Protocol of the Session on March 15, 2007

Zu beachten ist außerdem, dass Sachsen beim Anteil der Tatverdächtigen im Vergleich der Bundesländer bei den strafmündigen Kindern zwar unter dem Bundesdurchschnitt, jedoch bei den Jugendlichen im Altersbereich zwischen 14 und 18 Jahren und bei den Heranwachsenden im Altersbereich zwischen 18 und 21 Jahren über dem Bundesdurchschnitt liegt. Statistiken beweisen, dass die Rückfallquoten hoch sind. Eine durch das Bundesministerium der Justiz im Jahre 2003 herausgegebene Rückfallstatistik hat ergeben, dass die Rückfallquote bei jungen Tätern, die zu einer Jugendstrafe ohne Bewährung verurteilt wurden, mehr als 75 % beträgt.

Deshalb müssen wir dringend den gesamten Bereich Nachsorge und Haftentlassung noch einmal an verschiedenen Punkten überdenken. Beispiele sind die Arbeit der Bewährungshilfe, Zuweisung von Wohnraum, Hilfe bei Ausbildungs- und Arbeitsplatzfindung, Integration in das Alltagsleben und Begleitung in den ersten Monaten; vielleicht ähnlich, wie es beim Maßregelvollzug geregelt ist. Das sind unseres Erachtens notwendige Maßnahmen, um die Rückfallquoten zu verringern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, unsere Kinder vor Straffälligkeit zu bewahren. Die Erziehung obliegt erstrangig dem Elternhaus. Jedoch müssen Jugendämter und insbesondere die Schulen Erziehungsdefizite zeitnah erkennen und diesen entgegensteuern. Wir haben die Chance, in der neuen Gesetzgebung auf die notwendigen Maßnahmen und Förderstrukturen einzugehen. Dabei muss man auch neue Wege gehen können. Ich hoffe, dass uns das gemeinsam im Interesse der Entwicklung der jungen Menschen zu mehr Eigenständigkeit gelingt.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD. 1. Vizepräsidentin Regina Schulz: Die Linksfrakti- on.PDS ist an der Reihe. Herr Bartl, bitte. Klaus Bartl, Linksfraktion.PDS: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Drucksa- che 4/7383, das Werk, das der heutigen Debatte zugrunde liegt, umfasst einschließlich der statistischen Anlagen 259 Seiten, 18 Seiten Anfragen und Begründung der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der Rest Antwort der Staatsregierung. Die Antwort datiert vom 20. Febru- ar 2007. Ausgegeben wurde sie am 27. Februar 2007, mithin vor 17 Tagen. Ich habe Frau Vizepräsidentin so verstanden, dass es beim allerbesten Willen nicht zu leisten war, in den Tagen, die uns seither blieben, die ganze Breite der behandelten Komplexe zu erschließen. Frau Herrmann wiederum habe ich so verstanden, dass es heute um einen Impuls geht, sich mit der Materie zu befassen, und zwar mit dem Ziel, die Erkenntnisse, die – was wir nicht vergessen dürfen – in mühsamer Arbeit zusammengetragen worden sind, sinnvoll in die weitere Arbeit einzubeziehen. Wenn wir Große oder Kleine Anfragen stellen, dann gibt es niemanden, der diese virtuell beantwortet. Das machen regelmäßig Staatsanwälte, Richter oder Mitarbeiter vor Ort, die dafür mitunter für Tage oder Wochen aus der Rechtsprechung herausgezogen werden. Sie beklagen immer wieder, dass sie in dieser Zeit keine Fälle erledigen konnten, weil sie unsere Fragen beantworten mussten. Ich meine: Das muss sein und gehört zu unserem Geschäft. Alle Abgeordneten müssen Anknüpfungstatsachen erfra- gen dürfen, um mit Kompetenz Lösungsvorschläge ins Parlament einzubringen. Aber die Antworten dürfen nicht nur auf das Papier geschrieben werden, sondern wir haben mit aller Vehemenz zu gewährleisten, dass wir aus dieser Arbeit, die andere für uns leisten, etwas machen. (Vereinzelt Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Deswegen appelliere ich ebenso wie Frau Herrmann, dass dieses Papier intensiv in seinen Komplexen von uns durchleuchtet wird, wir uns entsprechend den Mitteln, die wir haben, in weiteren Anhörungen sowie in den Fachausschüssen damit befassen und das in entsprechenden Gesetzgebungsakten berücksichtigen; dass wir uns also den Gehalt dieser Großen Anfrage zu eigen machen. Das ist die erste Schuld, die wir gegenüber denjenigen haben, die das dankenswerterweise sehr substanziell zusammengetragen haben.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS, der SPD, der FDP, den GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Wir haben, was die momentane Aufarbeitung des Gegenstandes betrifft, aus unserer Sicht folgende Bemerkungen, die sich in erheblichem Umfang mit dem decken, was Frau Herrmann hier sehr kompetent vorgetragen hat.

