Protocol of the Session on July 6, 2007

Beim Lesen der Akten und auch bei den beiden Debattenbeiträgen des Betroffenen und des Kollegen Hahn war bei mir nach 17 Jahren wieder dieser Würgegriff der Beklemmung aus dieser Zeit da.

(Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Das Erschrecken über die Banalität und Subtilität der Vorgehensweise und die Angst davor kommen wieder hoch, dass sich so etwas wiederholen könnte. Davor bewahre uns der Himmel und unsere wehrhafte Demokratie.

(Beifall bei der CDU, der Linksfraktion, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Die Frage, mit der wir uns in der Öffentlichkeit auseinandersetzen müssen und bei der sicher viele unserer Zeitgenossen auch nachfragen, ist: Soll ein solches Verfahren 17 Jahre nach der friedlichen Revolution noch eingeleitet werden? Die Frage, die für uns heute steht, ist eben, inwiefern dieser lange Zeitablauf relevant für die Einleitung dieses Verfahrens und ob der Zeitablauf von erheblicher Bedeutung ist.

Die schon zitierte arbeitsrechtliche Rechtsprechung und der Charakter des Artikels 118 unserer Verfassung als Übergangsbestimmung legen eine solche mögliche Erwägung nahe. Aber diese Argumentation berücksichtigt gerade nicht die besondere hervorgehobene Bedeutung, die für das Funktionieren unseres demokratischen Gemeinwesens das Vertrauen in die Integrität aller Mitglieder des Parlaments besitzt.

Das einschlägige Urteil des Bundesverfassungsgerichtes bzw. dessen Argumentation ist der Beschlussempfehlung

beigefügt und von jedem nachzulesen. Dort ist noch einmal explizit klargestellt worden, dass aktive Tätigkeit für den Unterdrückungsapparat einer Diktatur und die gleichzeitige Mitgliedschaft in einem mit besonderem Vertrauen betrachteten Repräsentativorgan wie dem Landtag sich in der Demokratie gegenseitig strikt ausschließen.

Ja, Freiheit und Unterdrückung passen nicht zusammen. Das ist ein unauflösbarer Widerspruch. Die Zeitabläufe, die hier angeführt werden, relativieren doch auch nicht die Folgen bei den Opfern. So beschreibt zum Beispiel der bekannte Hallenser Psychotherapeut Prof. Maatz, welche schweren psychischen Belastungen aus dem DDR-Regime heute noch nachwirken. Ich zitiere nur ein ganz kurzes Stück, und das insbesondere für die jungen Parlamentsmitglieder und vielleicht auch für die Kollegen, die eine andere Sozialisation vor 1990 hatten, als wir sie erlebt haben. Prof. Maatz schreibt: „Wer nie erlebt hat, was es heißt, wenn alles vorgeschrieben ist, was man sehen, hören, denken, sprechen, fühlen oder tun darf, der wird kaum ahnen, was das SED-Regime in den Körpern und Seelen derer angerichtet hat, die ihm unterworfen waren. Diese Wirkungen lähmen vermutlich über mehrere Generationen auch Kinder und Kindeskinder...“ So viel zu den Zeitabläufen.

Deshalb ist es nur legitim, bei der Abwägung der Argumente nicht nur die schnelle Rehabilitation der Täter, sondern auch die Belange der Opfer im Auge zu haben. Kollege Heinz Eggert hat es gerade noch einmal geschildert.

Wir stehen als CDU-Fraktion in unserer Verantwortung für das Erbe der friedlichen Revolution und wir stehen in der Pflicht, die Lehren aus Diktaturen zu ziehen. Von dieser Pflicht kann uns der Zeitablauf nicht befreien.

(Beifall bei der CDU)

Herr Kollege Hahn, ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass die Bürgerrechtler 1990 eine Frist vorgegeben hätten, wie viele Wahlperioden sich jemand enthalten sollte, ein öffentliches Amt anzustreben. Es geht auch nicht darum, wie es von der Linksfraktion gesagt worden ist, einen missliebigen Oppositionspolitiker mundtot zu machen. Was jemand denkt, ist in der Demokratie völlig egal. Es geht um die nachgewiesene bewusste und finale Tätigkeit für das MfS. Nichts anderes haben wir hier zu bewerten. Dies ist nachgewiesen und wurde auch von Herrn Dr. Külow selbst nicht bestritten.

