Protocol of the Session on September 15, 2011

Wünschen würde ich mir hier, dass der Freistaat bei seinen eigenen Eingriffsausgleichen – zum Beispiel Straßenbau und Hochwasserschutz – noch mehr mit gutem Beispiel vorangeht und dies in geeigneter Art und Weise umsetzt.

Man könnte auch verstärkt auf die Realisierung von hochwertigen komplexen Maßnahmen und Synergieeffekten bei der Umsetzung naturschutzfachlicher Zielstellungen, zum Beispiel „Natura 2000“, Biotopverbund und die Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie, achten.

Wünschen würde ich mir außerdem, dass die Handlungsempfehlungen zur Bewertung und Bilanzierung von Eingriffen im Freistaat Sachsen noch viel mehr in Richtung Ökokonto aktualisiert werden. Dazu wird Stephan Meyer in der zweiten Runde noch etwas sagen.

Loben möchte ich uns auch dafür, dass schon vor Inkrafttreten des Bundesnaturschutzgesetzes in Sachsen die vorrangige Prüfung von Entsiegelungs- und Abrissmaßnahmen als Eingriffskompensation per Erlass geregelt wurde. Auch der Entsiegelungserlass aus dem Jahre 2009, der eine Bonusregelung zur Anrechnung von Abriss- und Entsiegelungsmaßnahmen zur Einsparung von landwirtschaftlicher Nutzfläche aufwies, ist lobend zu erwähnen.

Zum Thema Ökokonto, Kompensationsflächenpool und Entkopplung von Eingriff und Kompensation wird Stephan Meyer noch etwas sagen. Ich für meinen Teil bitte a) um Zustimmung des Antrages und b) um sorgfältige Behandlung der seltenen Erde, landwirtschaftliche Nutzfläche, und möchte Sie auffordern, immer daran zu denken: Der Entzug landwirtschaftlicher Nutzfläche von heute wird der Hunger von morgen sein.

(Beifall bei der CDU, des Abg. Tino Günther, FDP, und des Staatsministers Frank Kupfer)

Für die miteinreichende Fraktion Herr Günther. Herr Günther, ich erteile Ihnen das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Geschwindigkeit, mit der im Land in den letzten Jahrzehnten Freiflächen in Siedlungs-, Verkehrs- und Ausgleichsflächen umgewandelt wurden, ist im Hinblick auf die Gerechtigkeit gegenüber kommenden Generationen nicht nachhaltig – ein Ausspruch, welcher nachdenklich macht und auch machen soll.

Durch den Flächenverbrauch gehen heute zunehmend wertvolle Flächen unwiederbringlich verloren. Gerade der Schutz hochwertiger landwirtschaftlicher Böden und wertvoller Biotope muss uns ein besonderes Anliegen sein.

Eine aktuelle Pressemitteilung der Staatsregierung vom 13.09. dieses Jahres zeigt, dass sich nicht nur Sachsen mit dieser Thematik befasst. Eine länderübergreifende Arbeitsgruppe, konkret in Zusammenarbeit mit Thüringen, wird sich über die Möglichkeiten und Modellprojekte für einen nachhaltigen Flächenverbrauch verständigen. Der Schritt ist richtungsweisend, auch wenn dies nicht von der Verpflichtung entbindet, im eigenen überschaubaren Bereich und Umfeld nach Lösungsansätzen zu suchen. Auch die alten Bundesländer haben mit dieser Thematik zu kämpfen.

Die Endlichkeit der Ressource Boden drängt sich allmählich in unser Bewusstsein. Wo früher Felder den Stadtrand zu Dresden begrenzten, stehen heute ganze Neubaugebiete – eine Entwicklung, die für die Stadt Dresden mit Sicherheit absolut notwendig war. Es soll auch in Zukunft nicht darum gehen, die lebensnotwendigen Entwicklungen einer Stadt oder Gemeinde zu beschränken – nein, die zukünftige Herausforderung besteht vielmehr darin, diese Entwicklung vom Flächenverbrauch abzukoppeln.

Unsere hoch produktiven landwirtschaftlichen Böden sind im Bewusstsein der Menschen noch zu wenig präsent. Sicherlich ist allen Anwesenden bekannt: Der tägliche Flächenverbrauch in Sachsen beträgt aktuell 5 Hektar. 5 Hektar sachsenweit, da denkt der eine oder andere, das kann ja nicht so schlimm sein. Aber: Landwirtschaftlich geeignete Fläche ist nun einmal die Produktionsgrundlage unserer Landwirte. Entziehen wir diese Fläche, so wird

der Landwirt unter Umständen in die Situation geraten zu fragen, ob es überhaupt noch wirtschaftlich ist, eine wesentlich geringere Fläche zu bewirtschaften. Er wird sich weiter die Frage stellen müssen, ob es noch wirtschaftlich ist, sich effizientere Maschinen zuzulegen, die aber ihre Effizienz nur auf größeren Flächen erbringen. Wenn wir die Landwirtschaft als einen für Sachsen nicht unbedeutenden Wirtschaftsbereich betrachten, so obliegt uns auch die Verantwortung, deren wirtschaftliche Grundlage zu erhalten. Hier muss ein Umdenken herbeigeführt werden.

