Der zweite Antrag in diesem Tagesordnungspunkt ist vorher zurückgezogen worden, deshalb behandeln wir nur diesen Antrag der Koalitionsfraktionen.
Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die Reihenfolge in der ersten Runde: CDU, SPD, Linksfraktion, NPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben uns in den letzten Jahren hier im Hohen Hause sehr oft und
intensiv über das Thema Strafvollzug unterhalten. War es Anfang der Neunzigerjahre unsere politische Verantwortung, einen neuen Strafvollzug unter demokratischen Grundsätzen aufzubauen, so ist es jetzt eher die Frage, dass wir diesen Strafvollzug auch mit den Problemen befassen müssen, die sich in der Kriminalitätsentwicklung in den letzten Jahren viel stärker ausgeprägt haben.
Dennoch möchte ich eines vorausschicken: Im Freistaat Sachsen hat es nie einen „Kuschelstrafvollzug“ gegeben, und auch künftig wird es keinen „Kuschelstrafvollzug“ geben.
Wenn jemand ins Gefängnis kommt, dann hat er oft eine längere kriminelle Karriere hinter sich, und die Haft ist der letzte Weg, den ein Gericht sucht, um den Kriminellen zur Räson und auf einen neuen Weg zu bringen.
Deshalb, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist das Thema Sozialtherapie im Freistaat Sachsen auch ein Thema, mit dem wir uns in den Jahren seit 1995 immer intensiver befassen mussten. Die Koalitionsfraktionen haben nunmehr – neben den Großen Anfragen, die wir sehr intensiv beraten haben – diesen Antrag vorgelegt. Ich danke dem Staatsministerium der Justiz herzlich für die vorliegende Stellungnahme.
Ich bin der Auffassung, dass uns ein auch zahlenmäßig umfangreiches Material vorgelegt worden ist, um dieses Thema fachlich stärker bewerten zu können.
Dennoch bleibt die Feststellung – Sozialtherapie ist das eine –: Die beste Therapie, Menschen wieder auf einen vernünftigen Weg außerhalb der Kriminalität zu holen, ist natürlich Arbeit. Das hängt alles damit zusammen. Auch Arbeit kann den Lebensrhythmus begleiten oder beeinflussen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist – herauslesbar aus der Stellungnahme des Justizministeriums – festzustellen: Die Rückfallquoten von Straftätern sind eindeutig zu hoch. Dies belegen Zahlen einer Rückfallstatistik des Bundesministeriums der Justiz aus dem Jahre 2003. So lag die Rückfallquote bei erwachsenen Tätern, die zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt worden sind, bei circa 60 %, bei jungen Tätern bei etwa 78 %. Diese Zahlen sind eindeutig zu hoch und so von uns nicht hinnehmbar.
Wir brauchen deshalb zum Regelvollzug zusätzliche Angebote für bestimmte Tätergruppen, um die Chancen auf Resozialisierung zu erhöhen. Eine funktionierende Sozialtherapie noch während des Strafvollzuges ist ein notwendiges und unverzichtbares Mittel, um Straftäter nach der Haft wieder dauerhaft in die Gesellschaft zu integrieren.
Im Freistaat Sachsen existieren gegenwärtig drei sozialtherapeutische Abteilungen in den Haftanstalten: für männliche Strafgefangene in der Justizvollzugsanstalt Waldheim, für männliche Jugendstrafgefangene in der Justizvollzugsanstalt Zeithain und für weibliche Straf- und Jugendstrafgefangene in der Justizvollzugsanstalt Dresden.
