Protocol of the Session on July 9, 2014

Ob das erweiterte und auch als Bildungsauftrag verstandene Aufgabenfeld so weit gefasst werden kann, dass die gesamte Alltagsgeschichte der DDR vor dem Hintergrund ihrer politischen Gestaltung und Lenkung durch die SED einbezogen werden kann, erscheint mir angesichts des Stellenplans allerdings äußerst ambitioniert oder – ehrlicher gesagt – eher illusionär. Sie wollen damit verhindern, dass die DDR retrospektiv von so manchem als ein Wohlfühlstaat oder als eine Wohlfühldiktatur wahrgenommen wird.

Die Mitläufer und die Profiteure werden das aber auch weiterhin tun. Die Opfer werden das massiv kritisieren und die breite Masse der damals einfach nur lebenden Bürger wird die Fragestellung vielleicht gar nicht verstehen. Kein System kann nämlich auf Dauer existieren, wenn nicht mindestens 10 % der Bevölkerung von ihm profitieren. Kein System kann existieren, wenn die breite Masse permanent unter massivem Druck steht.

So gab es auch in der DDR, im Dritten Reich und wie es auch heutzutage der Fall ist ein von der Politik weitgehend unbelecktes Alltagsleben, und diese vielen verschie

denen Ebenen und Nischen sind Nachgeborenen ohnehin nicht verständlich.

Werner Bergengruen beschrieb das einmal so: „Wer nicht selbst ein Terror- und Zensursystem kennengelernt hat, wer aufgewachsen ist im selbstverständlichen Genuss der Rede- und Schreibefreiheit, der kann sich unmöglich auf die Technik der stichworthaften Anspielungen, die Technik der indirekten und doch unmissverständlichen Aussage verstehen, unmöglich auf die immer mehr sich verfeinernde Kunst des Schreibens, aber auch des Lesens zwischen den Zeilen.“

Eines fehlt aus Sicht der NPD leider in diesem Gesetzentwurf. Es ist das, was im Oberstufenunterricht die höchste Benotung erbringt: die Transferleistung. Es wäre sinnvoll, nicht nur Vergleiche zwischen der DDR und dem NS-System zu ziehen, sondern die gesetzlich normierten Schreib- und Denkverbote der DDR-Diktatur mit den fatalen Auswirkungen der heutigen Political Correctness zu vergleichen. Hier läge ein Bildungsauftrag, der nicht nur mehr Mut erfordern würde und damit auch gleichzeitig die zwingende Begründung für die politische Unabhängigkeit des Landesbeauftragten gäbe, sondern der zu ganz anderen und nutzbringenden Erkenntnissen beitragen würde und den heutzutage unter den gegebenen Verhältnissen lebenden Menschen die Augen öffnen würde vor der Manipulationsfähigkeit eines jeden politischen Systems, auch des unseren.

(Beifall bei der NPD)

Aber dieses heiße Eisen ist anscheinend auch den GRÜNEN zu brisant, um es anzufassen. Dennoch wird die NPD-Fraktion diesem Gesetzentwurf zustimmen.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der NPD)

Meine Damen und Herren! Mir liegen keine Wortmeldungen für eine zweite Runde vor. Ich frage trotzdem: Wünscht ein Abgeordneter das Wort? – Ich frage die Staatsregierung. – Herr Staatsminister Dr. Martens, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die kommunistische Diktatur in der ehemaligen DDR gehört zum historischen Erbe des wiedervereinten Deutschlands, und wir sind es auch 25 Jahre nach der friedlichen Revolution den Opfern der Diktatur und den Menschen, die die Überwindung der deutschen Teilung überhaupt erst ermöglichten, schuldig, dass das ihnen nach 1945 und in der DDR widerfahrene Unrecht und ihr Mut, sich dem aktiv entgegenzustellen, nicht aus dem Blick geraten.

Wir brauchen daher weiter eine fundierte Aufarbeitung der historischen Fakten und Zusammenhänge, um ein Verständnis für die Entstehung und Wirkungsweise des totalitären SED-Regimes zu entwickeln, einer stellenweise zu beobachtenden Verklärung der DDR-Vergangenheit

entgegenzuwirken und um Ähnliches in Zukunft zu verhindern. Denn nur bei hinreichender Aufarbeitung können wir insbesondere die nachwachsenden Generationen für die Ursachen und Folgen des SED-Unrechtsregimes sensibilisieren und damit gleichzeitig das Bewusstsein für Demokratie, Freiheit und den Rechtsstaat schärfen.

Der Sächsische Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR übernimmt im Rahmen dieser Aufarbeitung mit seinen zahlreichen und vielfältigen Beratungs- und Bildungsangeboten zweifellos eine Schlüsselfunktion. An dieser Stelle möchte ich für die Staatsregierung dem Beauftragten Lutz Rathenow und seinen Mitarbeitern ausdrücklich für die bisher geleistete Arbeit danken, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU – Beifall bei der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! Der 25. Jahrestag der friedlichen Revolution in der DDR ist durchaus Anlass, zum Stand der Aufarbeitung einmal Bilanz zu ziehen. Im Zuge der Bestandsaufnahme ist auch die Frage berechtigt, ob im Hinblick auf die rechtlichen Grundlagen für die Arbeit des Landesbeauftragten Verbesserungsbedarf besteht.

