Protocol of the Session on May 20, 2010

Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde. Gibt es weiteren Rede

bedarf für eine zweite Runde? – Die Fraktion DIE LINKE; Herr Abg. Bartl, bitte. Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kollege Prof. Schneider, es ist eben das Schicksal von Abgeordneten, dass sie ab und an über Themen sprechen müssen, für die sie keine Spezialisten sind – Sie über Hochschulpolitik und ich jetzt über die Sozialgerichtsbarkeit. So ist das Leben!

(Heiterkeit im Saal – Christian Piwarz, CDU: Von Ihnen wissen wir das nicht!)

Dann kann ich Ihnen über manche Felder ein Privatissimo geben; da werden Sie nur so staunen.

(Christian Piwarz, CDU: Zeigen Sie erst einmal, was Sie können!)

Das haben Sie vorhin getan als Sozialrichter. Es ist nur die Sicht eines wohl situierten Abgeordneten und Professors, die Sie hier unterbreiten.

(Prof. Dr. Günther Schneider, CDU: Das ist ein Neidargument!)

Selbstverständlich, das ist eine Frage der Interessenvertretung. Das gebe ich gern zu. Wir vertreten natürlich eine andere Klientel in der Frage als Sie. Das ist Punkt 1.

(Christian Piwarz, CDU: Wer sind denn Ihre Mandanten?)

Punkt 2. Kollege Biesok, bitte einfach lesen! Der Punkt 1, den wir erbeten haben, lautet: Die Staatsregierung wird ersucht, dem Landtag über Inhalt und Ergebnisse „ihrer Mitarbeit in der Länderarbeitsgruppe“ Bericht zu erstatten.

Das steht nirgendwo im Netz der Länderarbeitsgruppe. Wir wollen wissen: Was tut die Staatsregierung und die Staatsministerin, die vorhin den Saal während der Debatte verlassen hat, auf diesem Gebiet? Welche Position hat die Staatsregierung? Wie setzt sie sich auseinander mit den Positionen des VdK, des DGB und dergleichen mehr?

Herr Prof. Schneider, alle, die sich den dort Betroffenen näher zuwenden, haben dazu eine andere Auffassung als Sie. Sie wissen wirklich sehr genau, dass die Frage der Erfolgsquote in den Sozialgerichtsfällen vor allem darauf zurückzuführen ist, dass die permanente Änderung des materiellen Rechts im Verwaltungsrechtsbereich zu einer außerordentlich hohen Fehlerquote geführt hat.

Ich sage nicht, dass die Mitarbeiter im Verwaltungsbereich daran schuld sind. Nein, sie werden permanent mit anderen rechtlichen Normen materiellrechtlicher Art konfrontiert. Daraus resultiert eine erhebliche Fehlerquote. Aus dieser Fehlerquote resultiert wiederum die Vielzahl der Klagen. Aus der Vielzahl der Klagen resultiert die Arbeitsbelastung. Von dieser Arbeitsbelastung kommt man nicht weg, indem man kurzerhand sagt, man baut kostenseitige Barrieren ein, sondern man muss im Prinzip die Qualität, die Arbeit des Gesetzgebers und, bitte schön, der Verwaltung verändern.

Das ist letztendlich die Erkenntnis aller, die im Sozialgerichtsbereich sachlich an die Fragen herangehen. Wenn Sie die Frage stellen, warum nicht im Sozialrecht wie bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit, beim Zivilrecht oder wo auch immer von vornherein ein Gerichtskostenvorschuss, dann frage ich: Warum hat denn die Bundesrepublik Deutschland das in 60 Jahren so gemacht?

Wie gesagt, wenn Sie die Frage stellen, warum es nicht wie bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit oder beim Zivilrecht oder wo auch immer von vornherein einen Gerichtskostenvorschuss gibt – warum hat es denn die Bundesrepublik Deutschland in 60 Jahren so gemacht? Wenn Sie so viel Verständnis haben, warum hat denn die Bundesrepublik Deutschland in 60 Jahren grundsätzlich Gebührenfreiheit im Sozialrecht, in der Sozialgerichtsbarkeit und im Sozialgesetz vorgesehen? Eben weil es ein originärer Bereich ist, eben weil in der Masse dort Menschen betroffen sind, denen es tatsächlich schwerfällt, Zugang zu effektivem Rechtsschutz zu erlangen, wenigstens die Barrieren der Gerichtskostenvorauszahlung und der Gerichtskostenpauschale zu überwinden, die ja nicht einmal PKH-fähig ist. Die Pauschale, die jetzt die Arbeitsgruppe vorsieht, wäre ja nicht einmal PKH-fähig, Herr Professor. Das wissen Sie doch!

