Solange aber in der gemeinsamen Kommission die Argumente nicht vollständig ausgetauscht sind und sich die Vertreter der Justiz- wie auch Sozialressorts nicht darauf geeinigt haben, welche Gesetzesänderungen der Bundesregierung vorgeschlagen werden, ist eine Vorfestlegung innerhalb Sachsens weder zielführend noch angebracht. Die Staatsregierung sollte zunächst die Ergebnisse der gemeinsamen Kommission abwarten, diese bewerten und sich dann für oder gegen eine bestimmte Gesetzesänderung aussprechen. Es ist gute Tradition, Vorschläge zunächst inhaltlich zu prüfen, bevor man sich eine Meinung dazu bildet.
Meine Damen und Herren, der Antrag, wie ihn die Linksfraktion hier vorlegt, hilft uns bei den genannten Fragestellungen nicht wirklich weiter, sondern er verlangt von uns eine vorzeitige Festlegung zu Fragen, die so noch gar nicht gestellt sind. Herr Prof. Schneider hat dargelegt, warum viele dieser Punkte, die Sie genannt haben, Probleme nicht wirklich lösen, sondern manches verkürzt darstellen, wie zum Beispiel die Frage der Gebührenfreiheit.
In der Tat kann man darüber streiten, ob eine Pauschalgebühr mutwillige Klagen verhindert oder nicht, ob sie nicht unnötige Härten und Unbilligkeiten erzeugt. Man muss aber gleichzeitig anerkennen – das hat Herr Prof. Schneider auch dargelegt –, in welchem Umfang in der Bundesrepublik Deutschland Rechtsgewährleistung gerade im sozialgerichtlichen Verfahren betrieben wird.
Es gibt nach meiner Kenntnis keine andere Rechtsordnung in Europa oder außerhalb Europas, die in einer solchen Breite und Tiefe, in einer solchen Anzahl von Instanzen und mit einem solchen Aufwand sozialrechtliche Ansprüche gewährleistet – Ansprüche, die im Übrigen auch in ihrem Gesamtvolumen deutlich über dem liegen, was in anderen Ländern maximal zu erhalten ist.
Meine Damen und Herren, das wird in dieser Diskussion offensichtlich – jedenfalls von denjenigen, die wenig von der Sache verstehen – ausgeblendet.
Auch die Frage der Benennung von Gutachtern nach § 109 SGG unterfällt hier nicht systematisch einem Grundsatz der Waffengleichheit. Wer dieses anführt, verkennt – wie Frau Jähnigen es getan hat –, dass das Sozialgerichtsverfahren wirklich bis in extenso vom Amtsermittlungsgrundsatz geprägt ist. Hier ist keine Waffengleichheit notwendig. Wer sie verlangen würde, der würde übrigens den Anspruch stellen, Steine statt Brot zu geben, die Sie jetzt haben.
Meine Damen und Herren, in der Tat – Herr Wehner hat es zum Schluss in der Begründung angesprochen; auch Herr Bartl hat darauf verwiesen – können einfache Normen möglicherweise viel effektiver dazu beitragen, sozialgerichtliche Verfahren zu vermeiden, auch im Bereich der Grundsicherung. Hier möchte ich zum Beispiel die Frage der Angemessenheit des Wohnraumes andeuten: Was ist angemessen? Das hat inzwischen Tausende von Verfahren und eine nicht mehr übersehbare Judikatur provoziert. Hier liegt möglicherweise auch die Quelle des Übels im materiellen Recht.
All diese Fragen zu prüfen, zu gewichten und zu beantworten werden wir in der nächsten Zeit machen, wenn die notwendigen Empfehlungen der Kommission vorliegen. Dann wird sich Sachsen im Bundesrat entsprechend positionieren.
Mit diesem Antrag verlangen Sie jedoch eine Vorfestlegung, die so nicht der Sache angemessen ist und die vor allem die wichtigen Fragen des materiellen Rechts außen vor lässt. Genau aus diesen Gründen bittet die Staatsregierung darum, diesem Antrag nicht zuzustimmen.
Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Meine Damen und Herren, besteht noch Redebedarf in der Aussprache? – Seitens der FDP, Herr Herbst? – Okay. Damit erkläre ich die Aussprache für beendet und wir kommen zum Schlusswort. Das hat die Fraktion DIE LINKE; Herr Abg. Bartl, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Staatsminister, ich habe mich zunächst für die sehr sachliche und – aus Sicht
der Staatsregierung – durchaus nachvollziehbare Darstellung der Position der Staatsregierung zu bedanken. Ich will jetzt nicht über Einzelheiten streiten. Im Strafrecht haben wir nun weiß Gott auch einen Amtsermittlungsgrundsatz, und trotzdem gilt das Prinzip der Waffengleichheit. Dass der Amtsermittlungsgrundsatz den Anspruch auf Waffengleichheit aushebelt, ist nun eine ganze neue Erkenntnis. Aber das ist eine ministerielle Erkenntnis, das ist nicht meine Sphäre.
