Protocol of the Session on March 15, 2007

Auch ein wenig internationalistisches Denken offenbaren Sie im Entwurf: Vollzugsbedienstete anderer Staaten mit polizeilichen Aufgaben sollen künftig im Zuständigkeitsbereich des Freistaates Sachsen auch dann polizeiliche Amtshandlungen vornehmen können, wenn Sie als Staatsminister des Innern dies genehmigen oder anordnen.

All das bringt, als es bekannt wird, wieder einen Aufschrei. Dieser geht durch kompetente Kreise von Verfassungs-, Staats- und Bürgerrechtlern, von Datenschützern und einschlägigen berufsständischen Vertretungen, und als Sie abwiegelten, es sei doch nur der Entwurf eines Referentchens gewesen – aufgeschrieben bei Nacht und Nebel, weil nichts im Fernsehen war –, hatten wir eigentlich die Hoffnung, dass Ihnen wegen der Reaktion ein wenig der Schreck in die Glieder gefahren ist und dass eine verfassungsrechtliche Besinnung einsetzt. Weit gefehlt!

Am 7. März 2007 legen Sie dem Kabinett einen inzwischen auch auf den Internetseiten des Innenministeriums und von LVZ-Online im Wortlaut nachzulesenden Maßnahmenkatalog zum Schutz der Bevölkerung vor Sexualstraftätern vor. Was Sie da anarbeiten, ist nun endgültig die Abkehr von jedwedem Skrupel, auf die Verfassung zu pfeifen, wenn Sie populär daherkommen im breit medial reflektierten Kampfgetümmel, um die Etablierung eines gnadenlosen Pragmatismus in der Zweck-Mittel-Wahl bei

der Verfolgung der Schmökels, der Mederakes und wie sie sonst noch heißen mögen. „Schluss mit dem Gerede“, lautet die zackige Losung. Schluss mit dem Gerede!

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Generelles Betretungsrecht der Polizei für Wohnungen von verurteilten Sexualstraftätern, der Vorschlag zu eins. Generelles Betretungsrecht von Wohnungen vorbestrafter Sexualstraftäter! Das ist alles, jeder vorbestrafte Sexualstraftäter. Sie haben es nicht differenziert. Dazu sage ich: Was schert Sie offenkundig der Wortlaut des Artikels 13 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes oder des Artikels 30 Abs. 1 und 2 der Verfassung des Freistaates Sachsen? Beide bestimmen wortgleich. Abs. 1: Die Wohnung ist unverletzlich. Abs. 2: Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in den dort vorgeschriebenen Formen durchgeführt werden.

Es ist die Verfassung, die Sie bindet. Wo steht denn: Ein jederzeitiges Betretungsrecht ist denkbar, im letzten dem Bürger verbliebenen Rückzugsraum?

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Ist es denn beschlossen?)

Das ist die Aufforderung zum Bruch der Verfassung, Herr Fraktionsvorsitzender, die Aufforderung zum Bruch der Verfassung!

(Volker Bandmann, CDU: Das ist doch Blödsinn!)

Da ist zweitens der Vorschlag, eine für jedermann zugängliche Sexualstraftäterdatei einzurichten, damit – wie es in der Beschreibung heißt – Zitat: „... Eltern unter Umständen ihre Kinder besser schützen können“. Dass das praktisch die Rückholung des mittelalterlichen Prangers, aufgerüstet mit den natürlich in Dimensionen wirksameren Mitteln der modernen Kommunikationsgesellschaft, ist, wird inzwischen in der Wortwahl bis Berlin entgegengehalten. Da glotzt das amerikanische Vorbild aus jedem Knopfloch. Gerade die Erfahrungen der USA beweisen aber, dass eine derart beinharte Gangart alles andere als Opferschutz bringt,

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

geschweige denn die Zurückdrängung der Kriminalität oder schwerer Kriminalität, aber im schlimmsten Fall natürlich mörderische Selbstjustiz.

