Herr Colditz, können Sie uns bitte erklären, worin denn die Mängel des unzureichenden Konzepts in Pieschen bestanden?
Frau Kollegin Günther-Schmidt, Sie sollten diese Frage an das Kultusministerium richten. Ich habe tiefes Vertrauen in das Kultusministerium, das das Konzept vorliegen und offensichtlich festgestellt hat, dass konzeptionelle Mängel auftreten. Es steht Ihnen völlig frei, den Kultusminister diesbezüglich zu fragen. Ich denke, Sie werden auch eine sachliche Antwort bekommen.
Meine Damen und Herren! Wir glauben nicht an die Mär, dass an Gemeinschaftsschulen – wie oft von Bildungsideologen behauptet – das sächsische oder gar das deutsche Schulsystem genesen kann.
Denn erstens hat sich das sächsische Schulsystem sowohl im nationalen als auch im internationalen Vergleich als leistungsfähig bewährt.
Zweitens hat die nahe Verwandte der Gemeinschaftsschule, nämlich die Gesamtschule, sehr eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass mit dieser Schulform weder aktuelle noch zukünftige Probleme der Schulentwicklung gelöst werden können.
Daran ändert auch der vollzogene Etikettenwechsel nichts, indem man aus der Gesamtschuldiskussion jetzt eine Gemeinschaftsschuldiskussion macht.
Geradezu peinlich, Herr Kollege Porsch, wird die Diskussion allerdings, wenn man behauptet, dass Gemeinschaftsschulen erst dann ihre Wirkung entfalten können, wenn im Umfeld keine differenzierten Angebote mehr existieren.
Im Übrigen muss man feststellen: Wenn diese Behauptung so steht, dann würde ja auch die Einrichtung von Schulversuchen in der Art von Gemeinschaftsschulen gar keinen Sinn mehr machen. Denn sie werden auch in Zukunft, meine Damen und Herren, im feindlichen Umfeld unseres Schulsystems in Sachsen bestehen müssen.
Fazit, meine Damen und Herren: Gemeinschaftsschulen haben in Sachsen im Rahmen der getroffenen Vereinbarungen durchaus eine Perspektive. Zu diesen Vereinbarungen gehört jedoch nicht die Novelle des Schulgesetzes und damit auch nicht die Infragestellung unserer Schulstruktur. Gleichwohl ordnen sich die Schulversuche in die Bemühungen der Koalition zur Übertragung von mehr pädagogischer und personeller Verantwortung auf die Schulen ein. Wesentliche Elemente einer verantwortlichen Schule können so erprobt werden.
Meine Damen und Herren! Die Gemeinschaftsschulen unterstützen damit auch die Reform der Schulverwaltung, indem eine ergebnisorientierte Ressourcenverwaltung erprobt und Kompetenzen der Schulverwaltung bei der Unterstützung und Beratung der Schulen weiterentwickelt werden.
So betrachtet sind Gemeinschaftsschulen gut geeignet, unser Schulsystem inhaltlich anzureichern, ohne es generell infrage stellen zu müssen, wozu – wie gesagt – auch kein Anlass besteht.
das das vorhandene Schulsystem inhaltlich anreichern, aber nicht ersetzen wird. Wir, meine Damen und Herren, haben an dieser Stelle tatsächlich ideologische Barrieren überwunden. Es wäre wünschenswert, wenn auch die Antragsteller dieser Debatte dazu kommen würden.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt sie in Sachsen: die Gemeinschaftsschule. Das sah vor drei Jahren noch anders aus.
Seit einem Jahr besuchen Kinder Gemeinschaftsschulen in Leipzig und Geithain. Weitere Schulen gehen im nächsten Schuljahr in Chemnitz, in Moritzburg, in Zittau und mit leichter Zeitverzögerung auch in DresdenPieschen an den Start. In Cunewalde und Oederan freuen sich Schulträger, Eltern und Kinder auf ihre Gemeinschaftsschule für das Schuljahr 2008/2009. Und auch anderenorts machen sich engagierte Pädagoginnen und Pädagogen sowie Eltern, unterstützt von ihren Kommunen, auf den Weg.
