Protocol of the Session on September 15, 2011

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Für die NPD-Fraktion spricht Frau Schüßler. Frau Schüßler, ich erteile Ihnen das Wort.

Danke sehr, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Ich werde nur zu dem Gruppenantrag sprechen, an dem meine Fraktion übrigens nicht beteiligt war. Das bringt mich aber jetzt in die sehr komfortable Lage, auch ein wenig Kritik zu üben.

Bei dem Gruppenantrag geht es um die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, die in ihrem Artikel 24 auch eine Menge Vorgaben für das Bildungswesen formuliert. Und nicht nur bei mir kommt der Verdacht auf, der Begriff „Inklusion“ sei vielleicht absichtlich falsch übersetzt und interpretiert worden, um linke Ideologien von der Gleichheit aller Menschen durchzusetzen.

Aber mich verwundert auch das Verhalten der CDU. Wurde dieser Antrag jetzt mitgetragen, um schlimmere Auswüchse zu verhindern und sich noch ein wenig Spielraum zu lassen? Diese Frage hat Herr Bläsner für die Koalition schon fast beantwortet. Ob das funktioniert, das System der Förderschulen nicht völlig aufzugeben, wie auch schon einmal im Raum stand? Um vielleicht letztlich die Auflösung des gegliederten Schulsystems zu verhindern? Das ist doch wohl der Plan, der hinter dem vorgetragenen Wunsch nach Inklusion steht.

Warum also wird hier so ängstlich am Wortlaut einer UNResolution festgehalten? In anderen Bereichen – ich denke da konkret an die UNESCO und die Waldschlößchenbrücke, also das Elbtal – war man doch durchaus in der Lage, selbstständig zu entscheiden. Der Welterbetitel ist jetzt weg. Das war der Preis. Aber was würde denn Schlimmes passieren, wenn wir auch bei der Inklusion, also der Behindertenkonvention, einen eigenen sächsischen Weg gehen würden?

Meine Damen und Herren, Sie haben diese Konvention, zumindest aber den Artikel 24, sicherlich alle gelesen. In großen Teilen werden hier Allgemeinplätze aneinandergereiht oder Dinge, die bei uns in Deutschland Selbstverständlichkeiten sind. An dieser Stelle möchte ich Artikel 10, das Recht auf Leben, oder Artikel 15, Freiheit von

Folter, nennen. Ganz toll ist auch Artikel 27 Punkt 2 c: Menschen mit Behinderungen dürfen nicht als Sklaven gehalten werden.

Aber zurück zu dem Gruppenantrag. Er bezieht sich nur auf Artikel 24. Auch hier kommt nur ein einziges Mal das Wort „integrativ“ vor. Das wird überdies durch die Aussage in Punkt 2 c schon wieder relativiert. Hier ist nämlich von einem Umfeld die Rede, „das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet“. Dass diese Entwicklung dringend ein inklusives System voraussetzt, ist aus unserer Sicht ein linker Mythos.

In Teil 1 Punkt 1 Ihres Antrages ist aber genau das so formuliert. Ich kann nur hoffen, dass diese Form von vorauseilendem Gehorsam Ihnen nicht auf die Füße fällt. In Punkt 1.3 wird schon wieder ein kleiner Rückzieher gemacht: „auch Förderschulen“ steht hier.

Und der Elternwunsch? Nur 20 bis 30 % der Eltern mit mehrfach schwerstbehinderten Kindern äußern einen solchen Wunsch. So Frau Hinkelmann, Leiterin einer Kita mit integrierter heilpädagogischer Tagesstätte in der Anhörung zum Thema „Heilpädagogische Einrichtungen“.

Machen wir uns nichts vor: Die Umsetzung dieses Wunsches wird häufig genug an der Realität scheitern. Nicht umsonst wurde auch in dieser Anhörung immer wieder gefordert, erst einmal die materiellen und personellen Voraussetzungen zu schaffen. Hier liegt nämlich das Problem. Die Inklusion, wie sie in dem Gruppenantrag gewünscht wird, verlangt einen absehbar höheren Personalbedarf, von Zusatzkosten anderer Art ganz zu schweigen.

Diese Voraussetzungen sind aber nicht gegeben. Also, wie soll ein auf Inklusion getrimmtes Bildungssystem überhaupt funktionieren? Hier liefert Punkt 1 Abs. 5 des Antrags unfreiwillig die Antwort. Dort heißt es: „Das sächsische Lehrpersonal muss noch besser befähigt werden, Kinder und Jugendliche mit sehr unterschiedlichen Lernvoraussetzungen in ihrer schulischen Laufbahn unterstützen zu können.“ Konkrete Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten scheinen also nicht mehr als Bildungsziel infrage zu kommen. Dafür sollen dann die Förderlehrkräfte mit ihren besonderen Kenntnissen das Lernen der Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen begleiten und andere Lehrkräfte hierin anleiten. Anders gesagt: Verlasst eure funktionierenden Förder- und Sonderschulen und schwärmt in die Mittelschulen und Gymnasien aus. Irgendwo wird es dann schon.

