Um der demografischen Entwicklung gerecht zu werden, brauchen wir differenzierte Antworten. Dazu kann selbstverständlich gehören, Einsparungen vorzunehmen. Wir müssen an manchen Stellen optimieren, an anderen aber gleichzeitig investieren. Wir müssen die Vielfalt fördern. Vor allem aber müssen wir uns um kreative Lösungen bemühen, die manchmal mit Geld, viel öfter aber mit dem zu tun haben, was die Menschen vor Ort an kreativer Energie aufbieten.
In Leipzig werden alte Gründerzeithäuser, die leer stehen, von Künstlern und Vereinen genutzt. Sie zahlen dafür keine Miete, sondern nur die Verbrauchskosten, und renovieren im Gegenzug. Davon hat auch der Besitzer, der dieses Haus nie vermieten könnte, einen enormen Vorteil, denn der Wert des Hauses verringert sich nicht immer weiter, und die kulturelle Szene blüht gerade in Gebieten auf, wo vorher nichts los war.
Man darf einfach nicht unterschätzen, wie viel Integration sich an der Schule vor Ort entwickeln kann. Mit Gemeinschaftsschulen können auf dem flachen Land auch die kleinen Orte ihre Schule erhalten, und den Schülern ersparen wir den weiten Weg in die nächste Kreisstadt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu den demografischen Herausforderungen, vor denen Sachsen steht, gehören drei Faktoren: die Zahl der Geburten, die Abwanderung und die steigende Lebenserwartung.
Ich möchte zur Frage der Geburtenzahlen und zur steigenden Lebenserwartung meine positiven Botschaften fortsetzen und für eine veränderte Sicht auf die Fakten werben. Die Geburtenrate spielt in den eingangs erwähnten Horrorszenarien eine entscheidende Rolle. Daran, dass die Deutschen irgendwann aussterben, ist demnach vor allem die niedrige Geburtenrate schuld, die momentan in Deutschland bei statistischen 1,3 Kindern pro Frau liegt. Dabei ist eines völlig klar: Familienpolitik in einem demokratischen Staat kann nur dafür sorgen, dass ein Kinderwunsch verwirklicht werden kann; mehr kann sie nicht tun. Da können zusätzliche Geldleistungen wie das Elterngeld ein Anreiz sein, deutlich nach oben werden sich die Geburtenraten damit aber nicht bewegen. Es sind viel grundsätzlichere Veränderungen notwendig.
Für Kinder entscheiden sich die meisten in der Lebensphase zwischen 18 und 35. In dieser Zeit liegen aber auch alle anderen wichtigen Entscheidungen: Schulabschluss, Berufsausbildung oder Studium, Berufseinstieg und erste Karriereschritte. In dieser „Rushhour des Lebens“ ist für Familiengründungen zu wenig Raum. Deswegen müssen
wir diese Phase entzerren. Das bedeutet, dass wir das starre System des dreigeteilten Lebenslaufs aufbrechen müssen, dass sich Phasen der Berufstätigkeit mit Phasen der Weiterbildung abwechseln können, dass ein Neuanfang noch in der Mitte des Lebens als selbstverständlich genommen wird, dass Unterbrechungen, um sich um Kinder zu kümmern oder für alte Eltern Fürsorge zu leisten, genauso selbstverständlich sind wie Unterbrechungen, um die eigenen Qualifikationen und Kompetenzen weiterzuentwickeln oder neue aufzubauen.
Zum Abschluss möchte ich auf die Herausforderungen eingehen, vor die uns die steigende Lebenserwartung stellt. Die Sachsen werden eindeutig immer älter. Forscher gehen davon aus, dass ein heute geborenes Mädchen die realistische Chance hat, hundert Jahre alt zu werden. Wenn über das Alter diskutiert wird, geht es meist nur um Defizite, um Fragen der Pflege oder um Altersarmut. Selbstverständlich wird es notwendig sein, für die zunehmende Zahl alter Menschen die Kapazitäten der Pflege zu erhöhen. Auch Altersarmut wird zunehmen, gerade in Ostdeutschland, wo es viele unterbrochene Erwerbsbiografien gibt.