Ich werde mich hier aber nicht auf eine quantitative Debatte einlassen. Denn der entscheidende Punkt, um den es geht, ist, dass die Politik das Umdenken in der Gesellschaft wahrnimmt und aufgreift. Die Menschen vor Ort wollen, dass sich Schule verändert. Sie wollen mehr Bildungsgerechtigkeit für ihre Kinder. Wir beobachten dieses Umdenken, das sicherlich ebenso vom demografischen Wandel wie von den PISA-Studien gefördert wird – mittlerweile überall in Deutschland, nicht nur in Sachsen und Schleswig-Holstein,
sondern auch in Nordrhein-Westfalen, wo Eltern und Lehrer mit der Beantragung von Gemeinschaftsschulen aus dem viergliedrigen Schulsystem mit Hauptschule, Realschule, Gymnasium und integrierter Gesamtschule herauswollen.
Herr Dulig, Sie haben gesagt, Sie wollen sich auf keine quantitative Debatte einlassen. Ich habe dazu aber dennoch eine Rückfrage. Die Politik wird ja von der Koalition gemeinsam vertreten. Herr Colditz hat eben seine Zufriedenheit mit einer Anzahl von sechs Schulen ausgedrückt. Die SPD trägt das
Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass Schulträger beantragen können, Gemeinschaftsschule zu werden. Da gibt es keine Begrenzung der Anzahl. Es geht darum, weiterhin zu motivieren, dass sich Schulträger auf den Weg machen. Eine Begrenzung ist nicht sinnvoll und Sie werden auch im Rahmen meiner Rede hören, dass es darum geht, noch mehr Leuten Mut zu machen für diesen Weg. Wir brauchen keine Begrenzung, sondern wir brauchen Motivation.
(Beifall des Staatsministers Thomas Jurk – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Aber zehn sind zu viel für Herrn Colditz!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bildung ist die große soziale Frage unserer Zeit. Die Wirtschaftskraft Deutschlands und die Frage nach dem sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft hängen entscheidend davon ab, wie wir zukünftig die Frage gerechterer Bildungschancen beantworten. Wir können es uns gar nicht leisten, junge Menschen frühzeitig auszusortieren und ihnen damit persönliche Lebenswege zu verbauen. Wir können es uns auch nicht länger leisten, der Gesellschaft damit die Chance zu nehmen, von den Fähigkeiten dieser jungen Menschen zu profitieren.
Längst hat dieses Denken die Wirtschaft erreicht, auch ihre Verbandsvertreter und Vordenker. Es wurde an dieser Stelle schon mehrfach Hans Werner Sinn zitiert, der in einem Beitrag für „Die Wirtschaftswoche“ im vergangenen Jahr gefordert hat, das deutsche Schulsystem an internationale Standards anzupassen. Beim gegliederten Schulsystem würden, so Sinn, besonders die Begabungsreserven von Arbeiterkindern nicht ausgeschöpft.
Im diesjährigen „Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands“ ist nachzulesen, was zu tun ist. Neben den Vorschlägen, Bildungsausländer, die an deutschen Hochschulen einen Abschluss machen, länger in Deutschland zu beschäftigen und gegebenenfalls auch Fachkräfte auf dem internationalen Arbeitsmarkt anzuwerben, betonen die Autoren – und hier zitiere ich wörtlich aus dem Bericht –: „Langfristig sollte ein deutlich höherer Anteil der Schülerinnen und Schüler als bisher einen ein Studium ermöglichenden Abschluss erreichen. Dazu ist allerdings ein grundlegender Wandel des deutschen Bildungssystems nötig, das seine bisherige Bildungsphilosophie der Auslese zu einer fördernden wandeln müsste. Das Ziel der schulischen Bildung darf nicht weiterhin im Wesentlichen darin bestehen. die Geeigneten zu identifizieren und der nächsten Bildungsstufe zuzuführen. Das Ziel sollte vielmehr in der größtmöglichen individuellen Förderung bestehen, um das Bildungspotenzial maximal auszuschöpfen.“
Sie sehen, selbst wenn Ihnen soziale und Bildungsgerechtigkeit gar kein Anliegen wäre, müssten Sie sich aus ganz pragmatischen ökonomischen Gründen am Umdenkungsprozess beteiligen.
