Weshalb wurden Erkenntnisse über schwere und schwerste Straftaten nicht an die zuständigen Behörden weitergeleitet?
Was genau – diese Frage stellt sich seit gestern – stand in den Akten, die in der fraglichen Angelegenheit zwischenzeitlich beim Verfassungsschutz vernichtet wurden? Wann und auf wessen Veranlassung geschah dies? Gab es womöglich im Landesamt doch Versuche, die Straftaten weiterzuleiten – was jedoch vereitelt wurde –, und wenn ja, wer trägt dafür die politische Verantwortung?
Und schließlich: Ab welchem Zeitpunkt wusste der Ministerpräsident vom Inhalt der brisanten Akten und was hat er danach veranlasst oder auch unterlassen?
Auf die Beantwortung dieser Fragen hat nicht nur das Parlament, sondern haben auch die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes ein Recht.
Bislang hat die Staatsregierung nicht nachgewiesen, dass sie wirklich eine rückhaltlose Aufklärung und eine Bestra
fung der Schuldigen will. Gerade deshalb brauchen wir heute einen Landtagsbeschluss mit einer eindeutigen Handlungsaufforderung an die zuständigen Minister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was immer in den kommenden Wochen und Monaten noch zutage treten wird – schon jetzt muss man wohl leider konstatieren: Der Sumpf in Sachsen ist offenbar tiefer und breiter, als sich wohl die allermeisten von uns vorstellen konnten. Es ist unser aller Aufgabe, dazu beizutragen, diesen Sumpf schnellstens trockenzulegen. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Linksfraktion.PDS fordert rückhaltlose Aufklärung – ich kann nur sagen: Da sind wir uns alle ausnahmsweise einmal mit Ihnen einig.
Interessant dabei ist aber: Gerade Sie als Linksfraktion.PDS fordern rückhaltlose Aufklärung. Sie versuchen, sich an die Spitze einer Bewegung zu stellen; Sie haben aber immer den Verfassungsschutz abgelehnt.
Ich möchte Sie an dieser Stelle nur an Ihre Presseerklärung vom 16. Mai dieses Jahres erinnern, in der Sie das noch einmal mit Ihrer Position zu der Frage, ob der Verfassungsschutz Organisierte Kriminalität beobachten darf und soll, geleugnet haben.
Meine Damen und Herren! Wir hätten die Erkenntnisse, die jetzt an die Staatsanwaltschaft übergeben worden sind, überhaupt nicht erlangen können, wenn wir nicht den Verfassungsschutz beauftragt hätten, die Organisierte Kriminalität zu beobachten.
(Beifall bei der CDU und des Abg. Gunther Hatzsch, SPD – Klaus Bartl, Linksfraktion.PDS, meldet sich zu einer Zwischenfrage.)
Ich würde Herrn Bartl empfehlen, zunächst einmal zuzuhören; ich werde ihm vor meinem letzten Satz die Möglichkeit, eine Zwischenfrage zu stellen, einräumen.
Worin besteht der Unterschied zwischen Verfassungsschutz und Polizei? Der Verfassungsschutz operiert im Vorfeld polizeilicher Ermittlungen. Er sammelt seine Erkenntnisse an Stellen, an denen die Polizei, die in der Regel erst bei konkretem Tatverdacht tätig wird, noch gar nicht tätig sein kann. Der Verfassungsschutz operiert mit Mitteln – daher gibt es die besondere Kontrolle durch die PKK –, die die Polizei so nicht hat. So gelangt der Verfassungsschutz im Vorfeld zu Erkenntnissen, die erst später, wenn sie über Vorerkenntnisse hinaus gediehen sind, an die Strafverfolgungsbehörden übermittelt werden. Ich möchte noch einmal betonen: Ohne Verfassungsschutz lägen die Erkenntnisse, die jetzt den Strafverfolgungsbehörden übergeben worden sind, überhaupt nicht vor.
Im Übrigen sind die Strafverfolgungsbehörden zu keinem Zeitpunkt gehindert, von sich aus zu ermitteln. Es gibt also kein Entweder-Oder, sondern es sind zwei Behörden, die parallel Sachverhalte abklären.
