digen Debatte auch nur annähernd anreißen zu können. Das haben die vielen Facetten gezeigt. Aber darum geht es der Koalition offenbar gar nicht, denn der Antrag bleibt in seinen Forderungen gegenüber der Landesregierung, gegenüber dem eigenen Handlungsbedarf halbherzig und ausweichend.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mittlerweile ist das Thema Fachkräftemangel in aller Munde, und selbst die CDU, die sich über Jahrzehnte hinweg der Realität verweigert und gegen Zuwanderung mobil gemacht hat, kommt an der Thematik nicht mehr vorbei. Das ist gut so, und deshalb wird meine Fraktion Ihrem Antrag zustimmen.
Herr Krauß hat eine große Lobrede auf die positive Entwicklung des Arbeitsmarktes gehalten. Er hat aber einen wesentlichen Faktor dabei ausgelassen: Der demografische Wandel ist eine wesentliche Ursache für den einsetzenden Fachkräftemangel und auch die positiven Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt. Der demografische Wandel ist auch überhaupt nicht zu übersehen. Einiges ist schon angeklungen. Es verlassen momentan weniger junge Menschen die Schulen, als die Wirtschaft Ausbildungsplätze besetzen könnte. Daraus entwickeln sich, das ist positiv, natürlich auch neue Perspektiven für diejenigen, die bisher wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt hatten.
(Alexander Krauß, CDU: Und zusätzliche neue Jobangebote! – Robert Clemen, CDU: Und nicht nur in der Altenpflege!)
Ja, aber Sie verschweigen immer die zweite Hälfte der Argumentation und versuchen einseitig darzustellen, dass alles auf das Wirken der CDU-Fraktion zurückgeht. Die strukturellen Faktoren fallen immer hinten runter. Deswegen ist es wichtig, das noch einmal zu betonen.
Das Fachkräftemonitoring 2010 der Sächsischen Industrie- und Handelskammer und der Arbeitsgemeinschaft der Sächsischen Handwerkskammern verdeutlicht zudem sehr eindrucksvoll, dass ab dem Jahr 2012 deutlich mehr Menschen altersbedingt aus dem Arbeitsleben ausscheiden werden als junge Menschen nachrücken. Es wird demnächst durchaus Jahre geben, in denen doppelt so viele Menschen aus dem Arbeitsleben ausscheiden wie nachrücken. Kurz: Allein aus dem heimischen Arbeitsmarkt heraus wird das Problem Fachkräftemangel nicht zu lösen sein. Wir brauchen an der Stelle Zuwanderung. Vor diesem Hintergrund begrüße ich den allmählichen Gesinnungswandel der CDU-Fraktion und dass Sie
Aus Ihrem Antrag spricht aber auch eine gewisse Hilflosigkeit, denn so begrüßenswert es ist, dass seitens des Innenministeriums und des Wirtschaftsministeriums Ansätze entwickelt wurden, die Hürden zum Eintritt in den hiesigen Arbeitsmarkt von völlig utopisch auf ein halbwegs realistisches Maß abzusenken, so sieht doch alles nach Politik vom Reißbrett aus. Die technischen Details, wie neue Aufenthaltstitel und abgesenkte Mindestverdienstgrenze, sind gut und schön, aber Sie drücken sich beharrlich vor der Frage, warum Fachkräfte eigentlich speziell nach Sachsen kommen sollten. Weil die CDU-Fraktion das beschlossen hat, reicht an der Stelle als Antwort nicht aus.
Wir werden schon einige Worte zu den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verlieren müssen, denn eine Modernisierung des Arbeitsmarktes ohne die notwendigen Rahmenbedingungen wird es nicht geben. Die relevanten Stichworte lauten an der Stelle Willkommenskultur und Weltoffenheit. Der sächsische Ausländerbeauftragte Dr. Martin Gillo hat das zum Glück erkannt. Er steht damit aber auch relativ allein da, zumindest manifestiert sich das nicht in der Politik der CDU-Fraktion. Dass es in beiden Bereichen erhebliche Defizite gibt, ist offensichtlich. Sprechen Sie doch einfach mal mit Menschen, die in den Augen der deutschen Mehrheitsbevölkerung nicht als deutsch betrachtet werden. Da gibt es jenseits des offenen Rechtsextremismus eine sehr umfängliche Palette an Erfahrungen mit Alltagsrassismus, mit Diskriminierung und anderen ähnlichen menschenfeindlichen Einstellungen mehr. Diese Erfahrungen gibt es leider durchaus auch mit den hiesigen Behörden. Auch beim Thema rechtsextreme Straftaten steht Sachsen nach wie vor bundesweit an der Spitze. Das wird selbstverständlich auch im Ausland wahrgenommen und stellt einen Hinderungsgrund dar, den Arbeits- und Lebensmittelpunkt nach Sachsen zu verlagern.
