Ich will auch gar nicht auf die Behindertenpolitik zu DDR-Zeiten eingehen. Da gebe ich Ihnen recht, dass uns das heute nicht weiterhilft. Aber es muss möglich sein festzustellen, was in diesen 20 Jahren geleistet wurde. Das ist herausragend. Punkt 1.
Dass die Werkstätten für behinderte Menschen kein Allheilmittel sind, wissen wir. Es ist aber gut, dass es diese gibt, denn hier ist viel getan worden. Wenn wir von Inklusion sprechen, hat Frau Kliese diese passenden Worte gebracht: Nichts über uns ohne uns. Ich habe vor 14 Tagen mit Behinderten in dieser Behindertenwerkstatt in Langenau gesprochen. Diese haben größte Sorge, dort heraus zu müssen. Deswegen haben sie ihre Berechtigung, und sie gehören zum inklusiven System dazu. Aber wir können dort selbstverständlich nicht stehen bleiben.
Das Gleiche gilt für mich für Schulen. Natürlich muss die Teilhabe am normalen Unterricht mehr als bisher ermöglicht werden. Darin sind wir uns sofort einig. Aber hier geht es doch um einen Prozess und nicht um einen Schalter: Schalter an, und dann ist die Sache gelöst. Ich denke, dass das Kultusministerium eine ganze Menge tut. Es hat hier im Hause eine Anhörung zu dieser Thematik gegeben, und auch da ist noch einmal festgestellt worden, dass die Sonderschulen zum inklusiven System dazugehören. Dazu können wir durchaus unterschiedlicher Meinung sein, das akzeptiere ich. Stehen bleiben können wir dort
Es wird der Staatsregierung vorgeworfen – da fühlen wir uns natürlich als die Staatsregierung tragende Fraktion auch mit in Rede genommen –, dass der Geist der UNKonvention nicht verstanden worden ist. Ich denke, dass wir uns mit solchen Unterstellungen nicht helfen. Natürlich gibt es an allen Stellen Abstriche, aber nehmen Sie bitte nicht für sich in Anspruch, dass Sie allein es verstanden haben und alle anderen nicht. Dann wird Politik unglaubhaft.
Ich habe auch den Eindruck, dass die Vorredner bisweilen nicht gehört werden. Natürlich ist es in der Sache bedingt, dass Opposition und regierungstragende Fraktionen unterschiedlich an die Sache herangehen. Wenn dem nicht so wäre, könnten wir die Rollen tauschen.
Oder wir wären dann wieder im Einheitssystem DDR angekommen. Wenn die Opposition die Regierung lobt und die regierungstragende Fraktion die Regierung schlecht macht, sind wir im falschen Plenarsaal. Das sollten wir einfach einmal bekennen. Aber wir sollten trotz alledem maßhalten und vernünftig argumentieren.
Herr Kollege, sind Sie aber mit mir einer Meinung, dass sowohl die Opposition als auch die Koalition den Auftrag haben, die Staatsregierung zu kontrollieren und sie eventuell auch auf Versäumnisse, auf eine schnellere Gangart usw. hinzuweisen, und dass das nicht allein Aufgabe der Opposition ist?
Aber selbstverständlich, Frau Herrmann. Nur die Interpretation ist bisweilen unterschiedlich. Das ist legitim.
Ich will versuchen, ein Letztes noch einmal deutlich zu machen. Es handelt sich bei der Umsetzung der UNKonvention – das können Sie schon im 1. Artikel lesen – um einen Prozess, den man Schritt für Schritt gehen muss. Ich will es mit der Tribüne hier im Raum vergleichen. Wer von Ihnen da hochspringt, der hat das Recht für sich anzusetzen, dass wir die Inklusion nächstes Jahr abgeschlossen haben. Wer die Treppe benötigt, der soll bitte akzeptieren, dass es ein Prozess ist. Ich will es so bildlich ausdrücken.
Ich denke, dass eine ganze Menge gemacht wird. Es war für mich auch interessant, dass nicht einmal die Zahlen bei allen bekannt waren, die im Haushaltsentwurf – ich sage das ausdrücklich – enthalten sind, um sich genau diesem Thema anzunähern. Da können Sie doch der Staatsregierung nicht vorwerfen, dass sie dieses Thema überhaupt nicht beachtet. Das ist eine unsachgerechte Argumentation. Ich bitte Sie auch von der Opposition her, einfach noch einmal darüber nachzudenken. Ich habe Sie ganz bewusst nicht persönlich angegriffen. Hilft uns das weiter? Unterschiedliche Positionen ja, Verurteilungen, Vorverurteilungen nein.