Das heißt also, ich muss einem Menschen, der Hartz-IVEmpfänger ist, unter Umständen tatsächlich dann zumuten, dass er so zumindest auf der Pauschale hängen bleibt. Das hält natürlich davon ab, entsprechende Rechtsschritte einzuleiten.

(Prof. Dr. Günther Schneider, CDU: Es wird nicht besser, Herr Bartl!)

Nächster Punkt. Dass die Zulassungsberufung und eine Berufung keinen Unterschied machen, wird niemand ernsthaft behaupten, der als Jurist unterwegs ist. Dass es gerade in diesem sozialrechtlichen Bereich bei dieser hohen Trefferquote erfolgreicher Rechtsmittel noch die Möglichkeit einer zweiten Tatsacheninstanz haben muss und ich zuerst nach längeren Prüfungen noch streite, das ist ja auch vom Gesetzgeber immer so als Notwendigkeit gesehen worden und hat letzten Endes auch seine spezielle Rechtfertigung in Besonderheiten des Sozialgerichtsprozesses. Diese Frage ist letzten Endes auch in vielerlei Hinsicht in den entsprechenden Auseinandersetzungen erörtert worden. Es gab schon wiederholt Versuche, das, was jetzt mit diesen neuen Schritten vorgesehen wird, zu installieren, und diese sind regelmäßig mit den Argumenten, die jetzt hier vorgetragen worden sind, von Frau Kollegin Jähnigen und von Kollegen Brangs, tatsächlich immer zurückgewiesen worden. Jetzt wird es aber zum vierten oder fünften Mal aufgelegt. Das mag alles sein.

Ich sage noch einmal, dass wir der festen Überzeugung sind, dass die Prozessflut, dass die hohe Belastungsquote nicht auf eine Mutwilligkeit der Klageführung zurückzuführen ist. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass die Einführung von Gerichtskostenpauschalen oder Prozesskostenvorschuss nicht sinngebend gegensteuert.

Mein Problem bei der Sache ist: Wenn Sie eine konkrete belastbare Studie anführen können, die belegt, dass tatsächlich die Frage der Gerichtskostenvorauszahlung zur Prozessbremse führt oder die fehlende Vorauszahlung zur Prozessflut, darüber können wir reden. Aber alle Praktiker sagen, dass das nicht der Grund für die Vielzahl der Verfahren ist. Deshalb meinen wir, wenn man bei Gelegenheit der Arbeitsbelastung jetzt hier noch einmal eine weitere Einnahmequelle schafft, dann ist das dem Fachgebiet nicht angemessen.

Danke schön.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Vielen Dank, Herr Bartl. – Gibt es weitere Wortmeldungen, meine Damen und Herren? – Das kann ich nicht feststellen. Ich frage die Staatsregierung. – Herr Staatsminister Dr. Martens, bitte. Herr Staatsminister, Sie haben das Wort und sicher auch die Aufmerksamkeit.

Ich werde jetzt mit meinem Beitrag vermutlich nicht zur allgemeinen Erheiterung beitragen können.

(Prof. Dr. Günther Schneider, CDU: Das wird sich zeigen!)

Es sei mir zu Beginn, sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, gestattet zu bemerken, dass die letzten Ausführungen des Herrn Kollegen Bartl doch bemerkenswert sind, wenn er zur Frage der hohen Anzahl von Sozialgerichtsverfahren zum einen Stellung nimmt und zum anderen die Frage aufwirft, inwieweit das materielle Recht auch ursächlich ist für solche Verfahrenszahlen. Das ist sicherlich eine Einsicht, die bisher in diesem Haus und in der Vergangenheit in der Klarheit auch vonseiten der antragstellenden Fraktion so nicht geäußert worden ist.

