Man kann es auf eine Formel bringen, die ganz simpel, allerdings auch erschreckend ist: Die auf den Schutz der Verfassung vereidigten Innenminister sind derzeit die größte Gefahr der Verfassung. An diesem Punkt sind wir angelangt, meine sehr geehrten Damen und Herren. Das trifft natürlich auch auf Herrn Buttolo, den sächsischen Innenminister, zu, der ohne mit der Wimper zu zucken Sachsens Anschluss an die Antiterrordatei verkündet hat. Da wird zwar die Sächsische Verfassung mit Füßen getreten, aber na und, was soll’s?!
Oder wenn ich – wie Herr Martens – an den Referentenentwurf für das neue Polizeigesetz erinnere, so belässt es geradezu verfassungswidrige Ausweitungen der Wohnraumüberwachung und Betretung durch die Polizei. Verfassungswidrig ist die Ausweitung der Telekommunikationsüberwachung, wie es dort drinsteht, und der Ausweitung der Durchgriffsrechte der Polizei wird Tür und Tor geöffnet. Und sollten Sie das alles so belassen, passiert wieder Folgendes: Dieses Gesetz landet vor dem Verfassungsgericht – so wie schon das Verfassungsschutzgesetz vor dem Verfassungsgericht gelandet ist und natürlich abgewiesen wurde.
Ich will jetzt gar nicht von unseren „popeligen“ verfassungsrechtlichen Einwänden gegen die Sexualstraftäterdatei sprechen oder solchen simplen Sachen wie der strikten Trennung von Polizei und Geheimdiensten als Verfassungsgrundsatz. All das existiert für Sie nicht. Sie nutzen das aus, um abzuchecken, wie man im Rahmen der Verfassung all diese Dinge durchsetzen kann; und wenn es nicht klappt, machen Sie trotzdem den Schritt über die Verfassung und warten, bis geklagt wird. Die Verfassung scheint Ihnen, Herr Buttolo, und Ihresgleichen bei der Umsetzung Ihrer Politik ein lästiges Hemmnis, eine Art lästiges Insekt zu sein. Gut, wenn die Verfassung Ihnen recht gibt, schlecht, wenn dem eben nicht so ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Rechtsstaat hat den Bürger in die erste Priorität gestellt – und nicht den eingreifenden Staat. Also, irgendetwas müssen wir ja wohl aus der Geschichte gelernt haben – zumindest wenigstens das.
(Lachen bei der CDU – Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Sie glauben, weil Sie es machen, ist es in Ordnung?! – Weitere Zurufe)
Und wenn Sie das ignorieren, Herr Buttolo, dann schaffen Sie eine andere Republik, die ich nicht möchte.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aktuelle Debatten haben den Sinn, dass man seine Positionen austauscht. Das will ich gern ma
chen, wobei ich einschränkend darauf hinweisen muss, dass ein großer Teil der hier behandelten Fragen Bundesrecht sind. Sächsische Bezüge gibt es, das Polizeigesetz wäre ein solcher Bezug und auch das Versammlungsrecht.
Es ist kein Geheimnis, dass es zwischen den Koalitionspartnern sowohl auf Bundesebene als auch in Dresden zu manchen Themen unterschiedliche Positionen gibt. An der einen oder anderen Stelle muss man sich noch annähern.
Klar ist, dass wir uns zu den Themen auf Bundesebene bereits positioniert haben. Auf Bundesebene haben wir eine klare Absage erteilt, was die Themen Biometrie, den Einsatz der Bundeswehr im Innern, Online-Durchsuchungen und die uferlose Nutzung von Mautdaten anbelangt. Insofern muss man zur Kenntnis nehmen, dass es hierzu noch unterschiedliche Positionen gibt, die wir austauschen müssen.
Ich will nun den Bezug zu Dresden herstellen. Es gibt einen in Dresden geborenen ehemaligen Bundesinnenminister, nämlich Gerhard Baum. Er hat am 23. April 2007 einen für mich sehr interessanten Satz in einem Magazin der ARD gesagt: „Von Sicherheit steht nichts in unserer Verfassung. In unserer Verfassung steht etwas von Freiheit. Das heißt also, soweit wir Sicherheit brauchen, um die Freiheit zu schützen, ist das in Ordnung, aber die Sicherheit ist kein Wert an sich. Wir sind kein Sicherheitsstaat, sondern ein Freiheitsstaat.“
Dem kann ich uneingeschränkt meine Zustimmung geben. Treffender kann man das Ganze nicht beschreiben.
Warum sage ich das? Die Beantragung der Aktuellen Debatte kommt von der FDP-Fraktion, und an einem weiteren Beispiel wird deutlich, wie populistisch die FDP in Sachsen agiert: In Nordrhein-Westfalen gibt es einen FDP-Innenminister, Ingo Wolf, der eine OnlineDurchsuchung per Dienstanweisung möglich gemacht hat. Der von mir zitierte Gerhard Baum klagt gerade gegen seinen FDP-Kollegen in Nordrhein-Westfalen. Dies zum Thema Offenheit und transparenter Umgang mit der Debatte.