Es gibt im gegliederten Bildungssystem Deutschlands – das gilt auch für Sachsen – einen engen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft der Schülerinnen und Schüler und ihrer Zuordnung in schulische Bildungsgänge. Wir müssen das zur Kenntnis nehmen und daraus die Schlussfolgerungen im Denken und Handeln ziehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir auf die Schulen blicken und speziell über die Gemeinschaftsschulen sprechen, dann geht es nicht primär um Strukturen. Längeres gemeinsames Lernen bedeutet nicht einfach, alle Bildungsgänge zusammenzuwerfen oder unter einem Dach zu vereinigen, sondern vielmehr geht es um Inhalte, um ein verändertes Verständnis, wie Lehren und Lernen funktionieren. Es geht um eine innere Reform der Schulen im Sinne einer Veränderung des Blickwinkels auf den Schüler und seine individuellen Lernbedürfnisse.
Gemeinschaftsschulen sind Ergebnis und zugleich Teil eines Prozesses, bei dem es um einen produktiven Umgang mit Heterogenität und damit um eine andere Lernkultur an unseren Schulen geht. Gemeinschaftsschulen sind lernende Institutionen und keine belehrenden Anstalten.
Der Prozess beginnt bei der Erkenntnis der Partner vor Ort, dass längeres gemeinsames Lernen soziale Ungleichheiten ausgleicht, individuelle Bildungschancen fördert und damit sowohl die stärkeren als auch die schwächeren Schüler voneinander profitieren. Das ist ein Prozess, der dann in einer motivierten und ernsthaften Erstellung eines pädagogischen Konzepts mündet. Es geht um ein Konzept, das von allen Partnern getragen und gewollt wird: von den Schulträgern, den Eltern und nicht zuletzt den Lehrerinnen und Lehrern, die das Konzept gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern umsetzen müssen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Koalitionsvertrag ist es der SPD gelungen, überhaupt erst die Möglichkeit zu eröffnen, Gemeinschaftsschulen zu errichten.
Damit ist es uns gelungen, einen entscheidenden Anstoß für einen dringenden bildungspolitischen Richtungswechsel zu geben. Verbauen wir uns diesen neuen Weg nicht durch Zaghaftigkeit und Pessimismus. Lassen Sie uns stattdessen gemeinsam für mehr Bildungsgerechtigkeit eintreten und wenn es sein muss, auch darum kämpfen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kurz vor der parlamentarischen Sommerpause wollen es die neu-alten Einheitssozialisten noch einmal wissen und nötigen den Landtag zu einer erneuten Debatte über ihre Lieblingsschule aus der
ideologischen Mottenkiste. Durch und durch ideologisch ist das Projekt Gemeinschaftsschule deshalb, weil suggeriert wird, dass es ein bildungs- und gesellschaftspolitischer Fortschritt sei, Schüler unterschiedlichen Leistungsvermögens möglichst lange an einer gemeinsamen Schule zu unterrichten.
In Wirklichkeit wird den Schülerinnen und Schülern aber damit ein Bärendienst erwiesen, weil in einer Gemeinschaftsschule die einen ständig überfordert und die anderen ständig unterfordert werden. Diese Über- und Unterforderungsgefühle schaffen aber kein positives Lernklima mit individuellen Förderungsmöglichkeiten, sondern vielmehr Frust und Demotivation bei den Schülern.
Für die NPD darf die soziale Herkunft eines Schülers nicht die geringste Rolle für den Besuch der Schulart spielen, das ist bekannt. Jedem jungen Deutschen müssen unabhängig von den Einkommensverhältnissen des Elternhauses alle Bildungswege offenstehen und dann das individuelle Leistungsvermögen den Ausschlag für die Wahl dieses Bildungsweges geben. Gerade weil es unterschiedlich befähigte Schüler gibt, haben unterschiedliche Schulformen auch ihre tiefe Berechtigung.
Die Forderung nach individueller Förderung ist gerade das Eingeständnis dieser unterschiedlichen Fähigkeiten. Das räumte am 15. Juli 2006 sogar Frau Bonk ein, als sie feststellte: „Kinder und junge Menschen sind einfach unterschiedlich und genau in dieser Unterschiedlichkeit müssen sie gefördert werden.“