Der von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachte

Gesetzentwurf hält diesen Änderungsbedarf für gegeben und greift dabei insbesondere Forderungen von Verfolgtenverbänden und Aufarbeitungsinitiativen wie auch eine Anregung des vormaligen Landesbeauftragten, Michael Beleites, auf. Allerdings ist hier die Frage zu stellen, inwieweit diese von einem inzwischen überholten Befund hinsichtlich der tatsächlichen Tätigkeit und den Aufgaben des Beauftragten ausgehen.

Zu den Schwerpunkten des Gesetzentwurfes möchte ich kurz Stellung nehmen. Zur Aufgabenänderung: Gegen die im Gesetzentwurf enthaltene präzisere Aufgabenbeschreibung für die Tätigkeit des Landesbeauftragten ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Zwingend geboten sind diese Änderungen gleichwohl nicht. Auch die jetzige Fassung des Landesbeauftragtengesetzes verankert in § 3 Abs. 1 Nr. 3 die umfassende Beratung von natürlichen Personen und anderen Stellen. Daher genügt auch ein Blick in die Tätigkeitsberichte des Landesbeauftragten, um festzustellen, dass die Beratungstätigkeit inzwischen weit über Fragen der einfachen Akteneinsicht hinausgeht und vielmehr alle Aspekte, zu denen für die Opfer des SED-Unrechtsregimes Beratungsbedarf besteht, einschließt.

Auch im Rahmen seiner Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit ist der Fokus des Landesbeauftragten längst nicht mehr allein auf den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen DDR gerichtet, und zwar aus dem einfachen Grund, als man dessen Wirken, Arbeiten und seinen Wirkungsmechanismus nie isoliert begreifen kann, sondern sich auch das Ministerium für Staatssicherheit immer nur als

Teil des Machtapparates in der DDR darstellt und begreifen lässt.

Vor diesem Hintergrund befassen sich die Aufklärungs- und Bildungsangebote des Landesbeauftragten mit allen Erscheinungsformen der diktatorischen Machtausübung nach dem 8. Mai 1945, um das von Repression und Anpassung geprägte Leben in der Sowjetischen Besatzungszone oder späteren DDR erfahrbar und insbesondere für die nachwachsende Generation verständlich zu machen. Auch insofern nehme ich Bezug auf die Tätigkeitsberichte.

Zur Änderung der Amtsbezeichnung ergibt sich aus meiner Sicht zumindest aktuell keine Regelungsnotwendigkeit. Sicher ist die Bezugnahme auf die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes allein etwas irreführend, da der Landesbeauftragte selbst keine Unterlagen verwaltet.

Andererseits gebe ich zu bedenken, dass die gegenwärtige Amtsbezeichnung auf § 38 des Gesetzes über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR beruht, sich an die inzwischen über erheblichen Bekanntheitsgrad verfügende Amtsbezeichnung des Bundesbeauftragten anlehnt und sich die Amtsbezeichnung des Landesbeauftragten inzwischen in Sachsen in vielen Jahren fest etabliert hat.

Zur Ansiedlung des Landesbeauftragten im Geschäftsbereich des Landtages lassen Sie mich kurz darauf hinweisen: Der Landesbeauftragte untersteht der Dienst- und Rechtsaufsicht, mehr auch nicht, des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz und für Europa. Die Unterstützung der Arbeit des Landesbeauftragten war mir in der ganzen Amtszeit bisher ein wichtiges Anliegen und das gilt auch für meine Amtsvorgängerin. So meine ich, dass der Landesbeauftragte und seine Vorgänger auch in der bestehenden Struktur in den vergangenen Jahren hervorragend ihre Aufgaben erfüllen konnten und dies auch getan haben. Die Verantwortung dafür zu übernehmen bin ich auch weiterhin bereit, meine Damen und Herren.

Im Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss wurden von den verschiedenen Fraktionen auch andere Vorstellungen zur Perspektive des Landesbeauftragten vorgetragen. Auch heute war das wieder der Fall.

Sie sehen, die Diskussion zu diesem Thema ist noch nicht abgeschlossen und daher wird es – dessen bin ich mir sicher – auch in der nächsten Legislaturperiode hierzu Diskussionen geben. Für diese Diskussionen empfehle ich uns allen, dass wir sie einbetten in die begonnene und weiterlaufende Diskussion über die Zukunft und die Aufgabengestaltung des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, damit wir zu einer abgestimmten Lösung zwischen Bundes- und Landesebene kommen können.

Aus den genannten Gründen können wir gegenwärtig eine Zustimmung zum vorliegenden Gesetzentwurf nicht empfehlen.

(Beifall bei der FDP und ganz vereinzelt bei der CDU)

Herr Gerstenberg mit einer Kurzintervention, bitte.

