Meine Damen und Herren! Ich sage es noch einmal: Ich hätte mich lieber mit anderen Ministern als mit Dr. Buttolo auseinandergesetzt. Ich begreife nicht, woher der Bruch in Ihrer Biografie kommt, Herr Dr. Buttolo, von ebendiesem freundlichen, sachlichen, kompetenten Staatssekretär, der auch Rückgrat gezeigt hat, wenn doktriniert werden sollte, zu einem gnadenlos auf Populismus und Effekthascherei ausgerichteten Innenminister, der mit dieser Stilart den Freistaat Sachsen, dem er normalerweise dienen soll – was er bisher auch gemacht hat –, in Verruf bringt.
Laut unserer Geschäftsordnung, meine Damen und Herren, können Mitglieder der Staatsregierung jederzeit um das Wort bitten. Herr Innenminister Dr. Buttolo, Sie haben darum gebeten. Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Januar 2006 wurde Stephanie auf dem Weg zur Schule von einem vorbestraften Sexualstraftäter entführt und fünf Wochen sexuell misshandelt. Im Februar 2007 wurde Mitja von einem vorbestraften Sexualtäter entführt, missbraucht und ermordet.
(Angelika Pfeiffer, CDU: Er hätte heute seinen 10. Geburtstag! – Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS: Hätten Sie es geändert?)
Das ist nur die Spitze eines sehr traurigen Eisberges. Insgesamt werden bundesweit jährlich circa 1 500 Kinder Opfer von sexueller Gewalt. Die PDS bezeichnet – –
Die Linkspartei.PDS bezeichnet in ihrem Antrag die Verbrecher, die auf so furchtbare Weise Kinder für den Rest ihres Lebens seelisch verletzen, entwürdigen, körperlich verletzen oder gar töten, als eine – ich zitiere wörtlich –
„durch erheblichen Anteil durch krankheitswärtige und therapiebedürftige Verhaltensmerkmale geprägte Tätergruppe“.
Das ist das, meine Damen und Herren, was mich vor 14 Tagen bewogen hat, dieses Fünf-Punkte-Programm vorzulegen. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich auf den verletzenden, mich persönlich diffamierenden und auf zum Teil erstaunlichen Äußerungen hinsichtlich der Verfassung basierenden Ton dieser Partei hier nicht eingehen möchte.
In der Sache unterstelle ich niemandem, der meine Überlegungen angreift, bösen Willen – auch Ihnen nicht.
Ich bin sicher, dass wir alle förmlich mitleiden mit den vergewaltigten und entwürdigten Kindern. Wir alle müssen unser Bestes geben, um die Kinder zu schützen.
Es ist aber falsch nur zu fragen: Was ist heute rechtlich möglich, um die Kinder vor Sexualstraftätern zu schüt
zen? Die Frage muss vielmehr lauten: Was ist tatsächlich nötig, um die Kinder vor Sexualstraftätern zu schützen? Nur diese Fragestellung rückt die potenziellen Opfer wieder in den Mittelpunkt staatlicher Bemühungen. Genau das müssen die Opfer sein: der Mittelpunkt unserer staatlichen Bemühungen.
Es geht nicht darum zu fragen: Welche Opferschutzmaßnahmen erlauben uns die Rechte des Täters? Es geht darum zu fragen: Wie müssen die Rechte des Täters ausgestaltet sein, um zu verhindern, dass Kinder für den Rest ihres Lebens Schaden an Seele und Körper nehmen?
Nein, ich erlaube keine Zwischenfrage. Herr Bartl, ich stehe nicht hier, um mich vor Ihnen zu rechtfertigen.
Ich stehe hier, um den Landtag über meine Ansichten zu diesem Thema zu informieren – und nicht nur den Landtag, sondern auch die Bevölkerung.
Lassen Sie mich schon an dieser Stelle, um jede Fehlinterpretation und jedes Missverständnis auszuschließen, deutlich hervorheben: Ich will nicht den Tätern alle Rechte nehmen. Auch Sexualstraftäter haben ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung und einen Resozialisierungsanspruch.
