Protocol of the Session on September 30, 2010

Gesetzgeber hat 1998 angenommen, dass unverheiratete Eltern die Möglichkeit haben, das gemeinsame Sorgerecht zu beantragen, und dieses dann auch nutzen. Man dachte, Mütter legen nur ein Veto ein, wenn sie ihr Kind beschützen wollen, also zum Wohle des Kindes handeln, und nicht etwa im eigenen Interesse. Doch diese optimistische Annahme hat sich in der Praxis nicht bestätigt. Die Karlsruher Richter stellten fest:

Erstens. Bei knapp über 50 % der nicht ehelichen Kinder haben die Eltern das gemeinsame Sorgerecht. Das ist also nicht einmal die Hälfte. Wenn sie verheiratet sind, haben sie ohnehin das Sorgerecht, aber wenn sie nicht verheiratet sind, ist es nicht einmal die Hälfte.

Zweitens sagten die Richter, es sei davon auszugehen, dass die große Mehrheit, eine nicht unbeträchtliche Zahl der Mütter, allein deshalb die Zustimmung zur gemeinsamen Sorge verweigere, weil sie ihr angestammtes Sorgerecht nicht dem Vater ihres Kindes geben wollen.

Aus diesem Grund gibt es eine neue rechtliche Entscheidung, ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Es ist am 03.12.2009 offiziell geworden und besagt, dass die gängige Praxis gegen das Diskriminierungsverbot verstößt. Wir haben es auch in der Presse verfolgt. 2009 war des Öfteren die Rede davon, dass das Sorgerecht nun reformiert werden müsste, aber das ist leider bis zum heutigen Zeitpunkt von der Bundespolitik nicht getan worden – daher unser Antrag der Koalition „Kindeswohl stärken – unverheirateten Müttern und Vätern gemeinsames Sorgerecht einräumen“.

Aber was bedeutet das nun ganz konkret? Das gemeinsame Sorgerecht heißt: Die Eltern entscheiden gleichberechtigt über alle Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung.

Ich möchte dafür einige Beispiele anführen. Sie entscheiden zum Beispiel, wenn es um eine Operation des Kindes geht, um den Besuch des Kindergartens, um die Schulwahl oder auch um die Berufswahl. Nicht gemeint sind damit Angelegenheiten des alltäglichen Lebens, wie beispielsweise die Freizeitgestaltung, Hausaufgaben, Kleidung oder normale Arztbesuche. Sie müssen sich also lediglich bei wichtigen Entscheidungen mit ihrem ExPartner einigen, und die alltäglichen Dinge entscheiden sie selbst.

Aber in Einzelfällen ist es natürlich berechtigt, dass die gemeinsame Sorge des Kindes verwehrt bleibt, also dass zum Wohle des Kindes nur ein Elternteil das Sorgerecht hat. Zum Beispiel kann ein Elternteil die Sorge für das Kind nicht ausüben oder es hat kein Interesse – das kommt ja auch vor –, oder die Beziehung ist so zerrüttet, dass die Ausübung gemeinsamer Sorge unmöglich erscheint.

Dafür muss es natürlich eine Lösung geben. Das heißt, die Möglichkeit des Widerspruchs eines Elternteiles soll natürlich erhalten werden und im Gesetz verankert sein. Das Gericht muss dann im Sinne des Kindeswohles entscheiden.

Ich fasse zusammen, warum das Sorgerecht auch für unverheiratete Väter so wichtig ist.

Erstens. Wir wollen eine Gleichberechtigung und eine Gleichwertigkeit der Väter.

Zweitens. Väter sind mehr als nur Zahlmeister.

Drittens. Väter sind für die Entwicklung ihrer Kinder ebenso wichtig wie Mütter.

Viertens. Seit Trennung, Scheidung und nicht eheliche Geburten keine seltenen Ausnahmen mehr sind, ist die Rollenzuweisung, die Müttern allzu häufig das alleinige Sorgerecht zuspricht, Vätern aber alleinige Unterhaltspflicht zuweist, nicht mehr zeitgemäß.

