Protocol of the Session on January 19, 2011

Bitte.

Danke schön, verehrter Herr Präsident. – Nachdem eben die FDP ihre Wirtschaftspolitik unter den Slogan „Wachstum fördern“ gestellt hat, möchte ich nüchtern feststellen, dass der im Dezember 2010 beschlossene Doppelhaushalt der bürgerlichen Regierung aus CDU und FDP in Sachsen dazu führen wird – nach Berechnungen des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle –, dass dieser Kürzungshaushalt

den Freistaat 0,4 Prozentpunkte Wachstum pro Jahr kosten wird. – Ich bedanke mich.

Es gibt die Möglichkeit der Reaktion auf diese Kurzintervention. Bitte, Kollege Herbst.

Das ist eine ganz banale Feststellung: Wenn man weniger Einnahmen hat, kann man weniger ausgeben. Wenn man glaubt, durch Schulden Wirtschaftswachstum finanzieren zu müssen, dann endet man dort, wo Griechenland jetzt steht. Ich bin froh, dass wir das in Sachsen nicht wollen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Als nächste Fraktion hat die Fraktion GRÜNE das Wort. Es spricht Herr Kollege Weichert.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Oktober letzten Jahres hieß es in der „Sächsischen Zeitung“: „Es gibt Momente, da könnte man selbst mit Sachsens notorisch glücklosem FDPWirtschaftsminister Sven Morlok Mitleid haben.“

(Lachen der Abg. Dr. Eva-Maria Stange, SPD)

Heute, meine Damen und Herren, ist wieder einer dieser Momente.

(Beifall und Lachen bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Wir alle haben seine Regierungserklärung mit Spannung erwartet. Auch ich schlief in der letzten Nacht recht wenig, weil ich mir den Kopf zerbrochen habe.

(Allgemeine Heiterkeit)

Man kann auch am Vorabend einer Parlamentssitzung Wirtschaftsförderung betreiben.

(Volker Bandmann, CDU: Wie Herr Lichdi beim …!)

Ich habe mir den Kopf zerbrochen, welche Erfolge denn nun auf das Konto des Ministers gehen könnten. Da mir außer Ladenschlusskosmetik, Autokennzeichenmitnahme, Sonntagsöffnung von Videotheken und Autowaschanlagen nichts weiter einfiel,

(Torsten Herbst, FDP: Blumenläden und Bäckereien!)

schweiften meine Gedanken zu einer kleinen russischen Teilrepublik namens Tatarstan. Dort brach jüngst unser Staatsminister Morlok mit landestypisch herausgeputzten Schönheiten das Brot zum Wohle der sächsischen Wirtschaft, während ihn seine Koalitionspartner zu Hause vorführten.

(Zuruf des Staatsministers Sven Morlok)

Was war passiert? Gemeinsam mit der Vereinigung der sächsischen Wirtschaft stellte die CDU in Abwesenheit des Wirtschaftsministers ein Strategiepapier zur Neuaus

richtung der Wirtschaftspolitik des Freistaates vor. Zum Glück stand nichts weiter drin, was irgendeine Neuigkeit besessen hätte. Deshalb würgte der Minister diese Kröte herunter und wahrte brav den Koalitionsfrieden.

Meine Damen und Herren! Der Zeitpunkt für diese Regierungserklärung heute ist günstig. Der Absturz der Konjunktur hat erst einmal ein Ende. Diese Nachricht wirkt wie ein Befreiungsschlag aus kollektiver Depression. Während das Bruttoinlandsprodukt in Sachsen im Jahre 2009 um 3,8 % sank, können wir uns bereits für die erste Hälfte des vergangenen Jahres über ein Wachstum von 2,3 % freuen.

Deutlich größere Zuwächse verzeichnet die sächsische Industrie, die ihren Umsatz um 10,7 % steigern konnte. Gleichzeitig sank die Arbeitslosigkeit im Freistaat um einen Prozentpunkt.

Für das begonnene Jahr überwiegt deshalb der Optimismus. Im Interview mit der „Sächsischen Zeitung“ prognostizierte VSW-Präsident Bodo Finger der sächsischen Industrie kürzlich ein Wachstum von 8 %.

Angesichts solcher Zahlen jubelt Bundeswirtschaftsminister Brüderle schon von einem „Aufschwung XXL“. Es war natürlich nur eine Frage der Zeit, bis sich die Staatsregierung die Urheberschaft des derzeitigen Schubs im Freistaat auf die Fahnen heften würde.

