Protocol of the Session on November 12, 2009

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 8

„Weltoffenes Sachsen“ – Evaluation des Landesprogramms veröffentlichen

Drucksache 5/291, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Fraktionen können hierzu in folgender Reihenfolge Stellung nehmen: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, DIE LINKE, SPD, FDP, NPD und die Staatsregierung, wenn gewünscht.

Es beginnt die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Herr Abg. Jennerjahn, Sie haben nun das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es wurde erwähnt: Mit dem vorliegenden Antrag möchten wir die Diskussion über die Zukunft des Landesprogramms „Weltoffenes Sachsen – Für Demokratie und Toleranz“ eröffnen. Ich habe gestern mit einiger Freude zur Kenntnis genommen, dass das Innenministerium kurzfristig noch eine Pressemitteilung herausgegeben hat, in der ein Internet-Link veröffentlicht wurde, unter dem zumindest ein Teil der Ergebnisse der Evaluierung des Programms „Weltoffenes Sachsen“ zu finden ist.

Erstaunlich ist allerdings, dass selbst Mitglieder des Beirates des Landesprogramms bislang nicht wussten, dass diese Ergebnisse schon irgendwo veröffentlicht waren. Wie gesagt, ich werte das zunächst einmal als freudige Überraschung. Offensichtlich ist dem Innenministerium Transparenz deutlich wichtiger als der Staatskanzlei in der Vergangenheit, die zuvor für das Landesprogramm zuständig war.

Auch wenn es sich um einen Fortschritt handelt: Unter diesem Link sind noch nicht alle Ergebnisse aus der gesamten Zeit des Landesprogramms veröffentlicht worden. Wir möchten die Gelegenheit nutzen – das ist der Anlass für die Debatte –, um über die zukünftige Gestaltung des Landesprogramms zu diskutieren.

Der Koalitionsvertrag enthält einen positiven Aspekt. Es wird ausdrücklich erwähnt, dass die Fortführung des Programms vorgesehen ist. Das ist für mich aber kein Grund, mich beruhigt zurückzulehnen; denn in dem Koalitionsvertrag stolpert man auch über eine sehr unglückliche Formulierung; sie ist gestern von einem FDPKollegen positiv ausgelegt worden. Ich zitiere den entsprechenden Satz aus dem Koalitionsvertrag: „Wir verteidigen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung gegen die Extremisten von links und rechts.“

Das ist aus meiner Sicht nicht ermutigend, denn es wirft uns in der inhaltlichen Auseinandersetzung um Jahre zurück. Wir waren, was die Problemanalyse betrifft, schon einmal deutlich weiter. Ich finde es sehr bedauerlich, dass Sie diesen inhaltlichen Schritt zurück gemacht haben.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Klaus Bartl, Linksfraktion)

Ich könnte an dieser Stelle Nebenschauplätze aufmachen und darauf hinweisen, dass allein die realen Zahlen solch ein völlig undifferenziertes Nebeneinanderstellen von Links- und Rechtsextremismus verbieten. Dazu genügt ein kurzer Blick in den Verfassungsschutzbericht des Freistaat Sachsen. Ich nenne nur zwei Zahlen: Wir lesen von 2425 Delikten in dem Phänomenbereich „Politisch motivierte Kriminalität ‚rechts’“ im Jahr 2008. Schauen wir in den Phänomenbereich „Politisch motivierte Kriminalität ‚links’“, so finden wir dort 487 Delikte. Sie sehen: ein deutlicher Unterschied.

(Jürgen Gansel, NPD: Meinungsdelikte! Dann kriegen Sie die Statistik auch bereinigt!)

Herr Gansel, wir kommen noch auf die Kriminalität Ihrer Klientel zu sprechen. Immer mit der Ruhe!

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die jüngst veröffentlichte Erklärung von zehn Wissenschaftlern verweisen, die – das muss man dazusagen – mit Bezug auf den Bund davor warnen, die Extremismen in einen Topf zu werfen und gegeneinander auszuspielen.

(Alexander Delle, NPD: Die haben bloß Angst um ihr Geld!)

Das Kernproblem ist ein anderes. Statt Probleme und Gefahren konkret beim Namen zu nennen, arbeiten Sie mit dem durch und durch schwammigen, inhaltlich nicht ernsthaft untersetzten Begriff „Extremismus“. Mehr noch, Sie blenden den größten Teil des Problems aus und tun so, als gäbe es eine an sich intakte, demokratisch gefestigte Gesellschaft, die lediglich von ihren Rändern her bedroht werde.