(Beifall der Abg. Kristin Schütz, FDP)

Danke schön. – Der vorliegende Antrag ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Anstrebenswert muss sein, den Gebrauch von Flächen – egal, in welcher Art und Weise – der Prüfung auf Nachhaltigkeit zu unterziehen; zum Beispiel: Welche Ausgleichsmaßnahme ist immer die richtige? Es geht dabei nicht nur um die Sicherung hochwertiger landwirtschaftlich nutzbarer Böden, sondern darüber hinaus um die Aspekte des Hochwasserschutzes, der Vermeidung von Zerschneidung und Versiegelung sowie der notwendigen Verkehrsentlastung.

Man muss sich natürlich auch die Frage stellen, ob die Punktesysteme und die praktische Umsetzung immer die richtigen sind; ob zum Beispiel immer als Ausgleichsmaßnahme die Neuerrichtung einer Streuobstwiese ideal ist oder ob man etwas anderes findet. Grundlage bei dieser Bewertung müssen in diesem Zusammenhang auch die entsprechenden Studien zur demografischen Entwicklung nicht nur im ländlichen Raum sein. Bewirtschaften statt verbrauchen – ein Grundsatz zum Wohle der Landwirtschaft. Brachliegende Flächen, leer stehende alte Fabrikhallen, Bürogebäude oder Wohnräume recyceln ist eine Aufgabe der Wirtschaft und ist höher zu bewerten, mit mehr Punkten zu bewerten als zum Beispiel die eben angesprochene Streuobstwiese.

Umfunktionieren und weiternutzen ist auch eine Aufgabe der kommunalen Selbstverwaltung.

Meine Damen und Herren, es ist ein Antrag zur Interessenswahrung unserer sächsischen Landwirte, und in diesem Zusammenhang bitte ich sehr um Ihre Unterstützung und Zustimmung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Vielen Dank, Herr Günther. – Für die Fraktion DIE LINKE Frau Abg. Kagelmann. Frau Kagelmann, Sie haben das Wort.

Danke schön, Herr Präsident! Werte Damen und Herren Abgeordnete! Das Thema Nutzungskonflikte bei der Flächeninanspruchnahme diskutieren wir nicht zum ersten Mal in diesem Haus. Aber offenbar konnte die parlamentarische Befassung, konnten Entsiegelungserlass- oder Brachflächenprogramm der Staatsregierung bisher keine Trendwende

einleiten. Jetzt wird der Ruf der Bauernschaft nach dem Schutz des begrenzten Produktionsmittels Boden immer lauter.

In Vorbereitung auf den heutigen Beitrag habe ich mir zunächst einmal die Situation in meinem Heimatlandkreis Görlitz angeschaut. Da verliert beispielsweise ein landwirtschaftlicher Betrieb im Norden des Landkreises in absehbarer Zeit fast die Hälfte seiner Produktionsfläche, nämlich 300 seiner insgesamt 620 Hektar Fläche, und zwar durch den Braunkohlentagebau Reichwalde.

Wenn ich weiter südlich fast in die Mitte des Landkreises gehe, kämpfen dort drei Landwirte aus Gebelzig gegen die Inanspruchnahme von 43 Hektar ihres guten Bodens durch den Abbau von Grauwacke. Schließlich treffe ich ganz im Süden auf den Klassiker bei der Flächeninanspruchnahme, den Straßenbau in Form des Neubaus der Bundesstraße 178. Die trotz vorliegender Ausbaualternativen favorisierte neue Trassenführung verschlingt schlappe 100 Hektar wertvolle landwirtschaftliche Fläche.

Das sind drei Beispiele aus meinem Heimatkreis, die belegen, dass das Thema landwirtschaftlicher Flächenverbrauch durchaus dringlich ist. Gerade meine ersten beiden Beispiele weisen nach, dass neben dem Flächenentzug durch Siedlungs- und Verkehrsflächen auch der Rohstoffabbau ein riesiges Problem darstellt. Gerade in diesem Zusammenhang verhindert zum einen die Rohstoffsicherungsklausel im Bundesberggesetz, aber auch die aktuelle sächsische Energiepolitik der Staatsregierung eine sachliche Abwägung unterschiedlicher Nutzungsinteressen. Das heißt, an dieser bundesrechtlichen und landespolitischen Konstellation prallen regelmäßig alle Einwendungen von Trägern öffentlicher Belange, von Bürgern oder eben auch von Landwirten gegen entsprechende Aufschlusspläne wirkungslos ab.