Wenn er behauptet, mit seiner Vergangenheit offen umgegangen zu sein, insbesondere, diese vor der Wahl 2004 bekannt gemacht zu haben, dann ist das eben nur ein Teil der Wahrheit, denn in seinem Wahlflyer bzw. auf der Homepage war zu lesen, er sei 1988 von der HVA zur Gewinnung von Auslandskontakten angesprochen worden, ohne weiter ins Detail zu gehen. Damit hat er lediglich die Tätigkeit für die HVA eingeräumt und so den Anschein erwecken wollen, er sei für die Auslandsaufklärung, also für die in manchen Kreisen sogar bewunderten

„Jungs von Markus Wolf“ und nicht gegen seine Mitbürger, tätig gewesen.

Die Akten der Birthler-Behörde brachten dann aber etwas anderes zutage. Das kann er doch selbst vor der Landtagswahl 2004 nicht vergessen haben; denn tatsächlich war er – unabhängig von seiner rein organisatorischen Zuordnung zur HVA – im Inland, nachgewiesenermaßen gegen Freunde, Kollegen, Studenten, Professoren, Bekannte oder sogar Verwandte, tätig! Er entfaltete seine Spitzeltätigkeit innerhalb der DDR und letztendlich nur dort, und das wussten seine Wähler zu diesem Zeitpunkt nicht. Diese Tätigkeit hat er auch nicht selbst aufgedeckt, sondern erst zugegeben, als die Akten diese bedrückende Beweislage offenbart haben. Hier setzt die Kritik des Bewertungsausschusses ein.

(Beifall bei der CDU)

Das ist nicht der für eine positive Zukunftsprognose nötige offene und kritische Umgang mit der Vergangenheit! Auch dazu noch ein Zitat von Dr. Külow: „Es hat mir eingeleuchtet, dass es solche Aufgaben gibt. Ich fand es in Ordnung und finde es auch heute noch.“ Nach seiner Erklärung dem Ausschuss gegenüber steht das Bekenntnis zu Grundgesetz und Rechtsstaat. Rechtsstaat und Grundgesetz auf der einen Seite, Verteidigung von illegaler Gewinnung teils vertraulicher Informationen und deren Weitergabe – sollte das ein Charakterfehler sein, möglicherweise auch heute noch? – auf der anderen Seite. Das ist ein Anachronismus!

Mir stellt sich noch die Frage: Wog sich Herr Dr. Külow deshalb in Sicherheit, weil er bei der HVA geführt wurde und davon ausgehen konnte, dass deren Aktenbestände nach allgemeiner Auffassung vernichtet waren? Können nun, nachdem die Birthler-Behörde über modernste Technik verfügt, die selbst aus Schnipseln wieder lesbares Material erstellt, möglicherweise neue Dokumente auftauchen?

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: In Sachsen werden genügend Schnipsel verbreitet!)

Herr Dr. Külow, darauf hätten wir gern von Ihnen selbst hier und heute noch eine Antwort, weil diese für das weitere Verfahren von Bedeutung sein könnte.

(Beifall bei der CDU und den GRÜNEN)

Herr Dr. Külow ist durch das, was er tat, eben nicht der von ihm selbst dargestellte Prototyp des engagierten DDR-Bürgers, sondern er ist der Typ des dienstbeflissenen oder – man kann auch sagen – karrieregeilen Mitarbeiters der Staatssicherheit. Er sagt, er hatte keine Vorteile. Welcher Student konnte ins NSW reisen? Wer bekam eine Dienstreise nach London? Ich nicht! Und viele andere sicher auch nicht. Wer hat um den Preis einer in Aussicht gestellten besseren Wohnung in Berlin diese gleich dem MfS für konspirative Zwecke angeboten?

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, bei Herrn Dr. Külow hat der innere Kompass versagt und es hat das versagt, was ein normaler Mensch als Wertegerüst

hat und was er unter Anständigkeit im Umgang mit seinen Mitmenschen versteht. Genau an dieser Stelle, wo es um die Mitarbeit mit dem MfS ging, konnten damals selbst überzeugte Sozialisten – ich habe solche auch in meiner früheren Arbeit gekannt – die scharfe Grenze ziehen und Nein sagen. Diese Grenze ist von Ihnen wissentlich und aus eigenem Antrieb überschritten worden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bevor ich zum Schluss komme, noch ein Wort an die Linksfraktion selbst: Warum setzen Sie auf Ihre Listen immer wieder Kandidaten mit dieser Vergangenheit?

