Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren und Vorrednerinnen und Vorredner! Ihre Argumentationen lauten im Kern immer wieder: Dr. Külow war für die Stasi tätig, aus den Akten gehen schwere Vorwürfe gegen ihn hervor; deshalb darf er heute nicht als Abgeordneter im Sächsischen Landtag sitzen. – So der Kernbestandteil Ihrer Argumentation.
Ich halte diese Gedankenführung für denkbar schlank, denn eine Beurteilung vorwiegend nach dem Kriterium der Vorwürfe nach Aktenlage zu machen greift nach meiner Meinung zu kurz. Es gibt weitere Kriterien, auf die ich jetzt eingehen werde und über die Sie vielleicht auch noch einmal nachdenken sollten, einfach weil sie uns das Verfassungsgericht für die Anwendung des Artikels 118 der Sächsischen Verfassung aufgegeben hat.
Da wäre als Erstes der Umgang mit der Tätigkeit als IM zu nennen. Sie, die Sie heute die Abgeordnetenanklage einleiten wollen, sollten sich an dieser Stelle vielleicht auch einmal einigen, was Sie erzählen. In der Vergangenheit haben einige von Ihnen gesagt – ich meine vor allen Dingen den Abg. Eggert im Ohr zu haben –: Wenn man doch nur alles zugeben würde, wenn man sagen würde, ja, ich war bei der Stasi, ich habe damals daran geglaubt, weil ich von diesem System überzeugt war, aber ich weiß heute, dass es falsch ist – ja, dann würde die Welt ganz anders aussehen, dann würden wir das jetzt ganz anders bewerten, dann könnten wir Gnade walten lassen.
Genau das hat Volker Külow aber getan. Trotzdem kommen Sie zu keinem anderen Urteil, trotzdem gewähren Sie keine Gnade, keine Vergebung.
Den beiden Rednern von den GRÜNEN und von der FDP, Kollegen Gerstenberg und Kollegen Günther, muss ich sagen, dass ich es bemerkenswert finde und – das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen – dass ich auch kein Verständnis dafür habe, dass Sie heute gesagt haben, dass Sie die Kriterien von Gnade und Vergebung für die falschen Kriterien, für die falsche Kategorie halten. Ich muss Ihnen sagen, dass mich diese Aussagen auch persönlich enttäuschen. Insofern habe ich das Gefühl, dass das Urteil auch immer schon im Vorhinein feststeht.
Einmal Stasi, immer Stasi, mit der Konsequenz der ewigen Verdammnis – das ist doch der Kern der heutigen Aussage.
Da liegt natürlich auch der Verdacht nahe, dass Sie die Argumente so einsetzen, wie Sie sie gerade brauchen. Ich kann nur sagen, glaubwürdig finde ich das nicht.
Frau Lay, wenn Sie von Gnade und Vergebung sprechen, geben Sie mir dann darin recht, dass der Begriff Reue zu diesem Dreigestirn gehört? Geben Sie mir auch darin recht, dass jemand nicht bereut, der sagt, er würde das heute wieder tun?
Ich gebe Ihnen durchaus recht darin, dass zum Begriff der Gnade auch der Begriff der Reue gehört, aber ich gebe Ihnen nicht darin recht, dass Sie Volker Külow mit einem veralteten Zitat zitieren. Ich werde im Laufe meiner Rede auch noch zu anderen Stellen in seinen Ausführungen kommen. Ich möchte Sie fragen: Haben Sie heute genau zugehört? Er hat sich heute sehr kritisch mit seiner Biografie auseinandergesetzt und er hat davon gesprochen, dass er sich bei den Betroffenen entschuldigt hat, dass er das Gespräch mit ihnen gesucht hat. Ich hätte es nur anständig gefunden, Frau Windisch, ich hätte es einfach fair gefunden, wenn Sie wenigstens das anerkannt hätten.
Meine Damen und Herren, was lernen wir aus den offenkundigen Fehlern der DDR? Ein konsequentes Bekenntnis zur Rechtsstaatlichkeit, würde ich meinen. Das lernen wir daraus, ganz zu Recht. Aber dann muss man das auch konsequent tun. Die Grundsätze des Rechtsstaates gelten für jeden, ob derjenige einem passt oder nicht. Deswegen gelten sie auch für ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit. Das ist nun einmal so.
Man muss das, was Volker Külow gemacht hat, nicht gut finden, überhaupt nicht. Man muss auch die Stasi nicht toll finden, im Gegenteil. Aber daraus den Entzug des Mandats von Volker Külow abzuleiten, das ist eine ganz andere Sache. Das ist auch der Punkt, in dem wir uns hier unterscheiden.
Meine Damen und Herren, der Rechtsstaat kennt Prinzipien. Das eine Prinzip ist das der Verhältnismäßigkeit. Dazu hat Volker Külow selbst gesprochen. Da stehen anderthalb Jahre gegen 17 Jahre.
Es gilt das Prinzip der Bewährung. Volker Külow hat sich 17 Jahre lang in der Demokratie bewährt. Das können Sie doch nicht einfach vom Tisch wischen.
