Protocol of the Session on January 24, 2008

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort; Herr Schowtka, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorweg gesagt: Herr Lichdi, wenn Sie eine ernsthafte Diskussion mit uns führen wollen, dann müssen Sie auch an den Sitzungen teilnehmen. Zum Beispiel bei der Diskussion im Verfassungs- und Rechtsausschuss zu diesem Gesetzentwurf waren Sie nicht anwesend, wie das Protokoll zeigt; denn es hat dort nachweisbar kein einziger Vertreter der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN abgestimmt. Das heißt, Sie produzieren hier immer Luftblasen; aber wenn es zur Sache kommt, sind Sie nicht dabei.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren! Die angestrebte Verfassungsänderung im Gesetzentwurf, nach der das aktive und passive Wahlrecht für Wahlen und Abstimmungen in den Gemeinden und Landkreisen auf 16 Jahre abgesenkt werden soll, lehnen wir erneut ab. Dazu haben wir bereits in der jüngsten Vergangenheit mehrere ausführliche Debatten geführt. Der gesetzlichen Einordnung Minderjähriger in das Rechtssystem steht eine Absenkung des Wahlalters entgegen. Bekanntlich tritt die Volljährigkeit erst mit Vollendung des 18. Lebensjahres ein. Bis zum 18. Lebensjahr gilt das Jugendstrafrecht. Jugendliche sind nicht voll deliktfähig und nicht voll geschäftsfähig.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Das sieht Herr Koch aber anders!)

Auch die Pflicht zum Wehr- und Wehrersatzdienst besteht erst mit Vollendung des 18. Lebensjahres. Ich meine, Pflichten und Rechte sollten miteinander korrespondieren. Wir dürfen unsere Augen nicht vor der Tatsache verschließen, dass das politische Interesse der unter 18-Jährigen in ihrer Gesamtheit noch zu gering ist, als dass sie an Wahlen beteiligt werden könnten.

(Vereinzelt Widerspruch bei der Linksfraktion)

Dann hören Sie bitte einmal zu: Der Sächsische Städte- und Gemeindetag hat eine Umfrage unter den kommunalen Spitzenverbänden der Bundesländer durchgeführt, die das Wahlalter abgesenkt haben. In Sachsen-Anhalt betrug im Jahr 1999 die Wahlbeteiligung von 16- bis 17-Jährigen lediglich 40 % gegenüber der Gesamtwahlbeteiligung von 49,6 %.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Na, das ist ein Unterschied!)

Bei den Kommunalwahlen im Jahr 2004 betrug die Wahlbeteiligung der unter 18-Jährigen 33 % bei einer Gesamtwahlbeteiligung von 42,1 %. Das heißt, in Sachsen-Anhalt haben sich die erhofften Effekte, wie verstärktes politisches Engagement und stärkeres Interesse an kommunalpolitischen Entscheidungen, gerade nicht eingestellt. Dies mag vielleicht daran liegen, dass ein Bedürfnis der Jugendlichen zur Wahlbeteiligung nicht so

im Vordergrund steht wie andere Beteiligungen, beispielsweise in Vereinen und anderen Formen gesellschaftlichen Engagements, zum Beispiel in Schülervertretungen.

Der Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN will zudem einen grundlegenden Systemwechsel in der Kommunalverfassung herbeiführen. Auch das lehnen wir ab. Meine Damen und Herren, die starke Stellung der Landräte und Bürgermeister beruht auf der Direktwahl durch die Bürger. Deshalb ist auch die Länge der derzeitigen Wahlperioden sachgerecht. Die Länge der Wahlperioden sichert sachliche Kontinuität und Verlässlichkeit der Arbeit und der Entscheidungen auf kommunaler Ebene. Auch im bundesdeutschen Vergleich sind siebenjährige Amtszeiten von Landräten, Bürgermeistern und Beigeordneten durchaus angemessen. Teilweise betragen diese in anderen Bundesländern sogar acht oder neun Jahre. Sachsen wäre das einzige Bundesland, das Amtszeiten von fünf Jahren vorweisen würde. Eine Verkürzung der Wahlperioden wäre daher weder vorteilhaft noch sachgerecht.