Dass menschenfeindliche und damit im Grunde antidemokratische Einstellungen bis weit in die Mitte der Gesellschaft reichen, ist aus wissenschaftlicher Sicht längst ein Gemeinplatz. Ich musste kürzlich – trotz des ernsten Themas – ein wenig schmunzeln, als verschiedene sächsische Zeitungen erschrocken die weite Verbreitung fremdenfeindlicher Einstellungen in der sächsischen Bevölkerung thematisierten. Sie haben sich dabei allerdings auf eine Studie aus dem Jahr 2006 bezogen. Aus meiner Sicht ist es durchaus bedauerlich, dass es drei Jahre dauert, bis solche Erkenntnisse in die Öffentlichkeit gelangen. Nach der Debatte gestern und der bisherigen Diskussion heute habe ich allerdings das Gefühl, meine Damen und Herren von CDU und FDP: Bei Ihnen dauert das noch beträchtlich länger.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei der Linksfraktion)

Ich habe bereits in der gestrigen Aktuellen Debatte zu neonazistischer Gewalt in Sachsen darauf verwiesen, dass die eigentliche Frage lautet, wie wir eine demokratische, an den Menschenrechten orientierte Alltagskultur stärken können. Wer in diesem Sinne arbeiten möchte, muss selbstverständlich wissen, was an demokratiegefährdenden Potenzialen vorhanden ist, seien es Antisemitismus, Rassismus, Ihr Spezialgebiet, meine Damen und Herren von der NPD – Verherrlichung des Nationalsozialismus –, oder auch andere menschenverachtende Ideologien.

Wenn es Autonome gibt, die sich als „links“ verstehen und die Gewalt als Mittel der politischen Interessendurchsetzung rechtfertigen, ist natürlich auch dagegen vorzugehen. Das steht völlig außer Frage. Es darf aber nicht dazu führen, dass so getan wird, als sei im Grunde alles das Gleiche, jede Gefahr sei gleich groß. Das hat dann nichts mehr mit einer Analyse der Realität und dem Ausrichten des eigenen politischen Handelns an dieser Realität zu tun. Es erinnert vielmehr daran, die Realität krampfhaft an die Prämissen der eigenen Ideologie anpassen zu wollen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Statt eine diffuse Extremismusbekämpfung zu propagieren, wäre es also wichtig, wenn sich die Koalitionsparteien zur Unterstützung ortsangemessener Strategien und Demokratieförderung bekennen würden, denn ihr eigentliches Problem ist die mangelnde Verankerung der Demokratie und ihrer Werte. Viele Bürgerinnen und Bürger akzeptieren die Demokratie nicht in ausreichendem Maße als die ihre. Das Stichwort „Wahlbeteiligung“ ist gestern mehrfach genannt worden. Das ist ein Indikator dafür.

Die Hauptherausforderung liegt somit nicht in der staatlichen Bekämpfung irgendwelcher politischen Gruppen, sondern in der Stärkung unserer Demokratie, und das ist die eigentliche Aufgabe des Landesprogramms „Weltoffenes Sachsen“. In diesem Sinne haben die vielen Projekte, Vereine und Initiativen in den letzten Jahren überwiegend erfolgreich gewirkt.

Nichtsdestotrotz wäre es genauso ein Fehler, am Bestehenden festzuhalten, denn jedes Förderprogramm und jede Arbeit muss logischerweise kontinuierlich weiterentwickelt werden. Wir brauchen also dringend eine Qualitätsdebatte, wohin das Landesprogramm „Weltoffenes Sachsen“ entwickelt werden soll.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Diese Debatte möchten wir gerne mit den anderen demokratischen Parteien und Fraktionen und selbstverständlich den zivilgesellschaftlichen Akteuren führen. Eine solche Debatte kann allerdings nicht im luftleeren Raum und vor allem nicht spekulativ geführt werden, sondern sie braucht eine solide Basis. Diese Basis bilden aus der Sicht meiner Fraktion die Ergebnisse der Evaluierung des Landesprogramms, die in den letzten Jahren durchgeführt wurde.

Der Kollege Zastrow ist erfreulicherweise anwesend. Sie haben noch im August gesagt: „In der politischen Bildung

gegen rechtes Gedankengut müssen wir ständig alle Maßnahmen auf den Prüfstand stellen und gegebenenfalls Korrekturen vornehmen.“

Eine kritische Überprüfung der zurückliegenden Arbeit ist sicherlich erforderlich. Aber gerade deshalb ist es auch notwendig, sich an der Evaluierung des Landesprogramms zu orientieren.