Wir brauchen aber eine positive Diskussion, die alte Menschen nicht als Problemfaktor begreift. Deswegen müssen wir auch ein völlig neues Bild des Alters entwerfen. Bisher wird übersehen, dass sich die Senioren von heute grundlegend von den Senioren von gestern unterscheiden und dass sich die Altersgruppen stark ausdifferenzieren. Gerade die Altersgruppe bis 65, die Gruppe der jungen Alten, ist gesünder, mobiler, verfügt über ein hohes Einkommen und ist bereit, sich auch länger zu engagieren. Das trifft sicherlich nicht auf alle zu, aber diese Gruppe unterscheidet sich fundamental von ihren Altersgenossen früherer Generationen.
Die Lage aber ist nicht so dramatisch, wie uns so mancher Untergangsapologet weismachen will. Wie wir diesen Wandel positiv gestalten, liegt weit mehr in unserer Hand, als wir im Moment glauben. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ist jetzt schon der dritte Tagesordnungspunkt der Koalition in dieser Plenarwoche, bei dem ich mich frage, warum die Koalition dieses Thema eigentlich auf die Tagesordnung gesetzt hat, warum Sie diesen Antrag gestellt haben.
(Frank Kupfer, CDU: Sollen wir Sie nächstes Mal fragen, was wir auf die Tagesordnung setzen? – Stefan Brangs, SPD: Das frage ich mich bei dem nächsten Punkt auch!)
Das frage ich mich insbesondere vor dem Hintergrund, dass wir seit zwei Jahren hinter den Kulissen in der Enquetekommission zum demografischen Wandel sehr intensiv, sehr fleißig arbeiten und dass wir vorhaben, in einem guten halben Jahr dem Sächsischen Landtag und der Öffentlichkeit unsere Ergebnisse zu präsentieren. Da frage ich mich schon, warum wir auf der Grundlage eines doch sehr vagen und oberflächlichen Antrages hier am Freitagnachmittag um zehn Minuten nach drei vor leeren Rängen einen schnellen Ritt durch die Fragen des demografischen Wandels machen müssen.
Geht es Ihnen also um die Repräsentation einer Erfolgsbilanz? Da muss ich natürlich fragen: Hat die Koalition nicht mehr zu bieten als eine vorsichtig korrigierte Prognose? Geht es im Kern auf der Grundlage dieser Prognose um eine politische Umsteuerung? Dafür muss man sich aus meiner Sicht nicht auf diese Bevölkerungsprognose beziehen.
Was sind denn die Fakten? – In der Tat, das Statistische Landesamt korrigiert die Bevölkerungsprognose leicht nach oben. Trotzdem – und da frage ich den Kollegen Dulig, den ich jetzt nicht mehr sehe, ob wir tatsächlich den gleichen Text gelesen haben – kommt das Statistische Landesamt zu der folgenden Kernaussage – ich zitiere –:
„Die 4. Regionalisierte Bevölkerungsprognose zeigt im Vergleich zur vorhergehenden Prognose kein grundlegend neues Bild.“
Dort wird weiterhin ausgeführt: „Der Bevölkerungsrückgang setzt sich weiter fort.“ – Oder: „Auch wenn der vorausberechnete Bevölkerungsrückgang in der aktuellen Prognose etwas geringer ausfällt, wird sich das Tempo der Alterung weiter fortsetzen.“ Dort steht – Zitat –: „Die Zahl der Geburten wird weiter zurückgehen.“ Oder auch: „Es bleibt ein stetig wachsendes Geburtendefizit“ und – das ist auch schon erwähnt worden – „das Durchschnittsalter der Sachsen wird weiter steigen. Sachsen ist bereits jetzt das Bundesland mit der demografisch ältesten Bevölkerung.“ Dieser Trend wird sich weiter fortsetzen und der Anteil der erwerbstätigen Bevölkerung wird im Vergleich zu älteren Menschen weiter zurückgehen.
Auch was die regionale Verteilung anbelangt – mein Kollege Ronald Weckesser wird gleich noch einmal darauf eingehen – können lediglich Dresden und Leipzig und die umliegenden Landkreise eventuell mit Zuwanderung rechnen. Ansonsten bleiben die regionalen Disparitäten. Das alles, meine Damen und Herren, zeigt: Es gibt keinen Grund zur Entwarnung. Im Übrigen ist all das
auch kein Anlass für eine Erfolgsbilanz. Die Bevölkerung schrumpft weniger stark, aber sie schrumpft. Deswegen kann ich nach wie vor den Anlass für diese Debatte am heutigen Tag nicht erkennen.
