Protocol of the Session on March 15, 2007

Das ist unsere Auffassung.

(Beifall bei der FDP)

Dieser Diskussion liegt die wahrscheinlich schon empirisch unzutreffende Annahme zugrunde, die Sanktion müsse nur hart genug sein; je stärker die Sanktion ist, desto größer sei ihre präventive Wirkung. Das ist unzutreffend, meine Damen und Herren.

Sagen wir, welche Voraussetzungen notwendig sind, damit Jugendstrafvollzug erfolgreich sein kann, dann kommen wir dazu, dass ambulante Angebote, Jugendhilfe und Betreuung oftmals mehr bringen als die einfache Inhaftierung im Jugendstrafvollzug. Vor allem, wenn es zum Vollzug von Jugendstrafen kommt, ist die Frage wichtig, wie die Strafanstalten ausgestattet sind, welche Betreuung die Jugendlichen und heranwachsenden Straftäter erfahren. Da ist in Sachsen nicht alles optimal.

Sachsen wird zwar dieses Jahr den 54 Millionen Euro teuren Neubau der Jugendstrafvollzugsanstalt RegisBreitingen eröffnen. Das ist gut so, das ist überfällig, es war notwendig, dass er gebaut worden ist. Problematisch ist allerdings die Frage zu werten, wie die Personalbesetzung in der Jugendstrafvollzugsanstalt aussehen wird. Insgesamt sollen in Sachsen bis 2010 163 Stellen im Strafvollzug abgebaut werden. Auch das gilt es zu verteilen. Wir wissen noch nicht, inwieweit das beim Jugendstrafvollzug zu Buche schlägt.

Überstundenbelastungen fallen in den Justizvollzugsanstalten in erheblichem Umfang an, beispielsweise in Torgau fast 5 000 Stunden bis Oktober 2006, in Waldheim 6 700 Stunden usw. Die Belastung bei den Vollzugsbediensteten ist enorm, gerade auch im Jugendstrafvollzug. Bei den Fachdiensten fallen ebenfalls Überstunden in

erheblichem Umfang an. Darunter leidet dann auch die Betreuung der Insassen.

Beispielsweise haben wir im Strafvollzug in Sachsen insgesamt rund 4 400 Gefangene und 44 Psychologen. Das ist ein Zahlenverhältnis, das bereits im normalen Vollzug nicht ausreicht. Therapie, gerade auch im Jugendstrafvollzug, ist da kaum noch möglich. Wir sind aber der Auffassung, dass gerade sozialtherapeutische Arbeit auch im Umgang mit jugendlichen Straftätern und mit Intensivtätern Erfolg versprechend ist, meine Damen und Herren.

Auch im Jugendstrafverfahren lässt sich einiges ändern. Wir haben in Berlin beispielsweise seit 2003 eine Spezialabteilung der Staatsanwaltschaft für jugendliche Intensivtäter. Auch das ist eine Überlegung, wie man mit diesem Phänomen umgehen kann, meine Damen und Herren.

Das kostet alles Geld. Dieses Geld muss man einplanen. Die Staatsregierung hat in der letzten Haushaltsberatung nicht erkennen lassen, dass sie konsequent im Rahmen des Haushaltsvollzuges einem Umdenken im Jugendstrafvollzug anhängt. Wir würden es allerdings begrüßen, wenn das neue Jugendstrafvollzugsgesetz als Chance genutzt wird, den bisherigen Strafvollzug zu reformieren, ihn umzubauen. Anders als Herr Bräunig halte ich es nicht für falsch, dass Sachsen nicht automatisch diesen „Neunerentwurf“ weiter verfolgt. Meine Frage ist: Wozu machen wir eigentlich eine Föderalismusreform, wenn wir den Ländern die Möglichkeit geben wollen, eigene Konzepte zu entwickeln und diese umzusetzen? Wenn Sie eh alles einheitlich haben wollen, dann brauchen Sie keine Föderalismusreform zu machen.

(Beifall bei der FDP)

Wir sollten die Chancen nutzen, die wir haben; wir sollten es aber konsequent tun – eben Jugendstrafvollzug mit Sozialtherapie, den offenen Vollzug mit Wohngruppen und mit Bedingungen, die soziale Kontakte ermöglichen. Vier Stunden pro Monat soziale Kontakte – Besuchsmöglichkeiten für Jugendliche – sind aus unserer Sicht zu wenig und völlig undiskutabel, das muss man deutlich sagen; und auch acht Stunden sind noch nicht ausreichend. Wie wollen Sie stabile soziale Kontakte gerade bei jugendlichen Heranwachsenden in diesem Umfang aufrechterhalten?

