Protocol of the Session on June 7, 2007

(Allgemeine Unruhe im Saal)

Meine Damen und Herren, wir haben noch drei Tagesordnungspunkte zu bewältigen, dann haben wir es geschafft. Ich würde jetzt gern mit dem Punkt 5 fortsetzen.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 5

Eintreten des Freistaates Sachsen für den Erhalt einer unabhängigen kommunalen Daseinsvorsorge, insbesondere für den Verbleib der Stadtwerke unter kommunaler Kontrolle und für den Schutz der für die Stadtwerke getätigten kommunalen Investitionen

Drucksache 4/8843, Antrag der Fraktion der NPD

Es spricht zuerst die Einreicherin, danach CDU, Linksfraktion.PDS, SPD, FDP, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn sie das wünscht.

Ich erteile nun Herrn Abg. Delle, NPD-Fraktion, das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem Ihnen vorliegenden Antrag möchten wir erreichen, dass der Freistaat Sachsen sich entschiedener als bisher für den Erhalt einer unabhängigen kommunalen Daseinsvorsorge einsetzt. Es geht uns insbesondere um den Verbleib der Stadtwerke unter kommunaler Kontrolle und um den Schutz der hierfür getätigten kommunalen Investitionen.

Wenn unter den Abgeordneten der Altparteien jemand sein sollte, der sich jenseits aller politischen Voreingenommenheit hierzu eine objektive Meinung bilden möchte, dann empfehle ich ihr bzw. ihm, sich zunächst zwei Fragen zu stellen:

Erstens die Frage, ob sie bzw. er eine möglichst unabhängige Daseinsvorsorge in den Bereichen Wasser, Abwasser, Energie und Verkehr überhaupt für erhaltens- oder erstrebenswert hält.

Zweitens die Frage, ob diese kommunale Daseinsvorsorge heute gefährdet ist, ob also ein entsprechender Handlungsbedarf besteht.

Wir als NPD-Fraktion bejahen für unseren Teil beide Fragen, was ich hier zur Begründung unseres Antrages kurz erläutern werde.

Die Infrastruktur zur Bereitstellung der Grundleistungen eines Gemeinwesens, also der Energie-, Wasser- und Verkehrsinfrastruktur, muss nach unserer Überzeugung unter allen Umständen unter kommunaler Kontrolle bleiben, denn sie ist aus verschiedenen Gründen ein unverzichtbarer Teil der kommunalen Selbstbestimmung.

Sie bietet erstens Sicherheit gegen Ausbeutung, Misswirtschaft und wirtschaftliche Erpressung. Das ist gerade in Zeiten von internationalen Heuschrecken ein unschätzbarer Wert. Des Weiteren bietet sie auf lokaler Ebene versorgungspolitischen Gestaltungsspielraum, was angesichts der Vorteile einer dezentralen und nachhaltigen Lösung für die Versorgungssicherheit und die Umwelt ebenfalls von größter Bedeutung ist.

Außerdem stellt die kommunale Kontrolle über die Energie-, Wasser- und Verkehrsinfrastruktur die regionale Wirtschaft. Im Gegensatz zu den Konzernen sind die Kommunen bestrebt, Bau-, Instandsetzungs- und Serviceaufträge vorwiegend an heimische Betriebe zu vergeben. Schließlich sorgen sie dafür, dass Löhne und Gewinne weitestgehend in der Region bleiben und nicht in die wirtschaftlichen Ballungsräume bzw. in die internationalen Kapitalmärkte abwandern. Sie trägt damit zur sozioökonomischen Integrität der Gemeinden und letztlich zum Gemeinschafts- und Identitätsgefühl ihrer Menschen bei.