Auch das gehört zur Wahrheit, wenn wir über die Verringerung des landwirtschaftlichen Flächenverbrauchs diskutieren.

(Vereinzelt Beifall bei den LINKEN)

Unstrittig ist, dass Eingriffe in die Landschaft durch Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen kompensiert werden müssen. Solche Flächen finden sich naturgemäß nicht nur in Siedlungen, sondern eben auch in der freien Landschaft und damit auch auf landwirtschaftlicher Nutzfläche, was sich in den Regionalplänen in der Ausweisung von sanierungsbedürftigen Bereichen in der Landschaft niederschlägt. Dabei geht es konkret um die Aufwertung ausgeräumter Landschaften mit geringer Biotop- und Artenvielfalt oder von Gebieten mit hohen Erosionsraten, und auch das ist Ergebnis von landwirtschaftlicher Produktion, dem begegnet werden muss. Insofern ist die geforderte generelle Herausnahme von Acker- und Grünland für flächengebundene Kompensationsmaßnahmen nicht nur europarechtlich bedenklich, wie in der Stellungnahme der Staatsregierung ausgeführt, sondern eben auch fachlich unrealistisch.

Andererseits müssen das Flächenrecycling oder der Abriss verfallener Bausubstanz verstärkt genutzt werden, um neue Versiegelungen und Bauvorhaben überhaupt erst zu ermöglichen. Ein Weg dahin könnte über das Ökokonto führen, bei dem diesmal nicht die Nachnutzung, sondern biotop- und artenschutzgerechte Neugestaltung und dauerhafte Sicherung das Ziel sein könnte.

Aus Sicht der LINKEN muss also dreierlei gelingen:

Erstens muss die Neuinanspruchnahme landwirtschaftlicher Nutzfläche für Verkehrswege, Siedlungen und Rohstoffabbau vermindert werden. Dazu muss nicht nur jedes Abbau- oder Infrastrukturprojekt besonders in ländlichen Entleerungsräumen kritischer auf seine langfristige wirtschaftliche und ökologische Wirkung in der Region abgeklopft werden. Auch die Instrumente Ökokonto und Brachflächenrevitalisierung müssen wirkungsvoller miteinander verknüpft werden, um Ruinen in Gemeinden abreißen und dadurch Neuversiegelung überhaupt erst ausgleichen zu können. Andernfalls werden Landwirte tatsächlich zweimal bestraft, einmal durch die direkte Flächeninanspruchnahme bei Vorhaben und noch einmal durch den Zugriff auf ihre Flächen bei Kompensationsverpflichtungen. Die Staatsregierung hat in diesem Zusammenhang bereits im März 2010 auf einen entsprechenden Koalitionsantrag geantwortet, dass dazu Abstimmungsgespräche zwischen dem SMI und dem SMUL laufen. Vielleicht erfahren wir heute durch den Staatsminister, was dabei herausgekommen ist.

Zweitens muss die Akzeptanz für Kompensationsmaßnahmen durch eine sinnvolle und mit den Wünschen der Bewirtschafter korrespondierende Aufwertung der Landschaft erhöht werden. Als Negativbeispiel nenne ich hier – und eigentümlicherweise treffen wir uns hier, Herr Günther – einige Streuobstwiesen, die nahe der Autobahn im Zuge der Eingriffskompensation für den Straßenbau entstanden sind. Oftmals finden sich hier nicht einmal Unternehmen oder Umweltverbände, die diese pflegen wollen, ganz abgesehen davon, dass sie durch ihre dauernde Verlärmung ohnehin in der Eignung als Habitate für viele Arten ausgeschlossen sind.

Drittens müssen die notorisch klammen Kommunen finanziell in die Lage versetzt werden, potenzielle Kompensationsflächen über Flächenerwerb dauerhaft zu sichern. Gerade bei diesem letzten Punkt sieht es trübe aus. Die klassische Brachflächenrevitalisierung oder das Flächenrecycling sind haushaltsmäßig nämlich so ziemlich am Ende. Alle Fördermöglichkeiten aus dem Hause des SMI für Brachflächenrevitalisierung und Flächenrecycling gehen je nach Programm um 40 bis 100 % zurück. Dabei waren die in der Vergangenheit zur Verfügung stehenden Mittel zur Brachflächenrevitalisierung ohnehin nie bedarfsgerecht untersetzt. So können die Herausforderungen nicht gelöst werden, und das zeigt die Not, in der sich die Kommunen befinden, die ihre Brachflächen revitalisieren wollen. Die raren ILE-Mittel dürften angesichts dieser Entwicklung wohl eher für den Aufbau und

die Weiterentwicklung als für Rückbaumaßnahmen verwendet werden.

