Protocol of the Session on September 29, 2010

Vielen Dank, Frau Herrmann. Die Fraktion der NPD hat keinen Redebedarf angemeldet. Bleibt es dabei? – Ich frage noch die Fraktion der CDU. – Herr Abg. Schiemann, bitte, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bedanke mich bei meinen Vorrednern für die sehr faire, kritische, aber durchaus dem Bericht zugewandte Debatte. Ich glaube, dass wir nach der Diskussion zu dem ersten Bericht, den Justizminister Dr. Martens vorgelegt hat, gemeinsam mit seinem Vorgänger, Herrn Staatsminister Mackenroth, dieses wegweisende Gesetzesvorhaben ausgiebig diskutiert und auf eine faire Art und Weise auf den Weg gebracht haben.

Ich gehe davon aus, dass bei einem ersten Bericht natürlich auch Möglichkeiten gesucht werden, die Aufgaben zu erfüllen, die noch vor uns stehen, die Probleme zu lösen, die in der Anhörung angesprochen worden sind, und ich denke, dass es eine Chance ist, den jungen Straftätern mithilfe von Arbeit, einer soliden Freizeitgestaltung, die auch Herausforderungen beinhaltet, zum Beispiel über Sportereignisse, eine Chance zu geben, später ohne Straftaten ins Leben zurückzufinden.

Einen Punkt möchte ich jedoch besonders hervorheben. Die Justiz wird auch künftig nicht der Reparaturbetrieb der Gesellschaft sein.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das kann die Justiz nicht erfüllen, denn diese Aufgaben müssen auf viel mehr Schultern verteilt werden.

Für den Bericht, Herr Staatsminister Dr. Martens, herzlichen Dank, auch seitens der CDU-Fraktion. Ich gehe

davon aus, dass mit dem Jugendstrafvollzugsgesetz, das dieses Hohe Haus nach langer Diskussion verabschiedet hat, ein bedeutendes Gesetzgebungsvorhaben auf den Weg gebracht worden ist, das auch einen Auftrag an den Gesetzgeber beinhaltet, nämlich, die Fragen des Vollzuges in freien Formen nochmals zu diskutieren. Wir sind dazu bereit. Wir wollen Wege suchen, dass der Vollzug in freien Formen im Freistaat Sachsen möglich wird, weil wir diesen rechtlichen Hintergrund durch das Gesetz haben, aber auch politisch überzeugt sind, Straftätern durch einen harten Tagesablauf die Chance zu geben, wieder ins Leben zurückzufinden.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich gehe davon aus, dass wir aus den kritischen Ansätzen, die in der Anhörung benannt wurden, die Möglichkeiten nutzen, den Jugendstrafvollzug im Freistaat Sachsen weiter zu verbessern. Natürlich hatte diese neue Anstalt Anfangsschwierigkeiten, aber sie hat eine Chance, diesem besonderen Jugendstrafvollzug auch ein Gesicht zu geben. Sie hat die Chance, Straftäter in Zukunft in dieser Haftanstalt zu reduzieren bzw. eine möglichst große Zahl von jungen Menschen resozialisiert in das Leben zu entlassen. Ich freue mich, dass es dabei viele helfende Hände geben wird.

Wir geben dem Bericht unsere Zustimmung und bedanken uns bei allen, ehrenamtlich sowie hauptamtlich, die jungen Straftätern die Chance geben, ins Leben zurückzufinden.

Vielen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Schiemann. – Meine Damen und Herren, ich schaue noch einmal in die Runde der Abgeordneten. Möchte noch jemand sprechen? – Das kann ich nicht erkennen. Ich frage die Staatsregierung. – Herr Staatsminister Dr. Martens; bitte schön, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch von meiner Seite vorab zunächst ein Dankeschön an die Redner aller Fraktionen für die ausgesprochen sachliche und faire Diskussion zu diesem 1. Bericht über den sächsischen Jugendstrafvollzug. Dieser 1. Bericht zum Jugendstrafvollzug im Freistaat Sachsen beinhaltet umfassend den Vollzug der Jugendstrafe in Sachsen und ermöglicht es damit dem Landtag, sich einen Eindruck von den Rahmenbedingungen und den Ergebnissen des Strafvollzuges im Jugendstrafvollzug zu machen.

