Protocol of the Session on July 4, 2007

Ein volksgewählter Bundespräsident, sozusagen ein Bürgerpräsident oder besser noch ein Volkspräsident, wäre in der Lage, das Gemeinwohl wieder aus dem Zangengriff der eigensüchtigen etablierten Parteien zu befreien und eine wohltuende, am Volkswohl orientierte Überparteilichkeit herzustellen.

Ein so legitimierter Präsident könnte auch die durch eine ausufernde Parteienherrschaft kastrierte Gewaltenteilung wieder herstellen, indem er etwa bei der Kanzlerwahl die Gewaltenverschränkung von Legislative und Exekutive auflöst und als volksgewähltes Staatsoberhaupt den Kanzler bestimmt. Damit wäre zweifelsohne ein staatspolitisch sehr wichtiges und demokratisch zuträgliches Gegengewicht zum Bundestag hergestellt. Mit der Direktwahl des Bundespräsidenten, der ähnliche Machtbefugnisse hätte wie ein französischer Präsident, kämen wir dem demokratietheoretischen Ideal einer Identität von Regierenden und Regierten ein gutes Stück näher.

Aus genau diesem Grund dürften sich bei einer Internetabstimmung der „Tagesschau“ nach der Sendung von Sabine Christiansen auch mehr als 70 % für eine Direktwahl des Bundespräsidenten ausgesprochen haben. Dies sind wohl wieder die zwei Drittel unseres Volkes, gegen deren Wünsche und Interessen der Bundestag regelmäßig

mit gleicher Zweidrittelmehrheit entscheidet. Dazu mehr in einem zweiten Redebeitrag.

(Beifall bei der NPD)

Die CDU-Fraktion erhält das Wort; Herr Abg. Schiemann, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich Folgendes vorausschicken: Es macht wenig Sinn, ständig über Veränderungen von Verfassungen zu sprechen. Verfassungen sind geschaffen für einen sehr langen Zeitraum. Sie sind dafür geschaffen, dass parteipolitische Tagespolitik aus der Verfassungsdiskussion herausgehalten wird, weil Verfassung ein identitätstiftendes Gesetz, sprich das Grundgesetz eines jeden Volkes, eines jeden Landes sein muss, in dem sich möglichst sehr viele politische Strömungen unter diesem Dach wiederfinden können. Deshalb noch einmal: Es macht wenig Sinn, ständig am Grundgesetz herumzukritteln.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dennoch weiß ich nicht, ob es viel Sinn macht, in die Debatte der einreichenden Fraktion einzusteigen. Die Volksherrschaft wird hier nach Lust und Laune verteilt. Ich möchte deutlich sagen, dass das mit uns nicht zu machen ist. Der Bundespräsident hat seine Stellung nach Entscheidung und Schaffung dieses Grundgesetzes bekommen. Ich glaube, dass die Mütter und Väter des Grundgesetzes sich schon Gedanken gemacht haben, warum man den Bundespräsidenten mit diesen Aufgaben ausgestattet und auch seine Stellung damit verbunden hat.

Es ist schlichtweg unwahr, wenn in der Öffentlichkeit so getan wird, als wenn ein Bundespräsident, der weniger Aufgaben als ein Präsident der französischen Republik hat, dann mit einer Volkswahl weniger durch parteipolitische Wahlkämpfe gewählt wird. Es ist ein Trugschluss. Gerade eine solche Wahl, wie wir sie in Frankreich miterleben konnten, hat einen sehr starken parteipolitischen Hintergrund. Wahlkämpfe werden auch geführt, wie man letztlich die Volksvertretung für den Bundestag vorbereitet.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Deshalb passt das im Grundgesetz geregelte Verfahren für die Wahl des Bundespräsidenten in das derzeit gute Verfassungsgefüge Deutschlands und damit der deutschen Länder.

