Die Linksfraktion hat im Rahmen der letzten Haushaltsdebatte einen Antrag zur finanziellen Förderung von Ärzten gestellt, um dem drohenden Ärztemangel entgegenzuwirken. Die Staatsregierung sollte 2 Millionen Euro in den Haushalt 2007/2008 einstellen. Der Antrag stieß auf taube Ohren. Aber, liebe Koalition, es gibt auch nicht genügend Ohrenärzte.
(Beifall der Abg. Kerstin Köditz, Linksfraktion, und Holger Zastrow, FDP – Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)
Besonders Kinder brauchen einen Arzt bzw. eine Ärztin ihres Vertrauens, die die Sorgen der kleinen Patienten erkennen und liebevoll und ohne Stress behandeln. Volle Wartezimmer sorgen bereits bei Kindern und Ärzten für Stresssituationen. Kinder brauchen einen Arzt in ihrer Nähe, sodass nach einer schlaflosen Nacht mit fieberndem Kind Mutti oder Vati nicht auch noch lange Wege bis zum nächsten Kinderarzt auf sich nehmen müssen.
Meine Zahlen, Herr Zastrow, sehen etwas anders aus. Das mag an der Quelle liegen. Aber in den letzten zehn Jahren ist der Anteil der über 60-jährigen niedergelassenen Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin von 19 auf 121 gestiegen. Dagegen ist die Zahl der unter 40-jährigen berufstätigen Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin von 223 auf nur noch 69 gesunken. Auf diese Entwicklung hat die Sächsische Landesärztekammer bereits 2001 hingewiesen. Hier sei schon die Frage erlaubt, wieso die politisch zuständigen Stellen nicht bereits 2001 reagiert haben.
Wir wollen ein familienfreundliches Sachsen sein. Für Eltern, die auf der Suche nach einem Arbeitsplatz sind und sich niederlassen wollen, ist es ein entscheidendes Kriterium der Familienfreundlichkeit, wenn eine wohnortnahe zuverlässige medizinische Versorgung ihrer Kinder garantiert ist. Ist das nicht der Fall, sind nicht nur keine Zuzüge zu erwarten. Wir wollen doch nicht, dass weiterhin viele Frauen aus Sachsen abwandern und sich somit die Zahl der Kinder an die Zahl der Kinderärzte anpasst.
Sehr geehrte Damen und Herren! Eine Facharztausbildung dauert fünf Jahre. Kinderärzte in den alten Bundesländern verdienen in der Zwischenzeit 30 % mehr als sächsische Ärzte.
Auch Ärzte und Ärztinnen in den neuen Bundesländern benötigen auf Dauer eine angemessene Honorierung für ihre Leistungen. Bleibt dies aus, bleiben die Ärzte weg.
Will Sachsen aus dem bereits gebahnten Weg in die Sackgasse ausbrechen, müssen wir etwas dafür tun. Bleiben entsprechende Eingriffe aus, wird Sachsen im Wettbewerb mit besser bezahlten Regionen schlechte Karten haben. Deshalb müssen Kinder- und Jugendärzte auch politisch wirksam gestärkt werden. Analysen liegen reichlich vor. Die Prognosen für die nächsten fünf Jahre sind im engeren Sinne keine Prognosen, sondern die Ernte der bisherigen Politik, denn der Versorgungsgrad von heute ist das Ergebnis der Gesundheitspolitik der letzten zehn Jahre.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Öffentlichkeit für diese Problematik, die wir heute besprechen, wurde durch eine Pressemitteilung der Sächsischen Landesärztekammer aus dem Jahr 2006 hergestellt. Ich denke, es ist gut so, dass die Öffentlichkeit darüber spricht. Frau Schütz hat es ja immerhin geschafft, dass sie trotz der intensiven Arbeit, die sie jetzt mit ihrem Baby hat, eine gute Öffentlichkeitsarbeit gestellt bekam. Ich halte das für so schlecht nicht.
Ich will einmal versuchen, einige Probleme aufzuzeigen, die Sie als Antragsteller dieser Aktuellen Debatte nicht so komplett behandelt haben. Wir haben in Sachsen, aber nicht nur in Sachsen, das Problem, dass die Ärztezahl zunimmt, aber die für die medizinische Behandlung verfügbaren Ärzte nehmen eigentlich ab. Es gibt dafür viele Ursachen, die wir hier schon mehrfach diskutiert haben. Das wiederhole ich heute nicht.
Ein weiteres Problem ist, dass es bestimmte Fachgruppen in der Ärzteschaft gibt, die offensichtlich nicht mehr so attraktiv für die heutigen Medizinstudenten sind: Hautärzte, Urologen und eben auch Kinderärzte. Ein weiteres Problem, das Sie angesprochen haben, Herr Zastrow, ist die räumliche Verteilung. Es gibt bestimmte Zentren, die attraktiv sind, bei denen wir eine Überversorgung haben, die wir so nicht brauchen. Wir haben aber ländliche Bereiche, in denen wir dringend noch Ärzte brauchen. Auch das haben wir alles diskutiert, und es sind schon verschiedene Möglichkeiten genannt worden.