Angesichts der doch etwas aufgeregten Diskussionen bei der Einführung des Gesetzes etwa um die Zielbestimmungen und die allgemeinen Vollzugsziele hätte man erwarten können, dass sich die Bewertung des Jugendstrafvollzuges unter Umständen doch wieder entlang der alten ideologischen Bruchlinien entwickelt – was zum

Glück aber nicht geschehen ist und was für mich insofern eine Bestätigung ist, als es darauf ankommt, wie man ein Gesetz umsetzt und was man daraus macht, welche Chancen man nutzt.

Ich möchte aufgrund der Kürze der Zeit nur einige Punkte, die mir besonders wichtig sind, herausgreifen. Wenn wir über Jugendstrafgefangene im Freistaat Sachsen sprechen, dann sprechen wir zunächst von circa 300 bis 330 männlichen Verurteilten, im Wesentlichen im Alter von 18 bis 23 Jahren, die vor allen Dingen wegen Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit – das sind 40 % der Insassen –, Diebstahl und Unterschlagung sowie Raub und Erpressung inhaftiert sind. Die männlichen Jugendstrafgefangenen sind zentral in der Ende 2007 in Betrieb genommenen Anstalt in Regis-Breitingen untergebracht. Das ist die einzige Jugendstrafanstalt für männliche junge Gefangene in Sachsen.

Deswegen sind Überlegungen, ob eine solche Zentralisierung weitergehend betrieben oder sinnvoll wäre, möglicherweise nicht ganz zielführend; denn es gibt nur eine Anstalt. Das gilt auch für die Ausführung der heimatnahen Unterbringung. Wenn wir nur eine Anstalt haben, dann muss man eben die Insassen dort hinbringen. Aber dort kann man sie dafür auch gezielt in einem Behandlungsvollzug unterbringen.

Die weiblichen Jugendstrafgefangenen – rund 30 sind es, ebenfalls schwerpunktmäßig zwischen 18 und 23 Jahren – sind in Chemnitz untergebracht. Grund der Haft sind vor allem Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit – 26 % –, Diebstahl und Unterschlagung – ein ungefähr gleichgroßer Anteil – und im weiteren Verurteilungen wegen Betruges.

Da der Freistaat Sachsen auf der Grundlage einer Verwaltungsvereinbarung mit Thüringen und Sachsen-Anhalt den Vollzug von Freiheitsstrafen an weiblichen Strafgefangenen auch aus diesen Ländern übernommen hat, sind rund 30 % der weiblichen Jugendstrafgefangenen aus Sachsen-Anhalt und 25 % aus Thüringen. Anders als bei den männlichen Gefangenen haben wir allerdings noch keine optimalen baulichen Rahmenbedingungen erreicht. Diese sollen eingeräumt werden. Wir sind im Rahmen des Umbaus der JVA Chemnitz dabei, hier bessere Bedingungen zu schaffen, insbesondere eine Unterbringung in Wohngruppen zu ermöglichen, meine Damen und Herren.

Die wichtigste allgemeine Behandlungsmaßnahme ist die Unterbringung in kleinen Wohngruppen von bis zu zwölf Gefangenen. Auf die Anfrage von Herrn Mann hin, welche Klientel in Wohngruppen untergebracht wurde, kann man sagen: alle. Nach Möglichkeit werden alle Gefangenen in Wohngruppen untergebracht. Die Gefangenen können hier Sozialkompetenz einüben und müssen sich im täglichen Umgang miteinander bewähren. Zur intensiven Behandlung vor allem von Gewalt- oder Sexualstraftätern verfügt die Jugendstrafvollzugsanstalt über eine eigene sozialtherapeutische Abteilung. Für weibliche Jugendstrafgefangene steht die sozialtherapeu

tische Abteilung für weibliche Gefangene in der JVA Dresden zur Verfügung.

Um den zunehmend suchtbelasteten Jugendstrafgefangenen gerecht zu werden, greifen wir auf kompetente externe Suchtberater zurück. – Kollegin Herrmann hat bereits im Einzelnen dargestellt, welch umfangreiche Arbeit von der externen Suchtberatung geleistet wird.

Darüber hinaus arbeitet der Justizvollzug in sogenannten Motivationsstationen intensiv daran, die Erfolgsaussichten für eine sich der Haft anschließende stationäre Suchttherapie deutlich zu erhöhen. Zur spezifischen Auseinandersetzung mit den in der Straftat zutage getretenen Defiziten bieten beide Anstalten ein breites Behandlungsprogramm, das sowohl einzeltherapeutische Angebote als auch Gruppenmaßnahmen umfasst. Beide Anstalten ermöglichen eine vielfältige schulische und berufliche Ausbildung, und das ist bitter notwendig.

