Protocol of the Session on March 31, 2010

Worum es im Kern aber eigentlich geht – und dazu habe ich noch nichts gehört –, ist die Frage: Wie gehen wir denn jetzt mit der Situation um, wenn wir aktive Arbeitsmarktpolitik betreiben wollen und wenn wir diese jetzt in der Neuorganisation durch eine Grundgesetzänderung voranbringen wollen? Noch einmal an DIE LINKE gerichtet: Diese Grundgesetzänderung ist notwendig,

(Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion: Nein!)

denn nur auf der Basis dieser Grundgesetzänderung werden wir eine verlässliche und vor allem gesicherte Arbeit finden. Wenn Sie der Auffassung sind, dass diese Grundgesetzänderung nicht notwendig oder gar verfassungswidrig ist, dann sollten Sie den Weg der Klage gehen. Das tun Sie an anderer Stelle doch auch. Ich bin sicher, dass das halten wird.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Dr. Dietmar Pellmann, Linksfraktion: Abwarten!)

Aber wenn wir uns mit diesem Thema beschäftigen, müssen wir auch darüber reden, dass der Haushaltsausschuss des Bundestages im Moment 900 Millionen Euro für aktive Arbeitsmarktpolitik gesperrt hat. Es ist richtig, dass es in diesem Kompromiss möglicherweise eine Verständigung darüber gibt, dass eine Entsperrung erfolgen soll. Sie hat aber noch nicht stattgefunden. Es gibt noch keine Entsperrung. Ich hoffe, dass die Absprachen halten.

Eines muss doch klar sein: Wenn wir diese 900 Millionen Euro anteilig in Sachsen nicht bekommen werden – gerade wir sind von hoher Langzeitarbeitslosigkeit betroffen –, dann macht die ganze Strukturdebatte keinen Sinn.

Weiterhin ist es löblich und richtig, dass wir uns bei den Betreuungszahlen einen großen Schritt aufeinander zu bewegt haben, dass also für die unter 25-Jährigen, die leider Gottes besonders von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind, ein Schlüssel von 1 : 70 eingeführt wird, damit man dort noch zielgerichteter mit den Betroffenen arbeiten und ihnen Maßnahmen anbieten kann, sodass sie wirklich eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben.

Das ist richtig und sinnvoll, aber man muss natürlich auch darüber nachdenken, wie wir mit der Tatsache umgehen, dass wir bei den über 25-Jährigen nach wie vor immense Belastungen für die Beschäftigten in den Jobcentern haben. Dort gibt es Fallzahlen, die jenseits von Gut und Böse liegen.

(Zuruf des Abg. Thomas Kind, Linksfraktion)

Wenn ich mit den Betroffenen in den Agenturen, in den Optionskommunen oder in den Jobcentern – je nachdem, wie man das möchte – spreche, wird mir gesagt, dass sie am Ende ihrer Kräfte angelangt sind, egal wie sie organisiert sind. Das heißt, die Fallzahlen sind nach wie vor ein Problem. Das muss man hier auch noch einmal ansprechen.

(Beifall der Abg. Martin Dulig und Thomas Jurk, SPD)

Ich glaube, wir haben alle gemeinsam Verantwortung übernommen. Wir haben alle gemeinsam in der Verantwortung gehandelt und dazu beigetragen, dass jetzt Klarheit in der Sache existiert. Das ist ohne Zweifel eine gute Nachricht, aber es gibt an der einen oder anderen Stelle immer noch den einen oder anderen Punkt, der diskutiert werden muss. Es ist eben nicht so, dass alles geklärt ist. Ich hoffe, dass wir diese Prozesse noch klären können.

Dazu gehört auch die Frage, wie viele von den 41 Optionskommunen jetzt bundesweit in Sachsen wirklich errichtet werden können. Es gibt eine Debatte darüber.

Herr Kollege, die Redezeit!

Das kann nicht sein! Hier stehen noch 6 Sekunden. Pardon, das wollte ich nicht sagen. Pardon, wie konnte ich mich dazu hinreißen lassen? Das habe ich natürlich niemals gesagt!

(Heiterkeit)

Da steht ein Minus davor!

Das kann natürlich sein. Es steht ein Minus davor. Ich nehme alles zurück.