Eine kurze Intervention. Sehr geehrter Herr Kollege Krasselt! Weil Sie uns jetzt so angegriffen haben, möchte ich ein Beispiel bringen, was ich als Nicht-Behindertenpolitiker im Zuge der Verwaltungsreform erlebt habe. Wir haben damals lange die damalige Ministerin Orosz gefragt, wie es mit dem Mehrbelastungsausgleich aussieht, um beispielsweise zu finanzieren, dass die Aufgaben, die auf die Kommunen übergehen, auch behindertengerecht ausgestattet werden können. Darauf hat mir die Ministerin Orosz damals ausdrücklich im Ausschuss versichert, ja, das ist beachtet. Als wir dann nachgefragt und einen Gesetzentwurf gemacht haben, hieß es, nein, es sei nicht beachtet, es sei Aufgabe der Kommunen.
Genau das ist die Erfahrung, die viele Kolleginnen und Kollegen jetzt seit Jahren machen: dass wir Fragen stellen, dass diese teilweise nicht ganz korrekt – das sage ich einmal vorsichtig – beantwortet werden, und dann war alles nicht mehr wahr. Wir drehen uns immer im Kreise. Sie reden alles gut, und davon haben wirklich viele Kollegen, ich auch, mittlerweile die Nase voll. Haben Sie dafür Verständnis, dass das Erfahrungen aus der 4. Legislaturperiode sind, der Sie noch nicht angehörten.
Ich möchte gern darauf antworten. Mir ist jetzt nicht bewusst, dass ich Sie angegriffen hätte. Wenn es passiert sein sollte, tut es mir leid, das war zumindest nicht meine Absicht. Ich weiß jetzt aber gar nicht, wie das passiert ist. In der 4. Legislatur – Sie sagten es zum Schluss – war ich nicht dabei. Tatsächlich haben – weil ich aus dieser Ebene komme – die Kommunen bei
der Umsetzung der UN-Konvention eine ganz hohe Verantwortung, denn dort findet das Leben statt. Hier diskutieren wir es nur, hier machen wir bestenfalls Gesetze, aber die Praktizität findet in der Kommune statt. Insofern können diese nicht herausgenommen werden.
Ich möchte die Möglichkeit einer Kurzintervention nutzen. Kritik anzubringen ist sowohl in der Opposition als auch in jeder anderen Rolle absolut legitim. Sie hat meiner Meinung nach auch nicht in Form von persönlichen Anwürfen stattgefunden, sondern es war eine Kritik daran, dass es noch nicht genügend Bemühungen seitens der Staatsregierung gibt, diesen Prozess voranzutreiben, und dass auch die Impulse dafür noch fehlen.
Dass der Prozess zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention mindestens 20, wenn nicht gar 40 bis 60 Jahre dauern wird, weil wir es hier mit gesellschaftlichem Wandel zu tun haben, ist uns wohl allen bewusst. Ich muss mich nur sehr über Ihr Demokratiebewusstsein wundern, bei dem die Kirchen nicht opponieren dürfen und am Ende nicht einmal mehr die Oppositionsparteien.
Wenn es jetzt keinen weiteren Redebedarf vonseiten der Fraktionen gibt, bitte ich die Frau Ministerin, das Wort zu nehmen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Die gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Leben in unserer Gesellschaft war und ist ein wichtiges Anliegen der Staatsregierung – alles andere weise ich zurück.
Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen verstärkt den Ansporn, diese Anstrengungen nochmals zu intensivieren; denn die Große Anfrage verdeutlicht, dass die UNBehindertenrechtskonvention nahezu alle Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen berührt. Das reicht von der Bildung und Erziehung von Kindern mit Behinderungen über Ausbildung und Teilhabe an Arbeitsleben, Kultur und Freizeit bis hin zur Betreuung und Pflege alter Menschen mit Behinderung. Diese Aufzählung ist natürlich nicht vollständig.