Wo unabänderliche Rechte des Täters Maßnahmen verbieten, die die Gefahren für die potenziellen Opfer senken können, muss es bei der gegenwärtigen Rechtslage bleiben. Aber dort, wo es die Verfassung nicht unabänderlich verbietet, dem Schutz potenzieller Opfer Vorrang einzuräumen, zwingt mich mein Gewissen und meine ebenfalls verfassungsrechtlich begründete Verantwortung vor den Bürgern, diesen Vorrang durchzusetzen.
Wenn es möglich ist, müssen wir hierzu die Verfassung – meine Damen und Herren, achten Sie bitte genau darauf, was ich sage – auf dem von der Verfassung vorgesehenen Weg und in den von der Verfassung vorgegebenen Grenzen entsprechend ändern. Eine solche Änderung ist mit der Verfassung vereinbar. Allein in den letzten zehn Jahren ist das Grundgesetz neunmal geändert worden.
Meine Damen und Herren! Wenn auch nur die kleinste Chance besteht, einem Kind das Schicksal einer Vergewaltigung, einer seelischen Verstümmelung oder gar Schlimmeres zu ersparen, und dafür eine Verfassungsän
derung erforderlich sein sollte, dann lassen Sie uns diesen neun Änderungen eine zehnte Änderung hinzufügen.
Bei näherer Betrachtung meiner Vorschläge werden Sie aber erkennen, dass vieles gar nicht so streitbefangen ist. Es kommt nur darauf an, die Dinge endlich anzugehen.
Erstens schlage ich vor, dass ein ressortübergreifendes Gremium aus Vertretern des Justizministeriums, des Sozialministeriums und meines Hauses gebildet wird. Dieses Gremium soll zunächst die vorhandenen Überlegungen zum Opferschutz bündeln, Erfahrungen vergleichbarer Modelle im Bundesgebiet erheben und konkrete Handlungsvorschläge für Sachsen erarbeiten.
Anschließend sollen dort die erforderlichen Maßnahmen zur Überwachung rückfallgefährdeter Sexualstraftäter ressortübergreifend abgestimmt werden. Durch ein abgestimmtes Vorgehen der tangierten sächsischen Behörden kann der Schutz potenzieller Opfer verbessert und die Beschäftigung von gefährlichen Sexualstraftätern zum Beispiel in einem Schulzoo unterbunden werden.
Zweitens schlage ich vor, in das Polizeigesetz ein erweitertes Betretungsrecht der Polizei für Wohnungen von Sexualtätern aufzunehmen. Ein solches Betretungsrecht käme unter anderem erst dann in Betracht, wenn zum Beispiel Tatbegehung und Tatort es möglich erscheinen lassen, dass der Wohnungsinhaber in seiner Wohnung ein Opfer gefangen hält. Das Betretungsrecht ist in solchen Fällen darauf beschränkt, nach dem Opfer selbst zu suchen.
Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung eines bereits verurteilten Sexualtäters wird abgewogen gegen das Lebensrecht und die Menschenwürde eines Opfers.
Ich meine, dass hier die Rechte des Opfers Vorrang haben müssen. Hervorzuheben ist, dass von diesem Eingriffsrecht der Polizei wirklich nur bereits verurteilte Straftäter und nicht nur verdächtige oder sogar unbescholtene Bürger betroffen sein sollen.
Drittens sollte ein Sexualstraftäterverzeichnis eingerichtet werden. Sexualstraftäter stammen meist aus dem persönlichen und räumlichen Umfeld der Opfer. Sie stellen auch nach ihrer Haftentlassung ein Risiko dar. Kriminologen haben ermittelt, dass jeder fünfte vorbestrafte Pädophile erneut ein Kind angreift, wenn er die Chance dazu bekommt.
Was manche Entrüstung in den vergangenen Tagen genährt hat, ist die plakative Nachricht, es würde ein Pranger eingerichtet und die Daten von Sexualstraftätern würden nach amerikanischem Vorbild im Internet veröffentlicht.