Protocol of the Session on April 20, 2011

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Die Fraktion DIE LINKE; bitte, Herr Prof. Besier.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hatte mich schon auf eine Weihestunde oder etwas Ähnliches eingestimmt. Herr Kollege Tippelt ist auf die Zahlen zurückgekommen und damit auf festeren Boden. Es kann hier nicht darum gehen, religiöse Empfindungen in diesem Haus oder in unserer Gesellschaft zu verletzen. Das ist ganz klar.

Wir könnten beispielsweise auch an die aufklärerische Kraft des Protestantismus erinnern, an die säkularisierende Wirkung, unter der der Papst bis heute leidet. Wir könnten natürlich auch einen Purzelbaum rückwärts machen und das Ganze wieder sakralisieren. Eine humanistische Gesellschaft allein auf dem Protestantismus zu begründen halte ich als Protestant für schwierig. Immerhin gab es große Humanisten, die sich am alten Glauben – damals gab es noch nicht diese klare Trennung von Römisch-Katholischen und Protestanten – orientierten. Erasmus von Rotterdam sollten wir doch immerhin benennen. Aber die Dinge sind ein wenig komplexer und schwieriger, als es klingt.

Ich muss es zu Ihrem Leidwesen sagen – Sie wissen alle, dass ich das einmal gelernt habe: Ob der Thesenanschlag wirklich stattgefunden hat, ist umstritten. Aber wie dem auch sei, die Wirkungsgeschichte ist nicht zu bestreiten, und an den Sachverhalt der Konfessionstrennung sollten wir erinnern. Das ist nicht nur glücklich.

Als ich den Antrag las, fiel mir spontan – das hängt mit dem Lebensalter zusammen – die Bildung eines staatlichen Luther-Komitees wie anno 1983 ein. Aber das haben Sie gewiss nicht im Sinn. Dessen Funktion bestand seinerzeit darin – wenn man es freundlich ausdrücken will –, die aus DDR-Perspektive richtige „Erbe-Rezeption“ gegenüber dem kirchlichen Luther-Komitee und dem imperialistischen Westen sicherzustellen.

Ich habe mit Bischof Rogge, der unweit von hier in Görlitz saß, manchmal Gespräche darüber geführt. Er hat beides auf seinen Schultern tragen müssen: Er war Mitglied im kirchlichen und im staatlichen Luther-Komitee. Die Geschichte der Luther-Jubiläen – das will ich damit nur andeuten – ist reich an politischen Instrumentalisierungen

(Beifall der Abg. Sabine Friedel, SPD)

und der aus vergangenen Tagen herüberwinkenden Ahnengalerie großer Deutscher wie Luther, Friedrich der Große, Bismarck und Hitler wollen wir sicherlich keinen weiteren Namen hinzufügen. Der demokratische Verfassungsstaat hält sich von derlei Heldengalerien apart. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass die Evangelische Kirche an die Bedeutung Luthers und anderer Reformatoren erinnert. Religionslehrer und Theologieprofessoren werden sich dieses Themas in der Luther-Dekade in besonderer Weise annehmen. Das ist bereits der Fall. Die Flut der Bücher und Broschüren ist voll am Laufen.

Was veranlasst Sie, frage ich mich, zu befürchten, dass die kulturellen Bildungseinrichtungen in Sachsen ihrem Auftrag nicht nachkommen und die historisch bedeutsame Epoche der Reformation nicht angemessen berücksichtigen werden und dass darum eine eigene parlamentarische Initiative nötig sei – gewissermaßen als politischer Schubs zur Aktivierung der Bildungseinrichtungen?

Sie verweisen auf den Tourismusaspekt – das ist der Punkt, an dem Herr Kollege Tippelt voll eingestiegen ist – und auf die ökonomische Seite der Luther-Dekade. Luther soll zugunsten der sächsischen Tourismusindustrie möglichst effektiv vermarktet werden. Einverstanden! Worin besteht aber in diesem Zusammenhang die Aufgabe des Parlaments und/oder der Staatsregierung?

