Protocol of the Session on May 19, 2010

Die Erfahrung aus NRW hat gezeigt, dass schon die Einwerbung von wenigen Stipendien für die Hochschulen ein enormer Kraftakt ist. Aber wir müssen gar nicht nach NRW schauen, um zu verstehen, dass das nationale Stipendienprogramm mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Fehlschlag wird.

Mit der seit 2007 laufenden ESF-Förderperiode wurde hier in Sachsen unter anderem die Industriepromotion ermöglicht. Sie funktioniert nach genau demselben Prinzip wie das nationale Stipendienprogramm: Wenn die Hälfte eines Stipendiums von einem Unternehmen eingeworben wird, dann gibt der Freistaat die andere Hälfte dazu. Das Ergebnis ist kläglich: Von den vorgesehenen 14 Millionen Euro flossen lediglich 700 000 Euro ab. Während die rein öffentlich finanzierten Landesinnovationspromotionen mehrfach überzeichnet sind, konnte selbst für Forschungsvorhaben, die unmittelbar mit Unternehmensinteressen verknüpfbar sind, kein Geld eingeworben werden. Warum dieses Prinzip für Stipendien an Studierende und ohne Zweckbindung funktionieren soll, das bleibt Ihr Geheimnis, meine Damen und Herren von der Koalition.

Ich möchte Ihnen gern die Gelegenheit zur Erläuterung geben und melde mich dann in der zweiten Runde noch einmal.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Dr. Gerstenberg. – Jetzt besteht die Möglichkeit für die Fraktion der SPD, ihren Antrag einzubringen. Das nimmt Herr Abg. Mann vor; bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Am letzten Freitag konnte ich in einer Pressemitteilung des SMWK lesen, das eines wiederum festgestellt hat: „Um dem drohenden und teilweise schon bestehenden Fachkräftemangel in Sachsen entgegenzutreten, brauchen wir mehr Studierende, die ein Studium aufnehmen und dieses abschließen.“

Alle Studien aber – und zuletzt erst die 19. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerkes – weisen nach, dass der maßgebliche Grund, der Menschen von der Aufnahme eines Studiums abhält bzw. die Unterbrechung bewirkt, mangelnde Sicherheit über ihre Studienfinanzierung ist.

Genau deshalb bin ich der Meinung, dass dieses Thema heute hier wichtig ist. Ich möchte Ihnen den Antrag der SPD zur Ablehnung des nationalen Stipendienprogramms und zur Annahme des Antrages des Landes RheinlandPfalz im Bundesrat für eine sozial gerechte und verlässliche Studienfinanzierung vorstellen.

Der Antrag des Landes Rheinland-Pfalz stellt ab auf Probleme und Verbesserungsmöglichkeiten am BAföG. Eine der wichtigsten, die man angehen könnte, wäre eine Anhebung der Freibeträge für die Eltern und damit natürlich eine Ausweitung des Kreises der Menschen, die vom BAföG profitieren könnten. Dies würde insbesondere den Eltern helfen, die beide verdienen, die aber mehrere Kinder in Ausbildung haben. Gerade diese Kinder haben derzeit seltener Anspruch auf BAföG. Hier könnte man mehr Menschen zu einem Studium bringen.

Zudem wäre es möglich, eine zweite Einkommensgrenze einzuführen, ab der über ein BAföG-System zumindest eine unverzinsliche oder zinsgünstige Darlehensfinanzie

rung möglich ist. Mit mehr Geld im BAföG-System wäre es möglich, eine entstandene Förderlücke zwischen dem Bachelor- und dem Masterabschluss zu schließen sowie eine Aufgabe der Zukunft im Studienfinanzierungssystem, nämlich die Einführung einer Förderung für Teilzeitstudiengänge und Teilzeitausbildung, anzugehen.

Dies alles ließe sich in einem bestehenden, verlässlichen und günstigen System, dem BAföG, realisieren. Dafür wären Mittel da, Mittel, die Sie jetzt über den Bundes- und den Landeshaushalt für ein nationales Stipendiensystem einsetzen wollen.