Der Freistaat ist mit seinen Bemühungen hinsichtlich der Erweiterung der Sozialtherapie gut beraten, die Rückfallquoten entsprechend ernst zu nehmen, aber dennoch auf einem vernünftigen Weg. Seit 1995 wurden die sozialtherapeutischen Abteilungen erweitert – in Waldheim zum Beispiel von 24 Haftplätzen im Jahre 1995 auf nunmehr 120 Haftplätze im Jahre 2005. 1999 wurde eine der bundesweit ersten Sozialtherapien im Jugendstrafvollzug in der Justizvollzugsanstalt Zeithain eingerichtet. Die zu
Ende dieses Jahres wird die Abteilung für männliche Jugendstrafgefangene aus der Justizvollzugsanstalt Zeithain in die neu erbaute Justizvollzugsanstalt RegisBreitingen verlegt – ein Projekt, Herr Staatsminister Mackenroth, das von diesem Hohen Haus, aber auch von der Staatsregierung immer als ein wichtiges Projekt angesehen worden ist. Ich freue mich, dass dort andere Möglichkeiten bestehen werden, Jugendlichen bessere Chancen zu geben, einen Beruf zu erlernen bzw. zu erleben, dass sich Arbeit mehr lohnt als Kriminalität. Dann können in dieser Einrichtung 39 Gefangene eine Therapie bekommen.
Zusätzlich wurde im März 2004 eine sozialtherapeutische Abteilung mit neun Haftplätzen in der Landeshauptstadt des Freistaates, in Dresden, errichtet. Im Zeitraum von März 2003 bis Dezember 2004 konnten in der Justizvollzugsanstalt Bautzen männliche Strafgefangene auf 26 Haftplätzen an der Sozialtherapie teilhaben. Herr Staatsminister, Sie werden Verständnis dafür haben: Das war ein sehr guter Anfang und ich bin der Auffassung, dass so ein Anfang durchaus eine Wiederholung erfahren kann.
Vielleicht sollten wir noch einmal darüber nachdenken, ob die Notwendigkeit besteht. Ich glaube, es war damals ein guter Anfang. In diesen sozialtherapeutischen Abteilungen wird sehr wichtige Arbeit geleistet. Die betroffenen Häftlinge erhalten die Chance, von ihrer kriminellen Energie wegzukommen, die Schwere der Straftat selbst zu begreifen, aber auch anzuerkennen, dass sie selbst Straftäter waren. Oft sind Straftäter in Haft der Meinung, alle um sie herum seien Straftäter und sie selbst hätten überhaupt keine Aktie daran, dass sie in das Gefängnis gekommen sind. Diesen Straftätern bietet die Sozialtherapie die Möglichkeit der Selbsterkenntnis, selbst schuld an der Straftat zu sein. Auf diese Weise kann der Weg in ein anderes Leben gefunden werden.
In der Sozialtherapie sind Täter, deren Straffälligkeit vor allem auf das Fehlen allgemeiner sozialer Fähigkeiten zurückzuführen ist. Für viele, die noch nie die Möglichkeit hatten, ein Gefängnis zu besuchen und die schweren Fälle dort zu erleben, ist es nicht nachvollziehbar, dass es Menschen gibt, die im alltäglichen Leben überhaupt nicht zurechtkommen und die nicht wissen, wie wichtig es ist, den Tagesablauf ordentlich zu strukturieren. Wenn die entsprechenden Fähigkeiten erst erlernt werden müssen, dann ist das für Erwachsene sicherlich ein schwieriger, aber ein notwendiger Weg. Die betreffenden Straftäter gelten nicht als psychisch krank, weisen aber Störungen ihrer Persönlichkeitsentwicklung und ihres Sozialverhaltens auf. Sie bedürfen einer besonderen sozial- und psychotherapeutischen Behandlung. Diese hat jedoch nur Sinn, wenn der Straftäter therapiewillig, therapiefähig und dazu bereit ist, diese Zeit durchzustehen und aus eigenem Willen zum Gelingen der Therapie beizutragen.
Vor der Inhaftierung sind diesen Gefangenen Pflichtgefühl und regelmäßige Tagesabläufe oftmals fremd. In der Sozialtherapie erleben sie zum ersten Mal einen geregelten und geordneten Tagesablauf. Hier lernen sie Pflichten kennen. Im geregelten Tagesablauf werden Arbeits-, Freizeit- und Behandlungsmaßnahmen aufeinander abgestimmt. Die Gefangenen müssen sich zwingen, dies über sich ergehen zu lassen, weil das Leben in Freiheit auch Entsprechendes vorschreibt. Man kann dort nicht, wenn es um Arbeit geht, zur Freizeit übergehen.