(Zuruf der Abg. Annekathrin Giegengack, GRÜNE)

Bei all diesen Fragen hätte ich mir mehr Konkretes gewünscht. Sie haben es ja angekündigt, vielleicht kommt es noch: klare Aussagen darüber, was seitens der Staatsregierung zu tun beabsichtigt ist. Oder soll es bei diesem bloßen Appell bleiben? Unglücklich wäre es, wenn es sich bei Ihrem Antrag um eine Art Ouvertüre handelte, die auf eine weitere Alimentierung kirchlicher oder sonstiger Initiativen zielte.

(Zuruf der Abg. Uta Windisch, CDU)

Angesichts der von Ihnen vorgenommenen harten Einsparungen sollten keine weiteren finanziellen Mittel in dieses Projekt fließen. Es gibt meines Erachtens dringenden Handlungsbedarf auf anderen Feldern.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Die SPD-Fraktion; Frau Dr. Stange, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist ein wenig schwierig, nach so viel professoraler Gewalt zu diesem Thema zu sprechen. Ich versuche es trotzdem.

Herr Prof. Schneider, ich bin über den Zeitpunkt und den Inhalt Ihres Antrages überrascht. Wir haben mittlerweile das Jahr 2011. Die Reformationsdekade begann im Jahr 2008, wie Sie zu Recht festgestellt haben. Vonseiten

der Koalition kommt der Auftrag an das SMK. Dazu hat Herr Prof. Besier soeben in seiner gekonnten Art und Weise dargestellt, dass es doch verwunderlich sei, das SMK, die Schulen und die Kultureinrichtungen aufzufordern, sich dieses Themas anzunehmen und Projektarbeit zu gestalten. Das verwundert ein wenig und lässt skeptisch machen.

Es ist beachtlich, dass diese touristische Vermarktung – dabei geht es vor allen Dingen um den Lutherweg – so stark in den Mittelpunkt gestellt worden ist. Dann scheint es doch ein wenig im Argen zu liegen.

Noch mehr irritiert mich aber der Punkt 1 Ihres Antrages. Dort steht: „... die Aktivitäten zur Luther-Dekade im Freistaat Sachsen weiter zu fördern“. Nun ist der Finanzminister nicht anwesend. Ich witterte dahinter die Aussage: Finanzminister, lass die Finger davon! Denn warum sollte man sonst die Landesregierung auffordern, weiter zu fördern? Hat jemand beabsichtigt, nicht weiter zu fördern?

(Antje Hermenau, GRÜNE: Keiner hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, zweifelsohne – das haben die zwei Herren Professoren gerade deutlich gemacht – gibt es wenige Ereignisse in unserer menschlichen Geschichte, die Staat und Gesellschaft und nicht nur die Kirche so nachhaltig verändert haben wie die Reformation.

Ich möchte gern aus dem SPD/CDU-Antrag im Bundestag 2008 zitieren, weil er das meines Erachtens am besten mit zum Ausdruck bringt: „Es wurde festgestellt, dass die Entwicklung eines Menschenbildes gefördert wurde, das von einem neuen christlichen Freiheitsbegriff maßgeblich beeinflusst wurde. Sie war wichtig für die Ausbildung für Eigenverantwortlichkeit und die Gewissensentscheidung des Einzelnen. Damit konnten sich die Aufklärung, die Herausbildung der Menschenrechte und die Demokratie entwickeln.“

Hier liegen aus meiner Sicht die wichtigsten Ansatzpunkte für die Werte im Zusammenleben unserer heutigen Gesellschaft, und zwar jenseits von Glaubens- und Religionsbekenntnissen.