Ein weiterer Vorschlag des Gesetzentwurfes betrifft den gesetzlichen Vorsitz der Landräte und Bürgermeister im Kreistag bzw. im Gemeinderat. Entgegen den Wünschen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wollen wir diesen Vorsitz ebenfalls beibehalten, da er zu einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit und Abstimmung der beiden Organe führt. Auch Bürgermeister sollen weiterhin in Kreistage gewählt werden können, da wir im Kreistag keinesfalls auf deren Sachverstand und Erfahrungen verzichten können.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU und Beifall der Abg. Margit Weihnert, SPD)

Zudem, meine Damen und Herren, haben wir verfassungsrechtliche Bedenken gegen das vorgesehene Satzungsrecht der Gemeinde- und Kreistage, allgemeine Leitlinien bei Weisungsaufgaben aufstellen zu können. Das Handeln des Landrates und des Landratsamtes bei Weisungsaufgaben kann nicht an Vorgaben des Kreistages gebunden werden. Hierzu ist allein die staatliche Ebene befugt. Es muss ein uneingeschränktes staatliches Durchgriffsrecht gegenüber dem Landrat in Form von Weisungsrechten geben. Das darf nicht beeinträchtigt werden.

Das Akteneinsichtsrecht jedes Mitglieds des Gemeinderates begegnet datenschutzrechtlichen Bedenken. Die Frage der Zahl der Kreisräte in den Landkreisen haben wir, die Koalitionsfraktionen, durch die Verwaltungsreform bereits gestern beantwortet. Dort haben die Fraktionen von SPD und CDU den am weitesten gehenden Vorschlag unterbreitet. Ich weiß zwar, dass ein Änderungsantrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterbreitet wird. Darüber wird noch zu sprechen sein. Auch die Forderung, dass der Landkreis den Fraktionen Räume sowie Mittel aus seinem Haushalt für die sachlichen und personellen Aufwendungen gewährt, wurde im Rahmen der Verwaltungs- und Funktionalreform durch die Koalitionsfraktionen geregelt.

(Johannes Lichdi, GRÜNE, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, gestatte ich nicht.

Der Landkreis gewährt Mittel, entscheidet das Nähere zur Höhe und Angemessenheit jedoch im Rahmen seiner kommunalen Selbstverwaltungshoheit selbst. Für die Gemeindeebene haben wir dies jedoch nicht vorgesehen, da dieses Vorhaben kleine Gemeinden absolut überfordern würde. Zudem wurde zur Problematik des Mehrbelastungsausgleichs im Gesetzentwurf keinerlei Stellung genommen.

Ich bitte um Ablehnung des Gesetzesentwurfes und danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der Staatsregierung)

Ich erteile das Wort der Linksfraktion; Herr Dr. Friedrich, bitte.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich, dass wir nach den gestrigen und vorgestrigen Debatten mal wieder ein kommunalpolitisches Thema auf der Tagesordnung haben. Der Linksfraktion ist es immer sympathisch, wenn es um die Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger und natürlich auch der Vertretungskörperschaften geht. Ich darf daran erinnern, dass es eine ganze Reihe von Initiativen meiner Fraktion gab und gibt, die sich dieses Themas annehmen. Kollege Lichdi war so fair und hat das auch gesagt.

Zum Beispiel zum Wahlalter 16 ist möglicherweise diesem oder jenem im Hohen Hause noch in Erinnerung, dass wir hier bereits in den Jahren 2006 und 2007 mit der Drucksache 4/5919, kurz: Jugendmitbestimmungsgesetz, eine umfangreiche Debatte hatten. Es gab auch entsprechende Sachverständigenanhörungen, wen wundert es, mit Pro und Kontra. Kollege Schowtka, wenn Sie meinen, dass das alles so furchtbar schlimm ist, dann müssten das Land Niedersachsen oder andere Bundesländer rein verfassungswidrig handeln. Dort gibt es das Wahlalter 16. Das ist ja nun schon ein absurdes Argument.

