Protocol of the Session on June 16, 2010

Frau Herrmann, bitte.

Danke, Herr Präsident! Ich möchte das Instrument der Kurzintervention nutzen.

Bis zu diesem Zeitpunkt war ich mir noch nicht ganz sicher, ob ich dem Entschließungsantrag der Linken zustimmen könnte und ob wir das unserer Fraktion empfehlen würden. Nach dem Redebeitrag von Frau Franke bin ich mir sicher: Wir werden ihm nicht zustimmen.

Ich halte es für nicht verantwortlich, dass grundsätzlich – zumindest hat das Frau Franke an dieser Stelle hier gemacht – schwarz gemalt

(Beifall des Abg. Thomas Colditz, CDU)

und zum Beispiel gesagt wird, es ist überhaupt nicht die Schuld des Einzelnen, in diese Situation der Arbeitslosigkeit gekommen zu sein. Es gehören immer persönliche Verantwortung und Motivation sowie gesellschaftliche Rahmenbedingungen dazu.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich finde es auch nicht in Ordnung, dass Frau Franke einem Kollegen, der sich draußen den Demonstranten stellt, ihnen Rede und Antwort steht, vorwirft, er würde hier nicht mehr zur Verfügung stehen. Es war eine Bitte, dass wir uns draußen mit den Demonstranten unterhalten. Herr Krauß ist dem nachgekommen. Ich finde es nicht in Ordnung, dass Sie ihn hier öffentlich tadeln.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Noch ein dritter Punkt: Ich möchte mich auch nicht von Ihnen mit der Bibel in Geiselhaft nehmen lassen.

(Beifall bei der CDU)

Danke.

Es würde jetzt die Möglichkeit bestehen, dass Frau Dr. Franke auf die Kurzintervention antwortet. – Davon möchte nicht Gebrauch gemacht werden.

Ich frage die CDU-Fraktion: Gibt es noch Redebedarf? – Den kann ich nicht erkennen. SPD? – Auch nicht. Die GRÜNEN aber; Herr Jennerjahn, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir sind uns darüber einig, dass die arbeitsmarktpolitischen Reformen, die unter der rot-grünen Bundesregierung verabschiedet wurden, die umfangreichsten Veränderungen in der Arbeitsmarkt- und Sozialgesetzgebung in der Bundesrepublik in den letzten Jahrzehnten dargestellt haben.

Ich glaube auch, dass wir alle nicht verwundert sein werden, dass bei Änderungen in dieser Größenordnung neben den gewünschten Effekten immer auch unerwünschte Nebeneffekte auftreten. Diese Nebeneffekte sind im Vorfeld schwer abschätzbar. Wichtig ist aus meiner Sicht an der Stelle, dass diese Effekte fortlaufend kontrolliert werden, um mögliche Fehlstellungen erkennen und korrigieren zu können.

Ich habe diesen kleinen Exkurs in die Systemtheorie vor allem für die Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion gemacht. Denn mein Eindruck der letzten Tage ist, dass das Weltbild der Linken an manchen Stellen auf anderen Prämissen aufbaut. Bestes Beispiel dafür war die jüngste Pressemitteilung der Kollegen Hahn und Pellmann, die auszumachen glaubten, bei den GRÜNEN gebe es Absetzbewegungen von Hartz IV. Dazu sage ich: Zu diesem Schluss kann man nur gelangen, wenn man davon ausgeht, dass es in dieser Welt nur einfache Antworten auf komplexe Fragen gibt, dass sich die Welt schlichtweg in schwarz und weiß einteilen lässt.

(Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion: Dann wollen wir euch mal loben!)

Mein Wunsch wäre, Herr Pellmann, dass Sie, statt mantraartig die abgedroschene „Hartz-IV-ist-Mist“-Keule zu schwingen, sich daran beteiligen würden, Fehlentwicklungen von Hartz IV nicht nur zu benennen, sondern zu erkennen, dass es um die Überwindung und Beseitigung dieser Fehlstellungen geht. Meine Kollegin Elke Herrmann hat schon einiges zu dem Thema gesagt. Ich nenne es noch einmal explizit.

Wir haben mit dem Modell der grünen Grundsicherung auf diese unerwünschten Nebeneffekte reagiert. Wir haben Eckpfeiler zur Fortentwicklung von Hartz IV

vorgelegt. Dazu gehören eine armutsfeste Existenzsicherung, eine Politik des Förderns, der Motivation und der Anerkennung. Das sind Punkte, denen – denke ich – auch DIE LINKE folgen können sollte.

(Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion: Natürlich!)

Aber wenn wir uns noch einmal einigen konkreten arbeitsmarktpolitischen Aspekten der Großen Anfrage zuwenden, dann stimme ich Ihnen sogar zu, Herr Kollege Pellmann. Es ist bedenklich, dass bei einer ganzen Reihe von Fragestellungen keine Daten vorliegen.

Wie viele Menschen, die 2009 aus dem Leistungsbezug ausschieden, fanden eine existenzsichernde Arbeit? – Keine Antwort.

Wie viele Menschen konnten 2009 aus sogenannten EinEuro-Jobs in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden? – Ebenfalls keine Antwort.

Wie viele Bezieher von Arbeitslosengeld II konnten nach einer Bildungsmaßnahme in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden? Auch hier das gleiche Bild: keine Antwort.

Ich möchte noch auf einen weiteren Aspekt eingehen. Ein Offenbarungseid der Konzeptlosigkeit ist die Antwort auf die Fragen nach der Bedeutung des zweiten Arbeitsmarktes. Ich zitiere dazu aus der Antwort auf die Große Anfrage bzw.: „Nach Auffassung der Staatsregierung ist die beste Arbeitsmarktpolitik eine gute Wirtschafts- und Standortpolitik. Dadurch entstehen wettbewerbsfähige Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt. Diese müssen Priorität haben. Insofern ist der zweite Arbeitsmarkt kritisch zu bewerten.“

Sehr geehrter Herr Staatsminister Morlok, diese Antwort trägt deutlich Ihre Handschrift. Ich sage aber auch, dass Sie damit den Menschen Sand in die Augen streuen. Sie tun an der Stelle so, als hätten Sie es in der Hand, Arbeitsplätze auf dem ersten Arbeitsmarkt in der gebrauchten Größenordnung aus dem Hut zu zaubern, was den zweiten Arbeitsmarkt quasi überflüssig machen würde. Ich denke, dass es offensichtlich ist, dass dieses Vorgehen nicht ohne Weiteres funktionieren wird.

Aber was ist dann die Antwort auf den Umstand, dass wir hierzulande in absehbarer Zeit nicht zur Vollbeschäftigung kommen werden und den zweiten Arbeitsmarkt dringend als Ergänzung brauchen? An der Stelle kann ich nur sagen: Ich hoffe nicht, dass sich die Antwort auf den zynischen Volkssport führender FDP-Politiker beschränkt, Menschen ohne Arbeit als chronisch faul und Arbeitsverweigerer zu diffamieren. Wenn die Staatsregierung tatsächlich etwas für den sächsischen Arbeitsmarkt tun will, dann muss sie endlich damit beginnen, unsere Investitionen stärker und vor allem wirkungsvoller auf die Bereiche Bildung und Forschung auszurichten, damit wir uns auch künftig im Wettbewerb behaupten können.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich frage zum Schluss der zweiten Runde: Gibt es noch Redebedarf bei der NPD-Fraktion? – Den kann ich nicht erkennen. Die Staatsregierung? – Ja, Frau Staatsministerin Clauß, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Die Staatsregierung hat die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE ausführlich beantwortet. Ihnen steht damit ein umfangreiches und auch vielfältiges Datenmaterial zur Verfügung. Ja, das Thema Ihrer Anfrage ist ein sensibles, denn es berührt die Betroffenen und ihr Umfeld ganz unmittelbar.

Aber gerade deswegen sollten wir uns darauf verständigen, eine sachliche Debatte anzustreben und sie dann auch sachlich zu führen. Sie sprechen leider weiterhin von armen Kindern, von Menschen, die nicht das Lebensnotwendige haben, von Menschen, die wir ausgrenzen. Ich betone nochmals, das ist unsachlich und auch unrichtig. Von der gewährten Hilfe des Staates lassen sich keine großen Sprünge machen, das wird auch keiner bestreiten. Aus persönlichen Gesprächen weiß ich das auch. Aber das ist auch nicht das Ziel der Leistungen. Es soll in einem hoffentlich vorübergehenden Zeitraum Unterstützung gewährt werden – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Eine unsachliche Debatte verunsichert aber auch diejenigen, die dafür sorgen, dass wir unser Solidarprinzip weiter aufrechterhalten können: die Steuerzahler. Bei Ihren Forderungen nach einem höheren Arbeitslosengeld II übersehen Sie genau das. Die Solidarleistungen werden von denen finanziert, die einer Arbeit nachgehen können und Steuern zahlen. Es geht dabei nicht um gegenseitiges Ausspielen, sondern um die Balance zwischen Leistungsempfängern und Leistungsgebern. Ich betone nochmals die Balance in beide Richtungen. Bei den Leistungen nach SGB II handelt es sich um eine möglichst vorübergehende Fürsorgeleistung. Wir wollen, dass alle ein Leben in Würde führen können – derjenige, der Hilfe in Anspruch nimmt, weil er momentan keine Arbeit hat, aber auch der, der durch seine Arbeit diese Hilfe erst möglich macht.