Mein Appell an dieses Hohe Haus und die Organisatoren der Lutherdekade lautet: Denken Sie daran, dass ein großer Teil der Bevölkerung säkular gebildet, erzogen und von diesen Werten geprägt ist. Das ist genau dieser Konsens, der in dem Bundestagsantrag zum Ausdruck kommt; denn Aufklärung, unsere Menschenrechte und die Demokratie sind es, was auch diese Menschen mitnehmen können, und nicht nur jene, welche christlichen Glaubens sind.

Für die Organisation der Dekade wurde ein Kuratorium aus Politikern, in dem unter anderen der Ministerpräsident ist, aufgebaut. Zusätzlich wurde ein wissenschaftlicher Beirat, ein Lenkungsausschuss zwischen Bund, SachsenAnhalt, Thüringen und Sachsen, eingesetzt. Es wurden

zahlreiche Arbeitsgruppen gegründet, die sich etwa mit dem Thema Schule und Bildung beschäftigen.

Ja, es ist richtig: Der Freistaat Sachsen hat sich an diesen gemeinsamen Aktivitäten erst relativ spät ernsthaft beteiligt, weil – das muss man so deutlich sagen – so viel Geld vom Bund nicht zu erwarten ist. Darauf komme ich gleich zurück.

2017 wird das 500-jährige Jubiläum sein und die vorgelagerte Lutherdekade soll durch die gemeinsamen Aktivitäten der drei Partner untersetzt werden. Ich bin mir sicher, dass es zu Ihrem Antrag, meine Damen und Herren von der Koalition, große Einigkeit geben wird, was die Ziele angeht: Aktivitäten fördern, Projektarbeit durchführen, kulturelle Einrichtungen sollen berücksichtigt werden, für den Freistaat soll international geworben werden. Ja, all dem kann man voll zustimmen. Das ist alles gut und tut niemandem weh.

Doch was ist jetzt der Wert dieses Antrages und der heutigen Plenardebatte? Lassen Sie mich einige Anstöße geben. Wird jetzt mit diesem Antrag die Landesregierung aufgefordert, zum Beispiel die Stadt Torgau und den finanzschwachen Landkreis Nordsachsen bei der Kofinanzierung zur Fortsetzung der Restaurierung des Torgauer Schlosses und vor allem bei der Finanzierung der Ausstellung „Luther und die Fürsten“, die erst 2016 eröffnet werden kann, endlich zu unterstützen? Torgau – auch die „Amme der Reformation“ genannt – ist einer der wenigen authentischen Orte in Sachsen und verdient es, von der Landesregierung mehr unterstützt zu werden, als es bisher der Fall war.

Gut ist, dass die Schlosskirche, die Martin Luther selbst als ersten protestantischen Kirchenbau weihte, mit in das Programm des Bundes zur Förderung der Lutherdenkmäler aufgenommen wurde. Somit wird ein kulturhistorisch wertvolles Gebäude, ein kulturhistorisch wertvoller Ort restauriert und der Nachwelt erhalten.

Ein wichtiges Projekt ist in diesem Zusammenhang zweifelsohne der sächsische Teil des Lutherweges, dessen Eröffnung bereits im September 2011 und Freigabe im Jahr 2013 stattfinden sollen. Doch wie werden die Städte an diesem Lutherweg unterstützt, um zum Beispiel EUFördermittel oder auch Bundesmittel abrufen zu können und zu kofinanzieren? Was ist mit Eilenburg, Grimma, Leipzig, Kloster Nimbschen oder Gut Zöllsdorf? Bekommen die Kommunen Unterstützung nach Ihrem Antrag?

Ich werde sehr skeptisch, wenn in einem Antrag der Koalition der Hinweis wie unter Punkt 3 steht, „dass die vom Freistaat Sachsen finanzierten Institutionen im Kulturbereich das Reformationsjubiläum und die diesbezügliche kulturelle Bildung im Rahmen ihres Budgets und bei ihren Programmplanungen mit berücksichtigen“. „Im Rahmen ihres Budgets“ heißt, es gibt offenbar keine zusätzlichen Mittel, zum Beispiel für die Staatlichen Kunstsammlungen, um dieses große Ereignis zur Realisierung bedeutender Ausstellungen, zum Beispiel in Torgau, zu unterstützen.

