Protocol of the Session on September 1, 2010

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 19. Sitzung des 5. Sächsischen Landtages.

Zunächst darf ich Frau Schüßler zum Geburtstag gratulieren.

(Beifall bei der NPD und vereinzelt bei der CDU)

Folgende Abgeordnete haben sich für die heutige Sitzung entschuldigt: Herr Pohle, Frau Strempel, Herr Nolle, Herr Dr. Schuster und Herr Mann.

Die Tagesordnung liegt Ihnen vor. Folgende Redezeiten hat das Präsidium festgelegt: CDU bis zu 120 Minuten, DIE LINKE bis zu 80 Minuten, SPD bis zu 48 Minuten, FDP bis zu 48 Minuten, GRÜNE bis zu 40 Minuten, NPD bis zu 40 Minuten und Staatsregierung 80 Minuten. Die Redezeiten der Fraktionen und der Staatsregierung können auf die Tagesordnungspunkte je nach Bedarf verteilt werden.

Ich sehe Herrn Kollegen Brangs am Saalmikrofon.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beantragen, Punkt 3 von der Tagesordnung der heutigen Sitzung abzusetzen. Ich möchte das gern begründen.

Am 26. Februar dieses Jahres hatten wir die Einbringung dieses Gesetzentwurfs im Ausschuss. Am 19. März hat eine Anhörung stattgefunden. Dort gab es eine einhellige Ablehnung der Sachverständigen mit Blick darauf, dass die kommunale Selbstverwaltung und die Finanzhoheit der Kommunen berührt seien. Danach, im Juni, hat es auf der Basis eines Änderungsantrags der Koalition eine erneute Behandlung gegeben.

Zu jenem Zeitpunkt war der Juristische Dienst unsicher, ob die Geschäftsordnung des Landtags verletzt sei, weil keine Stellungnahme der kommunalen Spitzenverbände eingeholt worden ist. Wir haben auf der Basis des Antrags der GRÜNEN ein Gutachten beantragt. Daraufhin wurde uns ein Gutachten zugestellt, das im Ergebnis die Aussage hatte, dass die kommunale Selbstverwaltung berührt sei und ein Eingriff in die Finanzhoheit der Kommunen vorliege. Am 16./17. Juni ist daher der Punkt von der Tagesordnung des Plenums abgesetzt worden. Mittlerweile liegen auch Stellungnahmen des Landkreistages und des SSG vor, die diese Einschätzung bestätigen. Demnach gibt es mit Blick auf Artikel 87 verfassungsrechtliche Bedenken.

Im Ausschuss gab es am 20. Juni einen Hinweis darauf, dass der Juristische Dienst nur auf der Basis eines erneuten Gutachtens eine Tiefenprüfung durchführen könne. Die Oppositionsfraktionen haben sich dann im Ausschuss darauf verständigt, ein solches Gutachten durch den Ausschuss in Auftrag geben zu wollen; das ist mit der Mehrheit der Koalition abgelehnt worden. Nunmehr hat

die SPD ein solches Gutachten beantragt, um genau diese strittige Frage klären zu können.

Um der Gefahr zu entgehen, dass wir hier ein verfassungswidriges Gesetz verabschieden, wäre es in unser aller Interesse sinnvoll, diesen Tagesordnungspunkt zu verschieben und das vorzulegende Gutachten als Grundlage der erneuten Beratung hinzuziehen. Ich denke, dass der zeitliche Ablauf das durchaus zulässt. Der jetzige Entwurf des Gesetzes sieht vor, dass eventuelle Baumfällungen ohnehin erst ab Oktober eines jeden Jahres möglich sind. Insofern gäbe es auch keine zeitlichen Probleme.

Mit Blick auf all das, was ich ausgeführt habe, beantragen wir die Absetzung von der Tagesordnung.

(Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den GRÜNEN)

Die SPD-Fraktion beantragt die Absetzung des Tagesordnungspunktes 3. Gibt es dazu Stellungnahmen? – Bitte, Kollege Herbst.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es war zu erwarten, dass die SPD – vermutlich auch die GRÜNEN – nach jedem Strohhalm greifen, um dieses Gesetz zu blockieren. Ich darf daran erinnern, dass wir im letzten Plenum darüber gesprochen haben, auch über die Berücksichtigung von Stellungnahmen. Um ein sauberes Verfahren zu gewährleisten, haben wir damals bewusst entschieden, noch einmal eine Runde in den Ausschuss zu gehen, damit die Argumente abgewogen werden können. Wir haben alle vorliegenden Stellungnahmen geprüft und bewertet. Dann haben wir einen Änderungsantrag gestellt, auf den sich die SPD jetzt auch bezieht. Dieser Änderungsantrag liegt seit dem 2. Juni allen Fraktionen im Hause vor. Seit dieser Zeit ist nichts passiert. Jetzt entdeckt man, dass man Bedenken hat und ganz plötzlich noch ein Gutachten braucht. Was Sie hier machen, ist sehr durchschaubar.

(Stefan Brangs, SPD: Das ist falsch!)

Es ist Ihr gutes Recht, dass Sie inhaltlich gegen diesen Gesetzentwurf sind. Aber es ist nicht Ihr Recht, nach allen Mitteln zu greifen, um die demokratische Mehrheits- und Willensbildung hier im Haus zu unterlaufen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Deshalb sind wir der Auffassung, dass wir nach eingehender Prüfung des Gesetzentwurfs und nach der Behandlung im Ausschuss, wo alle Stellungnahmen berücksichtigt wurden, in der Lage sind, die 2. Lesung durchzuführen und den Gesetzentwurf am heutigen Tag zu verabschieden.

Im Übrigen darf ich daran erinnern, dass die von Ihnen aufgeworfene Frage der Verfassungswidrigkeit keine ist, die wir hier im Plenum abschließend diskutieren.

(Lachen bei der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Diskutieren können wir schon, aber wir entscheiden nicht darüber, weil es in Sachsen verschiedene Ebenen gibt, die über verschiedene Dinge entscheiden. Wir hier im Plenum verabschieden Gesetze.

(Zurufe von der SPD)

Ob etwas verfassungswidrig ist, liebe SPD, entscheidet in diesem Land immer noch der Verfassungsgerichtshof, und das ist gut so.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Wir haben eine Rede dafür und eine dagegen gehört. Mir liegen aber weitere Wortmeldungen vor. Ich schlage vor, dass wir auch den anderen Fraktionen, so sie sich zu dieser Tagesordnungsfrage zu Wort melden, das Wort erteilen. Nachdem alle zu Wort gekommen sind, stimmen wir über die Absetzung von Tagesordnungspunkt 3 ab.

Zunächst hat Herr Kollege Dr. Gerstenberg das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte ganz deutlich die Behauptung zurückweisen, dass wir hier nach einem Strohhalm greifen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD)

Dieser Sächsische Landtag hat die Gesetzgebung in seiner Hand; der Präsident hat die Ausfertigung in seiner Hand. Wir sind selbstverständlich verpflichtet, bei der Gesetzgebung alle Bedenken, die geäußert werden, gerade solcher verfassungsrechtlicher Art, abzuwägen und ihnen Rechnung zu tragen.

Dass es zu dieser Debatte noch einmal kommt, ist der weisen Entscheidung des Landtages in seiner letzten Sitzung zu verdanken, als nach Vorlage eines Gutachtens

(Christian Piwarz, CDU: Einen Tag vorher!)

festgestellt werden musste, dass es notwendig ist, den kommunalen Spitzenverbänden noch einmal die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme zum veränderten Gesetzentwurf zu geben. Diese schriftliche Stellungnahme – im Falle des Sächsischen Städte- und Gemeindetages – lag am 29. Juli dieses Jahres vor. So viel zu den Abläufen. Der Ausschuss für Umwelt und Landwirtschaft hat sich in seiner Sitzung am 20. August damit beschäftigt. Der Sächsische Städte- und Gemeindetag hat in seiner Stellungnahme klare Kritik am Gesetzentwurf in fachlicher Hinsicht geäußert, aber insbesondere die Frage aufgeworfen, ob die Art und Weise, wie gebührenfreie Genehmigungsverfahren eingeführt werden sollen, ohne den Kommunen die Möglichkeit zu geben, einen Ausgleich dafür in Form von Gebühren zu fordern, ein Verstoß gegen Artikel 87 Abs. 1 der Verfassung sein könnte.

