Protocol of the Session on June 30, 2011

(Allgemeine Heiterkeit – Christian Piwarz, CDU: Und das vom Parteivorsitzenden. Die armen Hoyerswerdaeraner!)

Ich bitte doch künftig darum, etwas mehr Sachlichkeit im Plenum walten zu lassen.

Meine Damen und Herren! Ich stelle nun die Drucksache 5/6048 zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Vielen Dank. Die Gegenstimmen? – Danke sehr. Und Stimmenthaltungen? – Danke. Bei Stimmenthaltungen und zahlreichen Stimmen dafür hat der Antrag dennoch nicht die erforderliche Mehrheit gefunden.

Meine Damen und Herren! Dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.

Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 7

Landesförderprogramm für benachteiligte Jugendliche

Drucksache 5/5781, Antrag der Fraktion der SPD, mit Stellungnahme der Staatsregierung

Die Fraktionen nehmen wie folgt Stellung: SPD, CDU, DIE LINKE, FDP, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, wenn sie das wünscht.

Meine Damen und Herren! Wir beginnen mit der Aussprache. Für die SPD spricht Frau Abg. Dr. Stange. Frau Dr. Stange, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte Ihnen an einem Beispiel verdeutlichen, warum wir uns diesem Thema gewidmet haben. Das ist ein Beispiel, welches vielleicht dem einen oder anderen etwas zum Nachdenken gibt.

Ein Junge, 13 Jahre – wir nennen ihn Markus – besucht die 5. Klasse einer Mittelschule im Hauptschulgang. Im März 2010 kam es zur Aufnahme in das Programm „Die zweite Chance“. Seit Schuljahresbeginn sind mittlerweile 88 entschuldigte Fehltage zu verzeichnen. Es kam seitens der Schule zur Anzeige wegen Schulpflichtverletzung, da der Schule bekannt war, dass die Kindesmutter sein schulverweigerndes Verhalten unterstützte und entschuldigte.

Aufgrund der entstandenen Wissenslücken und der daraus resultierenden schlechten Noten wurde Markus die Möglichkeit gegeben, durch einen inhaltlich gezielt

abgestimmten Stützunterricht, ein Unterstützungsangebot der „zweiten Chance“, Unterrichtsstoff aufzuarbeiten. Dadurch konnte er seine Schulpflicht erfüllen, reduzierte damit die Fehlzeiten und konnte sich in ausgewählten Fächern verbessern. Zugleich wurde mit ihm und seinen Eltern an einer Tagesstruktur gearbeitet.

Die Eltern wurden in diesen Prozess aktiv eingebunden. In regelmäßigen Abständen fanden Beratungsgespräche in der Familie, in der Schule und im Jugendamt statt. Im Rahmen des Case-Managements der „zweiten Chance“ kam es zu einer Kompetenzfeststellung durch die Psychologin des Programms. Das Ergebnis der eignungspsychologischen Untersuchung war, das Markus’ schulische Leistungen sehr wohl den Leistungsanforderungen eines Hauptschülers einer Mittelschule entsprechen. Jedoch benötigte er aufgrund der vielen Fehlzeiten ein Förderprogramm.

Es gab ein Eignungsdiagnostikverfahren, in dem festgestellt wurde, dass der Junge sehr wohl gefördert und im nächsten Schuljahr im Rahmen der Versetzung an ein Förderschulzentrum im Hauptschulgang zum Abschluss geführt werden kann. – So weit das Beispiel.

Jahr für Jahr verlassen in Sachsen mehr als 10 % der Schulabgänger die Schule ohne Abschluss. Allein 2010 betraf das mehr als 2 300 junge Menschen. Die Mehrzahl

davon kam aus sozial benachteiligten Familien, und es sind überproportional viele Jungen.

Mit 12 Maßnahmen, die allesamt mit europäischen Mitteln, kurz ESF, bis 2013 über befristete Bundes- und Landesprogramme finanziert werden, wird vonseiten der Landesregierung versucht, Schulversagen zu verhindern und die Zahl der Schulabbrecher zu verhindern. Zu diesen Programmen gehören unter anderen – einige kennen das ja – die Feriencamps, die Ferienakademie, Projekte zur Berufsorientierung, Berufseinstiegsbegleiter.