Ich möchte noch ein Problem benennen, das meine Vorrednerin angesprochen hat. Unsere Ärzte rechnen uns vor – es gibt ja immer verschiedene Rechnungen, je nachdem, auf wen man gerade hört –, dass wegen deutlich höherer Patientenzahlen der Osten nach wie vor nur mit etwa 80 % bezahlt würde, auch wenn der eigentliche Lohnabstand nicht so groß ist. Wenn Sie im Bundesministerium nachfragen, bekommen Sie ganz andere Zahlen. Ich bin da immer vorsichtig, weil ich darauf schaue, wer mir gerade etwas vorrechnet.
Kinderärzte wurden vor vier bis fünf Jahren im Verhältnis zu anderen wirklich noch schlecht bezahlt. Sie waren ziemlich am unteren Rand der Fachärzteschaft. Das ist aber anders geworden. Sie liegen jetzt im Mittelfeld, und zwar ist das hauptsächlich durch eine andere Punkteverteilung in der Selbstverwaltung geregelt worden.
Ein Punkt, warum wir die Verteilung so haben, wie sie uns vom Ministerium in der eben zitierten Kleinen Anfrage vorgestellt wurde, ist, dass zu DDR-Zeiten der Kinderarzt zur Grundversorgung gehörte. Das hieß, dass es in jedem Landambulatorium einen gab. Entsprechend wurden auch Leute ausgebildet. Die DDR hatte natürlich andere Zwangsmittel, die sie auch nutzte, die wir heute
nicht nutzen können oder nicht nutzen wollen. Das heißt, die mittlere Generation der heutigen Kinderärzteschaft ist genau diejenige, die damals die Grundversorgung in der DDR gemacht hat. Deshalb gibt es die entsprechende Verteilung, und wir haben weniger Nachwuchs.
Die wenigen heute Ausgebildeten – das sind auch noch meist Frauen – bleiben lieber in der Klinik, da die sozialen Bedingungen – darauf hat Herr Zastrow schon hingewiesen – deutlich besser sind als zum Beispiel bei niedergelassenen Ärzten: ein besser geregelter Dienst, der Bereitschaftsdienst ist besser planbar und viele andere Dinge.
Kinderärzte haben heute mehr Arbeit, da bei den Allgemeinärzten die Kinderheilkunde nicht mehr Teil der Ausbildung ist. Das ist aber nicht Aufgabe der Politik, das macht die Ärzteschaft selbst. Das hat nicht die Politik zu verantworten; das ist so, Herr Wehner.
Weil demzufolge Kinderärzte zunehmend weniger Kinder behandeln, wandert das zu den Ärzten, die dafür eine spezielle Ausbildung haben.
Die Verantwortlichen, die diese Entscheidung getroffen haben – ich habe mich zu erkundigen versucht –, gehen davon aus, dass es ausreichend fachlich qualifizierte Leute gibt – in dem Fall Kinderärzte – und dass das deshalb nicht mehr in die Allgemeinarztausbildung hineingenommen werden muss. Diese Auffassung kann man teilen, muss man aber nicht.
Was ist das Schöne an diesem Beruf – was ich so erfragt habe: erstens, die hohe Befriedigung bei der Behandlung und Heilung der kleinen Patienten, die ihre Dankbarkeit und Anerkennung noch unverkrampft und ungehemmt zeigen, und zweitens: Der Kinderarzt behandelt den ganzen Patienten und nicht nur einen bestimmten Teil des Patienten, wenn ich das mal etwas unseriös so ausdrücken darf. Deshalb ist sein Behandlungsansatz viel ganzheitlicher als bei anderen Spezialisten.
In meinem zweiten Redebeitrag will ich versuchen, aus unserer Sicht noch einige Punkte zu benennen, wie man die Situation doch noch verbessern könnte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Sachsen drohen nach den Hausärzten jetzt auch die Kinderärzte „auszugehen“. Nicht ohne Grund ist die Sächsische Landesärztekammer daher mit dieser alarmierenden Feststellung und Warnung an die Öffentlichkeit getreten. Natürlich ist ein Rückgang der praktizierenden Kinderärzte nicht nur in Sachsen zu verzeichnen oder gar allein auf spezifisch sächsische Verhältnisse zurückzuführen. Die kinderärztliche Betreuung gerade im ländlichen Raum ist eben eine in vielen
Belangen schwere Arbeit: Große Versorgungsbereiche mit vergleichsweise geringer Kinderdichte pro Quadratkilometer erfordern von Arzt, Praxiskollektiv und auch Patienten oft einen immensen Zeitaufwand, und zwar zusätzlich zur immer mehr überbordenden Bürokratie.