Ich darf auch darauf verweisen, dass es in der 3. Wahlperiode interessanterweise von der SPD-Fraktion – damals hat sie sich noch trauen dürfen und jetzt darf sie sich nicht mehr trauen wollen – Initiativen in Richtung Absenkung des Kommunalwahlalters auf 16 gegeben hat. Damals hätte es mit der SPD-Fraktion noch etwas Gemeinsames gegeben. Jetzt gibt es von der SPD-Fraktion nur noch Protokollerklärungen, dass man zwar wolle, aber nicht dürfe. Im Übrigen stehen im Koalitionsvertrag – Kollegin Weihnert, Sie haben das sicher damals mit hineinverhandelt – sehr interessante Passagen, was man alles tun wolle, um die kommunalen Beteiligungsrechte und die Rechte der Bürgerinnen und Bürger zu erhöhen.

Nun wissen wir, dass leider gar nichts wird. Es wird wohl auch nicht zur neuen Kommunalordnung kommen. Innenminister Buttolo ist ja völlig erschöpft, weil er gestern knapp vor der Zielgerade die Verwaltungs- und Kreisgebietsreform durchgebracht hat. Die Kraft reicht offensichtlich nicht für mehr.

(Peter Schowtka und Gottfried Teubner, CDU: Frechheit!)

Es ist keine Frechheit, das ist die Wahrheit! Oder wollen Sie sagen, dass es noch eine einheitliche Kommunalordnung gibt? Das würde mich sehr interessieren. Aber vielleicht kann der Innenminister nachher selbst für Klarheit sorgen.

Ich möchte weiterhin erwähnen, dass die Linksfraktion im Jahr 2006 ein Informationsfreiheitsgesetz eingebracht hat. Das sehr sinnvolle Anliegen, das Akteneinsichtsrecht allen Gemeinderäten zu gestatten und das Recht nicht an ein Quorum zu binden, wie es jetzt in der Gemeindeordnung der Fall ist, wäre mit unserem Informationsfreiheitsgesetz, das es in anderen Bundesländern durchaus gibt und was Sachsen sich nicht traut, verwirklicht gewesen. Hier kann man wahrlich nicht sagen, dass der Freistaat Sachsen zu den Vorreitern in Sachen Informationsfreiheit zählt. In fast allen europäischen Ländern, in den USA, in Kanada, Australien und Neuseeland ist Informationsfreiheit seit vielen Jahren, teilweise seit Jahrzehnten, eine demokratische Errungenschaft. Darüber diskutiert dort überhaupt niemand mehr.

Ich will nicht verhehlen, dass es in der Gesetzesinitiative der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN viele positive Aspekte gibt; es gibt allerdings auch zwei, drei Punkte, die wir kritisch sehen. Ich erlaube mir, diese hier anzusprechen. Zum Beispiel halten wir wenig davon, die Wahlperiode von fünf auf vier Jahre zu reduzieren, weil das angeblich demokratischer wäre. Wenn man den Gedanken zu Ende denkt, müsste man aller zwei Jahre oder gar jedes Jahr wählen. Das können wir nicht richtig nachvollziehen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Wechsel nach zwei Jahren!)

Kann man auch tun, aber hier ist der Nutzeffekt eher beschränkt. Das möchte ich so deutlich sagen. Einen Systemwechsel von der Süddeutschen Ratsverfassung zur Norddeutschen Magistratverfassung durchzuführen – darauf läuft es ja hinaus, wenn man eine Doppelspitze zwischen Ratsvorsitzendem und Bürgermeister bzw. Kreistagsvorsitzendem und Landrat will –, war, das gestehe ich, in den Neunzigerjahren unsere Position. Inzwischen sehen wir das anders. Wir wollen ausdrücklich an der Urwahl des Bürgermeisters und des Landrates festhalten. Sehr wohl können wir uns aber vorstellen, dem Gedanken nahe zu treten, den die GRÜNEN hier vorschlagen: die Amtsperiode der Bürgermeister und Landräte an die der Vertretungskörperschaften anzupassen. Also, es gibt keinen rationalen Grund, dass Landräte und Bürgermeister sieben Jahre im Amt sind, aber die Kreis-,

Stadt- und Gemeinderäte eben nur fünf Jahre. Das ist auch mit Diskontinuitäten, dass dann angeblich die Arbeit der Gemeindeverwaltungen zum Erliegen kommt, überhaupt nicht zu begründen.