Deshalb sollten wir uns davor hüten – ich muss dem einen oder anderen recht geben, der hier vor mir gesprochen hat –, sich als Gralshüter der Verfassung aufzuspielen, denn auch da verläuft die Linie nicht geradlinig, was die FDP anbelangt. Es gibt darüber hinaus Punkte, die das Bun
desverfassungsgericht klar ausgeurteilt hat: Vom Luftsicherheitsgesetz bis zum Großen Lauschangriff gibt es eine Reihe von wichtigen Urteilen. Die SPD vertritt die Position, dass Sicherheitskonzepte nur auf der Grundlage der Verfassung umgesetzt werden können. Eine generelle Ermächtigung für einen Bundeswehreinsatz im Innern wird es mit uns nicht geben. Wir werden auch das Abschießen von Flugzeugen nicht als einen Verteidigungsfall umdeuten. Auch das Ausspähen von heimischen PCs muss im Kernbereich weiter eine private Lebensführung ermöglichen. Es kann nicht sein, dass wir in Kernbereiche privater Lebensführung eingreifen. Insofern ist es eine Frage des Augenmaßes in der Diskussion und wie wir bei diesen Themen, die sicher schwierig sind, im Detail miteinander umgehen.
Ich habe zum Abschluss zusammenzutragen versucht – damit es deutlicher wird –, wie jetzt schon der Mensch als „gläserner“ Mensch mit einem Persönlichkeitsprofil erfasst werden kann. Alle Provider speichern jetzt schon die Daten für zwei Jahre. Alle Handydaten werden für zwei Jahre gespeichert. Darüber hinaus gibt es bereits jetzt Überwachungskameras der neuen Generation, die eine Biometrikfunktion besitzen, die sie nicht ausfüllen, aber sie könnten sie ausfüllen. Wir haben GPS-Daten und damit im Zusammenhang sind in Nobelklassewagen bereits jetzt die sogenannten Blackboxen im Einsatz – in Mittelklassewagen fängt es auch langsam an –, wo man das Fahrverhalten, Anfahrten und Abfahrten, mit welcher Geschwindigkeit wohin gefahren wird, welche Standorte man gehabt hat usw. abfragen kann. Das Kaufverhalten ist an Rabattkarten schon jetzt ablesbar. Anhand von Kreditkarten kann man auch Profile erstellen. Selbst beim Digitalfernsehen – da war ich überrascht – kann das Sehverhalten aufgezeichnet werden, welche Sender Sie sehen, wie lange Sie sehen, wann Sie ausschalten und wahrscheinlich auch, was Sie eventuell bei irgendwelchen Shops im Fernsehen gekauft haben.
Die Aufzählung macht durchaus klar, dass es eine Vielzahl von Daten gibt, die wir bereits jetzt leider vom Bürger abnehmen, die analysiert, kopiert und weitergeleitet werden. Deswegen ist es für die SPD-Fraktion wichtig, dass wir eine ganz klare Ansage machen: Wir brauchen eine ausgewogene Betrachtung von Freiheitsrechten und Sicherheitsbedürfnissen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Parteien wie die FDP spielen sich immer wieder gern als Hüterin von Freiheits- und Bürgerrechten auf. Dabei mag manchem Liberalen tatsächlich angst und bange werden, wenn er an Überwachungsapparate denkt, mit denen unbequeme Bürger ausspioniert werden sollen. Auch die Vorstellung vom „gläsernen“ Verbraucher mag für einige beängstigend sein. Allerdings haben gerade die
Liberalen maßgeblich daran mitgewirkt, dass der Mensch längst zum Konsumroboter degradiert wurde. Jetzt wollen sie mal wieder die innen- und rechtspolitische Kassandra spielen und sich als Sittenwächter von Bürgerrechten in Erinnerung rufen. Es ist immer das gleiche FDP-Schema: Als Opposition lamentieren Sie wortgewaltig gegen die Beschneidung von Freiheitsrechten, doch in der Regierungsverantwortung tun Sie so, als sei das Schlimmste durch Sie gerade noch verhindert worden.
Für diese Taktik steht auch Ihr Generalsekretär Dirk Niebel. Zu Otto Schily, dessen Karriere vom RAFStarverteidiger zum sicherheitspolitischen Berserker der SPD führte, sagt Niebel: „Schily hat eine Sicherungshaft gefordert, ohne dass es den Hauch eines Verdachts gibt. Diese Schäuble-Schily-Denke liegt gefährlich nahe bei dem, was im US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba passiert.“ Meine Damen und Herren, sicher hat Herr Niebel recht, aber die besorgte FDP ist unaufrichtig, da sie beileibe nicht alle Bürger einschließt, sondern zum Beispiel die Unterdrückung verfassungsmäßig garantierter Bürgerrechte für Nationale mitträgt.