Für mich ist es selbstverständlich, dass derjenige, der mit dem Geld der Steuerzahler in einer Notsituation unterstützt wird, mithelfen sollte, seine eigene Situation zu verbessern. Ich weiß auch, dass viele Arbeitslosengeld-IIEmpfänger selbst das größte Interesse daran haben, wieder auf eigenen Beinen stehen zu können. Diese Bezieher von Arbeitslosengeld II wirken bei dem Versuch, wieder Arbeit zu bekommen, aktiv mit. Deshalb geht Ihre Forderung, Verstöße gegen Melde- und Mitwirkungspflichten nicht mehr zu ahnden, zulasten derer, die helfen. Auch das weiß ich aus persönlichen Gesprächen, und das darf nicht sein.

Für die Staatsregierung bleibt es dabei: Sozial ist, was Arbeit schafft. Anreize zu schaffen, Arbeit wieder aufzunehmen, gehört dazu. Denn nur so kann einer steigenden

Anzahl von Empfängerinnen und Empfängern von Arbeitslosengeld II wirksam entgegengewirkt werden.

Was den Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und Gesundheit anbelangt, haben wir gerade am 25. Mai gemeinsam mit der Liga und Frau Cordt, der Vorsitzenden der Landesdirektion Sachsen, die Ausstellung „SELBST.WERT.SEIN“ eröffnet. Ich werde Ihnen gern nachreichen, wo sich die Ausstellung zurzeit befindet, damit Sie sich diese ansehen können. Unser Ziel der Gesundheitsförderung von Arbeitslosen unterstreicht dies.

Lassen Sie mich abschließend ein Wort zur Neuorganisation im Bereich SGB II sagen. Ich bin guter Hoffnung, dass nach langen Beratungen, an denen mein Haus intensiv beteiligt war, eine Lösung für die Neuorganisation der Grundsicherungsträger gefunden wird. Letzte Abstimmungen laufen noch. Aber das Ziel ist allen klar. Für die Betroffenen gibt es die Leistungen weiterhin aus einer Hand, entweder von einem Jobcenter oder von einer optierenden Kommune. Allen Beteiligten auf dem Weg zu dieser Lösung danke ich nochmals ausdrücklich.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Dr. Pellmann, bitte.

Herr Präsident! Ich möchte gern von der Möglichkeit einer zweiten Kurzintervention Gebrauch machen.

Bitte.

Frau Staatsministerin, das hat mich doch jetzt etwas enttäuscht. Sie sprachen davon, dass wir eine unsachliche Debatte führen würden. Ich muss Ihnen sagen: Das ist nicht so.

Wenn Sie für sich in Anspruch nehmen, dass Sie mit Betroffenen im Gespräch sind, dann sage ich Ihnen, dass ich das für mich auch in Anspruch nehme. Das nimmt insbesondere und auch zu Recht Frau Dr. Franke für sich in Anspruch, und zwar seit vielen Jahren. Das will ich hier ausdrücklich und deutlich sagen.

Im Übrigen ist es doch überhaupt kein Geheimnis, dass wir bei der Beurteilung von Hartz IV unterschiedlicher Meinung sind. Das wird auch so bleiben, solange es Hartz IV gibt. Aber daraus, dass wir anderer Meinung sind, ergibt sich noch lange nicht die Berechtigung des Vorwurfs, dass das, was wir sagen, unsachlich wäre.

Frau Staatsministerin, möchten Sie auf die Kurzintervention

antworten? – Das ist nicht der Fall. Gibt es weitere Wortmeldungen? – Das kann ich auch nicht erkennen.