Protocol of the Session on March 24, 2011

Wenn wir uns anschauen, wie unsere Nachbarstaaten in Europa reagiert haben – Frankreich mit 58 Atomkraftwerken –, so wird vom Präsidenten Sarkozy die Auffassung vertreten, dass die Atomkraftwerke in Frankreich moderner seien als in Japan und deshalb keine Konsequenzen zu ziehen seien.

In Großbritannien ist der Energieminister Huhne der Auffassung, dass in Großbritannien kein Reaktor des Typs von Fukushima in Betrieb sei, man nicht in einer Erdbebenzone liege und deswegen eine Stilllegung nicht vornehmen müsse. In Italien möchte man eine Reflexionspause einlegen und einen EU-Stresstest für die entsprechenden Kraftwerke durchführen.

In Polen ist der Neubau eines Atomkraftwerkes beschlossen und man hält trotz der Ereignisse in Japan an diesem Neubaubeschluss fest. Gleiches gilt für die Niederlande, wo ebenfalls ein Neubau beschlossen worden ist, der umgesetzt werden soll.

In der Debatte ist angesprochen worden, dass die ältesten Reaktoren vom Netz sollten. Diesbezüglich ist auch der Begriff „Schrottreaktor“ gefallen. Die in Großbritannien in Betrieb befindlichen Reaktoren sind teilweise zehn Jahre älter als die Reaktoren in Deutschland. Sie stammen aus dem Jahre 1967.

Wenn wir über den Rhein nach Fessenheim schauen, stellen wir fest, dass das Kraftwerk in Fessenheim zum Beispiel älter ist als das Kraftwerk in Philippsburg, das nicht so weit von Fessenheim entfernt ist.

Was will ich damit sagen? Ich möchte damit sagen, dass das Thema Atomkraftwerke eine europäische Frage ist – genau wie alle anderen Umweltfragen auch – und wir uns den europäischen Standards annähern müssen, die europaweit gelten. Wenn ich mir die europäischen Sicherheitsstandards anschaue und zu einer Bewertung komme, dann beschleicht mich das ungute Gefühl, dass die sieben bzw. acht abgeschalteten Atomkraftwerke in Deutschland vermutlich im europäischen Durchschnitt nicht die unsichersten sind. Auch das sollte man bei einer Betrachtung berücksichtigen.

Jetzt würde ich gern die Zwischenfrage beantworten.

Wir beginnen mit dem Herrn Kollegen Lichdi und setzen dann mit Frau Dr. Runge fort.

Vielen Dank, Herr Staatsminister. Jetzt passt die Frage nicht mehr so gut wie vorhin. – Sie haben von der Sicherheitsauslegung der deutschen Atomkraftwerke gesprochen. Ich gehe davon aus, dass Ihnen das Papier, das ich zitiert habe, bekannt ist. Das Papier ist seit einer Woche öffentlich. Aus diesem Papier geht für meine Begriffe eindeutig hervor, dass die Fragen, die Sie aufgeworfen haben, beantwortet sind. Wir haben eben keine „Notstromversorgung für 72 Stunden“ und auch kein „Not- und Nachkühlsystem, das durchgängig auf vier Stränge mit je 100 % Nachkühlkapazität“ ausgelegt ist. In diesem Papier sind die Einzelheiten aufgeführt. Sie sind deshalb aufgeführt, weil sie bei den deutschen AKWs nicht vorliegen, nach der Auffassung der sachverständigen Personen im BMU aber erforderlich sind.

Von daher möchte ich Sie fragen: Kennen Sie dieses Papier nicht? Teilen Sie diese Analyse dieses Papiers oder nicht?

Herr Kollege Lichdi, ich habe diese Frage deswegen in die Debatte eingeführt, weil es mir wichtig war, objektive Kriterien für Entscheidungen über den Weiterbetrieb oder die Stilllegung von Atomkraftwerken herauszuarbeiten. Wenn man zu einer solchen Bewertung kommt – dieses Papier haben Sie zitiert –, dann kann ich

nicht erkennen, warum dann die sieben plus eins Atomkraftwerke sofort vom Netz zu nehmen sind und andere nicht. Das ist genau die Frage, die ich mir stelle.