Also, es ist noch nicht geklärt, wie viele von den 41 Kommunen wirklich in Sachsen sind, ob der Königsteiner Schlüssel Anwendung findet oder nicht. Dann sind es nämlich nur zwei und keine zehn, wie DIE LINKE behauptet. Ich habe keine Ahnung, wo sie das her hat. Ich will sagen, es ist noch viel zu tun, aber in der Sache sind wir auf dem richtigen Weg.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das war Kollege Brangs von der SPD-Fraktion. Als Nächster spricht Herr Jennerjahn für die Fraktion GRÜNE.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß nicht, wer hier im Raum die Fernsehserie „Ally McBeal“ kennt. Einer der Protagonisten dieser Serie hat einmal den schönen Satz geprägt: „Ich neige zur Redundanz. Außer

dem wiederhole ich mich.“ Ich muss gestehen, als ich den Titel dieser Debatte gelesen habe, habe ich mich ein wenig an diesen Satz erinnert. Wir haben vor drei Wochen in der 9. Plenarsitzung über einen Antrag der SPDFraktion debattiert, in dem es genau um die Neuordnung des SGB II ging. Damals hat Kollege Krauß von der CDU vermeldet, diese Diskussion sei überflüssig, weil die Weichen im Bund gerade gestellt würden. Aber nun beantragt die CDU-Fraktion eine Debatte zu diesem Thema im Landtag.

(Zurufe der Abg. Alexander Krauß und Christian Piwarz, CDU – Gegenruf der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

Aber gut. Was bedeutet die Einigung zur Neustrukturierung des SGB II? Wir freuen uns zunächst darüber, dass es jetzt offenbar gelungen ist, die Grundgesetzänderung in greifbare Nähe rücken zu lassen. Das wird die Zusammenarbeit zwischen Arbeitsagenturen und Kommunen auf eine rechtlich saubere und solide Grundlage stellen. Wir als GRÜNE freuen uns natürlich auch deshalb darüber, weil wir die Ersten waren, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Dezember 2007 für eine Änderung des Grundgesetzes plädiert haben. Insofern ist es sehr erfreulich, dass uns nun auch andere Parteien auf diesem Pfad der Weisheit folgen werden.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Abg. Hanka Kliese, SPD)

Es gibt noch einen zweiten positiven Aspekt der jetzt gefundenen Einigung: Es gibt endlich eine Perspektive für die bislang 69 Optionskommunen. Sie werden nach dem 31. Juli 2010 weiterarbeiten können. Aber wie es eben so ist, gibt es nicht nur Positives zu berichten. Insgesamt muss man sagen, dass der Einigung auch ein Stück weit der Mut fehlt. Echte Wahlfreiheit für die Kommunen, wie sie sich künftig organisieren möchten, wurde nicht geschaffen. Es ist lediglich eine Ausweitung der Zahl der Optionskommunen von 69 auf 110 herausgekommen. Es wird sich zeigen, ob es in Zukunft gegen diesen Trägerschaftskompromiss weitere Klagen geben wird.

Ein zweiter Kritikpunkt, den ich ansprechen möchte: Das Zwei-Drittel-Quorum auf kommunaler Ebene, um das Optionsmodell einführen zu können, ist aus unserer Sicht schlichtweg zu hoch und stellt einen tiefen Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung dar. Insofern muss ich auch ein wenig Wasser in den Wein schütten, wenn Sie im Debattentitel behaupten, die regionale Arbeitsvermittlung sei gestärkt worden.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Es gibt einen Aspekt, der sich mir nicht hundertprozentig erschlossen hat, und zwar das Antragsverfahren für die Kommunen, die künftig optieren wollen. Es wurden jetzt zwei Zeitfenster für eine Antragstellung geschaffen: das erste Zeitfenster bis zum Ende des Jahres 2010 mit Zulassung zum Jahr 2012 und das zweite Zeitfenster für die zweite Jahreshälfte 2015 mit Zulassung zum Jahr 2017. Da stellt sich mir die Frage: Warum wurde, wenn

schon eine Höchstzahl an Optionskommunen festgelegt wurde, nicht mit einer festen Antragsfrist gearbeitet? Möglicherweise kann die Staatsregierung da noch ein wenig Licht ins Dunkle bringen.

Natürlich wird diese Neustrukturierung auch Auswirkungen auf Sachsen haben. Das ist schon mehrfach angesprochen worden. Seit der Kreisgebietsreform im Jahr 2008 gibt es Landkreise, die mehrere Organisationsformen haben. Die Landkreise haben die Möglichkeit, die Option auf den gesamten Landkreis auszudehnen. Dabei stellt sich dann auch die Frage, wie dieser Übergang organisiert wird. Da hätte ich auch den Wunsch an die Staatsregierung, vielleicht noch einmal einige Worte darüber zu verlieren, ob es bereits Ideen gibt, wie dieser Übergang organisiert werden kann und wie gegebenenfalls eine Unterstützung für die Kommunen aussehen wird.

