Extrem hohe Fahrpreise, die durch ständige Fahrpreiserhöhungen immer inakzeptabler werden, Unpünktlichkeit und mangelhafter Service sind mittlerweile die Alleinstellungsmerkmale des größten Unternehmens der Eisenbahnbranche.
Dies nervt und schreckt die Kunden ab. Ich habe es selbst oft genug am eigenen Leib erfahren müssen. Ich habe nicht mehr die Absicht, die Deutsche Bahn und ihren miesen Service auch nur irgendwie gutzureden.
Lassen Sie mich über Zahlen und Fakten zur aktuellen Lage sprechen. Der Bund investiert jährlich circa 10 Milliarden Euro Steuergelder allein in den Aus- und Neubau des Schienennetzes und in den Regionalverkehr. Trotzdem ist das Ergebnis für die Bahnkunden ernüchternd. Verspätungen und verpasste Anschlüsse gehören zum Alltag. Die Fahrpreise steigen weiter. Vier von fünf Kunden sind laut einer Studie des Markforschungsinstitutes Servicebarometer mit dem Service der Bahn unzufrieden. Das Schienennetz ist in einem kritischen Zustand. Der Bundesrechnungshofbericht 2006 nennt 2 300 Mängelstellen. Ursachen sind die verschleppten Instandhal
tungen in den Jahren 2001 bis 2005. Unabhängige Informationen über den Zustand der Schieneninfrastruktur werden dem Bund nicht vorgelegt. Statt einer Sanierung arbeitet die Deutsche Bahn die Dauerlangsamfahrstellen einfach in den Fahrplan ein.
Herr Jurk, ich möchte Sie fragen, ob Sie vielleicht dem Beispiel Ihres Brandenburger Kollegen folgen und möglicherweise einen eigenen Mängelbericht in Auftrag geben, damit wir einmal über ordentliche Zahlen verfügen.
Während einige, meist große Bahnhöfe zum Aushängeschild unserer Städte – wie es heißt – geworden sind, werden Tausende kleinerer Bahnhöfe verkauft, stillgelegt oder zu Haltepunkten degradiert. Viele Bahnhöfe sind weder ein Aushängeschild für die Städte noch ein Willkommenstor für die Bahnkunden. Sie sind abschreckend, hässlich und heruntergekommen.
Kapazitätsrückbau und Streckenstilllegungen sind heute ein schlechtes Markenzeichen der DB AG. Seit 1994 wurden circa 6 000 Kilometer des Streckensystems stillgelegt, rund 8 000 Gleisanschlüsse beseitigt und 800 Bahnhöfe stillgelegt und verkauft. Von weiteren 1 800 ihrer 2 400 Bahnhöfe will sich die Deutsche Bahn in den nächsten Jahren trennen.
Meine Damen und Herren! Verursacher dieser Ansammlung nicht hinnehmbarer Fakten ist das Staatsunternehmen Deutsche Bahn AG. Es klingt grotesk: Dieses „serviceorientierte“ Staatsunternehmen will jetzt an die Börse.
Nein, nicht nur die Deutsche Bahn AG will das, auch der Leipziger Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee, SPD, hält an der Privatisierungsidee in der vorgelegten Form fest. Im Namen der Koalition von CDU und SPD brachte er letzten Freitag den viel besagten Gesetzentwurf ein, der ja vorsieht, 49,9 % der Anteile der Deutschen Bahn AG an private Investoren zu verkaufen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lehnen diesen Gesetzentwurf der Bundesregierung auf das Entschiedenste ab. Das Privatisierungsgesetz schadet dem Schienenverkehr, den Kundinnen und Kunden, den Ländern, dem Bund und der Wirtschaft. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat grundlegende Mängel, von denen ich hier nur die wichtigsten nennen möchte.
Zweitens. Der Gesetzentwurf ist ein verqueres Rechtskonstrukt, das dem eigentlichen Ziel der Bahnreform, nämlich mehr Fahrgäste und mehr Transportvolumen auf die Bahn zu bringen, zuwiderläuft.
Drittens. Private Investoren erhalten Zugriff auf das Netz. Der Bund behält nur die entleerte Eigentumshülle. Der Jurist würde hier von dem nudum proprietas, dem leeren Eigentum, sprechen, dem das Eigentliche, das Eigentümliche des Eigentumsrechts, nämlich die Verfügungsgewalt und die Privatnutzigkeit, eben gerade entzogen wird.
Viertens. Der Bund enteignet sich mit dem Gesetz ökonomisch und politisch selbst. Öffentliches Vermögen im Wert von mindestens 130 Milliarden Euro – meine Vor
redner haben von 150 bis 250 Milliarden Euro gesprochen – soll für 8 Milliarden Euro verschleudert werden. Dies ist und kann kein gutes Geschäft für die öffentliche Hand und die Allgemeinheit sein.