Welche Probleme zukünftig oder bereits aktuell mit diesen fast ausschließlich mit europäischen Mitteln geförderten befristeten Programmen für benachteiligte Jugendliche auftreten, zeigen die jüngsten Kürzungen der Bundesregierung bei der Initiative „Jugend stärken“ exemplarisch. Von 100 Millionen Euro wurde von heute auf morgen gekürzt auf 50 Millionen Euro für den restlichen Förderzeitraum ab September 2011 bis Ende 2013. Das geschah mitten in der Förderperiode. Die Bundesregierung hatte nach dem sogenannten Bildungsgipfel 2008 diese Initiative zur Senkung der Schulabbrecherquote auf den Weg gebracht. Zu dieser Initiative gehören zwei auch in Sachsen etablierte Programme. Allein 2010 konnten mehr als 4 300 Jugendliche über Kompetenzagenturen professionell beim Übergang von der Schule zur Ausbildung erfolgreich gefördert werden. 260 Schulverweigerern, zu denen auch Markus gehörte, konnte mit dem Programm „Schulverweigerung – Die 2. Chance“ tatsächlich eine zweite Chance zum erfolgreichen Schulabschluss gegeben werden.

Die plötzliche Halbierung der Bundesfördermittel und die gravierende Änderung der Förderkriterien mitten in der Förderperiode bis 2013 führen zur Zerstörung erfolgreicher Maßnahmen für die Jugendlichen vor Ort. So erfolgt ab 01.01.2012 zum Beispiel keine Kofinanzierung dieser Programme mehr durch die Jobcenter oder die Bundesagentur für Arbeit. Einspringen sollen – nach Aussagen der Bundesregierung – die Kommunen oder Träger der Jugendhilfe, und das, meine sehr geehrten Damen und Herren, bei gleichzeitiger Kürzung der Jugendpauschale durch die CDU/FDP-Landesregierung, also bei ohnehin knappen Jugendfördermitteln vor Ort.

Auch die Förderung der beruflichen Integration zum Beispiel über die Kompetenzagenturen wird zukünftig aus diesem Förderkatalog ausgeschlossen. Im Mittelpunkt soll ausschließlich die soziale Integration stehen.

Die Landesregierung bedauert zwar in ihrer Stellungnahme, dass diese Kürzungen zu Schwierigkeiten führen, schiebt die Verantwortung aber allein auf den Bund. Pikant ist der weitere Verantwortungsverschiebebahnhof auf die Kommunen, und zwar sowohl durch den Bund als auch durch die Landesregierung. Ich zitiere aus dem Brief der Bundesregierung an die Projektleiter der Kompetenzagenturen in Mecklenburg-Vorpommern: „Es bestand daher ausreichend Zeit, die Programme kommunal zu verankern und gute Einrichtungen in eine Dauerförderung zu überführen. Der Bund kann eine Dauerfinanzierung

nicht leisten. Ihm kommt im Kontext der Auflegung der Programme gemäß § 83 SGB VIII lediglich eine Anregungs- und Initiierungsfunktion zu.“ Die Kürzung erfolgte mitten in der Förderperiode.

Wenn das Sozialministerium in seiner Antwort auf meine Kleine Anfrage dann auch noch auf die anderen ESFgeförderten Programme im Land verweist, die ebenfalls 2013 auslaufen, oder auf die Förderrichtlinie Jugendpauschale, die gerade – wir wissen es – im Doppelhaushalt 2011/2012 massiv zusammengestrichen wurde, dann kann man nur von Konzeptionslosigkeit der Landesregierung bei der Überwindung des Problems Schulabbrecher sprechen.

Wer ist eigentlich verantwortlich dafür, dass benachteiligte Jugendliche, Jugendliche mit besonderem Förderbedarf einen erfolgreichen Schulabschluss bekommen? Die Europäische Union? Die Kommunen? Das Sozialministerium? Oder vielleicht doch das Kultusministerium, das durch Abwesenheit glänzt? Ist es vielleicht so, wie in der Stellungnahme der Landesregierung zu unserem Antrag unter Ziffer 4 ausgeführt – ich zitiere –: „Die Beschäftigung und Ausbildung junger Menschen ist zuerst eine Angelegenheit des Handwerks, der Unternehmen, der Wirtschaft und nachrangig eine sozialstaatliche Aufgabe.“?

Aha, die Wirtschaft soll es wieder richten, was vorher nicht geleistet wurde. Die Verlierer bei dieser Verantwortungsverschiebung vom Staat auf die Kommunen hin zur Wirtschaft sind die benachteiligten Jugendlichen, und dies sind wir letztlich alle, weil wir die Kosten dafür zu tragen haben.