Statt hier aber zielgerichtet zu handeln, ist der zu diesem Thema mit viel Vorschusslorbeer bedachte Innenminister gerade damit beschäftigt, eine umfassende Misstrauenskampagne gegen all jene zu fahren, die sich für ein modernes und weltoffenes Sachsen engagieren. Der Gesinnungs-TÜV für zivilgesellschaftliche Vereine hat uns jetzt schon mehrere Monate beschäftigt, und auch das Antidiskriminierungsbüro Sachsen steht aufgrund fehlender Finanzierung vor dem Aus, obwohl es prädestiniert wäre, zum Beispiel die Beratung von Verwaltungen zu übernehmen. In den Haushaltsverhandlungen wollen Sie von unserem Finanzierungsvorschlag für das Antidiskriminierungsbüro nichts wissen, aber Sie haben im nachfolgenden Tagesordnungspunkt durchaus noch die Möglichkeit, Ihre Meinung zu revidieren.
Wenn Sie es mit dem Thema Zuwanderung ernst meinen, dann reicht es nicht aus, die technischen Details zu regeln; dann werden Sie auch die gesellschaftlichen Weichen stellen müssen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Pirahã-Leute aus dem brasilianischen Urwald können nicht zählen, jedenfalls nicht so, wie wir es in Europa gewohnt sind.
Das sympathische Indianervolk vom Amazonas kennt nur drei Begriffe für Zahlen: ganz wenig, ein bisschen, viele. Ungefähr auf diesem Niveau, allerdings nicht ganz so sympathisch, scheint sich manchmal die Sächsische Staatsregierung zu bewegen, jedenfalls dann, wenn sie von Abgeordneten der NPD-Landtagsfraktion klare Fragen erhält, auf die wir dann genauso klare Antworten erwarten.
Meine Damen und Herren, lesen Sie sich bitte die Antworten der Staatsregierung auf die Kleinen Anfragen meiner Kollegen Storr und Dr. Müller aus den letzten Monaten einmal durch. Hierbei ging es um den bestehenden oder zu erwartenden Fachkräftebedarf und um das Qualifikationsniveau und -potenzial ausländischer Erwerbspersonen bzw. Arbeitssuchender. Sie werden dann feststellen, dass die Staatsregierung in keinem einzigen Fall wirklich konkrete Angaben dazu machen kann, wie hoch der tatsächliche Bedarf in den einzelnen Sektoren und Berufsgruppen des Arbeitsmarktes ist, welches Angebot an Arbeitskräften dem im Einzelnen gegenübersteht, wo tatsächlich signifikante Engpässe bestehen und wie diese zurückzuführen sind.
Den lapidaren Hinweis auf das Internetangebot der Bundesagentur für Arbeit, den uns Staatsminister Morlok gegeben hat, kann ich in diesem Zusammenhang nur als schlechten Witz auffassen. Aus den dort abrufbaren Daten lässt sich – darauf sind wir auch vom Statistikservice Südost der Bundesagentur deutlich hingewiesen worden – jedenfalls keine belastbare Engpassanalyse für den Arbeitsmarkt im Freistaat Sachsen ableiten.
Die reinen Zahlen sprechen jedenfalls gegen die Annahme eines generellen Fachkräftemangels für das Gebiet des Freistaates. Daran, dass er in einzelnen Regionen Sachsens besteht oder zumindest zu erwarten ist, zweifelt indes niemand.
Nun könnte man meinen, dass die NPD-Fraktion dem vorliegenden Antrag begeistert zustimmen müsste, fordert er doch den längst überfälligen Bericht ein, den wir, wenngleich weitaus differenzierter und umfassender, in unserem eigenen Antrag „Bildung für Deutsche statt ‚Ausländer rein’“ mit der Drucksache 5/4718 ebenfalls
Wir tun das erstens deshalb nicht, weil sich die Staatsregierung mit ihrer Fachregierungserklärung vom 19. Januar 2011, vorgetragen von Herrn Wirtschaftsminister Morlok, längst festgelegt hat, und zwar dahin gehend, dass sie – Zitat – angesichts des wachsenden Fachkräftebedarfs Sachsen schnell attraktiver machen will für sogenannte ausländische Spezialisten und bereits Schritte und Vorschläge in dieser Richtung unternommen hat. Damit nimmt sie nicht nur das Ergebnis des hier beantragten Berichts vorweg, sondern sie benennt auch gleich das vermeintliche Wundermittel zur Behebung des Mangels, nämlich wieder einmal die verstärkte Zuwanderung.
Zweitens läuft der vorliegende Antrag der Regierungsparteien CDU und FDP ins Leere und müsste eigentlich von der Staatsregierung zurückgewiesen werden. Denn Herr Staatsminister Morlok antwortete auf eine entsprechende Frage meines Kollegen Dr. Müller – Sie können es in der Drucksache 5/4546 nachlesen, und da bitte ich auch meinen Kollegen Krauß, genau zuzuhören –: „Demgegenüber kann derzeit keine zuverlässige Prognose des Fachkräftebedarfs in den einzelnen Fachgruppen bis zum Jahre 2019 getroffen werden, da diese ebenso wie die gesamtwirtschaftliche Entwicklung von einer Vielzahl nur eingeschränkt vorhersehbarer Faktoren abhängig ist.“
Die Position der Staatsregierung könnte man so zusammenfassen: Nichts Genaues weiß man nicht. Bezogen auf die Frage, wie viele Fachkräfte uns in den nächsten Jahrzehnten in den einzelnen Wirtschaftszweigen eigentlich fehlen, könnte man auch sagen: Viele.