(Beifall bei der CDU)

Wir fordern deshalb die gemeinsame Verantwortlichkeit und die Sorgepflicht für beide Elternteile, und lassen Sie mich noch ergänzen: auch rückwirkend, also für alle ledigen Väter, deren Kinder bereits geboren sind.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Wehner, für den Beitrag der CDU-Fraktion. – Nun spricht Herr Abg. Biesok für die FDP. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit unserem heutigen Antrag wollen wir in einem emotional sehr aufgeladenen Thema eine Anpassung des elterlichen Sorgerechtes an die Wirklichkeit hier in Sachsen vornehmen.

Wenn man an die Entwicklung in den Familien in den letzten drei Jahrzehnten zurückdenkt, so muss man von

einem grundlegenden Wandel sprechen. Früher war es praktisch eine Grundvoraussetzung für die Erziehung von Kindern – es wurde zumindest gesellschaftlich erwartet –, dass die Eltern der Kinder verheiratet waren. Wenn Kinder zur Welt kamen, deren Eltern nicht verheiratet waren, war das ein Makel, und diesen Makel hat das Bürgerliche Gesetzbuch auch sehr stark gebrandmarkt. Bis 1998 war es so, wenn ein nicht eheliches Kind zur Welt kam, dass ein Pfleger von staatlicher Seite bestellt wurde, weil man es den Eltern nicht zutraute, die Rechtsverhältnisse bei einem nicht ehelichen Kind ordentlich zu regeln.

Die Väter dieser Kinder hatten keine Möglichkeit, ein elterliches Sorgerecht zu bekommen. Es gab lediglich ein Umgangsrecht, aber das war auch von der Zustimmung der Mutter abhängig. Das heißt, die gesetzliche Wertung war damals noch: Wer die Mutter nicht geheiratet hatte, der hatte auch beim Kind nichts zu sagen.

Zum Glück haben sich die gesellschaftlichen Verhältnisse geändert. Heute ist eine Familie dort, wo Kinder sind, unabhängig davon, ob die Eltern verheiratet sind oder nicht. Wir haben in Sachsen die Situation, dass im Jahr 2008 58 % aller Kinder nicht in einer Ehe geboren wurden, sondern in einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft oder in anderen Lebensformen. Das heißt, die nicht eheliche Elternschaft ist in Sachsen zur Normalität geworden. Da das Zusammenleben ohne Trauschein anerkannt ist, haben sich die Ehe und die Sorge für ein gemeinsames Kind voneinander entkoppelt.

Dieser gesellschaftlichen Normalität muss sich auch das Sorgerecht im BGB anpassen. Die Väter müssen die Möglichkeit erhalten, das Sorgerecht für ihre Kinder zu bekommen, und zwar automatisch. Die bisherige Regelung – Kollege Wehner hat es dargestellt – hat gravierende Nachteile für Väter gebracht. Sie waren von der Entscheidung der Mutter abhängig, ob sie das Sorgerecht mit ihnen teilen will; und wenn die Mutter dieses Sorgerecht verweigert hat – sie brauchte dafür noch nicht einmal einen Grund anzugeben –, dann war es unmöglich, dieses zu bekommen. Das wollen wir verändern.

Wir wollen es verändern, weil es gegen unser liberales Grundverständnis verstößt, dass ein Elternteil entscheiden kann, ob er dieses Sorgerecht allein ausüben kann. Es verstößt gegen unsere liberale Grundhaltung zu sagen, wir entziehen einem Elternteil die Möglichkeit, für sein Kind zu sorgen.

In unserer Verfassung steht: „Die Erziehung unserer Kinder ist die zuvörderst obliegende Pflicht der Eltern.“ – Und das sind beide Elterteile. Deshalb müssen wir beiden Elternteilen auch das Recht einräumen, dieses Sorgerecht auszuüben. Daher hat ein Vater das Recht, sich um sein Kind zu kümmern, und deshalb muss er auch ein Sorgerecht bekommen.