Meine Damen und Herren! Es ist an der Zeit, die Erfolge der im Rahmen des Landesprogramms geförderten Projekte zur Kenntnis zu nehmen und das erfolgreiche Engagement der Initiativen zu würdigen.

Danke schön.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Danke, Herr Jennerjahn. – Für die Fraktion der CDU spricht jetzt Herr Abg. Rohwer.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn etwas grundsätzlicher werden. Worte sind nichts als Schall und Rauch, wenn man sie nicht mit Inhalten füllt. Das gilt gerade für die Worte „Weltoffenheit, Demokratie und Toleranz“. Häufig muten sie eben als Worthülsen an. Sie scheinen für alle wichtig zu sein, sind aber kaum wirklich sichtbar.

Uns Abgeordneten, die wir monatlich im Plenum zusammen tagen und über die Geschicke unseres Freistaates entscheiden, fällt es manchmal gar nicht mehr so ins Auge. Die Stimmung der Bürger drückt aber oft das Gegenteil aus. Nur gut, dass sich deswegen der Freistaat Sachsen seit 2004 auf die Fahne geschrieben hat, Weltoffenheit, Demokratie und Toleranz für alle noch sichtbarer zu machen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Mit dem Programm „Weltoffenes Sachsen“ haben wir ein Programm geschaffen, das Maßnahmen gegen Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus von „unten“, aus der Bevölkerung, mit der Förderung von „oben“ verbindet.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Das weltoffene Sachsen bleibt deshalb auch in Zukunft wichtiger Eckpfeiler des Koalitionsvertrages zwischen CDU und FDP.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Machen wir uns aber nichts vor: Antidemokratische, intolerante und extremistische Strömungen sind immer noch sehr umtriebig in unseren sächsischen Gefilden. Leider mussten wir zur Kenntnis nehmen, dass wieder, am 8. November 2009, ein Anschlag auf die Dresdner Synagoge vollzogen worden ist. Wir mussten das mit Erschrecken zur Kenntnis nehmen. Wie ich finde, eine feige und zu verachtende Tat.

Erschrocken und beinahe gelähmt waren wir, als wir im Juli von dem grausamen Mord an der Muslimin Marwa im Dresdner Landgericht erfahren haben. Nicht nur die Tat hat uns alle schockiert, auch das Motiv der Fremdenfeindlichkeit hat uns vor Augen geführt, wie pervers die Ideologie des Rechtsextremismus ist und zu welchen Ausmaßen sie führen kann. Das geht ganz klar an die Adresse der NPD, ist es doch ihre perfide Ideologie, die sie mit dem Mörder Marwas teilen.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Jürgen Gansel, NPD: Das hat er aus Russland mitgebracht!)

Aber glauben Sie nicht, meine Damen und Herren von der NPD, die bürgerlichen Parteien würden Ihrem blinden Aktionismus tatenlos zusehen. Es wird Ihnen nicht gelingen, unsere Demokratie zu unterwandern oder auf wacklige Füße zu stellen.

(Zuruf von der NPD: Ihr macht euch doch selber kaputt!)

Unsere Demokratie ist fest verankert, und zu ihr gehört es, an die Pogromnacht vom 9. November 1938 zu erinnern.

Angesichts solcher Ereignisse ist es das richtige Signal, das Programm „Weltoffenes Sachsen“ fortzuführen, aber nicht nur deswegen, sondern gerade weil es seit 2004 eine Erfolgsgeschichte geworden ist. Dazu haben neben der Politik vor allem viele Initiativen und Projekte beigetragen. Sie versuchen täglich und kreativ, Menschen mit Ideen zur demokratischen Teilnahme zu begeistern, sie für Weltoffenheit, Demokratie und Toleranz zu aktivieren.

Wir dürfen aber nicht blindlings unsere Augen verschließen. Nicht jedes Projekt ist mit seinem Programmansatz und mit seiner Umsetzung auch erfolgreich und ein Beitrag für die Gesellschaft. Deshalb hat die Staatskanzlei das Förderprogramm evaluiert. Die Investitionen in dieses Programm müssen sich lohnen. Die Projekte sollen zielgerichtet arbeiten. Darüber sind wir uns sicher hier im Hohen Haus einig, meine Damen und Herren.