Die Lehrer unserer Schulen werden sich bedanken, wenn sie nach Studium und jahrzehntelanger Berufserfahrung nicht nur neue Schüler bekommen, sondern nun auch gemeinsam mit Schulpsychologen, Sozialarbeitern und Integrationsassistenten unterrichtsähnliche Prozesse planen, durchführen und auswerten dürfen. Von der einst so gelobten Leistungsgesellschaft bleibt so nicht viel übrig,

(Beifall bei der NPD)

von der Leistungsbereitschaft der nicht behinderten Kinder sicher auch nicht. Aber das ist auch gar nicht mehr nötig. Es sollen ja auch nur die sozialen Kompetenzen entwickelt werden. So steht es in der Antragsbegründung.

Ein weiterer richtungweisender Satz aus der Begründung lautet: „Die Verwirklichung des Artikels 24 muss mit einer Verbesserung der Rahmenbedingungen einhergehen.“ Ein schöner Satz, eine löbliche Sache, aber die Realität wird sich bald Gehör verschaffen. Dann werden nämlich ganz andere Fragen im Raum stehen: Wie kann man den Unterricht aufrecht erhalten, wenn immer weniger Lehrer zur Verfügung stehen? Dieses Problem ist oft genug diskutiert worden. Oder wie arbeiten wir mit sinkenden finanziellen Mitteln oder unter den Bedingungen der Inflation und einer eventuell bevorstehenden Währungsreform?

Noch kurz zu Punkt 2 Ihres Antrages: Hier fordern Sie die Staatsregierung auf, einen Aktionsplan zu erstellen, darüber zu berichten und um gesellschaftliche Akzeptanz zu werben. Meine Damen und Herren, das wird nicht einfach für Sie, könnte ich mir vorstellen. Wie wollen Sie um Akzeptanz für die Zerschlagung eines funktionierenden Sonder- und Förderschulwesens werben, wenn die Alternative, die Sie dafür anbieten, überhaupt nicht realisierbar ist?

Wir werden also den Gruppenantrag ablehnen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Meine Damen und Herren! Damit ist die erste Runde in der allgemeinen Aussprache beendet. Verständlicherweise liegen mir bis jetzt noch keine Wortmeldungen für eine zweite Runde vor, da wir die ursprünglichen Tagesordnungspunkte 4 und 5 zusammengefasst haben. Ich rufe dennoch eine zweite Runde auf, beginnend mit der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Frau Giegengack möchte die zweite Runde eröffnen. Frau Giegengack, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein ganz kurzes Wort zu Ihnen, Frau Schüßler: Sie haben jetzt grundsätzlich Kritik an diesem Antrag geübt. Da stellt sich für mich dann die Frage: Was ist Ihre Alternative im Umgang mit Kindern mit Behinderungen?

(Jürgen Gansel NPD: Status quo!)

Separieren, wegsperren oder noch etwas Schlimmeres?

(Andreas Storr, NPD: Mit Separierung kann man am besten auf den Förderbedarf eingehen!)

Ich komme zu meiner eigentlichen Rede. Der vorliegende interfraktionelle Antrag zu Integration und Inklusion ist zum einen erst einmal ein großer Erfolg für alle, die sich seit Monaten und Jahren dafür einsetzen, dass Schüler mit

sonderpädagogischem Förderbedarf, sofern es ihre Eltern wollen, eine Regelschule besuchen dürfen.

(Beifall bei den GRÜNEN sowie der Abg. Klaus Tischendorf, DIE LINKE, und Martin Dulig, SPD)

Der Antrag ist auch das Ergebnis des für viele nicht nachvollziehbaren Agierens des Kultusministeriums und seiner über längere Zeit vertretenen Haltung, wir hätten bereits ein inklusives Bildungssystem.

Der Antrag ist auch Beweis der Handlungsfähigkeit dieses Hauses. Ich denke, mit diesem Antrag haben einzelne Abgeordnete vorgemacht, was es bedeutet und was dabei entstehen kann, wenn man tatsächlich im Sinne der Sache zusammenarbeitet. Durch die Verhandlungsbereitschaft aller Beteiligten wurde ein Kompromiss gefunden, der der Akzeptanz schulischer Inklusion nur nutzen kann.

Es ist deutlich geworden: Auch wir haben unsere Forderungen nicht zu 100 % in diesen Antrag geschrieben und auch in den letzten Monaten ist bei den GRÜNEN intensiv über das Thema „Integration und Inklusion“ diskutiert worden.

Zwei Punkte sind mir dabei sehr wichtig: meine eigene Erkenntnis, die ich aus dieser Diskussion gezogen habe, und meine Verortung in der Bewertung der UNBehindertenrechtskonvention. Für mich ist der zentrale Punkt der UN-Behindertenrechtskonvention die Stärkung der Rechte von Menschen mit Behinderung und dabei das Wichtigste wohl ihr Selbstbestimmungsrecht. Ich sehe diese Konvention auch als einen wesentlichen Punkt, der uns vorgehalten wird und der deutlich machen soll, dass wir von der Auffassung abgehen sollen, wir –Menschen ohne Behinderung – wüssten immer, was für Menschen mit Behinderung das Richtige ist.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Vielmehr ist die neue Qualität, dass Menschen mit Behinderung selber entscheiden können, was für sie richtig ist. – Das war der eine Punkt.