Schon aus diesen Gründen ist es für uns gar keine Frage, dass die genannten Kernaufgaben der Daseinsvorsorge in kommunaler Hand bleiben müssen. Es ist aber auch eine unabdingbare Voraussetzung für die grundgesetzlich geforderte Selbstverwaltung. Die typischen Aufgaben der Daseinsvorsorge, wie Wasser- und Energieversorgung, sind nach höchstrichterlicher Rechtsprechung verfassungsmäßig garantierte Vorrechte der kommunalen Gebietskörperschaften, Rechte, die nicht einfach durch das sogenannte EU-Wettbewerbsrecht ausgehebelt werden dürfen.

In welchem Maße müssen wir diese Aushebelung befürchten und wie weit besteht Handlungsbedarf? Dies ist die zweite Kardinalfrage, die unserem Antrag zugrunde liegt. Wir wissen, dass die Großkonzerne und ihre politischen Hilfsorgane – allen voran die EU-Kommission und der Europäische Gerichtshof – die wirtschaftlichen Handlungsspielräume der Kommunen dramatisch einschränken. Wir wissen, dass infolge dieser Politik vollendete Tatsachen geschaffen werden und sich entsprechende Rechtsauffassungen breitmachen, nach denen die sozial und demokratisch ausgerichtete kommunale Daseinsvorsorge geradezu systemwidrig sei und deswegen dem internationalen Wettbewerb, das heißt im Klartext der Herrschaft von internationalen Großkonzernen, zu weichen habe.

So vertrat zum Beispiel der Justiziar der Berliner Gasversorgungs AG kürzlich in einer Stellungnahme die Auffassung, dass – ich zitiere – „der leitungsgebundenen Energieversorgung der Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge entzogen ist, weil im Einflussbereich des Wettbe

werbs eine kommunale Zuständigkeit nicht mehr benötigt wird“.

(Gitta Schüßler, NPD: Pfui!)

Gerade die eben genannte Berliner Gasversorgungs AG ist ein besonders abschreckendes Beispiel für den totalen kommunalen Ausverkauf, der mit dieser Entwicklung einhergeht. Die ehemals städtische Gasversorgungsgesellschaft wurde im Jahre 1998 vom Land Berlin an die französische Strom- und Gasversorgungsgesellschaft Gaz de France und an das Stromversorgungsunternehmen Vattenfall Europe Berlin verschachert. Dies war kurz zuvor durch den Aufkauf der traditionsreichen Berliner Städtischen Elektrizitätswerke durch den schwedischen Vattenfallkonzern entstanden. Exemplarischer kann man meines Erachtens den extremen Handlungsbedarf auf diesem Gebiet gar nicht aufzeigen, denn diese Berliner Entwicklung ist typisch für Deutschland.

Meine Damen und Herren! Durch die angekündigte Anreizregulierungsverordnung der Bundesregierung sollen demnächst die Entgelte für die Nutzung der kommunalen Energienetze radikal gekürzt werden, sodass diese nicht mehr kostendeckend betrieben werden können. Dass dies viele Kommunen mit ihrer bekannten schlechten Finanzlage nicht durchstehen können oder manchmal auch nicht wollen, kann sich jeder an seinen Fingern abzählen.

Gegen die Anreizregulierungsverordnung haben im vergangenen Monat über 80 prominente Vertreter der kommunalen Energiewirtschaft, darunter die Oberbürgermeister der Städte Chemnitz, Plauen und Zittau, mit bewegenden Worten protestiert. Sie appellieren an die Ministerpräsidenten der Länder, die Verordnung im Bundesrat zu verhindern. Für den Fall, dass sie in Kraft tritt, sagen sie Folgendes voraus – ich zitiere –: „Dann müssten wir Kommunen uns fragen, ob sich dieses Netzgeschäft für die Kommunen noch rentiert. Sollen wir kommunale Infrastrukturen an internationale Hedgefonds oder die großen Energiekonzerne verkaufen? Langfristig wäre dadurch die Unabhängigkeit vieler dezentraler Energieversorger bedroht.“

Die NPD-Fraktion schließt sich diesem Appell vollinhaltlich an und gibt ihn an den Sächsischen Landtag mit der Bitte weiter, die Staatsregierung zum Handeln im Bundesrat aufzufordern.

