Protocol of the Session on November 4, 2010

Erklärung zu Protokoll

Anlass dieser Großen Anfrage ist zum wiederholten Male eine UN-Konvention, die die Rechte Behinderter im Weltmaßstab verbessern will. Die Geschichte der Entstehung dieses Vertragswerkes bestärkt mich in dem Zweifel darüber, ob der Handlungsbedarf wirklich so groß ist, wie diese Große Anfrage glauben lässt.

Zunächst waren es die verschiedenen Bundesregierungen selbst, die angesichts gravierender weltweiter Defizite im Umgang mit behinderten Menschen auf diese Konvention hingewirkt haben. Kräfte der sogenannten Zivilgesellschaft wie auch eine Vertreterin des Deutschen Behindertenrates waren in den Verhandlungsprozess eingebunden.

Nun wäre es eigentlich an der Zeit, auf Fortschritte in Ländern mit Nachholbedarf zu drängen und hierfür gegebenenfalls Unterstützung zu geben. Stattdessen wird

von interessierter Seite Druck aufgebaut, wird der Zerschlagung von Sonderschulen und bewährten Einrichtungen für Behinderte das Wort geredet. Eine sehr junge Professorin, Saskia Schuppener, meinte in der Anhörung zu dieser Thematik, selbst den zeitweiligen Besuch einer Sprachheilschule infrage stellen zu können.

Wo wird weitgehender das „Recht auf eine barrierefreie Umwelt“ umgesetzt als in Deutschland? Darauf weist auch die von der SPD-Fraktion gestellte Frage 15.7: „Wie soll … gesichert werden, dass ein integrierter junger Mensch zumindest auf die gleichen Ressourcen zugreifen kann, wie wenn er in einer Sondereinrichtung betreut und gebildet wird?“

Sind spürbare Verbesserungen im Rahmen der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention möglich? In diesem Zusammenhang möchte ich den Ausspruch „Gerechtigkeit

ist nicht Gleichbehandlung“, geäußert von Frau Niederstätter vom Schulamt Südtirol in besagter Anhörung, in den Raum stellen.

Es werden aber auch einige Punkte in dieser Konvention angesprochen, deren Umsetzung nicht nur für Behinderte, sondern ganz allgemein nicht mehr gesichert ist: Das Recht auf Zugang zu Bildung interessiert bestimmte Kreise nicht mehr. Das Recht auf Zugang zur Arbeitswelt wie das Recht auf Teilhabe am kulturellen Leben wird nicht nur Behinderten verwehrt!

Verbot der Diskriminierung in der Ehe: Hier erschließt sich ein weites Tätigkeitsfeld bei muslimischen Paaren, wie die gesetzlich fixierten Schnellschüsse der Bundesregierung in den letzten Tagen zeigten.

Recht auf Kinder in Verbindung mit dem Verbot einer Sterilisation aufgrund einer Behinderung – die Aktuelle

Debatte um pränatale Diagnostik zeigt in eine andere Richtung.

Verbot von Experimenten an Menschen mit Behinderung, Verbot der Folter: Wikileaks weiß anderes zu berichten, Stichwort Irak. Es wäre endlich an der Zeit, auf eine grundsätzliche Korrektur der deutschen Außenpolitik hinzuwirken und die Unterstützung der weltweiten USAggressionen zu beenden.

Abschließend möchte ich sagen: Die Integration Behinderter sollte auf der Grundlage des Erreichten erfolgen. Kleine, überschaubare Schritte statt ideologisch begründeter Maximalforderungen können hier wesentlich mehr bewirken.

Wir bleiben beim Thema und ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 5

Elternassistenz für Menschen mit Behinderungen

Drucksache 5/3997, Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP

Auch hierzu gibt es eine Debatte. Es beginnt die CDU. Es folgen FDP, DIE LINKE, SPD, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, wenn gewünscht.

Es gibt eine Rednerin der Koalition. Frau Jonas, ich bitte Sie, das Wort zu nehmen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete!

Bitte, stellen Sie sich folgende Situation vor.

(Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Genau. Dann wird es Ihnen auch nicht schwerfallen, sich das vorzustellen. – Ein Paar wünscht sich ein Kind. Die Frau sitzt nach einem Unfall seit dem 20. Lebensjahr querschnittsgelähmt in einem Rollstuhl. Auf die Frage, ob die Schwangerschaft lange vorausgeplant worden ist und wie sie sich vorstellen, das alles im Lebensalltag zu bewältigen, erntet das Paar ausschließlich kritische Anmerkungen und permanent wird es mit Fragen konfrontiert wie: Wie wollt ihr das schaffen? Was kann da alles passieren? Habt ihr auch mal an das Kind gedacht? – Das Paar muss entsprechende Durchsetzungskraft beweisen, um den Kinderwunsch und das Austragen des Kindes gegen Widerstände und Vorurteile des sozialen Umfeldes durchsetzen zu können.

Das liegt vor allem an der meist vorgetragenen Skepsis der Mitmenschen, die nicht glauben, dass das Leben mit Behinderung und die Erziehung eines Kindes unter einen symbolischen Hut zu bringen sind. Oft werden ausschließlich Probleme diskutiert und die notwendigen Lösungsansätze geraten dabei in den Hintergrund.