Herr Staatsminister, ich nehme zur Kenntnis, dass sich die Regierung des Freistaates Sachsen bis dato demzufolge nicht in irgendeiner Form – weder konsultativ noch kommunikativ – an der Tätigkeit der Länderarbeitsgruppe beteiligt hat; dass demzufolge die Staatsregierung dem Landtag momentan nicht mehr berichten kann als das, was Sie heute gesagt haben. So habe ich es verstanden.
Sie sind bisher von der Länderarbeitsgruppe nicht gefragt worden und haben letzten Endes auch nicht an selbiger mitgewirkt; sondern Sie warten darauf, was die Länderarbeitsgruppe bringt. Wenn dem so ist, denke ich, müssten wir den Punkt 1 tatsächlich als erledigt betrachten; mehr können Sie nicht berichten, das begreife ich ja.
Ach, in der Arbeitsgruppe war Sachsen vertreten. Dann bleiben wir bei unserem Punkt 1. Dann will ich genau wissen, welche Position Sachsen in die Arbeitsgruppe eingebracht hat. Wenn Sie uns erklären, dass Sie diese und jene Probleme in Sachsen noch nicht evaluiert haben – auf welcher Grundlage, auf welchen Basiserkenntnissen und welchen gesicherten Vorstellungen wird denn dann vorgetragen? Wie wirken wir denn mit? Das ist doch unser Problem. Wir haben jedenfalls den Zugang zum Standpunkt des DGB, zum Standpunkt des VdK, zu anderen Interessengruppen der hier vor allem betroffenen Menschen; und die sagen, das ist so weder hilfreich noch notwendig, noch verträglich mit dem Sozialstaatsprinzip; denn die Frage der Gerichtskostenfreiheit im Sozialrecht ist ja auch ein Stück weit Sozialstaatsprinzip, wie wir gemeinsam wissen.
Wir wollen mit unserem Antrag den Rechtsstaat nicht denunzieren. Im Gegenteil, wir sagen: Der sehr niederschwellige Zugang zur Sozialgerichtsbarkeit war ein Stück weit Zierde des Rechtsstaates in der Bundesrepublik Deutschland. Wir wollen nicht, dass an diesen niederschwelligen Zugang die Axt gelegt wird. Wenn wir den Sozialstaat und den Rechtsstaat schützen wollen, dann sind wir in einem Boot.
Dass wir anderer Auffassung sind, wenn es darum geht, eine allgemeine Kostenpauschale aufzunehmen, ist durchaus legitim. Das gilt auch für andere Fragen. Wir bitten also darum, über den Antrag abstimmen zu lassen. Herr Minister, nach Ihren Ausführungen hoffen wir darauf, dass Sie uns über Stand und Erkenntnisse der Länderarbeitsgruppe und über die Position der Staatsregierung weiter berichten.
Meine Damen und Herren! Ich stelle nun den Antrag in der Drucksache 5/2325 zur Abstimmung und bitte um die DafürStimmen. – Die Gegenstimmen? – Stimmenthaltungen? – Bei sehr vielen Stimmen dafür hat der Antrag dennoch nicht die erforderliche Mehrheit gefunden. Er ist abgelehnt worden.
Zur Eindämmung des Missbrauchs der Leiharbeit – für eine Bundesratsinitiative für eine Gleichstellung der Leiharbeit
Die Aussprache wird in folgender Reihenfolge vorgenommen: SPD, CDU, DIE LINKE, FDP, GRÜNE, NPD und die Staatsregierung, wenn gewünscht.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass eine gewisse Erwartungshaltung geweckt wird, wenn ich an das Mikrofon schreite. Das ist dem Thema angemessen, auch deshalb, weil es kaum aktueller gehen kann. Der Antrag, den wir auf die heutige Tagesordnung gesetzt haben, ist in den letzten Tagen auch in den Reihen der CDU und der FDP heiß diskutiert worden.
Was las man, wenn man heute Morgen die Zeitung aufgeschlagen hat? Bundesministerin von der Leyen sagt ganz klar: Es muss eine „Lex Schlecker“ geben. Wir müssen endlich etwas dafür tun, dass das Lohndumping beendet wird. Die Begründung dafür liegt auf der Hand: Das, was bei Schlecker passiert ist – Entlassung von Beschäftigten und dafür Einstellung billiger Zeitarbeitskräfte –, kann nicht länger geduldet werden.
Diese Art von Lohndrückerei muss endlich per Gesetz verboten werden. Es darf nicht sein, dass sukzessive die Stammbelegschaft aus den Betrieben herauskatapultiert und durch Zeitarbeiter ersetzt wird.
Klar ist auch, dass Frau von der Leyen in dem Zusammenhang von einem Mindestlohn spricht. Die CDU ist zunehmend sozialdemokratisiert worden; insofern überrascht mich das nicht. Auch die FDP hat anscheinend verstanden, dass sie ihre Blockadehaltung aufgeben muss.