Es gilt im Jugendstrafvollzug, gerade Gefängnis- und Suchtkarrieren zu verhindern, ihnen vorzubeugen. Es gilt, Schulbildung und Berufsausbildung für alle zur Verfügung zu stellen.

Meine Damen und Herren, wir werden die Detaildiskussion hoffentlich noch vor der Sommerpause beginnen können, wenn der Gesetzentwurf, den die Staatsregierung immer wieder ankündigt, vorliegt. Auch in diesem Punkt bin ich anderer Auffassung als Herr Bräunig: Wir haben hier nicht mehr so viel Zeit, dass wir uns gelassen zurücklehnen können. Das Bundesverfassungsgericht hat im vergangenen Jahr mit der Faust auf den Tisch gehauen, nachdem sämtliche Bundesländer gedacht hatten, man

muss nur lange genug nichts tun und Rechtsbruch betreiben, dann würde das Verfassungsgericht irgendwann mal von allein einschlafen. Das Bundesverfassungsgericht hat – wie ich finde, sehr zu Recht – ganz laut auf den Tisch gehauen und den Ländern eine Frist gesetzt.

Ich sehe es mit Besorgnis, wenn sich hier in der Gesetzgebung eine solche Haltung breit macht: Warten wir mal noch ein bisschen ab, es ist immer noch Zeit, im September mit der Diskussion zu beginnen. Ich habe die Befürchtung, dass unter solchen Bedingungen nicht allzu viel Vernünftiges herauskommt. Es kommt dazu ein Gesetz heraus, aber dass wir im Parlament die Chance hätten, darüber zu diskutieren, vermag ich – vor allem im Hinblick auf den Zeitaufwand bei der Verwaltungsreform – nicht zu erkennen. Deswegen fordern wir, dass wir rechtzeitig unterrichtet werden und die Möglichkeit haben, ausführlich über diese Dinge zu diskutieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU)

Das war die erste Runde der Diskussion. Von der CDU-Fraktion möchte Herr Schiemann in die Debatte eingreifen; bitte schön.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich gehe einmal davon aus, dass alle im Hohen Haus davon Kenntnis genommen haben, dass die Debatte zum Jugendstrafvollzug nicht erst im September beginnt, sondern bereits mit der Diskussion zu dem Antrag der beiden Koalitionsfraktionen voriges Jahr begonnen und mit einer hohen Zustimmung aus der Mitte des Landtages auf den Weg gebracht worden ist. – So viel dazu, Herr Kollege Martens; wir sind schon mitten in der Diskussion und brauchen jetzt auf niemanden zu warten, der uns mahnt. Deshalb werden wir bei der Diskussion, Herr Staatsminister, nicht zu spät kommen, wie es von meinem Kollegen Dr. Martens geunkt worden ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zunächst ist festzustellen, dass wir nach den statistischen Angaben einen massiven Rückgang der Kinder- und Jugendkriminalität zu verzeichnen haben. Das ist zunächst eine positive Feststellung, wenn wir auch die Seite 25 zur Hand nehmen und uns die Vergleiche nach Altersgruppen aus den Jahren 1999 bis 2005 anschauen.

Dennoch, meine sehr geehrten Damen und Herren, möchte ich auf einen Umstand hinweisen, der mir wichtig erscheint: Es ist schwierig, diese gesamte Große Anfrage nach einer sehr kurzen Zeit allumfassend entsprechend dem Arbeitsaufwand zu behandeln oder zu bewerten. Es wird eine Diskussionsgrundlage der nächsten Debatten zum Jugendstrafvollzugsgesetz werden.

Herr Staatsminister Mackenroth, ich möchte mich bei Ihnen und bei all denen, die dafür Sorge getragen haben, dass die Fragen beantwortet worden sind – ob es die Mitarbeiter des Justizministeriums oder der Gerichtsbar

keit waren –, herzlich für dieses umfangreiche Arbeitsmaterial bedanken.

Lassen Sie mich deutlich auf einen Umstand hinweisen, der bei der Behandlung dieses Themas nicht außen vor gelassen werden darf. Ich möchte deutlich klarstellen: Die Justiz ist nicht der Reparaturbetrieb der Gesellschaft.

