Meine Damen und Herren! Die Drucksache 5/3683 ist damit beschlossen und die Enquete-Kommission eingesetzt.
Ich möchte die Fraktionen darauf hinweisen, dass damit auch beschlossen ist, dass die Enquete-Kommission
spätestens am 15. November 2010 ihre Arbeit aufnehmen soll. Ähnliches bezieht sich auch auf die Besprechung im Präsidium der letzten Woche. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn wir bis zum Ende dieser Woche auch die Namen der Mitglieder der Kommission genannt bekom
Die Fraktionen können wie folgt Stellung nehmen: DIE LINKE, CDU, SPD, FDP, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, wenn gewünscht.
Wir beginnen mit der Aussprache, und es spricht jetzt Herr Dr. Pellmann für die Fraktion DIE LINKE. Bitte, Sie haben das Wort.
Danke schön, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In reichlich eineinhalb Stunden werden wir wieder vor dem Sächsischen Landtag – so ist es angekündigt – erleben, dass immer mehr Menschen im Freistaat protestieren, weil sie mit der Politik, wie sie sowohl von der Bundesregierung als auch von der hiesigen Staatsregierung betrieben wird, nicht einverstanden sind und nicht einverstanden sein können. Ich will ausdrücklich meine Solidarität mit den Protestierenden von diesem Pult aus deutlich machen.
Es wird dagegen protestiert, dass immer weniger Menschen in Sachsen bereit sind, für die Krise, für die sie nicht zuständig sind, zu zahlen. Das haben wir vorausgesagt und leider, sowohl was das Kürzungspaket der Bundesregierung als auch den Entwurf des Doppelhaushaltes betrifft, haben wir recht behalten. Unser Antrag ordnet sich als ein kleines Zeichen – das will ich ausdrücklich sagen – in diese größeren Zusammenhänge, auf die ich zunächst eingehen muss, ein.
Wenn wir die gegenwärtige Situation betrachten, die Frau Merkel als den „Herbst der Entscheidung“ bezeichnet, und wir gemeinsam mit Gewerkschaften, mit Wohlfahrtsverbänden und auch mit Kirchen sagen, es muss der Herbst des scharfen Protestes sein, und das einordnen, so ergeben sich daraus auch für unseren Antrag folgende Rahmenbedingungen, die wir zu beachten haben.
Erstens. Wir stehen aufgrund der Regierungspolitik immer mehr in der Gefahr, dass das Sozialstaatsprinzip ausgehebelt wird.
Wir haben einen regelrechten Paradigmenwechsel, der mit Hartz IV eingeleitet wurde. Aber das, was wir am Montag wieder seitens der Bundesregierung, assistiert durch den Ministerpräsidenten und seine Stellungnahme, gehört haben, macht deutlich, was Sie wollen, die Rentenbeiträge betreffend. Aber darüber hinaus handelt es sich nach meinem Dafürhalten und nach der Meinung vieler Experten um Verstöße gegen das Grundgesetz. Sie können sicher sein, dass die Richter in Karlsruhe nach dem, was Sie hier vorhaben, keineswegs arbeitslos werden.
Zu unserem speziellen Antrag möchte ich folgende Bemerkungen machen. Es geht nicht nur um die Kürzung des Regelsatzes bzw. um die geringfügige Anhebung, worüber gegenwärtig in den Medien diskutiert wird. Nein, dieses sogenannte Paket, das die Bundesregierung auf den Weg bringt und das durch den Entwurf des Doppelhaushaltes assistiert wird hier im Hause, enthält weitere Aspekte, die einschneidend sind und die leider in der Debatte gegenwärtig etwas untergehen. Genau deshalb unser Antrag. Sie wollen – auch die Staatsregierung hat uns in der Stellungnahme darauf aufmerksam gemacht, dass sie es überhaupt nicht anders sieht – die Beiträge für die gesetzliche Rentenversicherung, die bislang für langzeitarbeitslose ALG-II-Bezieher eingezahlt wurden, gänzlich streichen. Wir lehnen das ab und fordern die Staatsregierung auf, sich an den entsprechenden Stellen gegen dieses Vorhaben zu wenden.
Wir fordern zugleich, dass man zumindest, meine Damen und Herren, als einen allerersten Schritt – ich weiß, dass das nicht Altersarmut schlechthin verhindern wird – wenigstens zur ursprünglichen Einzahlungshöhe des Rentenbeitrages zurückkehrt, der mit dem zweiten Teil unseres Antrages eine Verdoppelung der bisherigen Einzahlung vorsieht.
Ich will Sie auf die Auswirkungen aufmerksam machen, die es hätte, wenn unserem Antrag nicht gefolgt würde, sondern wenn das letztlich Gesetzeskraft erlangt, was Sie vorhaben. Sie müssen zunächst einmal davon ausgehen – das bestreiten Sie auch nicht –, dass die Betroffenen geringere Rentenanwartzeiten erlangen. Da wird natürlich
von Ihnen deutlich gesagt: Na ja, was soll das eigentlich, das ist doch so wenig, gegenwärtig 2,09 Euro, wenn ein Jahr für die spätere Rente eingezahlt wird. Das Zynische bei diesen Stellungnahmen, die auch die Staatsregierung nicht zum ersten Mal deutlich gemacht hat, ist doch eigentlich Folgendes.