Zum Glück haben sich die Bundesländer gegen das Gesetz gewandt. Nach den neuesten Meldungen wird es dieses Jahr nicht mehr zur Verabschiedung kommen. Das finden wir gut und das ist mehr als gerechtfertigt.
Die Verkehrsministerkonferenz vom 02.08. dieses Jahres hat formuliert – Zitat –: „Eine Privatisierung in dieser Ausgestaltung des Eigentumsmodells würde die Umsetzung der im Rahmen der Bahnreform 1993 vereinbarten verkehrspolitischen Ziele stark behindern und zu erheblichen Haushaltsrisiken für den Bund und die Länder führen.“
Die Sonder-Verkehrsministerkonferenz gab ein Gutachten zur verfassungsrechtlichen und ökonomischen Bewertung in Auftrag. Meine Vorredner sind darauf schon eingegangen. Danach sind die Pläne der Bundesregierung verfassungswidrig. Die Festschreibung des wirtschaftlichen Eigentums beim teilprivatisierten Bahnunternehmen und die juristische Eigentümerschaft des Bundes zur Sicherung des Netzversorgungsauftrages seien nicht miteinander vereinbar. Die Gewinnplanung rechne mit einer sicheren Mehrbelastung von 1 Milliarde Euro bis 2011 durch Preise für Vorleistungen wie Trassen, Stationen und Energie. Da die Regionalisierungsmittel nicht im Gleichschritt mit den Preiserhöhungen laufen werden, werden die Regionalisierungsmittel auch nicht mehr ausreichen. Dies wird voraussichtlich eine Streichung von 5 bis 10 % des Schienenpersonennahverkehrsangebots bis zum Jahr 2011 erzwingen.
6 000 bis 10 000 Netzkilometer sind aus betriebswirtschaftlichen Handlungszwängen mittelfristig stilllegungsgefährdet, davon circa 2 000 Kilometer beschleunigt. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um die heutigen regionalen Netze. Als erster Schritt sollen von der Deutschen Bahn Stationen mit weniger als 100 Aussteigern pro Tag geschlossen werden. Die Deutsche Bahn wird ihre Eigenmittel auf ein Minimum reduzieren, deshalb müssen die Investitionen in Regionalnetze und -bahnhöfe zunehmend durch die Länder erfolgen.
Meine Damen und Herren! Diese Auswirkungen sind vollkommen inakzeptabel, und hier ist härtester Widerstand geboten. Deshalb mein Appell an die Staatsregierung: Lehnen Sie dieses schindludrige Privatisierungsgesetz in dieser Form im Bundesrat ab!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Linksfraktion lehnt eine Privatisierung vollständig ab. Dieser Position folgen wir als GRÜNE ausdrücklich nicht. Die alte Staats- und Beamtenbahn hat gezeigt, dass sie es nicht kann – siehe die mehdornschen Zumutungen. Wir
brauchen im Betrieb dringend mehr Wettbewerb – im Betrieb! Wir müssen den Zustand beenden, dass der Monopolist Deutsche Bahn innovative Wettbewerber, die mehr Kunden auf die Bahn bringen, stranguliert. Wir treten für eine vollständige Trennung von Eisenbahnverkehr und -infrastruktur ein. Ein echter Wettbewerb auf der Schiene ist so lange nicht möglich, wie einer der Wettbewerber im Besitz des Schienennetzes ist. Es handelt sich hierbei um ein sogenanntes natürliches Monopol, und das lernt man, glaube ich, im ersten Semester in Volkswirtschaftslehre. Ich habe das zwar nicht studiert, aber mir ist es trotzdem so bekannt.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sind der Auffassung, dass vor einer Teilprivatisierung der Deutschen Bahn eine Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung für die Infrastruktur abgeschlossen werden muss. Diese sollte in einem Zeitraum von mindestens einem Jahr erprobt werden. Der von der Bundesregierung angestrebte Zeitplan für die Bahnprivatisierung ist völlig unhaltbar und inakzeptabel. Eine Vereinbarung erst nach dem Gesetzgebungsverfahren mit der Deutschen Bahn auszuhandeln halten wir angesichts der mehdornschen Hartleibigkeit für mehr als blauäugig. Die Interessen Sachsens an einer angemessenen Qualität der Schieneninfrastruktur können so nicht sichergestellt werden. Vielmehr muss der Istzustand der Infrastruktur erst einmal genau festgestellt werden. Dies ist mit hohem Aufwand verbunden. Anschließend ist auf der Basis dieser Ermittlung mit der DB AG zu verhandeln.
Unser Antrag richtet sich an die Staatsregierung. Sie soll berichten, wie sie zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Teilprivatisierung steht und welche Meinung sie zu einer Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung für die Infrastruktur vertritt. Ebenso fordern wir die Staatsregierung auf, im Bundesrat dafür einzutreten, dass eine Teilprivatisierung der Deutschen Bahn als sogenannter integrierter Konzern nicht erfolgt, dass im Gesetzentwurf eine vollständige organisatorische Trennung von Eisenbahnverkehr und -infrastruktur erfolgt und dass sichergestellt wird, dass der Bestand und die Leistungsfähigkeit der Eisenbahninfrastruktur in der Fläche in Sachsen gesichert wird.