(Beifall der Abg. Peter Schowtka, CDU, und Enrico Bräunig, SPD, sowie des Staatsministers Geert Mackenroth)

Aus Sicht der Rechtspolitik möchte ich deutlich darauf hinweisen, dass der Strafvollzug der letzte Punkt ist, wenn etwas schief gegangen ist. Vorher haben viele, viele andere in der Gesellschaft die Chance, die Möglichkeit, aber auch die Verantwortung, entsprechend zu verhindern, dass Kinder und Jugendliche kriminell werden und später bei der Justiz bzw. im Strafvollzug landen.

Die CDU-Fraktion hat sich deshalb – nunmehr gemeinsam mit der Koalitionsfraktion der SPD – dafür eingesetzt, dass den Betroffenen im Jugendstrafvollzug deutlich gemacht wird: Erstens, es handelt sich um eine Strafe nach einer Straftat – das ist der erste Punkt, der klargestellt werden muss –; zweitens, der Betroffene muss dies akzeptieren und seine Schuld entsprechend anerkennen; drittens, der Betroffene muss bereit sein, ein Leben ohne Kriminalität anzustreben. Und dann muss die Gesellschaft, muss der Staat mit seinen Möglichkeiten dem betroffenen Jugendlichen alle Chancen geben, seine Schulausbildung und seine Lehrausbildung nachzuholen und möglichst zu arbeiten. Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit ist die allerbeste Therapie. Alles andere wäre nur Gerede. Nur wenn wir Jugendlichen wieder einen Lebensrhythmus beibringen und das mit Arbeit verbinden, haben wir eine Chance, dass sie nach der Haft ein Leben ohne Kriminalität führen können. Dazu gehören Erziehung und eine entsprechende soziale Integration.

Dennoch bleibt die Strafvollzugsanstalt in der Entwicklung eines jungen Menschen immer ein klares Stoppzeichen, mit dem die Hand gereicht wird, noch einmal eine Chance zu bekommen, hinterher ein Leben ohne Kriminalität zu führen. Es gibt eine Zeit davor, es gibt Verantwortung davor, es gibt Verantwortung, die niemand dem Staat allein anlasten kann.

Zuallererst sind die Eltern bei der Erziehung gefordert. Es kann und darf nicht sein, dass für einen Teil der Eltern die Verantwortung dort endet, wo Kinder morgens ihre elterliche Wohnung um sieben Uhr verlassen, während Vater und Mutter erst spät abends nach Hause kommen. Auch diese Zeit gehört mit in die Verantwortung der Familien und muss wahrgenommen werden.

Ich erwarte, dass wir uns alle dieser Entwicklung stellen. Ehrlichkeit, Solidarität, Akzeptanz des Andersdenkenden und nicht zuletzt die Blicke auf unsere Geschichte sind dabei gefordert. Junge Leute brauchen das nötige Maß an Freiheit, aber auch das nötige Maß an Verantwortung und Verantwortungsgefühl – sei es Verantwortung im Klassenzimmer in der Schule, sei es beim Bau eines Jugend

zimmers oder der Renovierung des Jugendhauses. Nur hingestellt und investiert von der Gemeinde – das kann nicht der Rahmen sein, um jungen Leuten Verantwortung zu geben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist ebenso klar, dass der Staat die Eigeninitiative der Eltern unterstützen muss. Ziel einer vernünftigen Politik kann es nur sein, in erster Linie die Eltern auf ihre Verantwortung gegenüber ihren Kindern hinzuweisen und die Rahmenbedingungen für die Familie zu verbessern. Familie ist und bleibt für die CDU-Fraktion der zentrale Ort, an dem sich für Kinder und Jugendliche – für unser gesellschaftliches Zusammenleben, aber auch das Zusammenleben untereinander – unabdingbare Wertevorstellungen und soziale Verantwortung am sichersten vermitteln lassen.

Lassen Sie uns deshalb gemeinsam Überlegungen anstellen, wie wir mehr für den Schutz dieser Familien tun können, damit keine kriminellen Karrieren entstehen können.

Eng im Zusammenhang mit Jugendkriminalität steht die sogenannte Massenkriminalität, worunter im Allgemeinen Delikte wie Diebstahl, insbesondere Ladendiebstahl, unbefugter Gebrauch von Kraftfahrzeugen und Fahrrädern sowie Sachbeschädigungen bis hin zu Graffiti verstanden werden. Graffiti sind Sachbeschädigungen, bei denen fremdes Gut mit Farbe besprüht wird. Das sind keine Kavaliersdelikte. Das will ich deutlich sagen.