Ein Untersuchungsausschuss auf der Ebene der Gemeinden oder Kreistage klingt zwar recht forsch, dürfte aber an verfassungsrechtlichen Hindernissen scheitern. Wir wären sehr zufrieden, wenn es dieses uneingeschränkte Akteneinsichtsrecht gäbe. Wir stellen uns es schwer vor, denn wenn Untersuchungsausschuss, dann müsste er auch die Mittel der StPO haben. Das geht aus unserer Sicht auf Gemeindeebene aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht. Es bleibt ja dabei: Es sind Verwaltungs-, wenn auch Selbstverwaltungsorgane, aber eben keine legislativen Organe.

Eine letzte Bemerkung: Die Leitlinien der Verwaltung in der Satzung zu beschließen, um die vorgestern übertragenen umfangreichen kommunalisierten Aufgaben durchzuführen, klingt auch toll, wird aber in der Praxis ins Leere laufen. Es ist ja erinnerlich: Die Generalkritik, die wir an dieser Kommunalisierung geübt haben, beruht unter anderem darauf, dass bisher alle diese Aufgaben eben als Weisungsaufgaben mit unbeschränktem Weisungsrecht übertragen werden. Dann werden auch die schönsten Leitlinien zur Ausübung des Ermessens ins Leere laufen. Das ist so etwas wie „weiße Salbe“. Das hat auch die Diskussion im Innenausschuss zum Artikel 10, der ja in das Verwaltungsneuordnungsgesetz aufgenommen worden ist, gezeigt. Hier das Weisungsrecht einzuschränken ist zwar eine löbliche Absicht, aber das muss in den entsprechenden Fachgesetzen geregelt werden. Das kann schwerlich in der Gemeindeordnung geschehen.

Der überwiegende Inhalt dieses Gesetzentwurfes ist zustimmungsfähig. Wir werden ein differenziertes Abstimmungsverhalten zu den einzelnen Abschnitten an den Tag legen, als Linksfraktion uns insgesamt der Stimme enthalten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der Linksfraktion)

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort. Frau Weihnert, bitte.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben einen Gesetzentwurf zu besprechen, zu dem der zuständige Sprecher der Fraktion sagt: Die Sachverständigen haben bewusst unseren Gesetzentwurf missverstanden. Das ist mir in meiner langen Laufbahn als Politikerin noch nicht untergekommen.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Vielleicht haben Sie sich, Kollege Lichdi, etwas unglücklich – um es freundlich zu sagen – missverständlich in Ihrem eigenen Gesetz ausgedrückt.

Ein Zweites: Damit ich es dann nicht vergesse, Herr Dr. Friedrich, Sie werden sich wundern, was es noch für

weitere Gesetzesinitiativen im Innenbereich gibt. Wir haben jetzt zugegebenermaßen einen großen Komplex beendet. Wir werden sicherlich nicht einen solchen Marathon weiter fortsetzen. Dass wir uns jetzt auf den Lorbeeren ausruhen und keine Gesetzesinitiativen mehr bringen, das können Sie leider nicht erwarten.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Da kann ich Ihre Furcht durchaus wegnehmen.

Nun erst einmal zum vorliegenden Gesetzentwurf der GRÜNEN: Dass er nicht ausgereift ist, haben verschiedene Redner vor mir schon gesagt. Man kann sicher über den einen oder anderen Punkt nachdenken. Aber eine wesentliche Schwachstelle, Herr Lichdi, in Ihrem Gesetzentwurf ist, dass Sie Elemente der Norddeutschen Ratsverfassung mit unserem bisherigen Kommunalverfassungssystem vermischen. Ich will jetzt nicht noch einmal in die Diskussion eintreten, welches Kommunalverfassungssystem in Deutschland das bessere und das günstigere ist. Wir haben uns in Sachsen – auch das hat Dr. Friedrich vorhin gesagt – für ein eigenes Kommunalverfassungssystem entschieden,

(Beifall des Abg. Volker Bandmann, CDU)

und die Grundsystematik, die dort existiert, sollte man nicht ohne Not ändern.