Wir Liberale haben Vertrauen in die Eltern. Wir gehen davon aus, dass diejenigen, die zusammen ein Kind zeugen und in die Welt setzen, auch gemeinsam für dieses Kind sorgen. Das ist in den allermeisten Familien der

Fall. Nur dort, wo es nicht funktioniert, gibt es einen Anlass für den Staat einzugreifen und eine entsprechende Regelung zu finden, die es ermöglicht, im Ausnahmefall eine andere Regelung zu finden. Daher sollen die Väter das Sorgerecht unabhängig von einem Antrag gleich mit Geburt des Kindes bekommen.

Unser Ziel ist die Gleichstellung von Vätern und Müttern, unabhängig von ihrem Ehestand, egal, ob sie verheiratet sind oder in einer nicht ehelichen Lebensgemeinschaft leben, unabhängig davon, ob sie das Kind gemeinsam aufziehen oder an unterschiedlichen Orten leben.

Auch wenn sich die Eltern nicht mehr verstehen, bleibt es gleichwohl eine gemeinsame Verantwortung beider Elternteile, für das Kind zu sorgen. Auch deshalb möchten wir bei getrennt lebenden Paaren dieses gemeinsame Sorgeecht haben. Es darf keinen Unterschied machen, ob ein nicht eheliches Kind von Elternteilen erzogen wird, die an unterschiedlichen Orten leben. Das geht auch dann, wenn sich die Eltern beispielsweise scheiden lassen. Auch hier ist das gemeinsame elterliche Sorgerecht der Normalfall.

Für mich ist ganz klar, dass der Vater in die Erziehungs- und Entscheidungsaufgaben einbezogen werden muss. Deshalb muss er ein Sorgerecht erhalten, und zwar gleichberechtigt mit der Mutter.

Meine Damen und Herren! Es wurde bereits angesprochen: Dieser Antrag soll auch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom Dezember letzten Jahres umsetzen, ebenso die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 3. August 2010. Es hat entschieden, dass das deutsche Sorgerecht mit seiner einseitigen Bevorteilung der Mütter ohne einen sachlich rechtfertigenden Grund gegen das Diskriminierungsverbot verstößt und auch das Recht auf Achtung des Familienlebens in der Menschenwürdegarantie nicht umsetzt. Den Vätern in Deutschland muss daher eine neue Möglichkeit für die elterliche Sorge unabhängig vom jeweiligen Ehestand gegeben werden.

Gerade durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschrechte sind wir verpflichtet, auch für die sogenannten Altfälle, bei denen also heute schon eine Sorgerechtsmöglichkeit gegeben ist, eine Lösung zu finden. Unser Antrag berücksichtigt das, und es soll eine entsprechende pragmatische Lösung gefunden werden.

Wir Liberale wollen mit unserem Antrag, den wir gemeinsam mit unserem Koalitionspartner gestellt haben, die Diskriminierung von nicht ehelichen Vätern aufheben. Wir möchten sie in die Verantwortung nehmen und sie ihnen automatisch mit der Geburt des Kindes geben, damit sie für ihre Kinder sorgen können. Das ist unser Petitium. Dafür hoffe ich auf eine breite Mehrheit in diesem Plenum.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Biesok. – Für die Fraktion DIE LINKE spricht jetzt die Abg. Werner. Bitte schön, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich will voranschicken: Auch ich lebe getrennt von dem Vater meiner Kinder. Wir praktizieren seit vielen Jahren das gemeinsame Sorgerecht und haben damit sehr positive Erfahrungen gemacht. Ich könnte somit Ihren Antrag sehr erfreut zur Kenntnis nehmen.

(Beifall des Abg. Peter-Wilhelm Patt, CDU)

Ich muss aber auch sagen, dass ich mich fünfmal geärgert habe. Ich habe mich zum einen darüber geärgert, weil mir das plötzliche Interesse nicht sehr glaubwürdig erschien. Jetzt haben hier die neuen jungen Männer gesprochen, und ich nehme zur Kenntnis, dass diesbezüglich ein Lernprozess vonstatten geht. Aber bisher habe ich von Ihrer Seite solche Töne noch nicht gehört. Deshalb erschien mir das im ersten Moment nicht sehr glaubwürdig.