Aber, meine Damen und Herren, bei aller Euphorie müssen wir uns jedoch fragen, wie tragfähig das Fundament des momentanen Aufschwungs eigentlich ist. So wenig vorhersehbar der Zeitpunkt und der Verlauf der letzten Krise waren, so wenig hat irgendjemand die Stärke und das Muster des jetzigen Aufschwungs kommen sehen. Allerdings dürfen wir die Risiken für die sächsische Wirtschaft nicht vergessen. Denn das derzeitige Wachstum der Weltwirtschaft, von dem Deutschland – und natürlich auch Sachsen – als industrie- und exportlastige Nation überproportional profitiert, rührt vor allem aus dem gigantischen staatlichen Konjunkturprogramm her, das alle wichtigen Länder – von den USA bis China – aufgelegt haben.

Dass in einem Umfeld massiver staatlicher Nachfrageprogramme bei Niedrigzinsen die Wirtschaft wächst, sollte niemanden überraschen. Die Frage ist nur, wie lange dieser Impuls wirkt und wie lange die Staaten ihren gigantischen Kapitalbedarf auf den Märkten decken können.

Meine Damen und Herren! Während sich die Koalition am Bruttoinlandsprodukt berauscht und an ihrer Strategie des „Höher, schneller, weiter!“ festhält, stellt sich mir schon die Frage, wie nachhaltig der gegenwärtige Aufschwung ist. Wurden die richtigen Schlussfolgerungen aus den Ursachen der Krise gezogen? Können wir unseren Wohlstand retten, ohne Natur, Klima und Umwelt zu ruinieren? Während das BIP wächst, meine Damen und Herren, werden Luft, Ozonschicht, Wasser, Böden, Ressourcen und Biodiversität verschmutzt, ausgebeutet oder unwiederbringlich zerstört. Das BIP bildet ein rein

quantitatives, kein qualitatives Wachstum ab. Ihm ist es völlig egal, ob Spritschlucker verkauft werden oder Ökoautos, ob Kohlekraftwerke rauchen oder Solarstrom fließt, ob Dioxin-Eier gekauft werden oder Bioware, ob gute oder Billiglöhne gezahlt werden.

Meine Damen und Herren! Das BIP-Wachstum und der Ressourcenverbrauch müssen entkoppelt werden. Mehr Wachstum muss mit weniger Verbrauch einhergehen. Dies wäre eine offensive Innovationsstrategie, dank derer wir mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben könnten. Sie ist dringend geboten, denn nicht nur die Geld- und Warenkreisläufe sind gestört, auch das Ökosystem ist aus den Fugen. Das zeigen schwindende Ölvorräte, Wasserknappheit oder der Verlust fruchtbaren Ackerlandes. Eine Rückkehr zum Wirtschaftswachstum alten Typs funktioniert bestenfalls kurzfristig und auch nur mit fatalen Folgen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielleicht spielt Bodo Finger im „SZ“-Interview darauf an, wenn er sagt: „Jetzt jedoch wieder zur Tagesordnung zurückzukehren, als sei nichts geschehen, wäre der schlimmste Fehler, den wir begehen können.“

Kein Fehler hingegen ist es, einen Blick auf die Studie „Die Bundesländer im Standortwettbewerb 2010“ zu werfen, die von der Bertelsmann Stiftung herausgegeben wurde. Darin heißt es für Sachsen: „Im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise ist deutlich geworden, dass die Lenkung aller strategischen Bemühungen auf einige wenige Musterbranchen mit Risiken behaftet ist. Das Land sollte nun andere Stärken als die Chipindustrie entdecken und ausbauen. Eine zukunftsträchtige Branche ist womöglich die Solarindustrie.“ Richtig! Und sie ist auch mehr als nur vier Worte in einer 35-minütigen Regierungserklärung wert, meine Damen und Herren. Solarindustrie umfasst nicht nur Solarmodulhersteller, sondern auch die mehr als 120 sächsischen FotovoltaikInstallationsbetriebe sowie Elektromeister, Heizungsbauer, Dachdecker, Ingenieurbüros und Solarparkbetreiber.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Bei der Unterstützung der Solarbranche geht es um Wirtschaftsförderung für den Mittelstand. Das haben Sie sich ja auf die Fahne geschrieben. Nicht zu vergessen sind die 5 400 Arbeitsplätze in der Fotovoltaik, einer Branche mit 2 Milliarden Euro Jahresumsatz. Das geht in die Richtung des Ziels, 2020 auf eigenen Beinen zu stehen, das natürlich auch meine Fraktion erreichen will.