Erstens. Laut Polizeistatistik haben wir einen Rückgang der aufgeklärten Delikte der Jugendkriminalität bei den deutschen Tatverdächtigen und bei den nicht deutschen Tatverdächtigen hinsichtlich des prozentualen Anteils an der Gesamttatverdächtigenzahl.

Über die Unwägbarkeiten der Polizeistatistik brauchen wir uns hier nicht näher zu verständigen. Darin sind auch die Verdächtigen enthalten und es ist mitnichten jede Zahl belastbar. Ein nicht geringer Teil der in der Polizeistatistik Enthaltenen wird später als unschuldig erkannt bzw. das Verfahren wird eingestellt oder keine Schuld festgestellt.

Frau Herrmann hat bereits ausgeführt, dass diese 30 % Rückgang in den Jahren seit 1999 beachtlich und positiv sind. Welchen Einfluss dabei der Rückgang des Anteils der Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung spielt, wurde hier nicht ausgeführt. Das dürfte aber in den jetzigen Altersgruppen noch nicht relevant sein. Es sind also tatsächlich Ergebnisse der Prävention oder der Bekämpfung der Kriminalität, die zu positiven Ergebnissen geführt haben. Wir müssen also unser Licht nicht unter den Scheffel stellen.

Ich mache mir die Schlussfolgerung von Frau Herrmann zu eigen, dass deshalb die Frage zu stellen ist, womit sich die Rufe nach schärferen und drastischeren Jugendstrafbestimmungen rechtfertigen lassen. Das kann auch ich nicht erkennen. Das sind allenfalls Reflexionen auf extreme Einzelfälle. Jeder extreme Einzelfall ist einer zu viel, jede Straftat ist eine zu viel. Darin sind wir uns völlig einig. Aber die Zahlen, die uns jetzt vorliegen, geben mitnichten eine Rechtfertigung dafür her, nach Verlängerung und Verschärfung von Strafen, nach der Veränderung der Altersgrenzen für das Erwachsenenstrafrecht etc. zu rufen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Zweitens. Das Land Sachsen, für das wir im Parlament Verantwortung tragen, liegt in der Kriminalitätsbelastung Jugendlicher und Heranwachsender unverändert deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Das ist einfach eine Realität. Ausgenommen davon ist der Prozentanteil nicht erwachsener Tatverdächtiger, die keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Der Ausländeranteil ist also niedriger als in den anderen Bundesländern. Das ist auch eine Botschaft.

Woraus sich wiederum der Umstand ergibt, dass in Sachsen ein größerer Anteil Jugendlicher und Heranwachsender straffällig wird, ist noch nicht belastbar erforscht. Das wird durch die Große Anfrage nicht erklärt und kann es auch nicht. Wir wissen nicht, worauf das beruht. Das ist eine unbefriedigende Situation und wir müssen uns darüber Gedanken machen, wie wir hier zu verlässlichen Daten kommen.

Es lässt sich aber feststellen, dass Sachsen seit Jahr und Tag eines der Länder der Bundesrepublik Deutschland ist, das sich durch einen relativ hohen Anteil verordneter Untersuchungshaft gegenüber Jugendlichen und Heranwachsenden auszeichnet, wenngleich ich mit großer Sympathie verfolge, dass der Anteil der Jugendlichen, die in Untersuchungshaft genommen worden sind, in den Jahren deutlich rückläufig ist. Es gibt jetzt eine durchaus größere Bereitschaft, auf andere Maßnahmen auszuwei

chen. Aber es gibt nach wie vor die Tatsache, dass wir mit unserem Anteil an verhängten Jugendstrafen fast doppelt so hoch wie die anderen Bundesländer liegen, ohne dass damit eine geringere Quote der Jugendkriminalität erreicht wurde. Das zeigt wiederum, dass die Schwere der Strafe keinesfalls mit Effekten bei der Zurückdrängung der Kriminalität gekoppelt ist. Dieser Zusammenhang besteht offensichtlich nicht.