Der zweite Punkt. Uns hat das Thema in Chemnitz sehr umgetrieben. Meine Kollegin Hanka Kliese und ich haben uns überlegt, was man, außer die politische Weichenstellung im Landtag zu beeinflussen, in Bezug auf die Bedingungen machen kann – das wurde schon mehrmals angesprochen –, auf die unsere Forderungen nach Inklusion stoßen. Wir waren der Meinung, dass wir uns ehrenamtlich mehr engagieren müssen, um Vorurteile abzubauen, um Schüler miteinander bekannt zu machen und das Erlebnis zu organisieren, damit man feststellen kann – Herr Wehner, was Sie gesagt haben –: Es sind alle ganz normal.

Wir haben dazu einen Verein in Chemnitz gegründet, der jetzt bereits eine Weile arbeitet und der auch schon eine größere Aktion, ein Projekt hinter sich hat. Ich würde Sie sehr herzlich einladen, auf unsere Homepage zu schauen. Vielleicht können wir Einzelne von Ihnen als Förderer

gewinnen, die sich auch ehrenamtlich dieses Projektes „Tellerrand e. V.“ annehmen.

Ich komme zurück zu dem Antrag. Das Kultusministerium bekommt mit dem Antrag einen ganz klaren Auftrag und auch eine eindeutige Frist gesetzt. Das Kultusministerium soll bis zum 26. März einen ersten Aktions- und Maßnahmenplan vorlegen. Das ist ein außerordentlich ambitioniertes Ziel. Dieser Plan – das ist völlig klar – kann bis zu diesem Zeitpunkt nicht abschließend sein, sondern er muss im Zuge der Umsetzung schulischer Inklusion fortlaufend aktualisiert werden.

Ich möchte für unsere Fraktion noch einmal betonen: Notwendige Voraussetzung für die nun beginnende ganz konkrete Arbeit ist nach unserer Auffassung das Ermöglichen des lernzieldifferenzierten Unterrichts in den weiterführenden Schulen. Soll unser gemeinsamer interfraktioneller Antrag nicht ad absurdum geführt werden, muss die Schulintegrationsordnung schnellstmöglich geändert werden.

(Beifall der Abg. Cornelia Falken, DIE LINKE)

Wir können uns nicht gemeinsam auf den Weg zu einem inklusiven Schulsystem machen, aber die entscheidende institutionelle Bremse, nämlich das Verbot des lernzieldifferenzierten Unterrichts an weiterführenden Schulen, aufrechterhalten. Das ist unabhängig von diesem Antrag ein notwendiger Schritt.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Dr. Eva-Maria Stange, SPD)

Wir werden als Fraktion selbstverständlich die Umsetzung des Antrags kritisch begleiten, ebenso die von Kultusminister Wöller im Sommer eingesetzte Expertenkommission. Diese kann sicherlich einen wichtigen praktischen Beitrag leisten. Allerdings – da pflichte ich Herrn Colditz bei – müssen wir aufpassen, dass das nicht zu einer Alibiveranstaltung wird.

Die Expertenkommission muss jetzt transparent und zügig arbeiten. Wir sind der Auffassung, dass es vielleicht möglich sein wird, bereits Ende dieses Jahres erste Ergebnisse vorzulegen, sodass die Staatsregierung einen ersten Aktions- und Maßnahmenplan im Frühjahr vorlegen kann. Wir würden uns wünschen, dass es der Expertenkommission möglich wäre, innerhalb von einem bis anderthalb Jahren ihre Arbeit abzuschließen, sodass wir in dieser Legislaturperiode noch zu greifbaren Veränderungen in unserem Schulsystem kämen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD – Jürgen Gansel, NPD, steht am Mikrofon)

Als nächster Redner für die CDU-Fraktion – – Einen kleinen Moment, Herr Schreiber. – Herr Gansel, ich gehe davon aus, dass Sie von dem Instrument der Kurzintervention Gebrauch machen wollen. Dazu haben Sie eine Möglichkeit.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte kurz auf den Vorwurf meiner Vorrednerin intervenieren, wir würden in irgendeiner Form Behinderte wegsperren wollen. Diesen Vorwurf weise ich in jeder Form zurück. Behindertenrechte sind überall verfassungsmäßig verankert, niemand zweifelt sie an. Insofern haben wir behindertenrechtlich einen ganz klaren Status quo, an dem niemand rüttelt.

Ein Eindruck, den wir als Fraktion allerdings gewinnen, ist, dass von den Linksfraktionen, die auch in diesem Punkt FDP und CDU vor sich hertreiben, Behinderte instrumentalisiert werden, um die sächsische Schullandschaft umzuwälzen.

(Beifall bei der NPD – Widerspruch bei der SPD)