Ich habe mich geärgert, weil es ein wenig wie ein Schaufensterantrag wirkt. Sie haben recht, dass es jetzt entsprechende rechtliche Regelungen gibt. Meines Wissens hat eine FDP-Ministerin inzwischen bestimmte Regelungen umgesetzt, die genau dem entsprechen, was in Ihrem Antrag steht. Das schwarz-gelbe Bundeskabinett ist auch in dieser Richtung unterwegs. Ich weiß nicht, warum dieses Thema in diesem Landtag aufgerufen werden muss. Wir müssen uns damit nicht explizit beschäftigen. Sie haben auf Landesebene andere Aufgaben, bei denen es darum geht, die Familien zu stärken, damit sie nicht in Konflikt- und Notsituationen kommen.

(Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Ich denke, Sie haben Ihre Aufgaben auf Landesebene zu leisten. Hier gibt es genug zu tun. Wir sprechen von Familien – ich sagte es bereits –, die in eine Notsituation gekommen sind. Es geht doch darum, die Familien zu stärken. Aber was sieht der Haushaltsentwurf der schwarz-gelben Koalition vor? Er sieht vor, dass bei der Familienbildung gespart werden soll. Er sieht vor, dass bei der Familien- und Eheberatung gespart werden soll. Er sieht vor, dass bei der Erholung von Familien gespart werden soll. Ich denke, dass es in den eigenen Reihen genügend Zündstoff gibt, um darüber nachzudenken, wie man die Familie in Sachsen stärken kann.

Außerdem ist das Gesetz keine Einbahnstraße. Wenn Sie sich die Untersuchungen zu Trennungskindern und Scheidungskindern anschauen, stellen Sie fest, dass zum Beispiel die Kontakthäufigkeit zum getrennt lebenden Elternteil per se wenig bedeutend ist; entscheidender sind dessen Erziehungskompetenzen. Hier müssen wir ansetzen und die Eltern bei ihren Erziehungskompetenzen stärken. Das ist eine Aufgabe, die Sie sich gern vornehmen können. Oder es wird gesagt: Gute Entwicklungs

prognosen haben Scheidungskinder, deren Eltern es gelingt, ihre Konflikte beizulegen. Dann kann man aber nicht bei der Familien- und Eheberatung sparen.

Lassen Sie mich zum nächsten Punkt kommen und sagen, warum ich mich geärgert habe. Ich will Ihnen Zahlen nennen, die seit Langem bekannt sind. Jedes dritte Kind wird in einer Beziehung ohne Trauschein geboren. Ich halte es für normal, dass es hier zu einer Gleichstellung lediger Väter mit verheirateten Vätern kommen muss. Ich finde auch, dass ein gemeinsames Sorgerecht, wenn es dem Kindeswohl entspricht, das Selbstverständlichste auf der Welt sein sollte. In der Praxis ist es aber heute auch so, dass 90 % der Alleinerziehenden Mütter sind. Wir haben auch das Problem, dass 60 % der Väter von unzureichend bis gar nicht oder nur sporadisch ihren Unterhalt bezahlen.

(Beifall der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE)

Das wird in der Diskussion häufig vergessen. Sie haben vorhin nur die armen Väter benannt, aber auch die Frauen, die alleinerziehend mit ihren Kindern in Armut leben, sind bekannt. Diese Frauen haben Sie in Ihrer Diskussion außen vor gelassen. Das liegt sicherlich auch daran, dass Vätern kein gutes Rollenbild vorgelebt oder es ihnen nicht ermöglicht wird, ihre Vaterrolle wirklich einzunehmen. Darüber haben wir oft gesprochen.

Ich will noch einmal Herrn Flath zitieren – ich habe ihn erst gestern zitiert, als es um die Kita-Plätze ging –, der gesagt hat: Für ein Kind ist es das Beste, wenn es drei Jahre bei der Mutter bleibt. – Ich finde, das ist kein sehr gutes Rollenbild, was bisher von der Koalition vorgelebt wurde. Ich denke, auch hierzu gibt es auf sächsischer Ebene genügend zu tun.

(Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Wenn es Ihnen wirklich darum gehen würde, verschiedene Lebensformen bzw. Lebensweisen zu unterstützen, dann dürften Sie nicht eine bestimmte Lebensform, nämlich die Ehe, weiter privilegieren.