Trotzdem teilen wir Ihre Bedenken zum Lauschangriff, zur Erhebung und Verwendung biometrischer Daten, zum Gesetz zur Vorratsspeicherung von Daten, darunter von Telefonverbindungen bis zu sechs Monaten, oder die Weitergabe von Daten an überstaatliche Organisationen und Staaten, wie vor allem an den Folterstaat USA. In diesem Zusammenhang sollten wir uns in Erinnerung rufen, dass die neuerliche Erosion von Bürgerrechten keinen innen-, sondern außenpolitischen Anlass hatte. Jeder weiß das, auch wenn die Medien die wahren Ursachen des 11. September bis heute verschleiern. Der Kampf gegen den Terror, den George Bush gegen die arabisch-islamische Welt ausrief, hat mit unglaublicher Verlogenheit, Feigheit und Brutalität nicht nur zwei Staaten – Afghanistan und den Irak – in die Steinzeit, ins Elend, in den Bürgerkrieg gebombt, er hat auch in der Innen- und Rechtspolitik zu Rückwirkungen geführt, deren Auswirkungen heute noch gar nicht absehbar sind. Und er hat die BRD-Blockparteien als Heuchler und Mittäter entlarvt, denn in einem beispiellosen Akt von vorauseilendem Gehorsam sagte Gerhard Schröder damals den Amerikanern die bedingungslose Solidarität zu. Wie nie zuvor wurde stark in Kernbereiche privater Lebensgestaltung eingegriffen.
Aber das, meine Damen und Herren, reicht Ihnen ja nicht. Nun sind Sie im Begriff, auch noch die letzten Heiligen Kühe des Grundgesetzes auf dem Altar amerikanischer Interessen zu opfern. So wird zum Beispiel jetzt schon die Unschuldsvermutung, angeblich ein elementares Unterscheidungsmerkmal zum Dritten Reich und zur DDR, vom Innenminister infrage gestellt. Für Herrn Schäuble stehen längst alle unter Generalverdacht. Die Unschuldsvermutung ist Vergangenheit. Glaubten naive Vorfahren noch, die Gedanken sind frei, so belehren uns CDU und SPD heute eines Besseren. Nicht weniger naiv sind die Zeitgenossen, die auf die Floskel hereinfallen, wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten, mit der
die Bundesregierung den sogenannten Bundestrojaner schmackhaft machen möchte. Was für eine Vorstellung! Die Schlapphüte überwachen permanent und in Echtzeit präventiv alle am Weltnetz angeschlossenen Computer. Solche Möglichkeiten hätte selbst die visionäre Vorstellungskraft eines George Orwell überstiegen und vor Neid erblasst wären wohl auch Erich Mielke und Reinhard Heydrich.
Auch in Guantanamo müssen die Kriegsgefangenen schließlich nachweisen, dass sie keine terroristischen Absichten hatten.
Zu den zu achtenden Bürgerrechten gehören übrigens auch das aktive Wahlrecht und die Versammlungsfreiheit, Rechte, zu deren permanenten Verletzungen Sie sich alle hier auf nahezu kriminelle Weise verschworen haben. Mit allen Mitteln versuchen Sie, oppositionelle Gestaltungsmöglichkeiten zu unterlaufen, aber auch hier handelt es sich um illegitime Eingriffe in Bürgerrechte, denn es betrifft das Wahlrecht, wenn 9,2 % der Sachsen von der NPD vertreten werden wollen und Sie diesen Wählerwillen mit Füßen treten.
Es zeugt von Ihrer Wählerverachtung, die sich in Wählerbeschimpfung Luft macht, denn Sie hetzen gegen uns, treffen aber die Bürger. Ministerpräsident Milbradt unterstellte uns kürzlich, die NPD gefiele sich in der Opferrolle.
Mitnichten! Das würden wir schon deshalb nicht machen, weil wir die peinliche Rede des SPD-Abgeordneten Otto Wels im Ohr haben, mit der er larmoyant am 24. März 1933 die Folgen des Ermächtigungsgesetzes für sich und seine SPD bejammerte. Aber man wird doch noch darauf hinweisen dürfen, wenn die Blockparteien neue Ermächtigungsgesetze schaffen, nur um massiv in die Grundrechte der Opposition einzugreifen.
Angesichts der erschreckenden Perspektiven dieses Überwachungsstaates haben wir alle eine wichtige Aufgabe.
Meine Damen und Herren! Ich weiß, dass manch einer von Ihnen diese Befürchtung teilt. Max Leber hat einmal sinngemäß gesagt: Wer ein Unrecht erkennt und es nicht bekämpft, trägt für seine Verbreitung Mitschuld.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Neben dem üblichen Ethnorassismus der NPD, Vielvölkerstaat USA, als ob das etwas Negatives wäre, dem üblichen Antiamerikanismus, fällt es uns schwer und wir hören gar nicht mehr zu, wenn dieser Dreck dort geschleudert wird.