Meine Damen und Herren, 70 bis 75 % der Jugendstrafgefangenen haben keine abgeschlossene schulische Ausbildung und waren unmittelbar vor der Inhaftierung ohne Beschäftigung. Es ist meine feste Überzeugung, dass wir angesichts dieser Zahlenwerte alles in unseren Möglichkeiten Stehende unternehmen müssen, um diesen jungen Menschen im Rahmen einer Betreuung innerhalb der Haft noch die Möglichkeit einzuräumen, einen Schulabschluss, eine Berufsausbildung oder Qualifizierung zu erreichen.

Das ist nicht nur Grundvoraussetzung zum Bestehen auf dem Arbeitsmarkt, sondern dies trägt auch über die Vermittlung positiver Erlebnisse, von Erfolgserlebnissen im Rahmen von Ausbildung und Qualifizierung maßgeblich zur Stabilisierung von oft defizitgeprägten Persönlichkeiten bei. In den Anstalten reicht das Angebot deshalb von Kursen für funktionelle Analphabeten über berufsvorbereitende Jahre und Hauptschulkurse bis hin zum Realschulkurs. Dazu kommen zahlreiche berufliche Ausbildungsangebote, die auch in modularisierter Form in kürzeren Haftzeiten genutzt werden können.

Nur ganz kurz erwähnt sei: In den drei Schuljahren seit Bestehen der Justizvollzugsanstalt in Regis-Breitingen haben 49 Gefangene einen Hauptschulabschluss erlangt, 26 den qualifizierten Hauptschulabschluss und 33 den Realschulabschluss. Das mag, gemessen an der Gesamtzahl der Insassen, gering erscheinen; es ist aber ein Zeichen, das Hoffnung macht, dass es doch gelingt, im Jugendstrafvollzug wirklich Chancen zu eröffnen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Meine Damen und Herren, aktuell verfügen 80 % der männlichen und 96 % der weiblichen Jugendstrafgefangenen über einen Ausbildungsplatz oder einen Arbeitsplatz im Vollzug. Das ist ein Ergebnis, auf das wir in Sachsen – lassen Sie mich das so deutlich sagen – durchaus stolz sein können, auch im Vergleich mit anderen Bundesländern.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Die Freizeitgestaltung richtet sich auch nach dem Erziehungsauftrag des Strafvollzugsgesetzes, und dabei müssen die jugendlichen Gefangenen oft erst einmal lernen, wie man Freizeit anders verbringen kann als nur durch Rumhängen, sodass man auch in einer Gruppe Freizeit anders und sinnvoll gestalten kann. Hier fördern wir gezielt Mannschaftssportarten und kreative oder künstlerische Betätigungen, meine Damen und Herren.

Eine besonders wichtige Voraussetzung für einen erfolgreichen Vollzug ist ein Klima in der Anstalt, das von Vertrauen und Gewaltfreiheit geprägt ist. Angesichts der schwierigen Zusammensetzung der Gruppen von Jugendstrafgefangenen, die häufig von mangelnder Sozialisation und der Bereitschaft zur Gewaltausübung geprägt sind, stellt es immer einen Balanceakt dar, auf der einen Seite die Sicherheit der Gefangenen und Bediensteten zu gewährleisten und auf der anderen Seite strukturiert Freiräume zu eröffnen, in denen sich die jungen Gefangenen selbst bewähren, motivieren, Erfolge erleben und sich selbst beweisen können, damit sie neue, positive Verhaltensweisen annehmen und einüben können.

Leider kam es im Jahr 2008 in Regis-Breitingen zu massiven Übergriffen von Jugendstrafgefangenen auf Mitgefangene. Solche Vorfälle rütteln auf. Es war mir deshalb ein Anliegen, unmittelbar nach Amtsantritt die Jugendstrafvollzugsanstalt in Regis-Breitingen zu besuchen und mir selbst ein Bild zu machen. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass aus den Ereignissen die richtigen Schlüsse gezogen wurden. Das heißt, neben organisatorischen Maßnahmen wie einer verstärkten Aufsicht während der Aufschlusszeiten oder auch einer differenzierten Unterbringung von gewaltbereiten und auf der anderen Seite besonders gefährdeten jungen Gefangenen hat das Justizministerium der Anstalt zwölf junge und gut ausgebildete Bedienstete zugewiesen. Daneben stärken Schulungen des Personals eine Kultur des Hinschauens, des genauen Beobachtens.