Wir sprechen uns aus folgenden Gründen gegen eine Änderung aus: zunächst der Verweis auf die Mütter und Väter, die das Grundgesetz erarbeitet haben; es ist daran festzuhalten. Als Reaktion auf die Erfahrungen der Weimarer Republik wurde die Position des Bundespräsidenten vor allem mit repräsentativen Aufgaben ausgestattet. So bedürfen gemäß Artikel 58 Grundgesetz Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidenten zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung durch den Bundeskanzler – der Bundeskanzler als derjenige, der die Bundesregierung führt, hat letztendlich eine sehr starke Stellung, die

Bundesrepublik Deutschland zu repräsentieren – oder durch den zuständigen Bundesminister. Dem Bundespräsidenten sollte nicht wieder eine so überragende Stellung zukommen – wie man das auch immer bewerten will – wie seinerzeit dem Reichspräsidenten. Insbesondere die Rechte des Reichspräsidenten, im Notfall mit Erlassen ohne parlamentarische Mehrheit zu regieren und den Reichskanzler in eigener politischer Entscheidung selbst zu ernennen, werden als ursächlich für die politische Krise der Weimarer Republik ab 1930 und schließlich das Abgleiten in eine Diktatur gesehen.

In der Weimarer Republik wurde der Reichspräsident vom Volk direkt gewählt – parallel zur Schmälerung der Befugnisse wird der Bundespräsident aber indirekt gewählt. Er bleibt jedoch demokratisch legitimiert. Ich halte es für sehr wichtig, dass die Bundesversammlung zusammentritt zu einer Hälfte aus Vertretern des Bundestages und zur anderen Hälfte aus Vertretern der deutschen Länder, die ihre Vertreter in diese Bundesversammlung entsenden.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Viele von Ihnen hatten bereits Gelegenheit, nach Erlangung der deutschen Einheit an dieser Bundesversammlung mitzuwirken. Ich glaube schon, dass es ein demokratisches Wahlsystem ist, das dem zugrunde liegt.

Mit der Einführung einer Direktwahl des Bundespräsidenten würde ein Missverhältnis zwischen starker demokratischer Legitimation eintreten, denn er wäre neben dem Bundestag das einzig direkt gewählte Verfassungsorgan mit geringer politischer Macht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich überlasse es den Damen und Herren, die im Deutschen Bundestag vertreten sind, aber auch den deutschen Ländern, über den Bundesrat einer solchen Entwicklung nicht zu folgen. Ich bitte darum, einer solchen Änderung des Grundgesetzes nicht zuzustimmen.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der SPD, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Die Linksfraktion erhält das Wort. – Sie verzichtet. Die SPD-Fraktion? – Sie verzichtet auch. Die FDP-Fraktion? – Nein. Die GRÜNEN? – Frau Abg. Herrmann, bitte.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Nein, Hermenau!)

Entschuldigung, Hermenau. Ich hoffe, es passiert mir nicht noch einmal.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Man könnte etwas salopp nachfragen, wieso wir auf einmal die Wahl des Bundespräsidenten als Thema in einer Aktuellen Debatte im Sächsischen Landtag besprechen müssen. Nun könnte man dank der Ausführungen von Herrn Schiemann sagen: Es sind ja auch ein paar aus den Ländern dabei, die ihn

mitwählen. Das empfinde ich als ziemlich schlanke Begründung für das heutige Thema.

Aber nun ernsthaft: Offensichtlich hat es Sie, meine Herren von der NPD, gereizt, dass dieses Thema in den Medien war, und Sie haben gehofft, dass Sie sich heute hier eine mediale Scheibe abschneiden können. Das war aber ein Eigentor. Wer das Aktionsprogramm der NPD zur Kenntnis nimmt, in dem unter anderem etwas über die Direktwahl des Bundespräsidenten zu lesen ist, der kann auch etwas von einem Gesetzgebungsorgan lesen, das nicht näher beschrieben wird, außer dass es die Regierung kontrollieren soll. Es wird nicht gesagt, ob es gewählt oder nicht gewählt ist – das finde ich höchst bedenklich. Wenn Sie der Meinung sind, dass man keine demokratisch gewählten Parlamente braucht, sondern einzelne Macher, dann verstehe ich nicht, warum Sie immer so krampfhaft versuchen, in das sächsische und andere Parlamente hineinzukommen.