Wie sollte man aber den Studienabsolventen die Ausbildung zum Facharzt für Pädiatrie schmackhaft machen, wenn gleichzeitig in der Krankenhausplanung fast nur die Schließung pädiatrischer Abteilungen in den Regelversorgungskrankenhäusern im ländlichen Raum festgeschrieben wird?
Wo soll man unter diesen Bedingungen seinen Ausbildungspflichten nachkommen? Dies ist aus meiner Sicht auf Landesebene regelbar. Die Pädiatrie ist immerhin ein Querschnittsfach wie die Allgemeinmedizin; aber Kinder sind nicht per se kleine Erwachsene. Die vielfach – so auch in meinem Versorgungsgebiet Sebnitz – praktizierte Betreuung der Kinder im Kassenärztlichen Notfalldienst durch die Hausärzte ist somit nur eine Notlösung. – Da muss ich zu Herrn Gerlach sagen: Pädiatrische Betreuung ist aus meiner Sicht schon eine Grundversorgung.
Gleichzeitig wandelt sich das Aufgabengebiet der Pädiater in den Praxen: Waren es früher überwiegend organische Befunde, die es zu behandeln galt, so finden sich jetzt verstärkt auch Verhaltensauffälligkeiten, was eine stärkere Ausrichtung der Kinderärzte auf Vorsorgeuntersuchungen hinsichtlich Entwicklungsstörungen notwendig macht.
Nach Auffassung des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte rücken jetzt verstärkt Sprach-, Rechen- und Verhaltensteste in den Vordergrund. Da inzwischen von den Kinderärzten bis zu 30 % aller ABC-Schützen bei ihrer Einschulung als nicht schulfähig und über ein Drittel der Kinder und Jugendlichen als unzureichend betreut eingestuft werden, müsste sich der Logik nach der Bedarf an Kinderärzten entsprechend eher erhöhen, statt abzunehmen.
Vor diesem Hintergrund sind die Zahlen, die das sächsische Sozialministerium im Juni ermittelt hat, alarmierend. – Kollege Zastrow nannte die Zahlen bereits im Einzelnen.
Noch bedrückender ist dies, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass genau auf diese Entwicklung bereits im Jahr 2001 von der Sächsischen Landesärztekammer hingewiesen wurde.
Welche Anreize müssten denn geschaffen werden, um Studierende der Humanmedizin für eine Ausbildung zum Kinderarzt zu gewinnen; um Absolventen und ausgebilde
te Kinder- und Jugendärzte gegebenenfalls aus anderen Bundesländern für Sachsen zu werben? Bei der Ausbildung wäre es nach Ansicht der Landesärztekammer eventuell hilfreich, wenn bereits Patenschaften zwischen Studenten und niedergelassenen Fachärzten eingerichtet würden.
Bei der Gewinnung von Fachärzten dürften aber auch finanzielle und arbeitstechnische Voraussetzungen und Ausstattung eine nicht unerhebliche Rolle spielen. So müsste eine Ansiedlung im ländlichen Raum gegebenenfalls unterstützt werden.
Ein wichtiger Aspekt ist aber auch der Abbau berufsfremder Tätigkeiten einer ausufernden Bürokratie, die sich in der Erstellung von Statistiken erschöpft und immer weniger Zeit für die eigentliche Kernaufgabe, die Behandlung kranker bzw. gefährdeter Kinder, lässt.
Auch die Vergütung muss anders geregelt werden. Es ist kein Anreiz, wenn die ärztliche Leistung in einen quasi planwirtschaftlichen Praxisgruppendurchschnitt mündet, bei dem eigentlich nur noch das Erreichen der Fallzahl des Gruppendurchschnitts zählt und nicht mehr die ärztliche patientenbezogene Betreuung selbst; der Arzt jedoch von der Bürokratie nicht entlastet und gegebenenfalls sogar noch in persönlichen Regress genommen wird, wenn er aus ärztlicher Verantwortung über einen festgelegten Durchschnitt hinaus Medikamente verschreibt.
Aber es betrifft nicht nur die niedergelassenen Kinderärzte. Es sollte schon zu denken geben, wenn – wie bei mir im Landkreis Sächsische Schweiz – selbst die Ausschreibung einer Planstelle im Landratsamt trotz des Angebotes übertariflicher Vergütung bisher ohne geeignete Bewerber blieb, und zwar bei Veröffentlichung innerhalb Deutschlands, aber auch in der Republik Österreich und sogar in der Tschechischen Republik. Die Probleme des Ärztestandes sind der Politik doch bekannt: ausufernde Bürokratie; der Widerspruch, einerseits als Arzt nur noch Dienstleister zu sein, andererseits das alte ärztliche Berufsethos verkörpern zu sollen; der damit verbundene Verlust der Wertschätzung des Berufes im Allgemeinen; aber auch eine Vergütung, die schon lange nicht mehr im Vorderfeld der Gesellschaft und vor allem nicht der Verantwortung entsprechend angesiedelt ist.