Abschließend möchte ich noch die Hoffnung äußern, dass die CDU diesmal zu ihrem Wort steht. Eine Reform des SGB II hätte es schon im vergangenen Jahr geben können. Sie ist an der CDU gescheitert. Insofern muss ich auch sagen, dass der Jubeltitel dieser Aktuellen Debatte nicht gerechtfertigt ist. Wenn man jemanden vom Fahrrad schubst, dann sollte man sich nicht hinterher dafür feiern, dass man dem gestürzten Radfahrer wieder auf die Beine geholfen hat.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Das war der Abg. Jennerjahn für die Fraktion GRÜNE. Jetzt folgt die NPD-Fraktion mit dem Abg. Schimmer.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nachdem wir bereits in den letzten Plenarwochen das Thema der Neuordnung des SGB II einige Male auf der Tagesordnung hatten, dient die Beantragung der heutigen Aktuellen Debatte wohl vor allem der Selbstbeweihräucherung der Fraktionen von CDU und FDP bzw. der Staatsregierung. Denn wir müssen uns auch fragen: Was ist denn eigentlich bei der SGBII-Neuordnung wirklich herausgekommen? Eine Stärkung der regionalen Arbeitsvermittlung ganz bestimmt nicht, denn es ist nach wie vor möglich, dass Arbeitslose bundesweit vermittelt werden und bei Ablehnung Sanktionen drohen, sodass gerade unsere mitteldeutschen Landsleute nach wie vor zu Wanderarbeitern degradiert werden, die entweder in den Westen oder auch ins Ausland gehen müssen.

Das Bundesverfassungsgericht hat durch sein Urteil im Dezember 2007 festgestellt, dass die Mischverwaltung in Form der sogenannten ARGEn verfassungswidrig ist. Damit sind die etablierten Parteien einmal mehr eines Verfassungsbruchs überführt worden und es bestanden nun zwei Möglichkeiten: entweder die Verwaltungspraxis der Rechtsprechung oder die Rechtsprechung der Verwaltungspraxis anzupassen. Man musste nicht lange überle

gen, was passieren würde. Es war selbstverständlich so, dass die Herrschenden das Grundgesetz für ein Stück Knetmasse halten, das immer ihrem politischen Durchwursteln angepasst wird. So kam es auch diesmal dazu, dass einfach das Grundgesetz geändert wurde, anstatt einmal die Missstände zu ändern.

(Beifall bei der NPD)

Wir von der NPD haben dazu eine ganz klare Haltung. Wir begrüßen einen Übergang der Verantwortung auf die Kommunen, weil alle Fragen der Daseinsvorsorge unseres Erachtens möglichst kommunal gelöst werden sollten. Uns ist durchaus auch klar, dass es gerade bei den Optionskommunen sicherlich noch Probleme gibt, dass die Gefahr besteht, dass Arbeitsuchende für kommunale Eigeninteressen eingespannt werden. Konkret sehen wir die Gefahr, dass kompetenz- und auch motivationsärmere Mitarbeiter aus den Kernverwaltungen dann die Betreuung der Arbeitsuchenden übernehmen. Dem sollte unseres Erachtens durch eine stärkere personelle Qualitätssicherung vorgebeugt werden. Dafür müssen dann der Bund und das Land die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellen.

Ministerpräsident Tillich war Verhandlungsführer der unionsregierten Länder in der Runde zum Jobcenterkompromiss. Auch heute hat er es wieder als großen Erfolg dargestellt. Ich frage mich wirklich: Wie weit sind denn die Ansprüche an die eigene Politik schon gesunken, wenn, wie heute gesagt, die Verhinderung eines reinen Durcheinanders schon als Erfolg gilt.

In ihrer realitätsfernen Selbstüberschätzung hat die FDP uns heute mit dieser Debatte den Gefallen getan, ausgerechnet das Thema Hartz IV zum Gegenstand einer Aktuellen Debatte zu machen. Wir erinnern uns alle an die provozierenden Äußerungen von FDP-Chef Westerwelle zu Hartz-IV-Beziehern in Deutschland. Wir wundern uns, dass ein Mann, der durch eine gut bezahlte Lobbyarbeit in Form von sehr vielen Aufsichtsratstätigkeiten und in Form von sehr vielen Nebentätigkeiten eigentlich selbst das Prinzip des anstrengungslosen Wohlstands zur Perfektion geführt hat, ausgerechnet meint, diese Debatte auf dem Rücken der einkommensschwächeren Landsleute austragen zu müssen, und dann von spätrömischer Dekadenz spricht, obwohl er für spätrömische Dekadenz steht.

(Beifall bei der NPD – Jürgen Gansel, NPD: Auch sexuell!)

Dass die FDP bei solchen Debatten nur verlieren kann, macht uns dabei – –

(Stefan Brangs, SPD: Was denn jetzt? Freie Rede!)

Ja, das ist doch freie Rede. Ich lese weniger ab als der Ministerpräsident.

(Stefan Brangs, SPD: Wer?)

Als der Ministerpräsident. Er hat die ganze Zeit über abgelesen. Ich lese nicht ab.

(Alexander Krauß, CDU: Er hat nicht abgelesen!)