Die Antworten auf die zum Teil sehr detaillierten Fragen zeigen den jeweiligen Stand der Teilhabemöglichkeiten behinderter Menschen auf. Die Ergebnisse können sich sehr wohl sehen lassen. Das soll aber nicht heißen – das füge ich sehr schnell an –, dass es hier nichts mehr zu tun gibt. Ich sehe aber auch keinen Grund für Aktionismus.
Inklusion ist ein ständiger Prozess, ein Lebens- und Lernprozess. Gerade die größten Barrieren befinden sich immer noch in den Köpfen, die – gleich durch welche Art von Gesetzen oder Aktionsplänen – überhaupt nicht einzureißen gehen. Unsere Gesellschaft und auch die Lebensbereiche entwickeln sich weiter. Es gibt immer neue medizinische und technische Möglichkeiten zur Verbesserung der Teilhabe.
Auch die Wünsche und die Ansprüche der Betroffenen verändern sich zu Recht. Wir alle sind aufgefordert, die Belange von Menschen mit Behinderungen bei all unseren Entscheidungen zu berücksichtigen, gemeinsam mit behinderten Menschen,
und unsere Gesellschaft für ihre Wünsche und Bedürfnisse zu sensibilisieren. Sie sind Teil unserer Gesellschaft, und da gibt es keine Abstriche.
Grundlegend für eine offene, tolerante und demokratische Gesellschaft ist die Anerkennung der Verschiedenheit der Menschen. Jeden Einzelnen zu respektieren gewährleistet die Würde aller Menschen und muss Maßstab des Handelns sein. Jeder Mensch verfügt über spezifische Fähigkeiten und Fertigkeiten, und Einschränkungen für Menschen mit Behinderungen resultieren vielfach aus einer nicht behindertengerechten Umwelt.
Diese Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung der Gesellschaft ist auch das Ziel der Allianz zur Beschäftigungsförderung von Menschen mit Behinderungen. Daher empfehlen wir auch keinen aktionistischen Plan, der haushalterisch noch nicht untersetzt ist. Hier wurde Rheinland-Pfalz als positives Beispiel genannt. Aber wir haben sehr wohl in unserem Doppelhaushalt, zumindest im Sozialressort, durch die Weiterentwicklung des Landesblindengesetzes auch die finanziellen Voraussetzungen für die UN-Behindertenrechtskonvention geschaffen.
Diese Sächsische Allianz werden wir am 3. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen, gründen. Im vergangenen Jahr hat es die Auftaktveranstaltung gegeben. Ich bin mit meinen Kollegen Morlok und Wöller einig, dass diese Allianz ein wichtiger Meilenstein für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Sachsen ist. Gleichzeitig setzen wir eine sehr wichtige Zielstellung unseres Koalitionsvertrages um.
Gemeinsam mit Vertretern verschiedener Wirtschaftsverbände setzen wir uns dafür ein, dass mehr Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einen Arbeitsplatz haben und finden können. Dabei gilt es, Arbeitgebern die Fähigkeiten und Fertigkeiten von Menschen mit Behinderungen in der Arbeitswelt zu verdeutlichen. Es gilt, Vorurteile abzubauen, gute Beispiele bekanntzumachen, aber auch über Förder- und Unterstützungsmöglichkeiten zu informieren. Ziel der Allianz ist es aber auch, die Zusammenarbeit von Leistungsträgern zu verbessern, Kooperationsstrukturen zu vereinfachen und Bürokratie abzubauen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist nur ein Beispiel für die Bemühungen der Staatsregierung zur Verwirklichung der Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention. Im Koalitionsvertrag haben wir weitere Ziele und Vorhaben vereinbart – zum selbstbestimmten Leben von Menschen mit Behinderungen, zum Zugang zur frühkindlichen Bildung für Kinder mit Behinderungen, für ein Gesamtkonzept zur Förderung, Betreuung und Pflege älter werdender Menschen mit Behinderungen, zur Barrierefreiheit und zum integrativen Lernen. Ich bitte Sie dabei um Unterstützung und danke Ihnen.
Meine Damen und Herren! Die Behandlung der Großen Anfrage ist beendet. Wir kommen jetzt zum Entschließungsantrag. Ich gehe davon aus, Frau Kliese, dass Sie diesen Antrag schon eingebracht haben.
Gibt es zum Entschließungsantrag noch Diskussionsbedarf vonseiten der Fraktionen? – Herr Pellmann, bitte.