Es werden Gruppentherapien, Einzeltherapien und soziales Training angeboten. In der Therapie müssen sich die Gefangenen mit problematischen Verhaltensweisen auseinandersetzen und sich ihrer Vergangenheit, das heißt ihren Straftaten, stellen. So setzen sich die Gefangenen oft erstmals in der Sozialtherapie mit ihren Taten auseinander und lernen zu verstehen, welchen Schaden sie mit ihrem Verhalten angerichtet und welches Leid sie Menschen zugefügt haben. Der Gefangene wird befähigt, alltägliche Konflikte gewaltfrei zu bewältigen.
Dennoch gibt es Gefangene, die das alles nutzen und den Anschein erwecken, therapiewillig zu sein, um Vollzugslockerungen zu bekommen oder am Schluss die Bescheinung zu erhalten, die Therapie abgeschlossen zu haben. Der Gefangene muss selbst erkennen, dass das ein Fehler wäre. Die Therapie wird vom Freistaat finanziert. Wenn sie nur zum Schein erfolgen würde, wäre das Ergebnis bei dem einen oder anderen sicherlich nicht der Abschluss, sondern die Fortsetzung einer kriminellen Karriere.
Die Gefangenen sollten ein gutes soziales Miteinander kennenlernen. Dafür ist in den Anstalten ein zwischenmenschliches Klima notwendig, das von Unterstützung und gegenseitigem Verständnis geprägt ist – im Gegensatz zu den vorherigen Lebensumständen der Gefangenen.
Zur Resozialisierung bedarf es eines grundsätzlichen Umdenk- und Lernprozesses, des Erlernens geregelter Tagesabläufe, eines sozialen Miteinanders, der Wertschätzung des Lebens, der Gesundheit und der Eigentumssphäre anderer sowie des Willens zur Arbeit. Die Sozialtherapie wirkt verstärkt auf diese Denk- und Lernprozesse hin. Sie ist eine Kombination aus psychologisch-therapeutischen Verfahren, die auf eine nachhaltige Verhaltensänderung der Gefangenen abzielen. Die Erfolge der sozialtherapeutischen Abteilungen können im Regelvollzug für diese bestimmte Täterklientel nicht erreicht werden. Deshalb sind diese Abteilungen so wichtig. Der Ausbau der Therapieangebote ist weiterhin notwendig, Herr Staatsminister.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Anzahl der in der Sozialtherapie befindlichen vorbestraften Personen zeigt diese Entwicklung deutlich. Zu Beginn dieses Jahres hatten 79 von 145 Personen dort mindestens eine bis zu 15 Vorstrafen. Die Sozialtherapie kann für so vorgeprägte Menschen neue Wege aufzeigen, sich in Zukunft an Normen der Gesellschaft zu halten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich gehe davon aus, dass der Ausbau der Sozialtherapie die Chance bietet,
kriminelle Karrieren abzukürzen und zu verhindern, dass nach Haftentlassung eine Wiederholung erfolgt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wenn die Mehrzahl der Abgeordneten des Hohen Hauses momentan außerhalb des Plenarsaals zu sein scheint, ändert das natürlich nichts an der Wichtigkeit dieser Debatte. Ich hoffe auch, dass sich von der FDP-Fraktion noch jemand dazugesellt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei einer Vielzahl von Straftätern ist die Straffälligkeit auch auf das Fehlen grundlegender sozialer Kompetenzen zurückzuführen, die wiederum Basis für gesellschaftskonformes Verhalten sind. Um zu erreichen, dass Gefangene nach Verbüßung ihrer Strafe nicht erneut straffällig werden, ist es daher zwingend erforderlich, sie während der Haftzeit nicht nur beruflich zu qualifizieren, sondern darüber hinaus zu befähigen, alltägliche Konflikte gewaltfrei zu bewältigen. Genau diese Befähigung wird oder soll in der Sozialtherapie vermittelt werden.