Drittens. Es bleibt dabei, dass auch in Sachsen der Anteil Rückfälliger bei Jugendlichen, gegen die freiheitsentziehende Maßnahmen zur Anwendung kamen – die also in Arrest gingen oder Jugendhaftvollzug erlitten haben – deutlich höher ist als der Rückfallanteil bei Jugendlichen, gegen die sogenannte Zuchtmittel, Erziehungsmittel oder eben die Aussetzung der Jugendhaft zur Bewährung zur Anwendung kamen. Auch hier bin ich der Auffassung, dass wir die Realität zur Kenntnis nehmen sollten.

Herr Staatsminister, ich bin generell etwas stutzig geworden, als ich die Antwort auf die Frage zu U-Haft-Vermeidungsprojekten las. Nun war die Frage so gestellt: Was könnten wir denn einsparen, wenn wir U-Haft-Vermeidungsprojekte anstelle von Untersuchungshaft bei Jugendlichen nehmen? Darauf antwortet der Staatsminister: Nach Aushandlung mit den Jugendhilfebereichen kostet uns ein U-Haft-Vermeidungsplatz pro Tag zwischen circa 117 und 147 Euro, während uns der Haftplatz circa 69 Euro kostet. Das mag ja so sein, aber wenn man daraus die Schlussfolgerung zieht, dann machen wir eben mehr Untersuchungshaft, weil es billiger ist, ist das irgendwie etwas kurzschlüssig. Ich denke, das rechnet sich andersherum bei Rückfallquoten allemal wieder, wenn ich vorher interveniere und nicht gleich inhaftiere.

Viertens. Entgegen der gefühlten Bedrohung durch vermeintlich schwere Kriminalität jugendlicher Heranwachsender zeigt die Statistik: Mehr als die Hälfte der von dieser Altersgruppe begangenen Straftaten sind Diebstähle ohne erschwerende Umstände – sprich: einfache Ladendiebstähle –, Sachbeschädigungen – darunter fallen Graffiti-Schmierereien etc. –, Beleidigungen und Ähnliches mehr. 2005 waren um die 9 000 der 15 000 Straftaten Jugendlicher der Kategorie der leichten Kriminalität zuzuordnen. Das müssen wir einfach feststellen. Es ist also mitnichten so, dass in diesem Lande Halbwüchsige marodierenderweise in Serie herumziehen, sondern es sind in der Regel relativ leichte Straftaten, die die Masse ausmachen. Auch das sollte der Antwort entnommen werden.

Fünftens. Die Antwort der Staatsregierung auf die Anfragen zu jugendkriminalpräventiven Konzepten – meine Kollegin Klinger wird dazu noch etwas sagen – ist ausführlich. Sie signalisiert, dass die Staatsregierung die Breite kennt. Ich bin für die Herangehensweise der Frau Vizepräsidentin an die Thematik mit der Erörterung dieser Problematik kriminalpräventiver Konzepte, Therapien etc. sehr dankbar. Aber bei der realen Existenz dieser Projekte und der Verfügbarkeit im Einzelnen – auch

flächendeckend, je nachdem, wo der betreffende Jugendliche ist – haben wir noch ganz erhebliche Defizite.

Ein Problem sind letzten Endes die Zahlen dieser kriminalpräventiven Projekte, die eine wesentliche Rolle spielen können, wenn sie eingeführt sind und wirksam werden. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat zu 3.3 erfragt, was seit 1990 an finanziellen Mitteln für kriminalpräventive Projekte ausgegeben worden ist. Das muss man sich mal überlegen: Seit 1999 erhielt die Integrationsgesellschaft Freital für berufliche Wiedereingliederung benachteiligter Jugendlicher 1 780 DM. Im Jahre 2000 gab es sachsenweit vier Vereine, die für Suchtprävention für Kinder und Jugendliche, Schülermediation, pädagogische Maßnahmen im Mädchenschutzhaus und freizeitpädagogische Maßnahmen zwischen 3 600 und 14 940 DM erhielten. 2001 gab es eine einzige kriminalpräventive Maßnahme. Sie lief bei der Integrationsgesellschaft Sachsen in Freital. Es war eine freizeitpädagogische Maßnahme mit 6 450 DM. Im Jahr 2002 unterstützte eine kriminalpräventive Maßnahme pädagogische Maßnahmen im Mädchenschutzhaus mit 3 540 Euro. Summa summarum sind das, auf die letzten sechs Jahre berechnet, ganze 48 000 DM oder 24 000 Euro, die wir in kriminalpräventive Projekte investiert haben. Das ist schlicht und ergreifend zu wenig. Zu solch einem Spottpreis bekommen wir greifende Prävention mit Sicherheit nicht hin. Das ist letztendlich auch unsere Auffassung.