(Beifall bei der CDU und den GRÜNEN – Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NDP)

Ich will Ihnen ein Zitat vorhalten, das ich im „Stadtmagazin Leipzig“ gelesen habe. Dort wird Herr Külow folgendermaßen beschrieben: „In seiner Partei gilt er als Zuchtmeister, der einen harten Kurs gegen jüngere, progressive Kräfte fährt.“ Deshalb mein Appell an diese progressiven Kräfte in der Linksfraktion – sollte es sie denn geben –: Machen Sie sich frei von solchen Zuchtmeistern!

(Zurufe von der Linksfraktion – Holger Apfel, NPD: Schauen Sie sich an!)

Setzen Sie auf unbelastete Kräfte und unterstützen Sie uns in diesem Verfahren nach Kräften! Damit können Sie Ihre Reformbereitschaft unter Beweis stellen.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Das Wort hat der Abg. Günther.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Porsch, ich hätte mir in dieser Problematik und zu diesem Sachverhalt von Ihnen die gleichen Reaktionen wie von Ihrem Amtskollegen aus Sachsen-Anhalt zu einem ähnlichen Problem gewünscht. In diesem Jahr traf es dort den Chef der IHK. Er wurde enttarnt. Der Fraktionschef der Linken, Wulf Gallert, sagte: „Ich finde es daneben, dass sich Herr Hickmann, Chef der IHK, in der Opferrolle sieht. Er kann doch gar nicht wissen, was mit seinen Informationen passiert ist.“

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Na und, haben wir das nicht gesagt?!)

Gallert erklärte, in der Vergangenheit sei bei bedeutend geringeren Belastungen mit Menschen härter umgegangen worden. Solch eine Reaktion hätte ich mir hier auch gewünscht.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Um es ganz deutlich zu sagen: Die knapp zweijährige Tätigkeit als IM dauerte aus einem einzigen Grund nur zwei Jahre: weil die DDR dann weg war – schlicht und ergreifend –, sonst wäre es weitergegangen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Kein Mensch hat etwas anderes gesagt! Sie sollten zuhören!)

Herr Porsch, Sie erinnern mich immer mehr an einen schlechten Rotwein: Der Abgang ist ganz mies.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der CDU)

Als einziges Argument kam heute, dass Herr Külow 1990, 1994 und 1999 auf eine Kandidatur für den Sächsischen Landtag verzichtet hat. Wo bitte sind die Beweise dafür, dass Herr Külow verzichtet hat aus dem Grund heraus, weil er früher IM-Spitzel war? Wo ist das hinterlegt? Gibt es Argumente dafür?

(Rico Gebhardt, Linksfraktion: Weil er als Direktkandidat kandidiert hat!)

Also hat er doch kandidiert? – Das Nächste ist, Herr Külow sprach im Ausschuss und auch hier wieder von partieller Verdrängung der Tatsachen, was er 1988 und 1889 gemacht hat. Partielle Verdrängung – aber auf der anderen Seite hat er bekannt. Was denn nun? Hat er verdrängt oder hat er bekannt? Es gibt nur eines von beiden. Man kann es nicht vermischen.

Das Nächste, was mich auch verwundert hat, ist: Warum haben Sie, Herr Külow, 2005 – als wir das erste Mal im Bewertungsausschuss gesessen haben – nicht gesagt, dass noch mehr kommen kann? Sie können es doch nicht verdrängt haben, dass noch mehr dabei gewesen ist! 2005 saßen wir im Keller über den Akten und haben über das Problem gesprochen. Wir haben gefragt: Ist noch mehr? Sie haben gesagt: nein. Das war eine Lüge!

Sehr geehrter André Hahn, das Argument, dass wir jetzt den Ausschluss aus dem Parlament nur deswegen machen würden, weil die aktuellen Skandale vorhanden seien, ist falsch!

(Dr. André Hahn, Linksfraktion: Das haben wir auf die CDU gemünzt!)

Noch nicht einmal die CDU kann das machen. Im Januar tauchten die Akten zu Dr. Külow auf. Es gibt da keinen Zusammenhang. Das ist schon ein mieses Argument!

(Beifall bei der FDP, der CDU, der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Herr Külow, Sie haben hier das Wort „Vergebung“ in den Mund genommen. Vergebung kann man nicht einklagen. Vergebung kann man nicht verlangen. Ich bete und hoffe, dass die Verfassungsrichter in Leipzig richtig entscheiden, und ich hoffe, dass sie es dieses Mal nicht an Formsachen beurteilen, sondern dass es diesmal eine Verhandlung um der Sache willen gibt.

Vielen Dank.