Die öffentliche Meinung in diesem Land spricht eine deutliche Sprache. Wenn Sie sich die Umfrageergebnisse von dieser Woche anschauen, erkennen sie, dass noch nie eine Bundesregierung nach so kurzer Zeit in Amt und Würden ein so schlechtes Umfrageergebnis erzielt hat. Wenn man Rot-Rot-Grün zusammenrechnen möchte, was einige nicht wollen, aber andere gern hätten, beträgt der Abstand zwischen Regierungskoalition und Opposition mittlerweile 16 %. Alle Achtung! Da haben Sie in den vergangenen Monaten eine starke Arbeit hingelegt.
Die Menschen nicht nur in Sachsen, sondern in der gesamten Bundesrepublik sind nicht mehr damit einverstanden, dass ein Wettbewerb auf den Knochen der Beschäftigten erfolgt. Auch dass Sie kurz vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen versucht haben – geschickt, wie ich finde –, durch entsprechende Forderungen noch Wählerstimmen zu bekommen, kann ich gut verstehen.
Die NRW-Wahl ist Geschichte, aber passiert ist nichts. Wir wollen, dass endlich etwas passiert. Das, was bei Schlecker passiert ist – was für die Beschäftigten kein Zuckerschlecken ist –, muss endlich thematisiert werden, auch im Bundesrat. Dort muss endlich gehandelt werden. Genauso ist unser Antrag zu verstehen.
Allen Kolleginnen und Kollegen im Landtag, die sich mit dem Thema genauer auseinandersetzen möchten, empfehle ich dringend die sehr gute, sich an dem Stil von Günter Wallraff orientierende Dokumentation „Arm trotz Arbeit“ von Markus Breitscheidel. In dem Film wird berichtet, wie es jemandem ergangen ist, der über einen langen Zeitraum in Leih- und Zeitarbeitsfirmen gearbeitet hat. Geschildert wird, welch unerträgliche Arbeitsbedingungen dort vorherrschen, welch niedrige Löhne gezahlt werden – teilweise wirkliche Armutslöhne –, wie Ausbeutung stattfindet und mit welchen Mitteln in Unternehmen
Allen, die jetzt denken: „Er hat gut reden; die SPD hat doch dazu beigetragen, dass es eine solche Regelung überhaupt gibt“, sage ich: Selbstkritisch komme ich noch dazu, keine Angst. Aber klar ist: Vor der Krise waren fast 800 000 Menschen deutschlandweit in Zeitarbeitsfirmen beschäftigt. Davon bekam jeder Achte zusätzlich staatliche Leistungen, das heißt, der Staat hat in einer Größenordnung von rund 500 Millionen Euro eine Dauersubventionierung dieser Unternehmen geleistet. Es ist ein Skandal, dass wir mit Steuermitteln Unternehmen subventionieren, damit auf dem Rücken der Beschäftigten Wettbewerb durch Lohndumping ausgetragen werden kann. Das ist der eigentliche Skandal. Es kommt hinzu, dass es eine Reihe von Verstößen gegen das Arbeitsrecht gegeben hat. Urlaub, Kündigungsschutz etc. spielen in solchen Unternehmen oftmals keine Rolle.
Es ist unbestritten, dass das Instrument der Leiharbeit vom Ursprung her sinnvoll ist. Man muss es allerdings so einsetzen, dass man sich am ursprünglichen Gedanken orientiert. Leiharbeit war zunächst nur ein Baustein, um in einer sich verändernden Arbeitswelt genau den Anforderungen gerecht werden zu können, die diese sich verändernde Arbeitswelt mit sich bringt. Leiharbeit war jedoch nie als Instrument für Tarifflucht oder Lohndrückerei gedacht.
Obwohl auch wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten Hoffnung mit der Reform verbunden haben, müssen wir heute feststellen, dass das, was Teil der Überlegungen war, nicht eingetreten ist. Wir wollten den Übergang ursprünglich arbeitsloser Menschen in reguläre Beschäftigung organisieren, indem wir eine befristete Beschäftigung in Zeitarbeitsfirmen ermöglicht haben. Der erhoffte Sprung in die reguläre Beschäftigung ist leider nicht eingetreten. Der sogenannte Klebeeffekt liegt nach einer Studie des IAB bei unter 15 %. Insofern gilt leider Gottes nach wie vor das Motto: Einmal Leiharbeiter, immer Leiharbeiter. Deshalb ist es in der gegenwärtigen Krise wichtig, dass wir uns dieses Themas annehmen.
Ich sage klar: Wir als SPD haben die Lektion gelernt. Wir haben erkannt, dass der Markt allein es nicht richten kann, sondern dass es strikte Regulierungen und eine klare Kontrolle in diesem Bereiche braucht. Der Geburtsfehler dieser Reform bestand darin, dass wir den Grundsatz „Equal pay“, das heißt, gleiches Geld für gleiche Arbeit, in den gesetzlichen Regelungen nicht deutlich genug festgeschrieben haben.