Sechstens. Die erste grundsätzliche Lehre, die wir aus unserer Sicht aus der Antwort ziehen, ist: Wir stehen im Freistaat Sachsen vor einem Richtungsentscheid auf dem Gebiet der Jugendkriminalitätsbekämpfung, der Jugendkriminalitätsprävention, der Jugendstrafpolitik und der Vollzugspolitik, nicht nur in Sachsen, sondern in der gesamten Bundesrepublik Deutschland: Setzen wir weiterhin, wie in den letzten Wochen und Monaten die verschiedensten Initiativen aus den Bereichen der konservativen Politik kamen, auf Kriminalrepression. Das heißt, dass wir Strafe verschärfen, Jugendstrafrecht nicht mehr auf Heranwachsende anwenden, die nachträgliche Sicherungsverwahrung für Jugendliche einführen, den Strafrahmen für Jugendliche von zehn auf 15 Jahre erhöhen wollen, die höchsten Zeiten der Jugendstrafen verlängern etc. pp. Oder aber wir setzen Zeit, Geld, Mittel, Geist, personelle Ressourcen usw. für die Kriminalprävention ein, das heißt für die frühzeitige Intervention gegenüber kriminell gefährdeten Menschen und in die Veränderung sozialer Bedingungen, die in diesem Lande nicht selten Ausgangspunkt für strafbares Handeln von Jugendlichen und Heranwachsenden sind.

Das kommt in der Anfrage logischerweise nicht zur Behandlung, weil es so nicht gefragt war. Die Krisen des Sozialstaates bewirken zunehmende Veränderungen in der sozialen, politischen und in den strukturellen Rahmenbedingungen für soziale Jugendpolitik und soziale Arbeit. Die Tatsache, dass immer mehr Kinder und Jugendliche in Familien aufwachsen, die vermehrt von Armut, Arbeitslosigkeit und sozialem Ausschluss bedroht und belastet

sind, müssen wir zur Kenntnis nehmen. Sie hat auch einen kriminologenen Hintergrund. Demzufolge müssen mobile Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit viel stärker als gewichtige Integrations- und Aktivierungsfunktion in die Politik eingebracht werden.

Wir müssen mit den Mitteln des Landtages dafür Sorge tragen, dass wir im Freistaat Sachsen mehr Möglichkeiten schaffen, um dort, wo wir nicht von vornherein die sozialen Bedingungen für die Menschen verändern können, zumindest durch freizeitbegleitende Angebote und sinnvolle Angebote im Freizeitbereich diesen Faktoren entgegenzuwirken. Der Satz „Kriminalprävention ist humaner als Kriminalrepression“ gilt mit Gewissheit auch bei Jugendlichen und ist auch für die Opfer wesentlich produktiver; denn „Opfer“ heißt immer, dass es vorher eine Straftat gab. Opfer gibt es nicht, wenn ich vorher durch Prävention vermeide, dass es zur Straftat kommt. Deshalb sollte unser Gewicht weiterhin darauf liegen.

Danke schön.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich erteile der SPDFraktion das Wort. Herr Bräunig, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die vorliegende Große Anfrage zu Jugendkriminalität und Jugendstrafvollzug hat zunächst die gute Botschaft, dass die Jugendkriminalität – auch demografiebereinigt – stark rückläufig ist. Das ist ein Umstand, der gern von denen übersehen wird, die ein härteres Jugendstrafrecht oder andere Strafmündigkeitsgrenzen fordern.

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir diesen rückläufigen Trend mit einem modernen Jugendstrafvollzugsgesetz, welches die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes klar umsetzt, noch verstärken können. Die Schlüssel hierzu sind solche Förder- und Resozialisierungsmaßnahmen, die die Entwicklung Jugendlicher und Heranwachsender zielgerichtet voranbringen.