Ich glaube, Herr Kollege Lichdi, auch Sie kommen aufgrund dieses Papiers nicht dahin zu sagen, dass diese sieben Atomkraftwerke aufgrund der beschriebenen Situation vom Netz genommen werden müssen und andere nicht. Aus diesem Grund habe ich das Thema genau so eingeführt.

(Beifall bei der FDP)

Die nächste Zwischenfrage stellt Frau Kollegin Dr. Runge.

Verehrter Herr Minister! Meine Frage bezieht sich auf Ihre Aussage, dass es sicherlich wichtig sei, europäische Sicherheitsstandards für Atomkraftwerke zu erreichen. Nun frage ich Sie: Wie stellen Sie sich das im Rahmen des gültigen LissabonVertrages vor, in dem die Zuständigkeiten für Energiepolitik und für Reaktorsicherheit nach wie vor bei den Nationalstaaten liegen? Wie bewerten Sie den nun eilig herbeigesehnten Stresstest, den Kommissar Oettinger verkündet hat, wonach die einzelnen Mitgliedsstaaten dies nur freiwillig tun können?

Zum letzten Punkt zuerst. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass der Bankenstresstest freiwillig gewesen ist. Ich denke, wir sind uns darüber einig, dass wir die Hauptuntersuchung für unsere Kraftfahrzeuge, die wir alle zwei Jahre durchführen lassen müssen, wohl kaum auf eine freiwillige Regelung umstellen sollten. Vielleicht das als Antwort auf die Frage der Freiwilligkeit eines solchen Stresstests.

Frau Dr. Runge, bei den Zuständigkeiten – Sie haben das Thema zu Recht angesprochen – müssen wir uns alle zusammen fragen, warum wir Zuständigkeiten in anderen Bereichen auf die europäische Ebene übertragen haben. Wir haben zum Beispiel Regelungen bei der Luftreinhaltung zum Schutz der Bevölkerung, was dazu führt, dass wir in einigen Städten Deutschlands Umweltzonen eingerichtet haben. Für mich stellt sich die Frage in der politischen Diskussion: Wenn dies ein Thema von hoher Priorität zum Schutz der Bevölkerung ist, dann kann – zumindest wenn man sich die Handlungsweise der Staaten auf der europäischen Ebene anschaut; ich weiß, dass klingt jetzt ein wenig zynisch – das Thema Atomsicherheit nicht von so großer Bedeutung sein.

Frau Dr. Runge, wenn wir dies aber tun würden und wir einheitliche europäische Sicherheitsstandards hätten, dann

hätten wir vielleicht als Ergebnis, dass aufgrund dieser einheitlichen europäischen Sicherheitsstandards in Deutschland einige Kraftwerke abgeschaltet werden müssten. Oder man käme zu dem Ergebnis, dass eine große Anzahl deutscher Kernkraftwerke im europäischen Maßstab sicher oder relativ sicher ist und den europäischen Sicherheitsstandards genügt. Dann ist aber die Frage, ob wir uns in diesem Haus zu einem Konsens durchringen können. Wenn diese deutschen Atomkraftwerke dann den einheitlichen europäischen Sicherheitsstandards genügen, können sie mit der Restlaufzeitverlängerung, die der Deutsche Bundestag beschlossen hat, auch weiter betrieben werden. Auch das gehört zu einheitlichen europäischen Standards dazu.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte kurz auf die Frage, ob und wie schnell ein Atomausstieg in Deutschland möglich wäre, eingehen; denn diese wurde in der Diskussion öfter gestellt. Wenn man die benötigte Jahresstrommenge in Deutschland mit der erzeugten Strommenge aus den Kernkraftwerken vergleicht und weiß, welche Kapazitätsreserven im fossilen Bereich vorhanden sind, kommt man zunächst zu dem Ergebnis, dass ein Abschalten der Atomkraftwerke möglich wäre.

Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit, weil wir ja nicht die Jahreswerte, sondern den jährlichen Spitzenwert betrachten müssen. Außerdem müssen wir beachten, dass sich in Deutschland die Atomkraftwerke im Nordwesten und Süden der Republik und die fossilen Kraftwerke in Nordrhein-Westfalen und Sachsen befinden. Auch das müsste man berücksichtigen.

Hier bin ich bei der Frage des Netzausbaus. Das sind die zentralen Fragen: Wie schnell können wir aus der Kernenergie aussteigen? Und im Niederspannungsnetz, ob und wie schnell wir die Anzahl der erneuerbaren Energien erhöhen können. Das ist aber das Thema, das wir in der 2. Aktuellen Debatte behandeln werden, und deshalb würde ich gern später darauf eingehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Für die Staatsregierung sprach Herr Staatsminister Morlok. Ich sehe keinen weiteren Redebedarf. Diese Debatte ist damit abgeschlossen.

Wir kommen zu

2. Aktuelle Debatte

Der Ausweg aus der Atomsackgasse – Sachsen umsteuern in Richtung 100 % Erneuerbarer Strom

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Als Antragstellerin hat zunächst die Fraktion GRÜNE das Wort. Kollege Lichdi, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem sich wenigstens einige in diesem Haus Gedanken darüber gemacht haben, wie wir möglichst schnell aus der Atomenergie aussteigen können, steht natürlich die Frage: Wie ersetzen wir den Atomstrom, der möglichst schnell wegfallen soll?

In den letzten Tagen sind von den verschiedensten Seiten Einwände formuliert worden – wie teilweise eben –, warum das angeblich nicht geht. Wir sind davon überzeugt, dass es geht. Ich werde versuchen, Ihnen das darzustellen. Den Einwand, der soeben gebracht wurde, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen: dass wir in Deutschland von anderen Atomkraftwerken umstellt wären. Es wird Temelín genannt. Es wird Fessenheim genannt. Ich verstehe dieses Argument beim besten Willen nicht. Wenn die ausländischen AKWs unsicher sind, heißt das dann, dass wir unsere AKWs auch am Netz lassen können?

(Heiterkeit der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Darin kann ich keinen Sicherheitsgewinn erkennen. Im Übrigen ist die Position der Regierung und der CDU hier heuchlerisch, denn es war ja die CDU-Staatsregierung, die dem Neubau in Temelín zugestimmt hat. Wir wurden ja im Rahmen der grenzüberschreitenden UVP beteiligt und die Staatsregierung sollte eine Stellungnahme abgeben. Sie hat eine positive Stellungnahme abgegeben. Der Herr Umweltminister war im Umweltausschuss im letzten November nicht bereit, uns den Inhalt dieser Stellungnahme überhaupt zur Kenntnis zu geben. Ich denke, das ist einfach unglaubwürdig und heuchlerisch, was hier getan wird.

Der zweite Einwand, wir bräuchten Atomstrom zur Stromversorgung, ist eine glatte Lüge. Ich versuche, Ihnen das klarzumachen. Wir haben im Augenblick 102 Gigawattstunden installierte Leistung. Wir haben eine 80-Gigawatt-Höchstlast. Das kommt an ein bis zwei Tagen für ein bis zwei Stunden vor. Wir haben 92 Gigawatt gesicherte installierte Leistung. Wir haben 20 Gigawatt Atom. Das heißt, die Abschaltung dieser acht Reaktoren ist überhaupt nicht relevant. Keine einzige Glühbirne hat geflackert. Das ist in dem ganz normalen Reservebereich enthalten. Das Ökoinstitut hatte gerade erst in den letzten Tagen vorgerechnet, dass wir bis 2013 – das ist in zwei Jahren – 13 AKWs abschalten können und dass die restlichen vier locker bis 2016/2017 durch die jetzt schon geplanten Zubauten ersetzt werden könnten.