(Beifall bei den GRÜNEN, der CDU, der Linksfraktion, der SPD und vereinzelt bei der FDP – Zuruf des Abg. Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion)

Der Bundestag an sich ist in der Balance. Er steht doch nicht einsam in der Landschaft herum. Die Judikative und die Medien – das sollte man nicht unterschätzen – kontrollieren, was in diesen Parlamenten geschieht. Aller vier Jahre kontrolliert das die Bevölkerung durch ihr Wahlverhalten. Diesbezüglich kann man natürlich dagegen sein, aber das letzte Mal, als nationale Demokraten oder Sozialisten oder wie auch immer – da war vielleicht auch der „S-Fehler“ beim Sprechen von Herrn Gansel sehr beredt, als er von National-s-demokraten sprach – diese Forderung in Deutschland im Jahre 1932 vorgetragen haben, hat die Deutschnationale Volkspartei die Wahl von Hindenburg zum Reichspräsidenten unterstützt. Auf den Plakaten war zu lesen: „Weg mit der Alleinherrschaft der Parlamente!“ – Man muss aber historisch wissen, dass seit 1930, also schon zwei Jahre vorher, das Reich nur noch durch präsidiale Notverordnungen regiert worden war und dass es natürlich Hindenburg war, der 1933 den Reichskanzler Adolf Hitler ernannt hat.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Hört, hört!)

Wenn Sie daran anknüpfen wollen und das hier im Landtag auch so vortragen, nehmen wir das zur Kenntnis; aber dann ist klar, dass es Ihnen ganz bestimmt nicht um Volksherrschaft geht, sondern Sie wollen einer Diktatur den Weg ebnen. Das nehmen wir auch zur Kenntnis und weisen es natürlich zurück.

(Beifall bei den GRÜNEN, der Linksfraktion und der SPD)

Ihnen ist offensichtlich überhaupt nicht klar, dass die deutschen Bundespräsidenten einer ganz klaren Amtsethik unterliegen und natürlich unabhängig agieren; denn sie sind einer gefestigten Demokratie in Deutschland verpflichtet. Schauen Sie doch einmal in die Geschichte zurück: Natürlich haben Herr von Weizsäcker und

Herr Herzog Kanzler Kohl Paroli geboten, auch wenn es der CDU nicht gepasst hat. Herr Rau und Herr Köhler haben auch Herrn Kanzler Schröder „Bescheid gesagt“, und Herr Köhler ist auch wieder dabei, Kanzlerin Merkel ab und zu einen Hinweis zu geben. Ich halte das für völlig angemessen; es entspricht unserer Vorstellung von einer repräsentativen Ausübung des Amtes. Man kann vergleichend nach Österreich blicken. Dort wird der Bundespräsident vom Volk direkt gewählt.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Aber nur mehr per Wahlpflichtbestimmung!)

Ja, das ist ja jetzt wurscht. – Er wird jedenfalls direkt gewählt, und was das bringt, kann man sehen. Es gibt dadurch natürlich eine Chance, dass sich die Bevölkerung deutlicher mit ihrem Bundespräsidenten identifiziert. Das halte ich für ein bedenkenswertes Argument, aber es führt mitnichten zurück in Hitlers Reich. Das muss man auch wissen. Es bleibt immer ein repräsentatives Amt. Skeptiker, die die Direktwahl vielleicht nicht haben wollen, können sich das ja einmal in Ruhe in Österreich anschauen. Man kann dafür oder dagegen sein; aber worum es nicht gehen kann, ist, dass man versucht, hier an die Reichsgeschichte anzuknüpfen. Das muss man klar sagen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der Linksfraktion)

Insofern haben Sie ganz offensichtlich mit dieser Aktuellen Debatte über die Direktwahl des deutschen Bundespräsidenten ein Eigentor geschossen.

(Beifall bei den GRÜNEN und der SPD)

Die NPD-Fraktion ist noch einmal an der Reihe; Herr Gansel, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Hermenau, während sich der Redebeitrag von Herrn Schiemann wohltuend sachlich ausgenommen hat, war klar, dass von Ihnen nur wieder ein verkrampfter Geschichtsbeitrag kommen konnte; ein Geschichtsbeitrag, der uns in die Dreißigerjahre des letzten Jahrhunderts zurückschleudert – eine Zeit, in der Sie geistig scheinbar wesentlich mehr beheimatet sind als wir;

(Antje Hermenau, GRÜNE: Ja, ja! Aber ein paar Etagen höher!)

denn wir knüpfen an eine Gegenwartsdebatte an –,

(Lachen der Abg. Antje Hermenau, GRÜNE)

während Sie manisch immer wieder die Dreißigerjahre beschwören.