Ja, danke, Herr Präsident. – Herr Staatsminister, ich bin auch der Meinung, dass die Diskussion weitergehen wird, und ich möchte gleich damit beginnen.

Sie sind als Jurist bekannt dafür, dass Sie sehr klar denken. Wenn Sie ausführen, dass eine gesetzliche Änderung nicht zwingend notwendig ist, weil der Landesbeauftragte solche Aufgaben, wie sie in diesem Gesetz beschrieben werden, schon wahrzunehmen versucht, dann ist Ihnen sehr wohl bewusst, welcher eklatante Unterschied zwischen dem Versuch, etwas wahrzunehmen, etwas durchzuführen, und einer festen Rechtsgrundlage für diese Arbeit besteht.

Wir haben es in der Vergangenheit gemeinsam erlebt, wenn Sie noch gewillt sind, sich zu erinnern, wie gerade die Aufgabe Bildungsarbeit des Landesbeauftragten hier im Sächsischen Landtag immer wieder kritisiert wurde; sie gehört ins Gesetz. Sie wissen vielleicht auch, dass ein Landesbeauftragter einst seine Dokumentationsarbeit, seine Zeitzeugenarbeit einstellen musste. Deshalb schreiben wir das ins Gesetz. Eine gesetzliche Grundlage zu schaffen ist also ein sauberes juristisches Verfahren, um die Arbeit des Landesbeauftragten in der beschriebenen Art und Weise abzusichern.

(Beifall des Abg. Michael Weichert, GRÜNE)

Sie haben zugleich gesagt, Sie haben in Ihrer Amtszeit die Arbeit des Landesbeauftragten immer sehr unterstützt. Ich bin jetzt einmal als Ingenieur sehr brutal und gehe auf Zahlen zu. Unterstützung heißt für mich Finanzierung – der Haushalt als die berühmte in Zahlen gegossene Politik. In den letzten drei Jahren ist der Haushalt des Landesbeauftragten gerade einmal um 40 000 Euro gewachsen; das dürfte gerade so ausreichen, um die Personalkostenzuwächse und die Inflationsrate auszugleichen.

Es ist in Ihrer Amtszeit aber passiert, dass die finanzielle Ausstattung der Behörde des Landesbeauftragten im Vergleich der ostdeutschen Länder auf den letzten Platz gerutscht ist. Wenn wir einmal nach Thüringen oder nach Brandenburg schauen, –

Herr Gerstenberg, ich bitte Sie, zum Schluss zu kommen.

– dort ist die Personal- und Gesamtausstattung ungefähr doppelt so hoch, und es liegt vielleicht auch daran, dass die Landesbeauftragten bei den dortigen Landtagen angesiedelt sind.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Herr Dr. Martens, möchten Sie auf die Kurzintervention antworten? – Das ist nicht der Fall.

Meine Damen und Herren, mir liegt noch ein Änderungsantrag vor. Ich frage die einbringende Fraktion der GRÜNEN, ob er schon eingebracht ist. – Herr Gerstenberg, bitte.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Änderungsantrag ist formal. Er nimmt die Vorschläge aus der Vorprüfung unseres Gesetzentwurfes auf und korrigiert einen Schreibfehler. Ich bitte um Zustimmung.

Vielen Dank. – Ich frage die Fraktionen: Möchte noch jemand zum Änderungsantrag Stellung nehmen? – Das ist nicht der Fall.

Ich rufe auf die Drucksache 5/14802 zu Drucksache 5/13914. Wer dieser Drucksache seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Vielen Dank. Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Bei keinen Stimmenthaltungen und zahlreichen Dafür-Stimmen ist der Änderungsantrag mehrheitlich abgelehnt.

Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, über das Gesetz artikelweise abzustimmen. Aufgerufen ist das

Gesetz zur Verbesserung der Abarbeitung der SEDDiktatur im Freistaat Sachsen. Wir stimmen ab über den Gesetzentwurf der Fraktion GRÜNE. Wer der Überschrift zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Gegenstimmen? – Vielen Dank. Stimmenthaltungen? – Danke. Bei zahlreichen Stimmenthaltungen und zahlreichen Dafür-Stimmen ist der Überschrift mehrheitlich nicht zugestimmt.

Ich rufe Artikel 1 auf. Wer seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Vielen Dank. Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Gleiches Stimmverhalten; Artikel 1 hat keine Mehrheit bekommen.

Wer möchte gern dem Artikel 2 zustimmen? – Vielen Dank. Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Bei zahlreichen Dafür-Stimmen und zahlreichen Stimmenthaltungen ist mehrheitlich Artikel 2 abgelehnt.

Meine Damen und Herren, nachdem somit sämtliche Teile des Gesetzentwurfes abgelehnt wurden, findet über diesen Entwurf gemäß § 46 Abs. 7 Geschäftsordnung keine Schlussabstimmung statt. Die 2. Beratung ist abgeschlossen und der Tagesordnungspunkt ist beendet.

Ich rufe auf den