Vor diesem Hintergrund ist es geradezu ein Gebot der Stunde, den Gemeinden neue Reaktionsmöglichkeiten zu eröffnen. Dazu zählt auch die Förderung des Flächenerwerbs, damit die Gemeinden Vorkaufsrechte zur Flächenaufwertung in den entsprechenden Gebietskulissen der Landschafts- und Regionalpläne und ihrer dauerhaften Sicherung künftig überhaupt noch wahrnehmen können. Übrigens steht einer Refinanzierung solcher Fördermittel im Wege des Ökokontos nichts entgegen.

Meine Damen und Herren! Der Antrag benennt ohne Zweifel ein drängendes Problem, allerdings ein lange erkanntes. Natürlich kann die Staatsregierung auch berichten und prüfen, so weit, so richtig. Aber bei der Beschreibung eines konkreten Wegs zur Problemlösung stirbt die Koalition einmal mehr ab und sie blendet vor allem die unzureichende finanzielle Untersetzung der Revitalisierungsinstrumente im Haushalt komplett aus. Das ist mir und meiner Fraktion etwas dünn. Die LINKE wird sich deshalb in der Abstimmung enthalten.

Danke schön.

(Beifall bei den LINKEN)

Das war Frau Kagelmann für die LINKE. Nun spricht Frau Dr. Deicke für die SPD.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Flächenuhr tickt und tickt so schnell, dass man nur staunt. Nachvollziehen kann man das auf der Internetseite des Sächsischen Landesbauernverbandes. Praktisch fällt pro Sekunde ein Quadratmeter wertvoller Boden weg. Aktuell werden nach Rechnung des Sächsischen Landesbauernverbandes täglich 7,3 Hektar Nutzfläche der landwirtschaftlichen Produktion entzogen. Als Ziel hat sich der Freistaat gesetzt, den Flächenverbrauch bis 2020 auf unter 2 Hektar täglich abzusenken. Es ist also bereits ein Umdenken vorhanden. Herr Günther, Sie sprachen davon, dass noch umgedacht werden muss. So eine ambitionierte Zielsetzung für Sachsen ist natürlich begrüßenswert.

Wir werden dieses Ziel aber verfehlen, wenn nicht verstärkte Anstrengungen unternommen werden.

(Vereinzelt Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Tatsache ist, dass die Flächeninanspruchnahme fast ausschließlich zulasten landwirtschaftlich genutzter Flächen geht. Landwirtschaftliche Flächen gehen nicht nur verloren, weil sie für infrastrukturelle Maßnahmen wie Straßen oder Siedlungsbau benötigt werden, sondern sie dienen auch als Ausgleichsflächen, die das Vorhaben ökologisch kompensieren sollen.

Am Beispiel der landwirtschaftlichen Nutzflächen kommen die vielfältigen Zielkonflikte, die mit dem Thema Flächenverbrauch verbunden sind, am deutlichsten zum

Ausdruck. Das Thema Flächenverbrauch ist kein reines Umwelt- oder Landwirtschaftsthema, sondern auch ein raumordnungs- und planungsrechtliches Thema. Diese zwei Seiten sind in ihrer praktischen Anwendung eng miteinander verknüpft.

Auf der naturschutz- und umweltrechtlichen Seite haben wir politisch das rechtliche Instrument der Eingriffsregelungen. In der letzten Legislaturperiode haben wir mit der Einführung der Ökokonten dafür gesorgt, dass wir eine zeitliche und räumliche Flexibilität bei der Eingriffsregelung geschaffen haben.

Im April 2009, also noch unter Regierungsverantwortung der SPD, ist das Handlungskonzept zur Reduzierung des Flächenverbrauchs im Kabinett verabschiedet worden. Wir freuen uns natürlich, dass unser politischer Ansatz in der neuen Koalition weiter aufrechterhalten wird. Das ist nicht bei allen Dingen der Fall.

Die hier definierten Zielstellungen und Handlungsfelder sind nach wie vor richtig, aber sie müssen auch umgesetzt werden.

Nun sind seit dem Kabinettsbeschluss schon mehr als zwei Jahre vergangen und es ist etwas schade, dass wir in der Antwort der Staatsregierung immer noch von Prüfaufträgen und geplanten Pilotverfahren lesen.