Das Argument, dass hiervon auch die Energiekonzerne profitieren würden, lasse ich, meine Damen und Herren, nicht gelten, denn so flexibel ist der zuständige Gesetzgeber allemal, dass er zwischen Stadtwerken und Megakonzern rechtlich unterscheiden kann. Sollte die EU etwas dagegen haben, müssten wir so frei sein, ihr die verfassungsrechtliche Lage in Deutschland klarzumachen. Auch das aktuelle sächsische Beispiel, nämlich die beschlossene Teilprivatisierung der Leipziger Stadtwerke, ist nicht zuletzt eine Konsequenz der angekündigten Anreizregulierungsverordnung. Der Gewinn der Leipziger Stadtwerke, der im Jahre 2006 bei stolzen 54 Millionen Euro vor

Steuern lag, also ungefähr in derselben Größenordnung wie die Kreditermächtigung der Stadt, wird durch die Verordnung stark zusammenschmelzen.

Vor diesem Hintergrund ist es rein haushaltstechnisch gesehen durchaus verständlich, dass die Stadtoberen mehr Interesse am Verkaufserlös als am ungeteilten Gewinn haben; schließlich hat die Stadt fast eine Milliarde Euro Schulden.

Meine Damen und Herren! Gerade das Eintreten auf Bundesebene gegen die Anreizregulierungsverordnung ist ein sehr gutes Beispiel für die Möglichkeiten des Freistaates, sich gegen die von der EU ausgehende Liberalisierungs-, Kommerzialisierungs- und Globalisierungspolitik einzusetzen. Genau dies muss er in der Tat auch tun, wenn seine Bekenntnisse zur kommunalen Selbstverwaltung nicht als Lippenbekenntnisse aufgefasst werden sollen.

Meine Damen und Herren! Die neoliberale Politik der EU duldet keine kommunalen Selbstverwaltungsstrukturen oder sonstigen wirtschaftlichen Nischen, die sich den Globalisierungskräften und dem Zugriff des internationalen Kapitals ganz oder teilweise entziehen könnten. Dieses einmal realistisch und mutig zur Kenntnis zu nehmen und daraus die notwendigen politischen Folgerungen zu ziehen, ist der einzige Weg, kommunale Selbstverwaltung und somit die regionale Vielfalt in Deutschland zu erhalten. Deshalb bitte ich Sie sehr herzlich um Zustimmung zu unserem Antrag.

Danke schön.

(Beifall bei der NPD)

Ich frage die CDUFraktion, ob sie sprechen möchte. – Für die Koalition spricht die Abg. Frau Weihnert.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Leistungen der Daseinsvorsorge zählen zum Kernbestand des deutschen Rechts- und Gesellschaftssystems. Sie werden traditionell von den Städten, Gemeinden und Landkreisen erbracht. Dafür gibt es keinen feststehenden Katalog. Hierzu zählen sowohl wirtschaftliche als auch nichtwirtschaftliche Dienstleistungen. Im Freistaat wie auch in Deutschland bestehen besondere Pflichten zur Erbringung von Dienstleistungen der Daseinsvorsorge für die Menschen in unserem Land. Diese sind in Sachsen wie in Deutschland durch die kommunale Selbstverwaltung und andere Gesetze, welche die Organisation der Erbringung dieser Leistung betreffen, rechtlich abgesichert.

Meine Damen und Herren! Es ist nicht neu, dass die NPD die demokratischen Kräfte dieses Hauses, die Bundesebene oder die Europäische Union bezichtigt, den Menschen ihre fundamentalen Grundlagen oder Rechte nehmen zu wollen. In diesen Kontext gehört auch der heutige Antrag, der in seiner Begründung die deutliche Sprache Ihres vollkommen falschen Weltbildes spricht. Ihnen geht es auch in diesem Antrag mitnichten um die Menschen.