Zu dem Antrag zurück. Keine Eingriffe in das Sozialprozessrecht – das ist eine relativ plakative Überschrift. Mit diesem Antrag möchten die Antragsteller die Staatsregierung zum einen ersuchen, über ihre Vorhaben zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes zu berichten. Des Weiteren soll die Staatsregierung aufgefordert werden, jegliche Gesetzgebungsmaßnahmen abzulehnen, die den Zugang von versicherten Leistungsempfängern und behinderten Menschen zum gerichtlichen Rechtsschutz erschweren.

Meine Damen und Herren! Der erste Teil des Antrages nimmt Bezug auf einen Beschluss der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister der Länder vom 20.11.2008. Durch diesen wurde eine Länderarbeitsgruppe eingesetzt, die Vorschläge zu „Maßnahmen zur Verminderung der Belastung und zur Effizienzsteigerung der Sozialgerichte“ entwickeln sollte. Das Sächsische Staatsministerium der Justiz und für Europa war in dieser Arbeitsgruppe vertreten. Die Fraktion DIE LINKE wünscht nun einen Bericht über Inhalt und Ergebnis dieser Mitarbeit und über den Inhalt der Empfehlungen.

Meine Damen und Herren! Erstens zu dem Bericht, den ich geben kann. Die an der Arbeitsgruppe beteiligten Länder einschließlich Sachsen haben die Sozialgerichte dazu befragt, welche Gesetzesänderung aus Sicht der Praxis zu einer Vereinfachung und zu einer Beschleunigung der sozialgerichtlichen Verfahren beitragen könnte. Die Länder, also auch Sachsen, haben dann auf der Grundlage der von den Gerichten unterbreiteten Vorschläge ein Empfehlungspapier erstellt. Bei diesem Empfehlungspapier lag auf der Hand, meine Damen und Herren, dass mit einer Änderung der Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes selbstverständlich keine unzumutbare Einschränkung oder Erschwernis der Rechtsschutzmöglichkeiten des Bürgers einhergehen darf – um dies in aller Klarheit zu formulieren. Wenn hier in der Debatte etwas anderes behauptet wurde, dann entspricht dies nicht den Tatsachen.

(Beifall bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Herr Wehner hat in seiner Einführung in der Antragsbegründung auf verschiedene Verfahren verwiesen: von Kranken, Behinderten, von den „klassischen“ Sozialgerichtsverfahren, bei denen es um die Leistungsgewährung im Bereich Rentenrecht oder Krankenkassenrecht geht. Insofern ist der dargestellte Befund von Kollegen Wehner allerdings nicht vollständig; denn inzwischen sind über 50 % der sozialgerichtlichen Verfahren Verfahren, die sich mit Ansprüchen im Bereich der Grundsicherung des SGB II beschäftigen und von daher zu einem ganz erheblichen Aufwuchs von Verfahren und zu einer Verlängerung der Verfahrensdauer führen, was übrigens auch diejenigen trifft, die den von Herrn Wehner dargestellten und geschilderten Beteiligtengruppen angehören. Das heißt, dass diese Grundsicherungsverfahren auch zu Verfahrensverzögerungen in anderen Bereichen führen – ein Zustand, den sicherlich in diesem Haus niemand begrüßt.

Zu dem Empfehlungspapier selbst sind hier einige Punkte zitiert worden, wenn auch verkürzt. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass das Empfehlungspapier nicht der Darstellung der Staatsregierung bedarf, sondern es ist frei abrufbar auf der Internetseite der Senatsverwaltung des Landes Berlin, dort bei der Senatorin für Justiz. Sie hatte den Vorsitz in der Länderarbeitsgruppe inne.

Zum Zweiten steht gegenwärtig noch nicht fest, welche der Vorschläge von Bund und Ländern aufgegriffen werden.

Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Sie haben vorhin zu Recht den hohen Anteil der Grundsicherungsverfahren bei sächsischen Gerichten aufgeführt. Können Sie etwas zu den Obsiegensquoten für die potenziellen Leistungsempfänger, also für die Kläger, sagen? Daraus lässt sich ja schließen, ob – –

Die Verfahrensobsiegensquoten sind im ersten Jahr recht beachtlich gewesen. Sie gehen inzwischen deutlich zurück. Ich kann das morgen im Rahmen der Veröffentlichung der Justizstatistik im Einzelnen noch einmal ausführen. Gleichwohl ist die Quote bei Tatsachenfragen in der zweiten Instanz übrigens höher. Das sei hier eingeräumt.