Wie Sie sicher wissen, gibt es innerhalb der Koalition im Moment noch unterschiedliche Auffassungen, welcher Weg im Einzelnen der richtige ist mit dem Ziel, einen modernen Strafvollzug zu schaffen. Ich bin mir sicher, dass wir uns dazu in Kürze abschließend verständigen werden. Für meine Fraktion ist jedenfalls klar, dass der Jugendstrafvollzug nicht zum bloßen Ableger des Erwachsenenstrafvollzugs werden darf. Dazu gehört, dass Jugend- und Erwachsenenstrafvollzug gesetzestechnisch strikt voneinander getrennt werden. Nichts anderes hat das Bundesverfassungsgericht gesagt.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das allgemeine Zeugnis, das das Bundesverfassungsgericht dem deutschen Jugendstrafvollzug im Mai vergangenen Jahres ausgestellt hat, ist – schlicht gesagt – niederschmetternd, nicht nur, weil es derzeit für den gesamten Jugendstrafvollzug keine hinreichenden gesetzlichen Grundlagen gibt, was allein schon schlimm genug ist. Das Gericht hat

auch die aktuelle Vollzugspraxis in vielen Details bemängelt. Ich selbst habe noch kein anderes Urteil erlebt, bei dem das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber so detailliert ins Stammbuch geschrieben hat, was noch alles getan werden muss. Hinter vorgehaltener Hand heißt es, das Gericht habe kein Zutrauen zur Gesetzgebungskompetenz – damals noch des Bundes, aber perspektivisch schon sichtbar der Länder – gehabt und deshalb konkrete Anforderungen an ein zu schaffendes Jugendstrafvollzugsgesetz formuliert.

Wir alle sind, denke ich, gut beraten, uns genau an die Vorgaben des Gerichtes zu halten. Der Grund hierfür sollte weniger das Urteil selbst sein, sondern vielmehr unsere Sorge und Verantwortung für die jungen Menschen.

Die Fraktionen der CDU und der SPD haben bereits frühzeitig in diesem Hohen Hause mit einem eigenen Antrag – es ist heute schon mehrfach angesprochen worden – ihre Vorstellungen erläutert. Ich weiß auch, dass Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, sich darüber geärgert haben, dass es gerade die Koalition war, die dieses Thema zuerst in den Landtag eingebracht hat. Neidlos anerkennen möchte ich allerdings, dass Ihre Große Anfrage ebenfalls sehr hilfreich ist.

Sie bestätigt nämlich die Erhebungen des Bundesverfassungsgerichtes für den sächsischen Jugendstrafvollzug. Auch die Koalitionsfraktionen haben die Notwendigkeit erkannt, nochmals verlässliche Zahlen zu bekommen. Ich möchte hier an die bereits angesprochene weitere, noch nicht beantwortete Große Anfrage der Fraktionen CDU und SPD zur Lage des Jugendstrafvollzugs in Sachsen erinnern.

Die Große Anfrage, die uns heute vorliegt, ist in mehrfacher Hinsicht interessant und natürlich wert, sorgfältig ausgewertet zu werden. Markant dabei ist, dass in Sachsen Jugendliche doppelt so häufig zu Jugendstrafen, das bedeutet Jugendhaft, verurteilt werden als in anderen Bundesländern. Gleichzeitig ist Sachsen bei der Gewährung von Vollzugslockerungen Schlusslicht. Gerade wegen des Urteils des Bundesverfassungsgerichtes und der aktuellen kriminologischen Forschung sollten wir uns fragen, ob wir hier nicht möglicherweise eine falsche Strategie verfolgen.

Wichtig zu erfahren ist auch, wie sich dies auf mögliche Rückfallquoten auswirkt. Aber wie wir aus der Antwort der Staatsregierung erkennen, sieht sich das Ministerium außerstande, Rückfallzahlen vorzulegen. Das verwundert insofern ein Stück weit, das gebe ich zu, als zum Beispiel der Staatsminister jüngst in der „Sächsischen Zeitung“ geäußert hat, dass die Rückfallquote junger vorbestrafter Straftäter zwei von drei beträgt, was mich wiederum zu einer positiven Kritik veranlasst. Es wäre schön, wenn wir die hinter solchen Zahlen stehenden Statistiken bzw. Erhebungen erläutert bekämen. Ich glaube, dass die noch ausstehende Große Anfrage der Koalitionsfraktionen hierfür eine gute Gelegenheit bietet.