Herr Staatsminister, Sie haben die Redezeit im Blick?

Vielen Dank! – Diese Aufmerksamkeit ist eine unabdingbare, schwierige Aufgabe.

Meine Damen und Herren! Der Erfolg all dieser Bemühungen steht und fällt letztlich mit den Bediensteten. Gerade der Jugendstrafvollzug ist in erster Linie Beziehungsarbeit, das heißt, die Bediensteten müssen als Vorbild wirken und den Gefangenen konsequent begegnen. Deshalb ist eine angemessene personelle Ausstattung besonders wichtig.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Zur personellen Ausstattung lassen Sie mich noch anmerken: Seit dem 1. Januar 2010, auf den der Bericht abstellt, haben wir der Jugendstrafvollzugsanstalt weitere Mitarbeiter zuweisen können. Um es deutlich zu sagen: Auch wenn die derzeitige Personalausstattung bereits einen

Behandlungsvollzug ermöglicht – aktuell ist das Verhältnis 1 Bediensteter auf 1,8 Gefangene –, wollen wir trotzdem im nächsten Jahr weitere personelle Verstärkungen vornehmen. Sofern von Vorrednern die Befürchtung geäußert wurde, es könne zu Personalabbau im Jugendstrafvollzug kommen, widerspreche ich dem. Nein, wir werden mehr Personal als bisher für den Jugendstrafvollzug zur Verfügung stellen, und das ist auch gut so. Gerade in den Bereichen Suchtberatung und Sozialarbeit wird das der Fall sein.

Wir wollen einen modernen, wirkungsorientierten Jugendstrafvollzug. Die Sachverständigen haben uns in der Anhörung im Großen und Ganzen recht gegeben. Natürlich ist nichts jemals so gut, dass es nicht noch Verbesserungen geben könnte. Wir bemühen uns, den Jugendstrafvollzug noch differenzierter auszugestalten und auf die einzelnen Notwendigkeiten einzugehen, auch was den Vollzug in freien Formen angeht. Ich persönlich unterstütze dieses Vorhaben. Wir müssen uns aber auch dessen bewusst sein, dass wir nicht alle Wünsche sofort und in vollem Umfang erfüllen können. Sollte es im Abschluss der Haushaltsberatungen möglich sein, hier Wege zu finden, dann würde auch mich das freuen. Wie und in welchem Umfang man das realisieren kann, bleibt abzuwarten.

Abschließend möchte ich mich nochmals bei den Mitarbeitern, den Bediensteten im Jugendstrafvollzug bedanken, die mit großem Engagement und sehr viel Einsatz diese schwierige Aufgabe angehen.

Ich möchte mich ferner bei den Mitgliedern des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses wie auch bei den Anstaltsbeiräten aus den Reihen des Landtags für ihre Mitarbeit, ihr Interesse und ihr Engagement für diese wichtige Arbeit bedanken. Ich denke, wir sind uns heute in diesem Hohen Haus einig, dass der Jugendstrafvollzug nicht nur im Interesse der Verurteilten, sondern im Interesse der gesamten Gesellschaft liegt und einen Ausweis davon abgibt, wie eine Gesellschaft mit solchen Menschen umgeht, mit schwierigen Menschen, mit Minderheiten, die solche Probleme haben, wie sie aber auch in der Lage ist, jungen Strafgefangenen neue Chancen zu eröffnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU – Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion und der SPD)

Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Ich erlaube mir, auf unsere Geschäftsordnung hinzuweisen, wonach wir zehn Minuten Redezeit vereinbart haben. Ich erlaube mir auch darauf hinzuweisen – wenn ich den „Pressespiegel“ Revue passieren lasse –, dass man sich da auch herausgefordert fühlen kann.

(Heiterkeit bei der Linksfraktion)

Ich möchte das so stehen lassen.

Da die Redezeit überzogen worden ist, frage ich in die Runde: Möchte noch jemand von den Fraktionen eine andere Auffassung darlegen, als sie die Staatsregierung vorgetragen hat? – Das ist nicht der Fall. Vielen Dank, Herr Staatsminister!

Ich frage die Berichterstatterin des Ausschusses, Frau Friedel: Möchten Sie das Wort ergreifen?