Das Interessanteste an dieser 4. Prognose ist für mich, wenn ich mir ansehe, auf welcher Annahme eigentlich die Korrektur der Prognose im Wesentlichen basiert: Sie basiert auf der Annahme des Rückgangs der Fortzüge – ganz simpel, weil auch weniger Menschen da sind, die überhaupt noch Sachsen verlassen können – und darauf, dass man – und das ist entscheidend – von höheren Zuzügen als – Zitat – „mögliche Auswirkungen des Hochschulpaktes“ ausgeht. Das heißt, meine Damen und Herren, die korrigierte Bevölkerungsprognose basiert im Wesentlichen auf der Ebene des Wunsches. Sie basiert darauf, dass man sich erhofft und dass man sich wünscht, dass aus dem Hochschulpakt eine veränderte Wanderungsbilanz resultiert. Deshalb ist für mich die entscheidende Frage, ob wir eigentlich vom Wunsch zur Wirklichkeit kommen.
Wir freuen uns natürlich, dass Sachsen ein „Studentenimportland“ ist. Auch DIE LINKE sieht im Zuzug von Studenten eine wichtige Entwicklungschance für unser Land, nicht nur aufgrund der Tatsache, dass wir so Menschen gewinnen können, sondern um dem Braindrain entgegenzuwirken und hier auch mit innovativem intellektuellem Potenzial wirtschaftlich und kulturell punkten zu können. Aber damit diese Prognose des Statistischen Landesamtes aufgeht, die, wie gesagt, auf Wünschen basiert, müssen wir dafür sorgen, dass die Studenten auch tatsächlich in Sachsen bleiben. Das ist doch die große Herausforderung, vor der wir stehen. Um sie zu meistern, müssen wir den Studenten ermöglichen, dass sie nach dem Studium, zu dem sie aus anderen Bundesländern oder aus dem Ausland nach Sachsen kommen, auch tatsächlich in Sachsen bleiben, und das – es wird den Kollegen Dulig, der sich offensichtlich nach Einbringung des Antrages für den weiteren Verlauf der Debatte wenig interessiert, auch nicht wundern – haben wir als Linke tatsächlich in dieser Legislaturperiode schon mehrfach eingefordert.
Ich darf Sie daran erinnern, dass wir in der Haushaltsdebatte gesagt haben: Wir müssen die in Sachsen lange verschleuderten ESF-Mittel dafür einsetzen, dass wir erstens Ausbildungsplätze finanzieren, die tatsächlich dem zukünftigen Bedarf entsprechen, damit die jungen Leute eben nicht eine Ausbildung zum Kellner, Koch etc. machen und danach Sachsen verlassen, um vielleicht in Österreich oder Bayern eine Arbeit anzunehmen. Zweitens müssen wir dafür sorgen, dass ihnen nach dem Studium auch ein Berufseinstieg in Sachsen ermöglicht wird.
Aber selbstverständlich, wir sind doch ein eingespieltes Team, der Kollege Brangs und ich, was Zwischenfragen betrifft.
Kollegin Lay, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass der Vorsitzende unserer Fraktion, Martin Dulig, zur Kranzniederlegung anlässlich des 9. November zur Synagoge in Dresden gegangen ist?
Ja, ich bin selbstverständlich bereit, das anzuerkennen. Ich nehme meine Kritik zurück. Sie müssen verstehen, dass es aus meiner Perspektive etwas irritierend war, dass jemand einen Antrag einbringt und danach nicht mehr für einen Dialog mit den anderen Parlamentariern zur Verfügung steht. Ich freue mich, dass ich den Dialog nun stellvertretend mit Ihnen und den anderen führen kann.
Ich komme zurück zur entscheidenden Herausforderung, vor der Sachsen steht, wenn wir tatsächlich umsetzen wollen, was die 4. Regionalisierte Bevölkerungsprognose uns so leise erhoffen lässt, nämlich den Studierenden, die nach Sachsen kommen, tatsächlich in Sachsen auch eine Perspektive zu bieten. Wir haben damals vorgeschlagen, Existenzgründung, Sicherstellung der Unternehmensnachfolge oder auch Trainee-Programme zu machen. Das alles, meine Damen und Herren, wird aber nichts bringen, wenn wir in Sachsen nicht endlich für wettbewerbsfähige Löhne sorgen. Wir brauchen ein Umsteuern in der Lohnpolitik, erst recht und gerade aus der Perspektive des demografischen Wandels, weil neben Arbeitsplätzen die niedrigen Löhne in Sachsen eine der Hauptgründe sind, warum Menschen Sachsen verlassen. Ich kann nicht erkennen, warum sich das durch diese regionalisierte Bevölkerungsprognose ändern sollte oder warum die Studierenden, die hier ihren Abschluss machen, wieder nach Baden-Württemberg oder nach NRW gehen: weil dort höhere Löhne gezahlt werden.