Inhaltlich ist es mir derzeit für den von Ihnen – damit komme ich auf Ihren Entschließungsantrag zu sprechen – vorgelegten Entschließungsantrag noch zu früh. Solange nicht auch die Antworten auf die Große Anfrage der Fraktionen von CDU und SPD vorliegen, sollten wir mit abschließenden Wertungen noch warten. Der Zeitdruck gerade mit Blick auf die Frist, die uns das Bundesverfassungsgericht gesetzt hat, ist noch nicht so groß. Der Zeitdruck ist da, ohne Frage. Aber er ist noch nicht so groß, als dass wir nicht noch diesen kleinen Moment warten könnten.

Ich möchte abschließend die Debatte dazu nutzen, nochmals die Haltung der SPD-Fraktion deutlich zu machen. Wir glauben, dass es auch nach der Föderalismusreform möglichst einheitlicher gesetzlicher Regelungen zum Jugendstrafvollzug bedarf. Es spricht viel für ein weiteres gemeinsames Vorgehen der Länder, die länderübergreifende Zusammenarbeit beispielsweise im Hinblick auf Verlegungen und Gefangenentransporte, aber auch die justizpolitische Notwendigkeit eines einheitlichen Strafvollzugs als Spiegelbild eines einheitlichen Strafrechts.

Meine Fraktion bedauert, dass Sachsen den Entwurf von neun anderen Bundesländern zum Jugendstrafvollzug derzeit nicht mitträgt, obwohl sich der Freistaat anfänglich mit diesem Ziel in dieser Arbeitsgruppe verpflichtet hatte. Welche Konsequenzen die SPD-Fraktion aus den Defiziten im Jugendstrafvollzug ziehen will, haben wir mit der Vorlage eines eigenen Gesetzentwurfs dokumentiert. Sicherlich sind wir dabei auch ein Stück weit stolz, die Ersten gewesen zu sein, die das getan haben.

Inhaltlich ist es uns wichtig, das Vollzugsziel der sozialen Integration, also der Befähigung zu einem straffreien Leben in Freiheit, konsequent zu stärken. Nur ein so ausgerichteter Vollzug entspricht der staatlichen Pflicht zur Achtung der Menschenwürde des Einzelnen und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit staatlichen Strafens. Wir sind optimistisch, dass wir innerhalb der Koalition in Kürze zu greifbaren Ergebnissen kommen.

In diesem Sinne vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Die NPD-Fraktion verzichtet. Es spricht die FDP-Fraktion. Herr Abg. Dr. Martens, bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst vorweg: Die umfangreiche Große Anfrage zu Jugendkriminalität und Jugendstrafvollzug in Sachsen hat in der Tat jede Menge Material zutage gebracht, das dem Parlament und dem Gesetzgeber helfen kann, die Fragen um die Jugendkriminalität sachgerecht und mit Vernunft anzugehen. Es ist notwendig und wichtig, eine solche Diskussion zu führen, vor allem aufgrund von Sachkenntnissen, und nicht mit ideologischen Vorurteilen zu füttern, die zwar gern angebracht werden, aber in der Sache nicht weiterführen.

Meine Damen und Herren! Welche Folgerungen für das Jugendstrafrechtsverfahren und den Jugendstrafvollzug haben wir in Sachsen zu ziehen? Zunächst ist gesagt worden – auf die statistischen Einzelheiten will ich hier nicht über Gebühr eingehen –, dass die Anzahl tatverdächtiger Kinder und Jugendlicher, unabhängig von der relativen Verteilung im Bundesdurchschnitt, seit Jahren zurückgeht, von 1999 in absoluten Zahlen bis 2005 um 62 %. Das ist erfreulich und gibt Chancen, einen Jugendstrafvollzug zu gestalten, der mehr als nur Mangelverwaltung ist, sofern man sich diesem Ziel auch verschreibt.

Lassen Sie mich eines sagen: Wir halten nichts davon, wenn im Zusammenhang mit Jugendkriminalität immer wieder neue Verschärfungen des Jugendstrafrechts, höhere Strafen, mehr Haftaufenthalte oder eine Senkung des Alters der Strafmündigkeit gefordert werden, was bisweilen eine Spezialität von CDU-Rechtspolitikern zu sein scheint. Allerdings muss man auch noch freundlich darauf hinweisen oder mit Bedenken zur Kenntnis nehmen, dass die CDU und die SPD auf Bundesebene darüber reden, eine Sicherungsverwahrung auch für Jugendliche einzuführen, meine Damen und Herren. Hier wird eindeutig in einer rechtspolitischen Diskussion weit über das Ziel hinausgeschossen.