Wir fordern deshalb von der Staatsregierung, sich sofort für eine ungekürzte und unveränderte Fortsetzung der Bundesinitiative „Jugend stärken“ einzusetzen, da sie ein sehr erfolgreiches Programm darstellt. Wir fordern ein eigenes Förderprogramm, zum Beispiel für Schulsozialarbeiter, mehr Schulpsychologen und individuelle Einstiegsprogramme zur früheren Förderung von benachteiligten Jugendlichen – ich erinnere daran: Markus war in der 5. Klasse –, und zwar ressortübergreifend zwischen Kultus-, Sozial- und Wirtschaftsministerium. Die Konzeption muss bis zum Ende dieses Jahres vorliegen, damit sie überhaupt in die Haushaltsberatungen 2013/2014 einbezogen werden kann. Warten auf ein europäisches Wunder ab 2013 oder den Erfolg der Gespräche unseres Ministerpräsidenten in Brüssel wird den Jugendlichen wenig helfen und der Wirtschaft bei der Suche nach Fachkräften noch weniger. Ich bitte Sie daher dringend, unserem Antrag die Zustimmung zu geben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE)

Vielen Dank, Frau Dr. Stange. – Nun die CDU-Fraktion, Herr Abg. Schreiber; Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordneten! Eigentlich ist zum vorliegenden Antrag der SPD-Fraktion nicht wirklich viel zu sagen. Das hat aus meiner Sicht die Staatsregierung mit der Stellungnahme zu diesem Antrag sowie der Beantwortung der Kleinen Anfrage von Frau Dr. Stange mit der Drucksachennummer 5/5472 ausreichend getan.

Dennoch möchte ich an dieser Stelle einige Anmerkungen zum Nachdenken bzw. zu diesem Thema machen. In Zeiten des demografischen Wandels ist es für unsere Wirtschaft von besonderer Bedeutung, auf gut ausgebildetes Fachpersonal zurückgreifen zu können. Der Bedarf an Fachkräften steigt immer weiter und wird sicherlich ohne gezielte Zuwanderung hoch Qualifizierter nicht gedeckt werden können. Es ist deshalb von größter Bedeutung, potenziellen Auszubildenden, also den Schülerinnen und Schülern, das richtige Rüstzeug mit auf den Weg zu geben. Nur so kann Lehre gelingen, nur so können sie für das spätere Berufsleben gerüstet werden, und nur so kann es uns gelingen, dass niemand auf halber Strecke zurückbleibt.

Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat aus diesem Grund die Initiative „Jugend stärken“ aufgelegt. Diese Initiative besteht aus fünf Teilprojekten, unter anderem den beiden Programmen „Kompetenzagenturen“ und „Schulverweigerung – Die 2. Chance“. Um diese beiden, die Frau Dr. Stange gerade nannte, geht es heute – wie mir scheint, hauptsächlich um deren unbedingte Fortführung und die Übernahme ihrer Finanzierung durch den Freistaat Sachsen. Sollten die Bundesmittel nicht mehr reichen, möge laut SPD doch der Freistaat an dieser Stelle einspringen. Aber weder die einzelnen Bundesländer noch die Kommunen sind in der Lage, vom Bund initiierte Modellprojekte und Förderprogramme immer einfach so weiter fortzuführen.

Erst Programme ins Laufen zu bringen und dann vor Ablauf der Wahlperiode festzustellen – nicht nur in diesem Bereich –, dass nicht mehr genügend finanzielle Mittel vorhanden sind, um diese Projekte abzuschließen, kann nicht der richtige Weg sein und ist gleich gar nicht die Schuld der Länder und Kommunen. Die Verantwortung sowohl politischer als auch finanzieller Art an die nächste Ebene abzuschieben halte ich für unseriös. Dagegen vorzugehen ist den Ländern allerdings kaum möglich. Sehr oft stehen wir in diesem Zusammenhang vor dem Problem, dass diejenigen, die diese Programme nutzen, am Ende an die Tür des Freistaates klopfen und fragen: Was wird nun aus uns? Wir diskutierten das erst neulich beim Thema Mehrgenerationenhäuser.

Werte Abgeordnete! Klar ist: Die Anzahl derjenigen ohne Schulabschluss bzw. mit Hauptschulabschluss ist zu hoch. Wirklich auf das Arbeitsleben vorbereitet sind diese Schülerinnen und Schüler oftmals leider nicht. Aber einzig und allein dafür verantwortlich, ob ein guter Schulabschluss erreicht wird oder nicht, ist das Schulsystem nicht. Jeder entscheidet selbst, ob er oder sie zur