Für eine Sozialtherapie kommen grundsätzlich alle therapiewilligen und therapiefähigen Straftäter aller Deliktsgruppen in Betracht, soweit sie nicht psychisch krank sind, wohl aber Störungen ihrer Persönlichkeitsentwicklung und ihres sozialen Verhaltens aufweisen und einer besonderen, wissenschaftlich anerkannten sozial- und psychotherapeutischen Behandlung bedürfen.
Die Zusammenhänge zwischen Sozialtherapie und Resozialisierungserfolg belegen eindrucksvoll, dass die bloße Verwahrung von Straftätern der Gesellschaft zwar für die Dauer der Haft Schutz vor weiteren Straftaten vermitteln kann, jedoch allein eine gelungene Resozialisierung die Garantie für eine dauerhafte Wiedereingliederung in die Gesellschaft bietet.
Die Sozialtherapie im Strafvollzug ist hierfür ein unverzichtbarer Baustein. § 9 des Strafvollzugsgesetzes sieht zwingend die Unterbringung von Sexualstraftätern in einer sozialtherapeutischen Anstalt vor. Andere Gefangene, insbesondere solche mit Verurteilungen wegen Gewaltstraftaten, können mit ihrem Einverständnis ebenfalls für die Sozialtherapie vorgesehen werden, eben als behandlungsorientierte Form des Vollzugs von Freiheitsstrafen.
Ich muss deutlich sagen: Es ist schade, dass die Sozialtherapie vielfach missverstanden und als bequemer Sozialvollzug abqualifiziert wird. Aus dem Blick gerät auch vielfach, dass gerade die Sozialtherapie für bestimmte
Tätergruppen ein erwiesenermaßen wirksames Hilfsmittel ist – ich habe es bereits angesprochen –, den zentralen Haftzweck zu erreichen: Schutz der Bevölkerung vor weiteren Straftaten durch Resozialisierung des Täters. Der Effekt ist statistisch belegt. Nachweisbar ist eine starke Rückfallreduzierung bei Strafgefangenen mit sozialtherapeutischer Behandlung.
Auch muss gesagt werden, dass Strafgefangene einer anspruchsvollen und fordernden Kombination modernster und hochwirksamer psychologisch-therapeutischer Verfahren unterzogen werden, die auf Nachreifung, Symptombeseitigung und Verhaltensänderung abzielen. Wer dies mit einem sozialen Kuschelsetting gleichsetzt, stellt damit lediglich seine abgrundtiefe Ahnungslosigkeit von den verschiedenen Wirkungen des Strafvollzugs unter Beweis.
Deutlich gesagt werden muss zudem, dass die Sozialtherapie innerhalb der geschlossenen und gesicherten Anstaltsbereiche stattfindet und sich äußerlich nur insofern vom Normalvollzug unterscheidet, als die Gefangenen in Wohngruppen untergebracht sind. Vollzugliche Lockerungsmaßnahmen werden Gefangenen, die in der sozialtherapeutischen Anstalt untergebracht sind, auch nur dann gewährt, wenn die Therapie angeschlagen hat und insoweit keine Missbrauchs- und Fluchtgefahr besteht.
Was ich damit sagen will: Häufig geäußerte Vorbehalte gegen die Sozialtherapie entbehren jeder Grundlage.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Freistaat Sachsen ist im Bereich der Sozialtherapie im Bundesvergleich gut aufgestellt. Gerade im Bereich des Jugendstrafvollzuges hat der Freistaat Sachsen eine Vorreiterrolle eingenommen, der wir auch mit dem neuen Jugendstrafvollzugsgesetz gerecht werden wollen. Trotzdem gibt es noch viel zu tun, da der Bedarf an Therapieplätzen weiterhin größer ist als das gegenwärtige Angebot. Genau dieses Problems wird sich die Koalition annehmen.