Eben wurde es wieder deutlich ausgeführt. Es geht um Ihre europafeindliche Gesinnung.

Lassen Sie mich etwas zur kommunalen Daseinsvorsorge sagen. Die Kommunen haben ein Recht auf die Eigenerbringung von Dienstleistungen der Daseinsvorsorge. Dabei sind die Kommunen frei, diese Aufgaben, zum Beispiel Wasserversorgung oder Abwasserbeseitigung, durch eigene unternehmerische Tätigkeit wahrzunehmen oder ganz bzw. teilweise ein privates Unternehmen damit zu beauftragen. Diese Wahlfreiheit ist ein wichtiger Teil der kommunalen Selbstverwaltung. Die Liberalisierung einzelner Sektoren dieser Daseinsvorsorge muss immer eine Einzelfallentscheidung bleiben, und sie ist es auch, wie Beispiele in Deutschland zeigen.

Wichtig ist und bleibt dabei, dass die Kommunen weiter für die Aufgaben der Daseinsvorsorge verantwortlich bleiben und sich ihren Einfluss auf Grundsatzentscheidungen erhalten. Dabei ist natürlich das hohe Qualitätsniveau von Dienstleistungen zu beachten, das wir in Deutschland gewohnt sind, und auch der Zugang breiter Bevölkerungsschichten zu den Dienstleistungen sowie die Erschwinglichkeit dieser Leistungen für den Einzelnen. Traditionell ist es so, dass bei diesen Richtlinien und der in Rede stehenden Richtlinie die Praxis der einzelnen EUStaaten berücksichtigt werden muss. Es ist nicht neu, dass im Rahmen der EU gemeinsam um Richtlinien und Regelungen gerungen wird. Auch das ist ein ganz normales demokratisches Verfahren – wie auch gemeinsam um die Formulierung der Anreizregulierungsverordnung gerungen wird.

Eines ist allerdings klar: Weder der Antrag der NPD noch die oberflächliche Botschaft, die wir soeben gehört haben, geben die Antwort auf die künftigen Herausforderungen der Daseinsvorsorge, die gemeinsam gelöst werden müssen. Ich bin mir sicher, dass dies im Kontext gemeinsam mit der Bundesregierung und der EU auch zu lösen ist.

(Jürgen Gansel, NPD: Amen!)

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Die Linksfraktion hat niemanden gemeldet, die FDP ebenfalls nicht. Deshalb spricht jetzt für die Fraktion der GRÜNEN Herr Abg. Weichert.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als Stadtrat meiner Heimatstadt Leipzig muss ich an dieser Stelle zum wiederholten Male zur Kenntnis nehmen, dass es der NPD-Landtagsfraktion anscheinend an landespolitischer Kompetenz mangelt und dass sie ersatzweise Anträge stellt, die eindeutig in den Bereich der kommunalen Selbstverwaltung gehören.

(Beifall der Abg. Margit Weihnert, SPD)

Daher empfehle ich der Antragstellerin zunächst die Anschaffung eines Grundgesetzes. Darin ist nämlich in

Artikel 28 Abs. 2 die kommunale Selbstverwaltung geregelt. Das kann man sich auch herunterladen.

In Ihrer Antragsbegründung schreiben Sie, dass die NPDFraktion die Entwicklung in Leipzig – ich zitiere – „für prinzipiell unvereinbar mit der kommunalen Selbstbestimmung und letztlich auch mit dem Demokratiegedanken hält“. Herr Apfel, Herr Delle, mir kommen die Tränen – aber vor Lachen.

(Leichte Heiterkeit bei den GRÜNEN und der Linksfraktion.PDS)

Nicht nur, dass Sie sich erdreisten, einen ganz normalen Prozess der städtischen Politik hier zum Thema im Landtag zu machen. Angesichts Ihres Desinteresses an den Abläufen in der Demokratie ist das auch nicht verwunderlich.

(Alexander Delle, NPD: Sie machen das auch gerade mit der Waldschlösschenbrücke!)