Ich möchte für die SPD hier feststellen: Wir lehnen dieses Stipendiensystem ab aus ähnlichen Gründen wie die Fraktion GRÜNE und die Fraktion DIE LINKE. Erstens – und hier verstehe ich insbesondere die Kollegen der FDP nicht –: Mit diesem Stipendiensystem schaffen Sie ein absolutes Bürokratiemonster. Wir haben jetzt im BAföG ein bestehendes System der Studienfinanzierung. Sie wollen die Hochschulen dazu drängen, ein eigenes System aufzubauen, das Stipendien einwirbt, Stipendien verwaltet und die Studienverläufe der Studierenden verfolgt. Dies ist der absolute Wahnsinn. Hier verstehe ich überhaupt nicht, wie Ihr Ansatz eines angeblichen Bürokratieabbaus mit diesem Modell einhergeht. Es ist ein Mehr an Bürokratie und Verwaltungsaufwand, den Sie mit diesem Stipendienmodell einführen würden.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der Linksfraktion)

Zum Zweiten – und das hat Kollege Gerstenberg schon gesagt – ist es derzeit eine absolute Überforderung der sächsischen Hochschulen. Nehmen wir andere Beispiele der Hochschulen, meinetwegen die techniknahen und wirtschaftsnäheren Fachhochschulen. Da äußert Rektor Milke von der HTWK in Leipzig, dass er es persönlich als vollkommen unrealistisch einschätzt, eine Summe von 1 Million Euro von der Wirtschaft für ein Stipendiatenprogramm einzuwerben. Da äußert der Rektor der Fachhochschule Zwickau, dass er es genauso für seine Fachhochschule nicht als realistisch ansieht, die 660 000 Euro, die dem Zielanteil des Bundes entsprechen würden, bei der Wirtschaft einzuwerben.

Das alles hindert Sie nicht daran, dieses Programm in Sachsen und im Bund einführen zu wollen. Das bringt mich zu einem weiteren Punkt, dem zumindest die Kollegen bei der CDU nicht folgen dürften. Dieses Stipendienprogramm, wenn es denn kommt, ist definitiv eine Umverteilung von öffentlichen Mitteln zugunsten von Ländern mit starken Wirtschaftsstrukturen, mit einer vorhandenen starken Kooperation zwischen Wirtschaft und Hochschulen, sprich öffentlichem Bereich. Genau diese haben wir in Sachsen noch nicht. Sie kennen selbst die mangelnden Zahlen der Beteiligung der Wirtschaft an den Forschungsaufwendungen im Freistaat Sachsen.

Das heißt, was hier passiert, ist eine Umverteilung zugunsten der wirtschaftsstarken Bundesländer im Süden unserer Republik und letztendlich im doppelten Sinn der

Ausverkauf von Zukunftschancen sächsischer Studierender.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen bin ich sehr gespannt – ich durfte die Debatten der letzten Legislatur noch nicht verfolgen –, was Sie hier zum Gegenstand sagen. Es gibt mir Hoffnung, dass die Stellungnahme des Staatsministeriums von vergangener Woche zu einem der hier vorliegenden Anträge sagte, dass sie bisher zu keiner abschließenden Bewertung gekommen sind und das Verfahren im Bundesrat noch in der Behandlung ist. Insofern freue ich mich auf die jetzige Debatte und bin gespannt auf Ihre Argumente.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der Linksfraktion – Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Gerstenberg, GRÜNE)

Vielen Dank, Herr Mann. – Die Fraktion der CDU ist an der Reihe. Herr Prof. Dr. Schneider, bitte, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir werden beide Anträge ablehnen.

Die Tatsache, dass Sie, meine Damen und Herren von den versammelten Oppositionsfraktionen, unisono das geplante Stipendienmodell ablehnen wollen, zeigt einen deutlichen Unterschied zwischen Ihnen und uns, der Koalition. Uns geht es um Bildungsqualität. Deshalb brauchen wir auch – ich betone „auch“ – ein nationales Stipendienprogramm.