Schule geht oder nicht. Jeder entscheidet selbst, ob er oder sie das Gelehrte annimmt oder nicht. Dass dies nicht gerade leicht fällt, ist ganz klar und steht auf einem anderen Blatt. Deshalb dürfen wir, wie auch Frau Dr. Stange bereits sagte, niemanden im Stich lassen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Prinzipiell steht für mich aber fest: Eigenverantwortung und Erziehungsauftrag der Eltern stehen nicht nur bei der schulischen Ausbildung im Vordergrund. Sie sind es, die in erster Linie für das Wohl ihrer Kinder verantwortlich sind. Bei festgestelltem Bedarf kann und soll der Staat unterstützen. Dafür ist er nach dem Grundgesetz Artikel 20 ein sozialer Bundesstaat. Bis dahin – darüber sollten wir uns immer wieder im Klaren sein – gilt jedoch das Prinzip der Subsidiarität, nicht nur auf der staatlichen Ebene an sich, sondern auch in den Elternhäusern. Probleme vor Ort müssen und sollen zuerst auch vor Ort geklärt werden. Ein überordnendes Sozialstaatsangebot, das mit sehr viel Geld nur einen kleinen Kreis von Personen fördert, kann nicht unser Ziel sein und ist es auch nicht.

Liebe Frau Dr. Stange! Liebe SPD-Fraktion! Wenn man sich Ihren Antrag oder auch die Kleine Anfrage durchliest, fragt man sich schon, warum Sie nicht nach den Erfolgen dieser beiden Programme gefragt haben. Wollen Sie das nicht wissen, oder wollen Sie vielleicht dem Rest des Plenums etwas verheimlichen oder, nennen wir es anders, verschweigen? Wie viele junge Menschen haben denn wirklich von diesem Programm profitiert? Damit meine ich nicht die Teilnehmerzahl solcher Programme, sondern ich meine, wie viele einen wirklichen Gewinn aus diesem Programm gezogen haben, das heißt, dass am Ende auch das herausgekommen ist, was wir erreichen wollten.

(Dr. Eva-Maria Stange, SPD, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Schreiber?

Ich würde erst einmal fortfahren und denke, wir können im Laufe der Debatte noch weiter diskutieren.

Also, Sie gestatten keine?

Jetzt erst einmal nicht. Danke.

Wie viele junge Menschen haben wir mit diesem Programm erreicht? Wie gesagt, die Teilnehmerzahlen zu definieren ist das eine; aber wenn es darum geht, Erfolge zu messen, dann ist dies das andere, und man muss deutlich sagen: Ich habe zu diesem Thema – vielleicht ist es mir auch entgangen – bisher weder eine Evaluation vorgelegt bekommen, noch habe ich in irgendeiner Art und Weise vermittelt bekommen, wie sich der Erfolg im wirklichen Leben widergespiegelt hat.

Wenn wir an den finanziellen Aspekt denken – dabei wiederhole ich mich gern –: Warum soll sich das Land mit einem eigenen Landesprogramm für die örtlich verankerten Maßnahmen und Projekte beteiligen? Sind es nicht vielmehr passgenaue Angebote der Kommunen, die im Zweifel wirkungsvoller sind, wenn es um den Bedarf vor Ort geht? Auch das ist an dieser Stelle überhaupt nicht definiert. Es ist nicht diskutiert, und ich halte es, ehrlich gesagt, auch für keinen sauberen Weg, wenn wir ein inhaltliches Thema – und ein solches ist es ganz klar – im Plenum diskutieren, anstatt diesen Antrag beispielsweise im Ausschuss zu diskutieren, wo man sich zum Beispiel auch von der Staatsministerin oder der Verwaltung im Zweifel gewisse Dinge erklären lassen kann.

Sehr geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Antrag ist aus unserer Sicht mit der Stellungnahme der Staatsregierung für erledigt zu erklären. Die Stellungnahme ist sehr ausführlich. Ich möchte noch einige Zahlen nennen, die wir gerade im Bereich der ESF-Mittel – Frau Dr. Stange hat es angesprochen – als Land selbst finanzieren. Es sind gerundet 28 496 000 Euro für 3 722 Teilnehmer. Das heißt, wir geben als Freistaat in diesem Bereich pro Person 7 656 Euro aus ESF-Mitteln aus. Ich bin der festen Überzeugung, dies kann sich sehen lassen. Die beiden Programme des Bundes, die ich ansprach, sind Programme, von denen bisher 4 573 Kinder und Jugendliche profitiert haben. Man muss hierzu deutlich sagen: Nicht die Programme sind zu verurteilen, sondern wir müssen aus diesen Programmen etwas machen, wenn wir kompetente Ergebnisse aus diesen Programmen ziehen und vorgelegt bekommen wollen. Wir werden Ihren Antrag heute ablehnen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Frau Herrmann.