Meine Damen und Herren! Die Zukunft der Bahn in der Fläche in Sachsen ist in Gefahr. Kämpfen Sie mit uns für eine leistungsfähige und kundenfreundliche Bahn in der Fläche mit ausreichender Infrastruktur! Stimmen Sie daher unserem Antrag zu.
– Bestimmt! – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin schon erstaunt, Frau Runge. Sie können sich sicher erinnern, dass am 1. März Herr Wiesheu bei uns im Sächsischen Landtag war. Er war Gast des Ausschusses für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr und der Parlamentarischen Gruppe Bahn. Ich muss sagen, Sie waren wenigstens da; von den anderen Fraktionen, die hier Anträge stellen, war überhaupt niemand anwesend. Dort hätten Sie ja eine Menge dieser Fragen, die Sie hier aufgeworfen haben, stellen können; aber Sie waren fast mucksmäuschenstill. Ich war derjenige, der Herrn Wiesheu im Interesse Sachsens doch einige kritische Fragen gestellt hat, und ich denke auch, dies hat im Interesse Sachsens einiges bewegt.
Herr Bolick, ich kann mich genau an diese Veranstaltung erinnern. Können Sie sich eventuell auch noch daran erinnern? Es war gerade der Bericht des Bundesrechnungshofes zur Infrastruktur und den fehlenden Investitionen in die Schiene herausgegeben worden, und ich habe Herrn Wiesheu danach gefragt, was er zu diesem Bericht des Bundesrechnungshofes sagt und wie konkret mit den Langsamfahrstellen umgegangen wird. Darüber hat er eine ausführliche Auskunft gegeben, dass nämlich die Langsamfahrstellen –
– nur punktuell und bereits in den Fahrplan integriert ausgewiesen werden. Herr Bolick, ich bitte Sie also, bei der Wahrheit zu bleiben.
Ich habe keine Frage gehört, aber ich kann Ihnen sagen, über die Langsamfahrstrecken hat meines Wissens unser Herr Lücking berichtet und nicht Herr Wiesheu; denn Herr Wiesheu kennt die Langsamfahrstrecken in Sachsen nicht, und das Rechnungshofgutachten spielte dort keine Rolle.
Aber noch eines. Wir sind uns alle einig, dass wir eine leistungsfähige Bahn wollen, und eines ist Fakt: Ein leistungsfähiger Betrieb ist in Deutschland als Staatsbetrieb nicht mehr zu realisieren, und genau das ist das Problem, welches wir hier zu lösen haben. Wir sind über manchen Vorschlag auch nicht glücklich, vor allem, wie er im Gesetzentwurf steht; aber – Sie wissen das eigent
lich auch; vieles, was Sie hier erzählt haben, bezieht sich auf einen Zustand, der schon nicht mehr aktuell ist – wir wollen dort Änderungen und werden diese umsetzen.
Aber zum Fakt. Wir haben bereits im vergangenen Jahr zum Thema Kapitalprivatisierung diskutiert. Es liegen wieder drei Anträge vor. Sie machen diese komplexe und komplizierte Problematik auch nicht klarer; eher das Gegenteil ist der Fall, da diese Anträge in verschiedene Richtungen gehen. Deshalb ist es schon eine gute Nachricht für unser Sachsen, dass sich die Regierungskoalition in dieser Frage seit langer Zeit einig ist. Obwohl der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zeitpunkt der 55. Sitzung – als wir vor reichlich einem Jahr darüber gesprochen haben – noch nicht vorlag, hat sich nichts Grundsätzliches an der Auffassung der Koalition geändert, auch nicht an der Auffassung unserer Abgeordneten im Deutschen Bundestag in Berlin.
Am 19.07.2006 hatte ich bereits dargelegt, dass unsere Fraktion für eine weitere Privatisierung der Deutschen Bahn AG im Zuge des Börsenganges eintritt, da er für das Unternehmen Flexibilität und Wettbewerbsfähigkeit schafft sowie die Möglichkeit einräumt, bestehende Betriebsstrukturen zu optimieren und Kostennachteile gegenüber Wettbewerbern, besonders vor dem Hintergrund bestehender Tarifkonflikte, zu beseitigen. Auch damals habe ich darauf hingewiesen, dass unsere Fraktion einem Börsengang nur unter dem Gesichtspunkt der Beibehaltung einer umfassenden Einflussmöglichkeit auf das Schienennetz zustimmen kann, da dieses Netz Bestandteil der öffentlichen Infrastruktur ist und verkehrspolitisch gesteuert werden –
sowie unter Beachtung demografischer und wirtschaftlicher Entwicklungen für unser Land gestaltet werden muss. – Ja, bitte.