Mit dem Größer- und Mobilwerden des Kindes wächst dementsprechend wahrscheinlich auch der Bedarf an

Unterstützung bei der Beaufsichtigung des Kindes, bei Arztbesuchen oder bei Behördengängen. Gehen wir des Weiteren davon aus, dass der Mann bis dahin noch seine Frau aktiv unterstützt und begleitet hat, plant er jetzt vielleicht, sich erneut in der Berufstätigkeit weiter zu orientieren, und er plant eine neue berufliche Herausforderung anzunehmen, wird also an der Betreuung des Kindes nicht mehr wie bisher teilnehmen können. Ohne weitere personelle Unterstützung treten jetzt massive Probleme auf.

Stellen wir uns weiterhin vor, dass die Frau jetzt einen Antrag auf Elternassistenz stellt und von nun an zwischen Jugendamt und Eingliederungshilfe, also dem zuständigen Sozialhilfeträger, hin- und hergeschickt wird. Wer ist zuständig? Genau damit wird das Problem sichtbar, dem sich dieser Antrag widmet. Während meiner beruflichen Tätigkeit bin ich immer wieder Fällen begegnet, bei denen sich Eltern mit genau diesem oder ähnlich gelagerten Problemen auseinandersetzen mussten. Dabei ist es völlig unerheblich, ob es sich um Eltern mit Gehbehinderung, um Eltern mit Körperbehinderung oder auch um Eltern mit einer Einschränkung im Hörvermögen handelt. Grenzen der Belastbarkeit werden deutlich, und das meist aufgrund fehlender Unterstützung.

Auch Eltern mit Behinderungen wollen den Bedürfnissen ihrer Kinder gerecht werden, sie wollen ihrem eigenen Anspruch gerecht werden und sie wollen der Außenwelt beweisen, dass sie trotz ihrer Behinderung hervorragende Mütter oder Väter sein können, was auch völlig außer Frage steht.

Je nach Art der Einschränkung und der Barrieren fällt der Bedarf von behinderten Müttern oder Vätern an Hilfe sehr unterschiedlich aus. Vielleicht braucht der sehbehinderte

Vater jemanden, der ihn auf den Spielplatz begleitet, denn er selbst hat gar keine Möglichkeit, Glasscherben oder Barrieren zu sehen, die seinem Kind gefährlich werden könnten. Ebenso kann es sein, dass eine gehörlose Mutter bei einem Elternabend einen Gebärdendolmetscher oder eine Gebärdendolmetscherin braucht, um völlig normal teilhaben zu können und nicht einzelne oder extra Gesprächsmöglichkeiten suchen zu müssen.

Sie wissen, dass gerade der Anteil von Eltern mit seelischen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen auch bei uns im Freistaat immer größer wird. Auch diese Eltern brauchen bestimmte Unterstützung, zum Beispiel bei der Förderung der Kinder oder bei Behördengängen. Wie wichtig diese personelle Assistenz ist, wird umso klarer, als behinderte Väter und Mütter zu einer der am strengsten kontrollierten und überwachten Elterngruppe in unserer Gesellschaft gehören. An sie werden bisweilen höhere Maßstäbe angelegt als an alle anderen Eltern.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Angebot einer personellen Assistenz entlastet Eltern und unterstützt damit auch das Kind. Die Eltern erziehen ihr Kind nach eigenen Vorstellungen, bleiben Hauptbezugsperson und das kindliche Erleben bleibt durch altersgerechte Aktivitäten gewährleistet. Das Kind hat die Chance, sich wie jedes andere Kind auch zu entwickeln. Assistenten können all das tun, was Mutter oder Vater behinderungsbedingt nicht selbst tun können. Die Erziehungsaufgabe bleibt ganz klar bei den Eltern selbst.

Eltern mit Behinderungen berichten immer wieder von erheblichen Schwierigkeiten bei der Suche nach staatlicher Unterstützung bei einer derartigen Elternassistenz. Die Kinder- und Jugendhilfe nach SGB VIII konzentriert sich ausschließlich auf die spezifischen Bedürfnisse der Kinder. Die Eingliederungshilfe umfasst wiederum nur die Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft; Hilfe für nicht behinderte Kinder sieht sie nicht vor. Kommen sich beide Seiten nicht entgegen und orientieren sich nicht am individuellen Bedarf, den es zu decken gilt, so kommt es zu einem Zuständigkeitskonflikt, der die Eltern vor hohe Hürden stellt. Wir dürfen die Elternschaft aber nicht erschweren, sondern müssen Unterstützung gewähren. Leistungsträger müssen klar definiert und Leistungen damit auch klar geregelt werden.

Genau dieses Problem wollen wir mit unserem Antrag beheben. Leistungen der Sozialhilfeträger und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe müssen – dann individuell – zusammenführbar sein. Nur trägerübergreifend finden wir die akzeptable Lösung. Es gibt in anderen Bundesländern entsprechende Lösungsansätze, wenn wir beispielsweise begleitende Elternschaft – das ist ein Bereich, der sich ausschließlich an Eltern mit einer geistigen Behinderung orientiert – betrachten. Es gibt sehr gute Beispiele in anderen Bundesländern.