In der Ausschusssitzung ist auch vom Juristischen Dienst gesagt worden, dass dies nachvollziehbar ist. Aus dieser Sicht ist es völlig naheliegend gewesen, dass die SPDFraktion und parallel die GRÜNEN-Fraktion ein Gutachten des Juristischen Dienstes angefordert haben, um die Frage zu beantworten, ob mit dieser Regelung des gebührenfreien Genehmigungsverfahrens ohne Finanzausgleich durch den Freistaat ein Verstoß gegen Artikel 87 Abs. 1 der Verfassung vorliegt. Das ist unsere Pflicht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich sage es einmal in Richtung der CDU-Fraktion, da die FDP-Fraktion hier in der Sache etwas hartleibig zu sein scheint: Wir haben die Verpflichtung, dieses Gesetz so zu verabschieden, dass die Gefahr, dass es verfassungswidrig ist, zumindest gering ist oder ausgeschlossen werden kann.

Mit einem weiteren Gutachten haben wir einen Qualitätszuwachs. Ich bitte Sie sehr – wir sind gerade vom Bundespräsidenten Wulff hier als Herzstück des Föderalismus gelobt worden –: Dieses Herzstück Sächsischer Landtag sollte sich jetzt nicht ein Bubenstück leisten und ein möglicherweise verfassungswidriges Gesetz verabschieden. Lassen Sie es uns heute absetzen. Wir haben noch eine Septembersitzung.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD)

Kollege Bartl für die Fraktion DIE LINKE.

Vielen Dank, Herr Präsident. – Die Fraktion DIE LINKE unterstützt gleichermaßen diesen Antrag auf Absetzung dieses Tagesordnungspunktes.

Herr Kollege, der Strohhalm, nach dem wir greifen, ist einfach die Verfassung. Da gibt es einen Artikel 3. Der Artikel 3 sagt in Abs. 2, die Gesetzgebung steht dem Landtag, unmittelbar dem Volk zu. Dann wird gesagt in Abs. 3, die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden. Das heißt, der Landtag ist an die Verfassung gebunden, wenn er Gesetzgebung macht, und nicht, wenn er in Leipzig geklagt hat.

Dass so ein Verständnis in diesem Haus überhaupt geäußert werden kann, dass der Landtag nur vor sich hin entscheidet und

(Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

dann in Leipzig geprüft wird, wer da irrt oder nicht, ist fernab von Artikel 3 Abs. 2 und so etwas von abstrus, dass es eigentlich einer regierungstragenden Fraktion unwürdig ist.

(Beifall bei der Linksfraktion, der SPD und den GRÜNEN)

Es ist ganz eindeutig, dass der konsultierte Städte- und Gemeindetag gesagt hat: Ihr verletzt unser Recht aus Artikel 87. Der Freistaat hat ja Kohle ohne Ende. Wir

Herr Piwarz, Sie haben nicht richtig dargestellt, dass dem Ausschuss noch andere Stellungnahmen vorlagen. Es gab Stellungnahmen, über die wir erst in der Ausschusssitzung erfahren haben, nämlich vom Innenministerium, vom Justizministerium und vom Umweltministerium. Diese lagen dem Ausschuss nicht vor, sondern nur den Koalitionsfraktionen. Noch nicht einmal der Juristische Dienst kannte diese Stellungnahmen.

haben definitiv enorme Kosten bei einer Verfassungsklage,

(Torsten Herbst, FDP: Geht doch nach Leipzig!)

dass bei Aufgabenzuweisung auch die Finanzierungspflicht gewährleistet werden muss. Wir haben inzwischen die Tatsache, dass eine der größten kommunalen Körperschaften, der Stadtrat von Chemnitz, ein Gutachten zur Verfassungsbeschwerde in Auftrag gibt, weil eben nicht mehr diese finanzielle Einstandspflicht gewährleistet wird. Darüber kann doch der Landtag nicht hinweggehen.

Warum beziehen wir denn die Spitzenverbände ein? Warum hören wir sie, wenn wir die verfassungsrechtlichen Einwände mit der Maßgabe übergehen, das erst einmal in Leipzig zu klären? Das ist für uns undenkbar. Deshalb bitten wir um Vernunft und bitten, wie hier beantragt, das Gutachten einzuholen.