(Beifall der Abg. Frank Kupfer, CDU, und Torsten Herbst, FDP – Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Herr Kollege Lichdi, Sie waren eine geraume Zeit nicht im Saal und sollten jetzt einfach zuhören, vielleicht ergründen Sie, bei welchem Tagesordnungspunkt wir sind.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Oftmals wird beabsichtigt, diesen Delikten dadurch beizukommen, dass sie als Ordnungswidrigkeiten oder, wie Sie es gerade gesagt haben, nicht als Delikte bzw. Sachbeschädigungen dargestellt werden. Wir halten das für äußerst kurzsichtig und daher der Sache wenig dienlich. Es kann nicht sein, dass man in Diskussionen die zweifellos bestehende präventive, also auch strafverhindernde Wirkung des Strafrechts nahezu aufgeben will. Gerade bei jugendlichen Ersttätern besteht doch die Chance, ihnen mit Hilfe der Staatsanwaltschaft und der Jugendgerichte ihr Unrecht vor Augen zu führen.

Im Übrigen leistet man mit solchen Reformbestrebungen der Relativierung und einer voranschreitenden Erosion des allgemeinen gesellschaftlichen Rechtsbewusstseins Vorschub. Wir halten einen solchen Weg für geradezu gefährlich. Die bestehenden Möglichkeiten der Verfahrensbeschleunigung, über die man sich auch in der Debatte unterhalten kann, müssen ausgeschöpft werden. Aber im Zusammenhang mit dem Jugendstrafvollzugsgesetz wird das zunächst nichts bringen. Wir halten es für wich

tig, dass Entscheidungen der Gerichte unter dem Motto „Die Strafe folgt auf dem Fuß“ fallen. Der Jugendliche muss die Strafe noch mit der Tat verbinden können. Ein zu großer zeitlicher Abstand zwischen Tat und Verurteilung hilft dem Jugendlichen nicht, die Tat als Fehlverhalten anzuerkennen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Prävention muss in den Vordergrund gestellt werden und sogar an erster Stelle stehen, um Kindern und Jugendlichen auch ohne Kriminalität eine Chance zu geben. Dabei sind nicht nur Gerichte, sondern auch kommunale Jugendämter gefordert. Auch dort gibt es die Möglichkeit, wenn man schnell, möglichst sofort reagiert, kriminelle Karrieren zu verhindern.

Auch die Schulen, insbesondere die Lehrerschaft, tragen große Verantwortung und können mit ihrem schnellen Handeln einen Beitrag dazu leisten, dass eine Erhöhung der Zahl krimineller Karrieren verhindert wird. Mehr möchte ich zur Schule nicht sagen. Ich möchte ihr nicht zusätzliche Leistungen aufbürden. Aber auch die Lehrerschaft hat eine Chance, dazu beizutragen, dass junge Menschen auf dem rechten Weg bleiben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass die Strafe auf dem Fuße folgen soll, ist ein bewährter Grundsatz, der insbesondere bei Verfahren mit Jugendlichen beachtet werden muss. Wir brauchen einen modernen Jugendstrafvollzug, der den Weg zukünftiger krimineller Karrieren möglichst abschneidet und verhindert.

Wir befinden uns mitten in der Diskussion zum künftigen Jugendstrafvollzugsgesetz. Ich freue mich auf die Diskussion, die wir gemeinsam mit dem Justizminister und mit der Sachkunde aller beteiligten Mitglieder des Landtages im Rechtsausschuss führen werden. Ich gehe fest davon aus, dass wir die Zeitschiene bis zum Herbst 2007 einhalten werden.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Die Linksfraktion.PDS erhält noch einmal das Wort. Frau Klinger, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich freue mich, nach den doch etwas weiterführenden Aussagen von Herrn Schiemann noch einmal das Wort für unsere Fraktion ergreifen zu dürfen. Ich möchte das Augenmerk auf bestimmte Aspekte des Komplexes „Jugendkriminalität, Jugendstrafverfahren und Jugendstrafvollzug“ lenken. Besonders eingehen möchte ich auf das Thema „Resozialisierung“ und die Möglichkeiten von Bildung und Ausbildung ansprechen.

Beim Durchsehen der Großen Anfrage stellten sich mir die Fragen: Wie wird den Jugendlichen im Strafvollzug geholfen – wirklich geholfen! –, nach der Entlassung mit dem Leben außerhalb des Knastes klarzukommen? Wie steht es um die Resozialisierungsfunktion des Jugendstrafvollzuges in Sachsen?