Die UN-Behindertenrechtskonvention spricht sich auch ganz klar für den Bereich der Partnerschaft, der Ehe und der Elternschaft sowie für die Gleichstellung von Menschen mit und ohne Behinderungen aus. Damit meine ich

konkret das Recht auf eine unabhängige Lebensführung, und dazu braucht es eben im Einzelfall die persönliche Assistenz. Damit meine ich die freie Entscheidung von Menschen mit Behinderungen, sich Kinder zu wünschen und eine Familie zu gründen – wie alle anderen Paare auch. Damit meine ich auch, nicht zwischen Arbeit und Kindererziehung abwägen zu müssen, sondern wie jede andere Familie beides miteinander vereinbaren zu können, also Teilhabe an unserer Gesellschaft.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, gerade bei diesem sensiblen Thema ist der Staat zur Fürsorge verpflichtet. Die Kooperationsbereitschaft bei den Trägern ist vorhanden. Viele Fachtagungen und Zusammenkünfte auch der Wohlfahrtsverbände und Interessengemeinschaften haben immer wieder darauf hingewiesen. Wir haben in Sachsen auch die nötige Fachkompetenz. Es existiert in Leipzig ein Kompetenzzentrum für behinderte und chronisch kranke Eltern. Das stellt eine wesentliche Ressource dar, auf die wir im Freistaat zurückgreifen können.

Die Pflege und die Erziehung eines eigenen Kindes ist ein Grundbedürfnis von Eltern. Damit dieses auch erfüllt wird, bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Nächster Redner ist für die Fraktion DIE LINKE der Abg. Horst Wehner. Herr Wehner, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sollen Menschen mit körperlichen, geistigen, seelischen und/oder Sinnesbeeinträchtigungen Kinder haben dürfen, wenn sie möglicherweise kaum für sich selbst sorgen können?

Diese Frage, meine Damen und Herren, wird in Fachkreisen sehr kontrovers diskutiert. Wir haben das der Einbringung des Antrages auch entnehmen können. Nach dem Grundgesetz hat jeder Mensch das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Nach dem Grundgesetz stehen aber auch das Wohl der Familie und das Wohl des Kindes unter besonderem Schutz, was hier und da halt immer wieder zu Schwierigkeiten geführt hat.

Nun gibt es in Deutschland seit Juli 2001 das Neunte Sozialgesetzbuch und mit diesem eben auch die Bestimmungen zur Teilhabe. Aus diesen ist abzuleiten, dass behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen Leistungen erhalten, um ihre Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft zu fördern.

Doch, meine Damen und Herren – Frau Jonas hat es bereits beschrieben –, wie so oft klaffen gesetzlicher Anspruch und Bewilligungsverfahren weit auseinander. Bürokratische Hürden erschweren der Verwaltung bei Androhung der materiellen Haftbarkeit für deren Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter einerseits die Entscheidungsfindung. Auf der Strecke bleibt aber andererseits der oder

die Betroffene. In diesem Fall sind es Vater oder Mutter mit den bereits genannten Beeinträchtigungen.

Es erscheint oftmals einfacher, mit der Kraft des Gesetzes die Sicherung der Teilhabe und der selbstbestimmten Lebensführung auszuhebeln. Denn es kommt noch leider allzu häufig vor, dass sich Menschen mit Behinderungen Bevormundungen gegenübersehen und sich gefallen lassen müssen, dass ihnen die Kinder weggenommen werden.

Mit dem vorliegenden Antrag möchten die Koalitionsfraktionen dieser Situation begegnen. Mit diesem Antrag könnte ein wesentliches Hindernis für die Unterstützung behinderter Eltern beseitigt werden. In der Fachliteratur wird sehr häufig auf das Dilemma hingewiesen, dass zwar einzelne Leistungen in den Sozialgesetzbüchern – wie bereits beschrieben – VIII, IX oder XII geregelt sind, die Hilfen zur Erziehung, sozialpädagogische Familien, Eingliederungshilfen und Assistenzleistungen abdecken und damit prinzipiell die Elternassistenz im Sinne der Teilhabe behinderter Eltern geregelt wäre. In der Praxis aber, meine Damen und Herren, fallen Eltern im Gerangel der zuständigen Instanzen durchs Netz. Das hat Frau Jonas mit ihrem eingangs erwähnten Beispiel sehr plastisch geschildert.

Frau Jonas, ich stimme Ihnen zu, die Bewilligung von Elternassistenz als trägerübergreifende Komplexleistung würde es ermöglichen, den Eltern mit Behinderung die Hilfe zu geben, die sie für sich selbst, für die Wahrnehmung ihrer Elternpflicht sowie die sozialpädagogischen Hilfen für Kinder benötigen. Der vorliegende Antrag könnte einen Beitrag dazu leisten, dieses dringende Problem zu lösen.