Meine Damen und Herren! Es geht dabei sogar noch um viel mehr als die Umsatzsteigerung der sächsischen Industrie und des Mittelstandes. Angesichts des drohenden Kollapses der Biosphäre brauchen wir eine an der Bewahrung der Schöpfung orientierte Wirtschaftspolitik. Damit meine ich den Übergang zu erneuerbaren Energien im großen Stil, die Steigerung der Ressourceneffizienz, die Entwicklung einer neuen Generation umweltfreundlicher Produkte und Technologien, die Umstellung auf biologische Rohstoffe und Verfahren sowie den Bau und

die Sanierung von Häusern, die zu Nettoenergieerzeugern werden.

Herr Minister, Sie haben gesagt: „Mobilität ist für mich ein Bürgerrecht.“ Zustimmung! Aber wie passen denn dazu die dramatischen Kürzungen im Bereich des sächsischen öffentlichen Nahverkehrs im jetzt gültigen Doppelhaushalt?

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Horst Wehner, DIE LINKE)

Die Auswirkungen dieser Kürzungen sind uns von den Zweckverbands-Geschäftsführern in der Parlamentarischen Gruppe Bahn sehr deutlich beschrieben worden. Das ist ein Desaster, meine Damen und Herren, eine Schädigung der Verkehrspolitik. Es gibt nur noch eine sporadische Zusammenarbeit zwischen den Aufgabenträgern und dem SMWA.

Trotz unserer demografischen und finanziellen Situation setzt man auf viel Neubau statt Sanierung. Radverkehrsförderung kommt nicht mehr vor. Um die Alltagsprobleme der sächsischen Fahrgäste und Verkehrsteilnehmer kümmert sich das zuständige Ministerium nicht. Bürgerrecht ernst zu nehmen sieht anders aus.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Dr. Monika Runge, DIE LINKE)

Meine Damen und Herren! Die sächsischen Unternehmen sehen die Entwicklung der Rohstoff- und Energiepreise in den kommenden zwölf Monaten als eines ihrer größten Risiken. Erholt sich die Weltwirtschaft von ihrem jüngsten Absturz so schnell, wie es sich derzeit abzeichnet, so steigt bei rückläufigem Angebot die Nachfrage für Petroleum. Die Zeiten billigen Öls sind dann ein für allemal vorbei, mit allen negativen Auswirkungen auch auf die sächsische Wirtschaft. Kostenexplosion, Produktionsrückgang, erneut steigende Arbeitslosigkeit sind da nur einige Stichworte. Es droht eine Rezession, die sich gewaschen hat, wenn es uns nicht gelingt, aus der Abhängigkeit vom Öl auszusteigen.

(Beifall bei den LINKEN)

Deutschland ist zu 97 % von Erdölimporten abhängig, Sachsen sogar zu 100 %. Hierzulande sind täglich über 200 000 Pendler auf funktionierenden Verkehr angewiesen. Ein großer Teil fährt auf Erdölbasis mit dem eigenen Kfz oder mit Bussen. Zu uns kommen sechs Millionen Touristen, von denen ein großer Teil ölgetrieben Jahr für Jahr im Freistaat unterwegs ist. 5,6 Millionen Tonnen Mineralöl wurden 2007 in Sachsen verbraucht. Bei 4,2 Millionen Einwohnern sind das mehr als 1,3 Tonnen pro Kopf.

Eine Studie des internationalen Versicherungsmarktes Lloyds of London hält einen Ölpreis von 200 Dollar pro Barrel im Jahr 2013 für möglich. Es stellt sich uns, meine Damen und Herren, die Frage, wie die sächsische Wirtschaft und Gesellschaft auf diese Entwicklung vorbereitet werden können.

Herr Minister Morlok, wie sieht Ihre Vision des postfossilen Zeitalters für Sachsen aus? Haben Sie sich darüber überhaupt schon einmal Gedanken gemacht?

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Er kennt das Wort nicht!)

Nein, haben Sie nicht. Denn auf meine Anfragen, nachzulesen in Drucksache 5/4376 und 5/4377, zu den Auswirkungen des Peak Oil und die Vorbereitungen Sachsens darauf, antworten Sie: „Erstens: Nein. Zweitens: Es wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen.“

(Lachen bei den GRÜNEN)

„Drittens. Die Staatsregierung erstellt keine Prognosen zur zeitlichen Verfügbarkeit der Erdölvorräte. Viertens. Der Staatsregierung liegen diesbezüglich keine statistischen Daten vor.“