Das ist also eindeutig allein eine Frage des politischen Willens und nicht etwa deshalb unmöglich, weil unsere Stromversorgung gefährdet wäre.

Ich habe eine Sorge, die ich deutlich aussprechen möchte: Es ist gestern angekündigt worden, dass die anderen AKWs im Mai einer Revision unterzogen werden sollen – alle auf einmal. Ich glaube, das hatten wir noch nie. Ich habe große Sorge, dass die Atomlobby versucht, hier eine künstliche Stromverknappung zu inszenieren, um nachzuweisen, dass wir die Atomkraftwerke angeblich brauchen. Nein, meine Damen und Herren, es gibt genügend Gründe dafür, schleunigst umzusteuern.

Herr Umweltminister Kupfer hat in der Weihnachtspause eine Neujustierung der sächsischen Klimaschutz- und Ausbauziele angekündigt. – Jetzt hat er den Raum verlassen; das ist bedauerlich. – Darauf warten wir mittlerweile seit vier Monaten. Ich fürchte, dass die schon jetzt unzureichenden Ausbauziele von 24 % EE in 2020 noch weiter nach unten korrigiert werden sollen.

Zur Erinnerung für diejenigen, die es nicht wissen; ich gehe davon aus, dass es die CDU-Fraktion nicht weiß. Wir hatten im Jahr 2010 bereits einen Anteil von 18 %. Das heißt, Ihr sogenanntes Ausbauziel ist eine Verlangsamung des EE-Ausbaus, und das ist bei Ihrer atomfreundlichen Politik Absicht gewesen.

Natürlich brauchen wir endlich eine ordentliche Repowering-Strategie. Die kann ich im Augenblick nicht erkennen. Die Planungsverbände versuchen das. Hintenrum über die Parteiebene der CDU torpediert man aber natürlich das, was die Planungsstellen an Ausbau von Windenergie vorschlagen. Das haben wir jetzt in Dresden, aber auch anderswo beobachten können.

Selbstverständlich brauchen wir einen Netzausbau. Herr Staatsminister Morlok, darin haben Sie recht. Als GRÜNER sage ich hier gern: Natürlich brauchen wir einen Netzausbau. Dieser muss aber mit Bürgerbeteiligung erfolgen und darf nicht durchgebolzt werden. Er muss in wohnortnahen Gebieten mit Erdkabeln erfolgen.

(Zuruf des Abg. Alexander Delle, NPD)

Er muss in Naturschutzgebieten mit Erdkabeln erfolgen. Ich denke, dann werden wir es schaffen. Es fehlt hier nicht an der technologischen Möglichkeit. Woran es hier fehlt, ist der politische Wille, und dafür werden wir weiter kämpfen.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Für die einbringende Fraktion GRÜNE sprach der Abg. Lichdi. – Als Nächstes in der Reihenfolge, die ich noch einmal vorstelle – CDU, DIE LINKE, SPD, FDP, NPD –, spricht für die CDUFraktion Herr von Breitenbuch.

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Zum Atomausstieg haben wir schon etwas gesagt, zur Sackgasse noch nicht. Das Thema lautet ja „Der Ausweg aus der Atomsackgasse“, Herr Lichdi.

Wir sehen in der Atomkraft keine Sackgasse. Man setzt sie ein wie jede Technologie und denkt, sie ist richtig. Dann zieht man Schlussfolgerungen im Verlauf der Technologieentwicklung, der Technologienachjustierung und kommt zum Ergebnis, ob die Technologie für die Zukunft angemessen ist oder eben nicht. So gehen wir mit Technologien um und so haben wir die ganze Zeit die Atomdebatte verfolgen können. Man muss mit den Erfahrungen dann selbstverständlich etwas tun. Das ist richtig.

(Johannes Lichdi, GRÜNE, steht am Mikrofon.)