Sie sagen – ich weiß, Herr Krauß, Sie werden es dann wiederholen –, dass es eh keinen Sinn hat, denn wenn die Leute viele Jahre arbeitslos waren, sind sie sowieso auf Grundsicherung im Alter angewiesen, und es ist völlig egal, ob sie 2 Euro mehr oder 2 Euro weniger bekommen. Das ist Ihr Standpunkt, und der ist zynisch. Ich werde Ihnen auch sagen, warum. Sie vergessen nämlich, dass mit dieser beabsichtigten Regelung zugleich der Zugang für die Betroffenen zu eventueller Erwerbsminderungsrente oder zu Rehabilitationsmaßnahmen versperrt ist, die der Rentenversicherungsträger zu finanzieren hätte. Das wird vergessen. Es gibt aber diese Situation. Wer in der Langzeitarbeitslosigkeit eben nicht mehr arbeitsfähig ist, also nicht wieder eingegliedert werden kann, und Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente hätte, dem werden, wenn er Neueinsteiger ist, die Zeiten genommen. Er hat dann nicht mehr, wenn das durchkommt, die entsprechenden Anrechnungszeiten. Das können wir nicht durchgehen lassen.
Ich sage Ihnen auch nicht zum ersten Mal, aber Sie haben es immer noch nicht begriffen, dass Sie erneut die Kommunen im Regen stehen lassen. Wer meint, die Betroffenen bekommen sowieso nur Altersgrundsicherung, der vergisst oder verschweigt, dass die Altersgrundsicherung von den Kommunen zu zahlen ist, von keinem anderen. Da ist es nicht unerheblich, ob sich die Differenz zwischen Rentenanspruch und Bedarf bei Grundsicherung durch die Einzahlung verringert oder nicht. Das ist das Problem, das Sie immer wieder verschweigen bzw. einfach wegdrücken. Wer so handelt, der lässt im wahrsten Sinne des Wortes – schauen Sie auf das Wetter, das passt dazu – die Kommunen im Regen stehen und soll sich nicht hierherstellen und damit kommen, dass sie etwas für die sächsischen Kommunen tun würden. In dieser Sache versündigen Sie sich gegen die sächsischen Kommunen, und das müssen Sie sich anhören.
Im Endeffekt sage ich Ihnen Folgendes: Wenn unserem Antrag gefolgt würde – ich bin ja kein Illusionist in diesem Hause –, dann wäre das zumindest ein Zeichen der Nachdenklichkeit. Natürlich löst man damit nicht die großen Probleme; das weiß ich auch, aber es wäre zumindest ein erstes Zeichen dafür, dass man umdenken will und dass man die Betroffenen insbesondere auch in Bezug auf ihre späteren Rentenansprüche nicht alleinlassen möchte. Aber dann schließt sich der Kreis.
Da Sie das offensichtlich nicht wollen, bestätigt sich meine These: Den Reichen wird’s gegeben, den Armen wird’s genommen – genauso, wie wir immer gesagt haben: Sie wollen, dass die Krise, die Milliarden Euro gekostet hat, letztendlich von den Ärmsten der Armen bezahlt wird, und das machen wir nicht mit.
Insofern unternehme ich den Versuch, Sie wenigstens daran zu erinnern, dass man diesem Antrag auch zustimmen könnte. Es würde zumindest ein kleiner Beitrag sein und zumindest denen, die demnächst draußen wieder zu Recht vor dem Landtag stehen, zeigen: Ja, der Sächsische Landtag, selbst die Mehrheitsfraktionen sind bereit, wenigstens nachzudenken. Diese Chance haben Sie, und Sie können es ja dann draußen verteidigen, wenn Sie sich anders entscheiden.
Das war Dr. Pellmann für die Fraktion DIE LINKE. – Ich rufe die CDU-Fraktion auf; es spricht Herr Abg. Krauß; bitte.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich einsteigen, die Grundprobleme, die wir in der Rentenversicherung haben, zu skizzieren; denn dies sollte man voranstellen, wenn man über das Thema Rente spricht.
Das Problem ist, Herr Kollege Pellmann: Wir haben zu wenig junge Menschen. Wir haben nicht zu viele alte Menschen, sondern zu wenig junge Menschen. Seit über 40 Jahren werden bei uns zu wenig Kinder geboren.
(Jürgen Gansel, NPD: Das hängt aber auch mit Ihrer Politik zusammen, Herr Krauß! – Weiterer Zuruf von der Linksfraktion)
Ja, verinnerlicht haben Sie es leider noch nicht. Wir haben eine Geburtenrate von 1,3 bis 1,4 Kindern je Mann und je Frau im Land. Es sterben mehr Menschen, als geboren werden. Das ist die Krise, die wir in der Gesellschaft haben – nicht erst seit heute, sondern schon länger. Deswegen haben wir Probleme im Rentensystem.