Aber gegenwärtig steht nicht fest, welche der Vorschläge von Bund und Ländern aufgegriffen werden, um tatsächlich in ein Gesetzgebungsverfahren eingebracht zu werden. Nachdem die Empfehlungen im November 2009 sowohl der Konferenz der Justizminister als auch der Arbeits- und Sozialministerkonferenz vorgestellt wurden, haben diese Konferenzen die im Antrag bereits erwähnte gemeinsame Kommission auf Ebene der Staatssekretäre eingerichtet.

Jetzt wird es Aufgabe dieser gemeinsamen Kommission sein, auf der Grundlage des Empfehlungspapiers Vorschläge zur Verminderung der Belastung der Sozialgerichte, insbesondere dabei auch zur Änderung des Sozialprozessrechtes und zur Effizienzsteigerung in der Verwaltung, zu erarbeiten.

Diese Vorschläge sollen nach Abstimmung mit den beteiligten Konferenzen dem Bundesgesetzgeber übermittelt werden, und – auch das sei gesagt – hier sind A- und B-Länder vertreten, um gleich dem Vorwand einer parteipolitisch motivierten Beschlussempfehlung vorzubeugen.

Herr Staatsminister, Sie gestatten noch eine Zwischenfrage? – Frau Jähnigen, bitte.

Mich würde noch interessieren, ob Sie die Einschätzung selbst aus sächsischer Sicht teilen, dass im Wesentlichen die materiellrechtlichen Unsicherheiten bei den Grundsicherungsverfahren ein Problem sind und ob in Sachsen geprüft worden ist, ob das auch auf Landesebene abgestellt werden kann – und, wenn ja, wie.

Die Justizministerkonferenz hat einen Auftrag erteilt, der insgesamt Maßnahmen vorschlagen soll, wie wir zu einer Effizienzsteigerung, zur Kürzung der Verfahrensdauer und zu geringeren Belastungen der Sozialgerichte kommen.

Eine gesonderte sächsische Evaluierung hat es in dieser Frage noch nicht gegeben; aber richtig ist, wenn die Vorschläge vorliegen, werden wir uns noch einmal anschauen, ob wir sie für zielführend erachten. Richtig ist auch, dass wir von hier aus den Fragen des materiellen Sozialrechts eine besondere Bedeutung beimessen, meine Damen und Herren.

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Jetzt möchte ich doch in meinem Redebeitrag fortfahren.

Der zweite Teil des Antrages ist darauf gerichtet, die Staatsregierung zu ersuchen, in der weiteren Tätigkeit der gemeinsamen Kommission sowie gegebenenfalls im Bundesrat und gegenüber der Bundesregierung gegen die im Antrag genannten Änderungen des Sozialgerichtsgesetzes zu votieren, insbesondere gegen die Einführung einer Gerichtskostenpauschale, gegen die Einführung einer Zulassungsberufung und die Aufhebung des Rechts des Versicherten auf Begutachtung durch einen von ihm zu benennenden Arzt; das sogenannte 109er-Gutachten nach SGG.

Sofern die Tätigkeit der gemeinsamen Kommission angesprochen wird, geht das Ersuchen im Antrag der Linken ins Leere. Die Sächsische Staatsregierung ist weder auf der Seite des Justizressorts noch auf der Seite des Sozialministeriums in der Kommission vertreten.

Auch ist es nicht angezeigt, schon jetzt Festlegungen zu treffen, wie sich der Freistaat in Zukunft möglicherweise im Hinblick auf erst noch zu erstellende Empfehlungen einer Kommission verhalten soll. Zwar sind die im Antrag erwähnten Maßnahmen im Empfehlungspapier der Länderarbeitsgruppe enthalten; nach meiner Kenntnis ist aber die Prüfung und Abstimmung der Vorschläge noch in vollem Gang. Eine Zwischeninformation an die Fachministerkonferenz – in meinem Fall an die Konferenz der Justizminister – liegt noch nicht vor.