Da ist weiter unter Ziffer 5 des buttoloschen Maßnahmenkataloges der Vorschlag der generellen Erhebung von DNA-Daten bei erkennungsdienstlichen Maßnahmen gegenüber jeder einer Straftat verdächtigen Person. Das entspricht der Lesart: Die DNA ist der Fingerabdruck des 21. Jahrhunderts. Das haben Sie schon dreimal versucht. Sie hatten dreimal Druck und Gegenwind. Aber es kommt wieder aufs Tableau.

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Irgendwann wird es! – Rita Henke, CDU: Sehr gut!)

Es kommt sogar aufs Tableau, nachdem bereits der Antrag, dass Sie wegen dieser wiederholten Angriffe auf die Verfassung entlassen werden sollen, im Geschäftsgang des Landtages ist. Ich lese vorgestern in der Zeitung, dass Sie den Antrag wieder keck vortragen.

(Rita Henke, CDU: Richtig! – Sebastian Scheel, Linksfraktion.PDS: Er will doch nur spielen!)

Das kann sein. Dann soll er sich aber beim FC Landtag anmelden.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Nein, den nehmen wir nicht!)

Gut, dann nehme ich das zurück.

Das wird dahergeplappert und dahergeschrieben, als hätte der Deutsche Bundestag bei entsprechenden Gesetzgebungsverfahren nie vorgegeben, dass die Herstellung des DNA-Identifizierungsmusters wegen des darin liegenden schwerwiegenden Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen nur bei sogenannten schwerwiegenden Anlasstaten zulässig ist. Es wird dahergeschrieben und dahergeplappert, als hätte das Bundesverfassungsgericht nicht in mehreren Urteilen in der jüngsten Vergangenheit, 2004 und 2005, über Seiten in Urteilen präzise und unmissverständlich erklärt, dass die routinemäßige generelle Erhebung der DNA bei jeder Art von Eingriffsstraftat, etwa bei lapidarem Ladendiebstahl, bei Beförderungsleistungsbetrug oder bei der Nachbarbeleidung, undenkbar ist.

(Zuruf des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU)

Sie sagen: bei jeder Straftat die DNA.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Kategorien wie Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und Übermaßverbot operiert. Das sind alles Entäußerungen des Rechtsstaatsprinzips, die Ihnen, Herr Staatsminister Buttolo, völlig böhmische Dörfer sein müssen.

(Rita Henke, CDU: Nein!)

Anders kann man das nicht verstehen.

Der Sächsische Datenschutzbeauftragte hat in seiner Stellungnahme an die Vorsitzende des Innenausschusses vom 7. März 2007 in gewohnter Kompetenz die von mir genannten und in Ihrem Fünf-Punkte-Katalog enthaltenen Planungsmaßnahmen seziert. Schelle auf Schelle, Ohrfeige auf Ohrfeige mit dem Stilett des Verfassungsrechts. Es hilft nichts. Sie sind völlig beratungsresistent.

Ich erlaube mir ein persönliches Wort. Ich kenne Sie, sehr geehrter Herr Dr. Buttolo, schon viele Jahre und schätze Sie als einen höchst integren Menschen und in Ihren sämtlichen früheren Ämtern und Funktionen für den Freistaat Sachsen höchst verdienstvoll agierenden Fachmann – sachlich, freundlich, kompetent.

(Zurufe von der CDU: So ist er! Davon können Sie sich eine Scheibe abschneiden!)

Das ist jetzt offensichtlich nicht das richtige Amt für Sie. Dass es so nicht geht, wird Ihnen doch bis hinein in die Kreise Ihrer Bundestagsfraktionsspitzen mitgeteilt, siehe CDU/CSU-Fraktionsvize Bosbach. Der Bundesdatenschutzbeauftragte rüffelt. Die GdP-Führung moniert. Die Amtskollegen aus dem eigenen Hause muffeln, wenn auch höchst vorsichtig. Die meisten Amtskollegen aus den anderen Bundesländern gehen auf Distanz. Selbst hartgesottene mediale Law-and-Order-Verfechter holen wenigstens tief Luft.

Nur Ihre eigene Fraktion geht in Verteidigungsstellung und erklärt, dass man mit Ihnen bis an die Grenzen des verfassungsmäßig Vertretbaren durchmarschieren will.