Das größte Problem scheint mir – das hat Herr Tippelt in seinem Redebeitrag deutlich gemacht – bei der touristischen Vermarktung zu liegen, wobei ich den Eindruck von Annekathrin Giegengack gut verstehen kann: Wenn es sich darauf beschränkt, dann sind wir arm dran. Luther würde das sicherlich nicht gefallen.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Klaus Tischendorf, DIE LINKE)

Dennoch bin ich gespannt auf den Bericht, denn als eines der wenigen Ministerien hat das SMWA keine Mittel für die Reformationsdekade in den Haushalt 2011 und 2012 eingestellt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Koalition, der Antrag wirft mehr Fragen auf, als er momentan Antworten gibt. Wir werden ihm dennoch zustimmen, da er zumindest mehr Transparenz schafft und vielleicht die Vorbereitung dieses gemeinsamen gesellschaftlichen Großereignisses voranbringt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Die Fraktion GRÜNE, bitte; Frau Abg. Giegengack.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Globalisierung, Pluralismus, Individualisierung sind die Schlagworte unserer heutigen Zeit. Doch so autonom und individuell sich jeder Einzelne von uns fühlen mag, wir Menschen erfinden uns nicht unentwegt neu.

Viele von Ihnen werden zu Recht für sich bestreiten, dass die eigene Lebenshaltung oder das Berufsverständnis, die Ansichten über Bildung, Demokratie und Freiheit aus einem religiösen Verständnis herrühren. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass auch in Ihren Einstellungen und Überlegungen ein kulturelles Erbe fortlebt, dessen religiöser Ursprung über Generationen einfach nur vergessen wurde, gerade hier in Ostdeutschland.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Ja!)

Aufgrund unserer jüngsten Vergangenheit wird die Reformation im Osten allzu oft auf ein lediglich Kirche, Theologie und Religion betreffendes Ereignis reduziert, das sich – wir sehen es in Punkt 5 des Antrages – jedoch hervorragend zur Vermarktung eignet.

Die Wirkungsmächtigkeit der Reformation wird bei uns im Osten nicht wirklich wahrgenommen. Doch auch wenn 40 Jahre DDR es uns vergessen ließen: Die Reformation und der Protestantismus haben unsere Kultur und Identität grundlegend beeinflusst und geformt. Das gesamte private und öffentliche Zusammenleben, die gesellschaftlichen Strukturen, das Wirtschaftshandeln, die kulturellen Wahrnehmungsmuster und Mentalitäten, die Rechtsauffassung, Wissenschaftskonzepte und künstlerischen Ausdrucksformen wurden durch sie geprägt.

Auch wenn es sich für Atheisten lapidar anhört: Mit der Reformation wurde das Verhältnis des Menschen zu Gott, zur Welt und zu sich selbst völlig neu bestimmt. Nicht umsonst definiert man daher den Beginn der Moderne in der Reformation.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NDP)

Dies ist auch der Bezugspunkt, weshalb wir GRÜNEN die Förderung der Lutherdekade und des Reformationsjubiläums durch den Freistaat unterstützen. Für uns ist dies keine verdeckte Kirchenfinanzierung oder Ausdruck ungenügender Trennung zwischen Staat und Kirche. Wir sehen es als eine lohnende und unterstützenswerte Aufgabe an, nach der Relevanz der Reformation und des Protestantismus in unserer heutigen Zeit zu fragen und die Ambivalenz protestantischer Überzeugungen zu thematisieren, die nach meiner Auffassung wohl in ihrer tragischsten Form zur Zeit des Nationalsozialismus zum Ausdruck kam, als sich die evangelische Kirche in Deutsche Christen und Bekennende Kirche aufspaltete.