(Beifall des Abg. Nico Tippelt, FDP)

Sie, meine Damen und Herren von den Oppositionsfraktionen, sind dagegen an Bildungsqualität offenbar nicht interessiert. Das haben Sie sehr deutlich gemacht.

(Dr. Eva-Maria Stange, SPD, steht am Mikrofon.)

Herr Prof. Schneider, Sie gestatten eine Zwischenfrage?

Ich gestatte Frau Stange, die vier Jahre lang Zeit gehabt hat, Fragen zu stellen und zu beantworten als damalige Ministerin, keine Zwischenfrage.

Meine Damen und Herren! Sie wollen eine Antwort. Warum sind Stipendienmodelle in unseren Augen sinnvoll? Stipendien dienen der Exzellenz. In Sachsen, aber auch in ganz Deutschland fehlt bis dato eine angemessene, eine ausgeprägte Stipendienkultur.

Die derzeitige Stipendienlandschaft ist eher undurchsichtig und fragmentarisch ausgeprägt. Stipendien dienen gerade auch der Unterstützung junger Menschen bei der Entfaltung ihrer Talente. Soll man das in Abrede stellen?

Es geht mit Stipendienmodellen auch um die Schaffung von Anreizen für Spitzenleistungen, auf die unser Land im Wettbewerb angewiesen ist.

Leistung fördern heißt, Menschen – hier Studenten – in ihrem ureigensten Streben nach Bildung und Wissen zu fördern und ihnen dafür die richtigen Anreize zu setzen.

Leistung fördern heißt nicht – ich möchte schon aufgreifen, was Herr Dulig in der Presse hat verlautbaren lassen – „sozial darwinistisches Denken“. Leistung fördern heißt mehr. Es heißt, auf Qualität, auf Exzellenz setzen. Das wollen wir auch – ich betone noch einmal: „auch“ – mit Stipendienprogrammen.

Leistung fördern heißt eben nicht, Bedenken vor sich herzutragen, Herr Kollege Besier. Es heißt auch nicht, die Möglichkeiten, die in den Stipendienprogrammen liegen, hinwegzureden.

Wir brauchen, das will ich hier unmissverständlich sagen – insoweit liegt wohl die einzige Gemeinsamkeit zwischen uns –, natürlich eine leistungsfähige Ausbildungsförderung. Diese haben wir und ich erinnere daran, dass auf der Bundesebene kürzlich ein entsprechendes Änderungsgesetz, das im Übrigen den Freistaat Sachsen nicht wenig Geld kostet, auf den Weg gebracht worden ist. In diesem Punkt sind wir uns doch einig. Aber eben nicht nur durch BAföG. Wir brauchen zusätzlich eine leistungsfördernde Ausbildungsförderung. Darum geht es bei Stipendienmodellen. Es geht darum, Vorteile im Wettbewerb zu ziehen, und zwar um die besten Köpfe. Ich behaupte auch: Das ist eine sinnvolle Investition in Bildung in fiskalisch überaus schwierigen Zeiten.

Meine Damen und Herren! Begabtenförderung hilft jungen Menschen bei der Entfaltung ihrer Talente, sie stärkt unser Land im globalen Wettbewerb und bringt kreative Köpfe nach vorn und leistet damit letztlich auch einen Beitrag gegen einen drohenden Fachkräftemangel. Genau an dieser Stelle setzt das Programm an.

Ziel des Programms ist es – Sie sollten es gelesen haben –, begabte Studierende an allen staatlichen und staatlich anerkannten Hochschulen in Deutschland durch ein Stipendium zu unterstützen. Selbstverständlich wird dies auch unseren sächsischen Hochschulen zugute kommen. Finanzielle Anreize für die Aufnahme des Studiums sollen so abgebaut und auf diese Weise zielgenau, zielführend Anreize für Spitzenleistungen geschaffen werden. In der Sache geht es darum, die Stipendien in Höhe von 300 Euro pro Monat von privaten Geldgebern – genannt sind Unternehmen, genannt sind Stiftungen, die Sie bisher nicht in Betracht gezogen haben, aber auch Privatpersonen – und dem Staat gemeinsam zu finanzieren.