All dies zeigt, dass die Behauptung der PDS, die Verfolgung schwerer Straftaten sei durch die Beobachtung der OK durch das LfV erschwert worden, völlig gegenstandslos ist.
Als ich Näheres von den Erkenntnissen des LfV erfuhr, war ich in der Tat schockiert. Ich kann ebenso wie Sie, Herr Hahn, hier keine Einzelheiten nennen. Dies wäre strafbarer Geheimnisverrat. Mein Gewissen jedenfalls verlangt, den einzelnen Vorwürfen nachzugehen.
An dieser Stelle halte ich es für notwendig, nochmals die hier entscheidende Geschichte der Rechtslage zur Beobachtung der OK darzulegen. Im Jahre 2005 hat es ein Urteil des Verfassungsgerichtshofes zur Frage der OK-Beobachtung durch den Verfassungsschutz gegeben. Mit dem Urteil wurde die Beobachtung keineswegs ausgeschlossen, sondern für zulässig erklärt, wenn die OK-Tätigkeit gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung gerichtet ist.
Zu jenem Zeitpunkt wurde im Landesamt auf Weisung des Innenministeriums überprüft, welche Beobachtungen unter diesem neuen Gesichtspunkt des Urteils des Verfassungsgerichtes weiter vorgenommen werden müssen. Parallel dazu war der Gesetzgeber aktiv geworden. Es wurde ein Gesetz diskutiert, mit dem die bisher ausdrückliche Erwähnung der Organisierten Kriminalität im Verfassungsschutzgesetz gestrichen werden sollte. Die Folgen einer solchen Streichung waren unter Juristen sehr umstritten. Dies hat auch die Anhörung bestätigt. So wurde zum Beispiel vom Datenschutzbeauftragten die Meinung vertreten, die Beobachtung von OK in der hier vorliegenden Form sei nach altem und neuem Recht
unzulässig. Damit sei die Weitergabe der erlangten Erkenntnisse ebenfalls unzulässig. Das Ganze geriet somit in einen rechtlichen Graubereich.
Daher musste ich, um die bekanntlich wohlfeilen Vorwürfe, die Staatsregierung beginge einen Verfassungsverstoß, zu entkräften, zunächst für Klarheit sorgen. Wie Sie alle wissen, bezeichnete mich die Linksfraktion.PDS in der Pressemitteilung vom 26. September 2006 schon als „Serientäter in Sachen Verfassungsbruch“.
An dieser Stelle möchte ich erwähnen, dass das Landesamt für Verfassungsschutz nach dem Gerichtsurteil weiter beobachtet hat. Ende 2005/Anfang 2006 kamen sehr viele Erkenntnisse beim Landesamt für Verfassungsschutz zusammen. In dieser Situation, 14 Tage vor Inkrafttreten der Novelle, die die OK dann gänzlich aus dem Gesetz herausstrich, kam es zur ersten Kontrolle der Akten durch Mitarbeiter des Datenschutzbeauftragten. Sie sichteten die Akten zur Organisierten Kriminalität und stellten fest: alles rechts- und verfassungswidrig!
Zum 28.05.2006 trat die Novelle in Kraft. Das Landesamt für Verfassungsschutz ist bis zu diesem Zeitpunkt davon ausgegangen, dass es auch nach Inkrafttreten des Gesetzes die gewonnenen Erkenntnisse weiterleiten könne. Aber die Aussage stand im Raum, diese Unterlagen seien rechtswidrig erhoben worden und ihr Gebrauch damit unzulässig.
Im Juni hatte sich der Datenschutzbeauftragte selbst einen Überblick über die Akten verschafft. In seiner vorläufigen Einschätzung stellte er fest, dass die Beobachtung der OK durch das LfV rechtswidrig sei. Er kündigte eine schriftliche Beanstandung an, ausgehend von dem datenschutzrechtlichen Verständnis, dass die Übermittlung rechtswidrig erhobener Daten unzulässig ist. Bei dem Gewicht dieses Vorwurfes erfolgte natürlich keine Datenermittlung durch das LfV.
Hinzu kommt: Die Verwendung rechtswidrig erhobener Daten hätte ein strafprozessuales Risiko dargestellt, weil dies hätte zum Scheitern von Strafprozessen führen können. Dann wären mögliche Täter unter Umständen ungeschoren davongekommen.