In diesem Zusammenhang erwähne ich die Umfrage der Regionaldirektion für Arbeit in Chemnitz, in der sie Händler angerufen hat, die Sachsen verlassen haben, um mitzuteilen, wir haben inzwischen Arbeitsplätze zu bieten. Sie fragten: Sind Sie bereit zurückzukommen? Viele waren zum Dialog bereit. Nur vier haben tatsächlich das Angebot aufgegriffen. Eines der entscheidenden Argumente, das angeführt wurde, war, dass in Sachsen einfach die Löhne viel niedriger sind als in den westdeutschen Bundesländern. Unter diesen Bedingungen ist kein Mensch bereit, nach Sachsen zurückzukommen oder in Sachsen zu bleiben.
Meine Damen und Herren insbesondere von der SPDFraktion! Wenn Sie die leicht korrigierte Bevölkerungsprognose zum Anlass nehmen, um noch einmal für Gemeinschaftsschulen zu sprechen, dann haben Sie uns natürlich an Ihrer Seite. Allerdings braucht man dafür keine korrigierte Bevölkerungsprognose, sondern für die Einrichtung von Gemeinschaftsschulen spricht auch so eine ganze Menge. Grund zur Entwarnung, meine Damen und Herren, besteht auf Grundlage dieser korrigierten
Bevölkerungsprognose in keiner Weise und für eine Erfolgsbilanz der Koalition taugt sie erst recht nicht.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach allem, was die NPD-Fraktion in den zurückliegenden drei Jahren sowohl hier im Plenum als auch in der Enquete-Kommission an eigenen Initiativen und Beiträgen eingebracht hat, werden Sie uns sicher abnehmen, dass wir die Letzten wären, die sich nicht darüber freuen würden, wenn die bislang prognostizierte katastrophale Bevölkerungsentwicklung vielleicht doch nicht ganz so katastrophal ausfiele. In diese Richtung gehen zumindest die Ergebnisse der 4. Regionalisierten Bevölkerungsprognose.
Ich will die Ergebnisse an dieser Stelle nicht weiter kommentieren. Dennoch möchte ich ein paar grundsätzliche Dinge feststellen.
Erstens: Wenn es tatsächlich so sein sollte, dass sich der Bevölkerungsrückgang im Freistaat gegenüber den bisherigen Erwartungen deutlich abschwächen sollte, dann mag es dafür zahlreiche Ursachen geben, nur eine ganz bestimmt nicht: eine gezielte Bevölkerungspolitik.
Meine Damen und Herren! Das ist jetzt weniger als Vorwurf denn als Feststellung zu sehen, dass Sie eben gar nichts unternommen haben, den katastrophalen Großtrend des Bevölkerungsschwundes, von dem Sachsen schon lange heimgesucht wird, irgendwie mit politischen Mitteln zu bremsen oder gar umzukehren, eben mit einer gezielten geburtenfördernden und familienfreundlichen Politik.
Im hier vorliegenden Antrag der Fraktionen CDU und SPD heißt es deshalb auch sehr nichtig – daran ändert sich auch durch die 4. Regionalisierte Bevölkerungsprognose aus Sicht der NPD-Fraktion nichts –: „Dennoch ist die demografische Herausforderung weiterhin ein entscheidendes Zukunftsthema für den Freistaat.“ Ich meine, es ist sogar das entscheidende Thema für den Freistaat.
Zweitens: Auch wenn man sich die konkreten Zahlen der jetzt korrigierten Prognose ansieht, gibt es doch, meine Damen und Herren, nicht den geringsten Grund zur Entwarnung. Wir lesen dort beispielsweise ausdrücklich – ich beziehe mich hier auf die Präsentation von Frau Prof. Schneider-Böttcher –: „Die Geburtenhäufigkeit bleibt insgesamt auf einem niedrigen Niveau. Bis 2020 wird sich die durchschnittliche Kinderzahl je Frau auf nahezu 1,4 erhöhen. Sie übersteigt damit das durchschnittliche Niveau aller Bundesländer.“
So hört sich doch keine Entwarnung an. 1,4 Kinder pro Frau, damit sind wir weit von der Nettoreproduktion entfernt. Auch wenn dieser Wert von 1,4 vielleicht im gesamtdeutschen Vergleich eine Spitzenzahl ist, ist diese