Es gilt übrigens auch das Prinzip der Verjährung, das Prinzip, dass selbst schwerstes kriminelles Verhalten irgendwann nicht mehr vorzuwerfen ist, dass es nicht mehr zum Nachteil verwendet werden kann. Ein Totschläger kann 15 Jahre nach seiner Tat wieder im Parlament sitzen. Jemand, der vor 17 Jahren einen Bericht geschrieben hat, soll das nicht können.
Meine Damen und Herren, nur Mord verjährt nicht. Sie können das einfach niemandem vermitteln. Ich halte das
für unverhältnismäßig. Sie müssen einem Menschen doch nach 17 Jahren noch einmal eine Chance geben. Das gebietet doch die Menschenwürde und das gebietet der Anstand.
Viele derjenigen, die für das Stasi-Unterlagen-Gesetz waren, viele derjenigen, die sich in der Tradition der Bürgerbewegung sehen, auch Mitglieder von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, haben sich deswegen gegen eine Verlängerung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ausgesprochen. Sie haben gesagt: Ja, 15 Jahre lang hatte dieses Gesetz seine Berechtigung, aber danach müssen wir auch andere Formen in der Auseinandersetzung mit der Geschichte finden. Wie können Sie denn einerseits diese Position vertreten – möchte ich fragen –, gleichzeitig aber auf der Grundlage einer solchen Verlängerung eine Abgeordnetenanklage einleiten? Das geht doch nicht.
Schließlich, meine Damen und Herren, lautet ein Grundprinzip der Demokratie: Die Wählerinnen und Wähler sind der Souverän, und sie haben Volker Külow in den Sächsischen Landtag gewählt, ob Ihnen das passt oder nicht.
In einem demokratischen Verfahren, wie auch viele Abgeordnete Ihrer Fraktion auf der Grundlage der Verfassung und der geltenden Gesetze gewählt wurden.
Sie können das auch doof finden, aber es steht Ihnen nicht zu, den Wählerwillen rückgängig zu machen.
Der Rechtsstaat gilt für alle, meine Damen und Herren. Er muss auch für ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des MfS gelten, die sich in der Demokratie bewährt haben, und das hat Volker Külow.
Meine Damen und Herren, die Linksfraktion hat deswegen erklärt, dass sie die offene und kritische Erklärung von Volker Külow begrüßt. Er hat sich zu seiner Motivation geäußert. Er hat gesagt, dass es kein Ruhmesblatt war. Er hat Fehler eingeräumt. Er hat sich bei den Betrof
fenen entschuldigt. Er hat Gespräche mit den Betroffenen gesucht. Er hat Sie übrigens auch zu einer Diskussion eingeladen. Diese Einladung haben Sie ausgeschlagen. Sie hätten ja kommen und die kritische Auseinandersetzung suchen können, so wie ich es auch getan habe.
Aus diesen Gründen, meine Damen und Herren, lehnen wir die Einleitung der Abgeordnetenklage ab. Ich kann den Kolleginnen und Kollegen nur empfehlen, die Argumente, die ich genannt habe, noch einmal zu überdenken.
Meine Damen und Herren, ich habe die Meinung der Fraktion geäußert. Ich will nicht versäumen, noch einige persönliche Worte auszusprechen.
(Unruhe bei der CDU – Lachen des Abg. Holger Apfel, NPD – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Sie wissen es natürlich besser!)
Ich stehe dazu und lasse mich da, Frau Kollegin Windisch, übrigens auch von niemandem züchtigen. Es ist auch kein Geheimnis, dass Volker Külow und ich, was diese Fragen und was die innerparteilichen Strömungsauseinandersetzungen anbelangt, häufig unterschiedliche Meinungen haben. Das gehört zur innerparteilichen Pluralität.
Trotzdem möchte ich eines ganz deutlich sagen: Volker Külow hat in diesem Prozess, hat in der Auseinandersetzung mit seiner IM-Tätigkeit, hat in seiner Auseinandersetzung mit der Abgeordnetenanklage in meinen Augen ganz deutlich gewonnen. Ich weiß, ich habe es erlebt, dass ihm die Auseinandersetzung mit der IM-Tätigkeit, die Auseinandersetzung mit den Betroffenen auch persönlich nahegegangen ist. Sie selbst haben ältere Zitate von Volker Külow gebracht und Sie haben andere Aussagen von Volker Külow heute wieder hören können. Da muss Ihnen doch der Unterschied bewusst geworden sein. Das müssen Sie doch gemerkt haben.
Ich weiß auch, dass Volker Külow sich in dieser Auseinandersetzung eine sehr kritische Position zum MfS und zu seiner eigenen Tätigkeit erarbeitet hat. Er hat für mich glaubwürdig dargestellt und bewiesen, dass er sich von einem dogmatischen zu einem demokratischen Sozialisten weiterentwickelt hat. Ich bin davon überzeugt, dass Volker Külow einen langen Weg der Auseinandersetzung hinter sich hat. Das respektiere ich, das achte und das schätze ich. Ich finde, Sie könnten so fair sein, das auch einmal anzuerkennen.