(Starker Beifall bei der CDU)

Zwei Monate vor dem 15. Jahrestag der Verabschiedung der Sächsischen Verfassung, deren Ausgewogenheit, Nachhaltigkeit und libertärer Charakter von Ihnen so oft gepriesen und dann wieder gefeiert werden wird, sprechen Sie vom Bis-an-die-Grenze-des-VerfassungsmäßigenGehen, und zwar auf einem Terrain, wo es von beachtentswerten Grundrechten nur so wimmelt. Wie kann man denn als Politikdoktrin einer staatstragenden Fraktion verkünden, dass man bis an die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen geht?

(Prof. Dr. Peter Porsch und Dr. Cornelia Ernst, Linksfraktion.PDS: Darüber!)

Er geht darüber und die Fraktion will mitgehen, und zwar mit der begnadeten Weisheit des Herrn Bandmann.

(Rita Henke, CDU: Na klar!)

Wenn diese Verfassung gilt und ihr Papier wert bleiben soll, auf das sie geschrieben worden ist, kann dieser Landtag und insbesondere die CDU dem Innenminister nicht durchgehen lassen, wie er zum Beispiel mit dem Staatsgrundsatz in Artikel 3 Abs. 3 der Sächsischen Verfassung umgeht, wonach die vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht gebunden ist. Bei aller Solidarität und Bunkermentalität findet sich keine Rechtfertigung, wieso der Innenminister ignorant und selbstherrlich im Verhältnis zu § 31 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes hantiert, der da lautet: „Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden.“

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Hört, hört!)

Das gilt mithin auch für die DNA-Rechtsprechung, die Unverletzlichkeit der Wohnung als letzten sozialen Rückzugsraum, die Unantastbarkeit der Würde eines jeden Menschen, auch des Sexualstraftäters,

(Dr. Fritz Hähle, CDU: Auch des Ministers!)

das Verbot, Menschen zu Objekten zu machen und sie außerhalb des Gesetzes zu stellen, zu Outlaws zu machen. Das gilt auch für das Sächsische Staatsministerium des Innern und für Herrn Staatsminister Dr. Buttolo. Auch Sie

sind bei einem noch so eifrigen Kampf gegen den Terrorismus an Gesetz und Verfassung gebunden. Darauf haben Sie einen Eid geschworen.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Daran kann er sich nicht erinnern!)

Bedenken Sie, meine Damen und Herren der Koalitionsfraktionen und des Kabinetts und insbesondere Sie, Herr Ministerpräsident, und, Herr Dr. Buttolo, Sie selbst, dass es in der Kontroverse mit der großen Front der Kritiker aus der Fachöffentlichkeit nur noch eine politische Kraft gibt, die Ihren Innenminister mit seinem Katalog feiert: Das ist die NPD-Fraktion mit Herrn Frontmann Apfel. Zitat: „Es kommt nicht oft vor, dass wir Herrn Buttolo Beifall spenden, aber in diesem Fall unterstützen wir den Staatsminister. Sicherlich muss über das eine oder andere Detail noch geredet werden, aber sein Fünf-PunkteKatalog geht in die richtige Richtung. Der Innenminister greift damit eine NPD-Forderung aus dem März des vergangenen Jahres auf, die damals noch auf die einhellige Ablehnung der Altparteien stieß.“

(Alexander Delle, NPD: Er ist lernfähig!)

Das teilte Holger Apfel in einer Presseerklärung vom 7. März dieses Jahres mit. Er wähnt sich gar nah an Ihrem Stamm, der Herr Apfel, so nah, dass es Sie grausen müsste, Herr Innenminister, und Ihre wahrscheinlichen Ratgeber und Anstifter aus dem Bereich des Arbeitskreises 6 der CDU-Fraktion um unseren sattsam bekannten Kollegen Dr. Bandmann.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Ich scheue nicht davor zurück: Wenn er den Doktor nimmt und nach Görlitz geht, sage ich das jederzeit noch einmal.

(Prof. Dr. Peter Porsch, Linksfraktion.PDS: Keiner traut ihm den Doktor zu. Habt ihr das gemerkt?)

Es stand in der „Freien Presse“ von heute, dass selbst bei den Personalentscheidungen der Arbeitskreis offenkundig hineinreden darf.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Das ist nicht das erste Mal!)