Doch gehen wir noch einmal kurz einen Schritt zurück. Noch bis vor Kurzem waren wir uns wenigstens alle in dem Punkt einig, dass die anhaltende Massenarbeitslosigkeit in Deutschland, flankiert von einem massiv um sich greifenden Niedriglohnbereich, eine der größten sozial-, wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen unserer Zeit darstellt. In kürzester Zeit hat sich diese Erkenntnis umgekehrt, und fast die gesamte veröffentlichte Meinung spricht nur noch von einem sogenannten Fachkräftemangel.
Die schon in den Sechzigerjahren in der Alt-BRD bei Wirtschaftslobbyisten und kurzsichtigen Politikern beliebte Formel „Fehlen uns Fachkräfte, dann bilden wir sie nicht selbst aus, sondern holen sie uns einfach aus anderen Ländern, die damit die Kosten der Ausbildung für uns übernehmen“ ist jetzt wieder aus der Schublade geholt worden.
So soll ein neuer Einwanderungstatbestand geschaffen werden, und das – mein Kollege Gansel hat es vorhin bereits erwähnt – angesichts von offiziellen und inoffiziellen Hunderttausenden von Arbeitslosen in Sachsen. Das, meine Damen und Herren, ist schlichtweg eine Unverschämtheit.
Auf den Gedanken, deutsche, sächsische Arbeitskräfte, vor allem solche, die in den letzten 20 Jahren in den Westen oder ins Ausland abgewandert sind, mit fantasievollen Maßnahmen anzuwerben und zur Rückkehr zu bewegen, um sich regional tatsächlich auftuende Lücken zu füllen, kommt hier im Hause kaum jemand. Herr Krauß hat es zwar vorhin erwähnt, allein die Taten lassen auf sich warten. Erwarten Sie also von der NPD-Fraktion keine Zustimmung zu Ihrer allzu leicht durchschaubaren inländerfeindlichen Politik.
Wir beginnen jetzt mit der nächsten Runde. Ich rufe wieder die CDUFraktion auf. Gibt es dort noch Redebedarf? – Das ist nicht der Fall. Die FDP-Fraktion? – Auch nicht. DIE LINKE? –
Wer möchte denn überhaupt noch reden? – Es gibt also niemanden von den Abgeordneten mehr. Doch, Herr Herbst?
Eine Kurzintervention an die Kollegen der Linksfraktion: Laut Statistischem Landesamt haben wir im Moment die höchste Anzahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter seit 2002.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Antragsteller haben im ersten Teil des Antrages einen umfangreichen Bericht begehrt. Ich möchte jetzt nicht der Versuchung erliegen, Ihnen all die Dinge, die in diesem Bericht gewünscht werden, mündlich vorzutragen. Das werden wir sicherlich in ausführlicher Form im Rahmen des Berichts tun. Ich möchte aber dennoch auf einige Schwerpunkte eingehen und auch einige Zahlen, die in der Debatte bereits angesprochen, andiskutiert wurden und nicht vollumfänglich vorlagen, vortragen.
Die eine Zahl, sehr geehrte Damen und Herren, hat Kollege Herbst bereits geliefert. Das betrifft die Frage nach der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Ich möchte in diesem Zusammenhang ausführen, dass ich namens der Staatsregierung immer deutlich gemacht habe, dass es vielfältige Effekte gibt, die zu der erfreulichen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt beitragen, unter anderem eben auch der demografische Wandel.
Eines aber ist auch klar, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen: Hinsichtlich der Zunahme der Zahl der sozial
versicherungspflichtig Beschäftigten leistet der demografische Wandel keinen Beitrag. Die Zunahme der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten kommt daher, dass die Unternehmen im Freistaat Sachsen schlicht und ergreifend mehr Menschen eingestellt haben und mehr Jobs anbieten.
Ich möchte Ihnen in diesem Zusammenhang eine weitere Zahl liefern: In der Broschüre „Standort Sachsen“ aus dem Jahr 2010 haben wir eine Gegenüberstellung der Entwicklung der Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten nach Bundesländern. Dort werden die Zahlen vom 30. Juni 2005 und vom 30. Juni 2010 verglichen. Dabei kann man feststellen, dass in diesem Zeitraum die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Sachsen um 5,7 % zugenommen hat, während sie in unserem Nachbarbundesland Thüringen um 4,0 % und in Sachsen-Anhalt um 3,9 % zugenommen hat. Also, die Zunahme in Sachsen war deutlich größer als in unseren Nachbarbundesländern.