Vor diesem Hintergrund nehmen wir uns als NPDFraktion sehr wohl das Recht heraus – wenn Sie schon geistig immer wieder in den Dreißigerjahren landen und dort auch kleben bleiben –, den Status quo von 1949, als der Parlamentarische Rat einen nicht volksgewählten Bundespräsidenten installierte, kritisch zu mustern und nach Möglichkeiten zu suchen, um unserem Grundanliegen stärkerer plebiszitärer Durchdringung des Staates gerecht zu werden. Von daher haben Sie hier das Eigentor

geschossen. Wagen Sie sich nicht immer auf das Feld der Geschichte hinaus, da stehen für Sie zu viele Fettnäpfchen.

(Beifall bei der NPD – Antje Hermenau, GRÜNE: Ja, ja! – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: … und Ihr altes Bärenfell!)

Aber nun noch einmal zurück zum eigentlichen Thema!

Am 23. Mai 2004 wurde der derzeitige Bundespräsident Horst Köhler von der Bundesversammlung im ersten Wahlgang mit 604 Stimmen zum Bundespräsidenten gewählt – einer Stimme mehr als die für diesen Wahlgang erforderliche absolute Mehrheit. Man könnte auch sagen, dass es ein denkbar knappes Ergebnis gewesen sei. In Wirklichkeit gab es aber nie einen Zweifel daran, dass Köhler gewählt werden würde – wenn nicht im ersten Wahlgang, dann doch im zweiten. Das hatten nämlich damals die Führungsspitzen der CDU/CSU und der FDP aufgrund ihrer Mehrheitsposition im Bundesrat und in der Bundesversammlung vorher genau ausgekungelt. Denn die Wahl des Bundespräsidenten – immerhin des formal ersten Mannes im Staate – ist keine Angelegenheit des Volkssouveräns, sondern der volksabgehobenen politischen Klasse in der ominösen Bundesversammlung – ergänzt durch irgendwelche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, Sportler oder Fernsehhelden. Edmund Stoiber brachte diesen Umstand, dass nämlich die Mehrheitsfraktionen ihren Kandidaten in der Bundesversammlung einfach durchdrücken, mit der für ihn eigenen Direktheit auf den Punkt, als er am Tag nach der Bundespräsidentenwahl 2004 im Bayerischen Rundfunk erklärte: „Vor fünf Jahren haben Herr Schröder und Herr Lafontaine bestimmt, wer Bundespräsident werden soll, nämlich Herr Rau. Gestern war ihnen das nicht mehr möglich, sondern diesmal haben Frau Merkel, Herr Westerwelle und ich das bestimmt.“

Herablassender, als es gerade von Edmund Stoiber zitiert wurde, könnte der Stellenwert des Amtes des Bundespräsidenten nicht beschrieben werden. Ob der jeweilige Amtsinhaber dies verdient hat, steht auf einem anderen Blatt. Die Bundespräsidenten, die ich politisch bewusst erlebt habe, haben diese Herablassung durchaus verdient. Von Weizsäcker, Herzog und Rau – sie alle waren Schuld- und Sühnepolitiker, die unzweifelhaft mehr das Wohlwollen des Auslandes im Blick hatten als die Befindlichkeiten ihrer Landsleute.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion: Jetzt sind Sie in den Dreißigerjahren!)

Es ist sicher kein Zufall, dass der Direktwahlvorschlag von einem Bundespräsidenten stammt, der selbst gar nicht aus der politischen Klasse im engeren Sinne kommt; denn wäre Horst Köhler den Weg über die Parteien und die Parlamente gegangen, wüsste er, dass allein die Direktwahl des Bundespräsidenten bei Weitem nicht ausreicht, um an dem politischen Grundübel der Bundesrepublik etwas zu ändern: der allumfassenden Herrschaft einer Parteienoligarchie.