Sie haben gesagt, Herr Kollege Pellmann, das ist eine Krise, für die man nicht verantwortlich ist und für die man auch nicht zahlen will. Ich gestehe Ihnen zu, dass es auf Sie persönlich nicht zutrifft, weil Sie genügend Kinder haben. Aber wir müssen mal ehrlich sein, dass das im Durchschnitt eben nicht der Fall ist, dass zu wenige –
Wir haben insgesamt zu wenig Kinder, und das führt dazu, dass wir beim Rentensystem so ins Ungleichgewicht geraten. Das muss man erst einmal wahrnehmen.
Also zum einen zu wenig Kinder, zu wenig Beitragszahler und auf der anderen Seite steigt zum Glück die Bezugsdauer der Rente: 1960 waren es zehn Jahre Rentenbezug, mittlerweile sind es 17 Jahre. 17 Jahre bekommt man im Regelfall seine Rente bezahlt. Das führt dazu, dass das System der dynamischen Rente schon längst nicht mehr funktioniert.
Wir haben die Vorstellung, dass das, was wir eingezahlt haben, in einen großen Topf kommt, und wenn wir in den Ruhestand gehen, bekommen wir es ausgezahlt. Das ist
nicht der Fall. Bei der dynamischen Rente wird heute etwas eingezahlt, spätestens einen Monat später ist es ausgezahlt, und zwischen diesen Generationen – denen, die arbeiten, und denen, die im Ruhestand sind – kommt es dazu, dass der Staat 80 Milliarden Euro – der größte Teil im Bundeshaushalt, den es überhaupt als Einzelposten gibt – in die Rentenversicherung einzahlt, damit das Rentensystem funktioniert. Das muss man erst einmal wahrnehmen: Der Staat zahlt über 80 Milliarden Euro in die Rentenversicherung ein – der größte Ausgabenbrocken des Bundeshaushaltes.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kommen wir nun einmal zu dem konkreten Vorschlag der Linken, dass in die Rentenversicherung für Langzeitarbeitslose Rentenversicherungsbeiträge eingezahlt werden sollen. Ich will nicht über die Frage sprechen, woher das Geld kommen soll; darauf gehe ich gar nicht erst ein. Ich möchte aber trotzdem schauen, welchen Gewinn es für die Langzeitarbeitslosen bringen würde. Kollege Pellmann, Sie haben es selbst angesprochen: Es entsteht eine Rentenanwartschaft von 4,19 Euro.
Derzeit sind es 2,09 Euro, aber ich habe einmal Ihren Vorschlag aufgegriffen. Falls dieser beschlossen werden würde, wären wir bei 4,19 Euro. Das macht nicht viel Unterschied, ist relativ gering. Die Rente würde dadurch im Regelfall nicht gesteigert werden; sie würde dadurch im Regelfall nicht über die Grundsicherung kommen – also das, was ein Arbeitsloser, der in Ruhestand geht und langzeitarbeitslos war, ohnehin bekommt. Es wird sich im Regelfall überhaupt nichts an der Realität ändern.
Hier geht es aber noch einmal um das Grundprinzip. Was ist die Rentenversicherung eigentlich? Die Rente ist an den Faktor Arbeit gekoppelt, und das ist gut so. Wir sagen, dass derjenige, der lange Zeit arbeitet, eine höhere Rente bekommen muss als derjenige, der nicht arbeitet. An diesem Grundprinzip möchte ich gern festhalten. Natürlich soll es so sein, dass derjenige, der sein Leben lang gearbeitet hat, im Alter höhere Altersbezüge hat als jemand, der nie gearbeitet hat. Das System sollten wir nicht aus dem Ruder geraten lassen.
Denn ansonsten fragt sich natürlich jeder: Warum soll ich arbeiten gehen, wenn ich danach das Gleiche bekomme wie jemand, der nie gearbeitet hat?
Dann müssen wir uns einmal anschauen, was das größte Problem ist. Ist es wirklich bei den Langzeitarbeitslosen die Altersvorsorge oder sind es eher diejenigen, die geringere Einkommen haben, ihr Leben lang arbeiten und im Alter in der Tat genauso viel bekommen – das ist aus meiner Sicht das größte Problem – wie jemand, der nie gearbeitet hat.
Ich würde gern das Beispiel, das ich häufig bringe, auch heute wieder bemühen, weil es noch nicht jeder verinnerlicht hat. Wer nach 45 Arbeitsjahren in den Ruhestand
geht und heute ein Gehalt von 7,50 Euro pro Stunde bekommt, der erhält eine Rente von 717 Euro. Da sind wir übrigens nicht weit von der Grundsicherung weg; aber er hat durchgängig 45 Jahre gearbeitet. Nehmen wir ein anderes Beispiel: Jemand, der heute 47 Jahre ist, 2030 in Rente geht und 47 Jahre durchgängig gearbeitet hat, bekäme dann eine Rente von 489 Euro für 47 Beitragsjahre. Dem muss man mal erklären, warum er sein Leben lang gearbeitet hat, wenn er das Gleiche bekommt wie jemand, der nie gearbeitet hat. Das ist aus meiner Sicht die größte Ungerechtigkeit im Rentensystem, die man angehen muss.