Von einer Überforderung der Hochschulen, wie Sie, Herr Kollege Mann, es eben dargestellt haben, kann ich nichts sehen. Soweit Sie die Fachhochschule Zwickau genannt haben, waren wir doch beide kürzlich bei einer Diskussionsveranstaltung mit Studenten. Der Rektor der Fachhochschule hat alles andere getan als in Abrede gestellt, mit Stipendien umgehen zu können. Ganz im Gegenteil. Lassen Sie es uns doch einfach erst einmal versuchen, bevor wir schon etwas wegreden.

Meine Damen und Herren! Es klang bei allen bisherigen Rednern, die die Anträge unterstützt haben, an, dass ein Stipendienprogramm eine Art Geschenk für die Reichen sei. Das lassen Sie als Opposition sehr gern verlautbaren. Es geht hier, meine Damen und Herren, um Zuschüsse für die Besten, und dazu kann jeder gehören. Jeder!

(Beifall bei der CDU und der FDP – Dr. André Hahn, Linksfraktion: Die Voraussetzungen sind unterschiedlich!)

Klar ist, dass die Aufnahme eines Studiums nicht vom Geldbeutel abhängen darf. Ist das nicht sozial, ist das nicht gerecht?

(Beifall bei der CDU und der FDP – Dr. André Hahn, Linksfraktion: Ja. Aber in der Praxis ist es nicht so!)

Die geplante Förderung, Herr Dr. Hahn – lesen empfehle ich Ihnen –, soll gerade unabhängig vom Geldbeutel der Eltern und zusätzlich zum BAföG ausgereicht werden.

(Dr. Eva-Maria Stange, SPD: Ja, wie denn?)

Es geht um ein Finanzierungsangebot, das sich an alle Studierwilligen – an alle Studierwilligen! – richtet. Werden damit etwa nicht soziale Kriterien berücksichtigt? Genau das ist doch im Grunde der Ansatz, mit dem Sie sich auseinandersetzen sollten, Herr Gerstenberg.

Meine Damen und Herren! Wenn Deutschland Bildungsrepublik sein soll, dann darf der Bildungsaufstieg junger Menschen nicht an finanziellen Hürden scheitern. Wir sind uns einig.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Um das zu gewährleisten, setzt die Bundesregierung auf BAföG, auf Bildungsdarlehen und eben auf Stipendien – Instrumente, die sich gegenseitig ergänzen. Wir unterstützen das selbstverständlich. Das nationale Stipendienprogramm dient also nicht nur der Studienfinanzierung, sondern es setzt auch – ich hätte mir sehr gewünscht, dass Sie sich mit dem Ansatz auseinandergesetzt hätten – Anreize für Spitzenleistungen.

Da Stipendien nicht auf das BAföG angerechnet werden sollen, profitieren automatisch begabte Studierende aus einkommensschwachen Familien zusätzlich von der Förderung. Wenn Sie hier, wie Sie es eben getan haben, von einer Fassade reden, halte ich das nicht nur für enttäuschend, sondern es löst bei mir eher ein Kopfschütteln aus.

Meine Damen und Herren! Für uns als Koalition bedeutet Hochschule, bedeutet Studium nicht nur Bildung und Ausbildung in der Breite, sondern es geht uns letztlich auch um das Schaffen von Exzellenz. Das geht nicht lediglich – wohl auch, aber nicht lediglich – über BAföG, das geht eben auch und gerade mit einem Stipendienmodell. Wir wollen damit Exzellenz fördern und wir wollen damit nicht zuletzt auch – ich sage es mal auf gut Deutsch – die Fleißigen fördern.