Die Feststellung des Datenschutzbeauftragten in seiner Beanstandung hat er mir am 2. Oktober 2006 schriftlich zur Verfügung gestellt. Er kommt zu dem Ergebnis, dass nur ein OK-Komplex rechtmäßig beobachtet worden sei. In den vier übrigen Fällen sei der Bezug zur Beeinträchtigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht ausreichend gegeben.
Der Auffassung des Datenschutzbeauftragten nach hat es sich um mittlere und schwere Organisierte Kriminalität gehandelt. Für eine Beobachtung durch das LfV sei dies nicht ausreichend.
Der Datenschutzbeauftragte kannte die Unterlagen. Die Bedenken des Datenschutzbeauftragten wurden sowohl bei mir im Ministerium, von mir als Person, aber auch vom Landesamt sehr ernst genommen, da der Vorwurf – ich zitiere wörtlich – „Verfassungsbruch durch einen
Die Aufklärung ist nur möglich, weil ich damals die Rüge des Datenschutzbeauftragten nicht hingenommen und eine Erwiderung abgegeben habe. Was wäre die Konsequenz gewesen, wenn ich den Empfehlungen in der Beanstandung gefolgt wäre? Die Akten hätten in der Tat nicht weiter verwendet werden dürfen und wären entweder im Staatsarchiv gelandet oder hätten vernichtet werden müssen.
Die Diskussion, die jetzt geführt wird, hätte es nie gegeben. Niemand hätte die Vorgänge, um die es jetzt geht, zur Kenntnis nehmen können, wenn ich dieser Empfehlung nicht mit einer eigenen Strategie gefolgt wäre. Ohne meine damalige Entscheidung, die PKK zu bitten, die Akten zu prüfen, wäre die Sache stillschweigend verlaufen; niemand hätte davon Kenntnis genommen. Das konnte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren.
Ich habe eine Entwicklung angestoßen, an deren Ende die Aktenübergabe an die Staatsanwaltschaft steht.
Die Bedenken des Datenschutzbeauftragten waren schwerwiegend. Deshalb habe ich die PKK noch Anfang Oktober gebeten, die Berechtigung der Beanstandung des Datenschutzbeauftragten zu prüfen. Die Kommission schloss nach insgesamt zehn Sitzungen die Prüfung am 15. Mai ab. Das Ergebnis war für mich eindeutig: In vier der fünf Fälle war die PKK zu der Überzeugung gekommen, dass die Beobachtung rechtens war und die Daten rechtmäßig erhoben wurden.
Ebenfalls kam die PKK zu der Feststellung, dass die Übermittlung der Daten statthaft sei und auch geboten ist. Ich möchte mich an dieser Stelle bei der PKK für die Arbeit in den letzten Monaten bedanken. Wir haben uns gemeinsam bemüht, nach einer Lösung zu suchen, wie mit diesem Material umgegangen werden kann.
Unmittelbar nachdem die PKK festgestellt hatte, dass die Rechtsauffassung des Datenschutzbeauftragten in vier Fällen nicht zutrifft, habe ich die Weisung erteilt, die Erkenntnisse in der OK-Beobachtung des Landesamtes den Strafverfolgungsbehörden in geeigneter Form zu übermitteln.
Zu den aktuellen Übermittlungen der Strafverfolgungsbehörden möchte ich an dieser Stelle ausführen, dass der Generalstaatsanwaltschaft ein Schriftsatz übermittelt wurde. In den vergangenen zwei Wochen wurden für zwei Einzelkomplexe die notwendigen Aufbereitungsarbeiten im Landesamt aufwendig vorgenommen und die Unterlagen übergeben. Was an den Generalstaatsanwalt geht, wird auch an die Generalbundesanwältin gesandt. Dies ist
im Fall der übergebenen Daten beim ersten Teilkomplex bereits erfolgt. Der zweite Komplex wurde dem Generalstaatsanwalt am Montag dieser Woche übergeben. Ich gehe davon aus, dass noch in dieser Woche auch die Generalbundesanwältin diese Unterlagen erhält.