben sie natürlich an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Wenn diese am gestrigen Tag in einem Schreiben an meinen Anwalt allen Ernstes mit einem Vermerk aus dem Monat April reagiert, ohne auf den aktuellen Inhalt der Expertise auch nur mit einem einzigen Wort einzugehen, dann fällt mir dazu wirklich nichts mehr ein.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich komme zum Schluss. Da der von uns gestellte Antrag, das Verfahren einzustellen oder zumindest die Immunitätsaufhebung bis zu einer Klärung dieser entscheidenden verfassungsrechtlichen Frage auszusetzen, abgelehnt wurde, muss nun der Landtag entscheiden.

Sie, meine Damen und Herren von den demokratischen Fraktionen, haben es heute in der Hand, dieses in vielerlei Hinsicht höchst eigentümliche Verfahren dadurch zu beenden, dass Sie der Aufhebung meiner Immunität nicht zustimmen.

Heute geht es um mich. Es gibt in diesem Land aber noch viele andere Menschen, die 2011 friedlich demonstriert haben und gegen die ebenfalls strafrechtlich vorgegangen wird. Sie haben heute mit Ihrer Abstimmung daher auch die Chance, ein wichtiges Zeichen zu setzen, nämlich für Zivilcourage und gegen eine Kriminalisierung friedlichen Widerstandes gegen Naziaufmärsche hier in Dresden und anderswo.

Protest dagegen ist ohne Zweifel auch in Zukunft erforderlich, und ich werde wieder dabei sein.

Herzlichen Dank.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei den LINKEN – Beifall bei der SPD und den GRÜNEN)

Es sprach der Abg. Dr. Hahn. – Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle die Drucksache 5/7063 zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung um das Handzeichen. – Gegenstimmen? –

Stimmenthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunitätsangelegenheiten, Drucksache 5/7063, mehrheitlich angenommen worden. Der Tagesordnungspunkt ist beendet.

(Johannes Lichdi, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Am Mikrofon 2 möchte Herr Lichdi eine Erklärung zum Abstimmungsverhalten abgeben.

(Klaus Bartl, DIE LINKE, steht am Mikrofon.)

Oh, ich höre gerade, dass das nicht möglich ist. Ich hatte zu Beginn gesagt, dass dieser Tagesordnungspunkt ohne Aussprache ist. Es ist nach unserer Geschäftsordnung also auch keine Erklärung zum Abstimmungsverhalten möglich.

(Einzelbeifall bei der CDU – Zurufe von den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Der Tagesordnungspunkt – –

(Klaus Bartl, DIE LINKE: Für die Fraktion gibt es sehr wohl die Möglichkeit!)

Sie haben einen Geschäftsordnungsantrag gestellt, Herr Bartl? – Bitte schön.

Herr Präsident, ich bitte Sie, prüfen zu lassen, ob die Einschränkung, die Sie soeben gemacht haben, nur für die Abstimmung einzelner Abgeordneter gilt, die Fraktionen aber sehr wohl auch bei Abstimmungen über Tagesordnungspunkte ohne Aussprache eine Fraktionserklärung abgeben dürfen. Ich nenne hierzu § 94 Abs. 2 der Geschäftsordnung. Wenn das jetzt nicht feststellbar ist, beantragen wir eine Sondersitzung des Präsidiums.

(Widerspruch bei der CDU)

Ich muss jetzt deutlich sagen: Nach § 94 der Geschäftsordnung hat Kollege Hahn eine Erklärung seiner Fraktion abgegeben. Wir haben diese vorgezogen. Ich hatte das vorhin deutlich gesagt. Es gab dazu die Vereinbarung im Präsidium. Wir haben die Beschränkung auf drei Minuten Redezeit sehr weit gefasst. Jetzt hätte Herr Lichdi die Gelegenheit, eine Erklärung seiner Fraktion nach § 94 der Geschäftsordnung abzugeben. Ihre Redezeit ist auf drei Minuten begrenzt. – Sie wollen das vom Rednerpult aus machen?

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Wenn es gestattet ist.)

Bitte schön, Herr Lichdi, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hätten es begrüßt, wenn wir hier eine Aussprache hätten führen können. So muss es auf diesem Weg geschehen.

Meine Fraktion und auch ich haben der Aufhebung der Immunität des Kollegen Dr. Hahn nicht zugestimmt, weil wir überzeugt sind, dass es sich hierbei um einen Fall von Missbrauch handelt. Ich möchte das auch anhand der Geschichte begründen, wie es mir selbst ergangen ist.

Wie Sie vielleicht wissen, war auch ich am 13. Februar 2010 – wie viele andere Kollegen auch – am Albertplatz den ganzen Tag vor Ort. Ich habe dann, nachdem ich bemerkt habe, dass der Kollege Hahn beschuldigt wird, eine Selbstanzeige bei der Staatsanwaltschaft Dresden gemacht. Die Staatsanwaltschaft Dresden hat mir geantwortet: Nein, gegen Sie, Herr Lichdi, müssen wir kein Ermittlungsverfahren führen. Sie waren ja den ganzen Tag am Albertplatz, und die Leute am Albertplatz haben nicht blockiert; denn die Nazi-Demo sollte ja nicht über den Albertplatz geführt werden, sondern sie sollte hinten raus, über die Hansastraße/Großenhainer Straße, geführt werden.

Das hat mich sehr erstaunt, muss ich gestehen. Ich glaube, alle, die wir am Albertplatz gestanden haben, haben sich solidarisch und einig gefühlt mit denen, die auf der Hansastraße, auf der Großenhainer Straße und auf der Hainstraße gestanden haben. Ich sage, die Willkür erhellt insbesondere daraus, dass Leute, die auf der Löfflerstraße am 19. Februar 2011 gestanden haben, jetzt ein paralleles Verfahren bekommen, obwohl die Nazi-Demo daran hätte leicht vorbeigeführt werden können.

Hier misst die Staatsanwaltschaft Dresden nach unserer Überzeugung mit unterschiedlichem Maß. Deswegen sind wir nicht bereit, diese politische Willkürjustiz anzuerkennen. Deshalb haben wir der Aufhebung der Immunität nicht zugestimmt.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Das war der Abg. Lichdi mit einer Erklärung für seine Fraktion nach § 94 der Geschäftsordnung.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ich den Tagesordnungspunkt 15.

Meine Damen und Herren! Die Tagesordnung der 42. Sitzung des 5. Sächsischen Landtages ist damit abgearbeitet. Das Präsidium hat den Termin für die 43. Sitzung auf Donnerstag, den 13. Oktober 2011, 10 Uhr, festgelegt. Die Einladung und die Tagesordnung liegen Ihnen vor. Die 42. Sitzung des 5. Sächsischen Landtages ist damit geschlossen.