Protocol of the Session on March 15, 2007

Wir sind uns sicher alle in diesem Hohen Hause in dem Ziel einig, die hohe Durchimpfungsrate im Freistaat Sachsen zu erhalten; aber wir müssen auch dranbleiben, damit wir 100 % der Kinder erreichen – zu ihrem Schutz, aber auch zum Schutz der Gesamtbevölkerung. Daher werbe ich um Zustimmung zu unserem Antrag auch im zweiten Teil.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Für die SPD-Fraktion erhält Herr Gerlach das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Impfungen gehören zu

den effektivsten Maßnahmen der Prävention im Gesundheitswesen. Ab einer Durchimpfungsrate von 90 % ist es möglich, bestimmte Krankheitserreger regional, aber auch weltweit zu eliminieren. Drei Punkte müssen für die Erreichung eines solchen Zieles erfüllt sein: erstens – das wurde schon erwähnt – die hohe Durchimpfungsrate, zweitens eine intensive Überwachung aufgetretener Erkrankungen und drittens – das halte ich für das Wichtigste – die Aufklärung der Bevölkerung.

Folgende Probleme habe ich mit den beiden Oppositionsanträgen, die eine Impfpflicht verlangen: Während sich die Linksfraktion.PDS parallel zur Impfpflicht wenigstens noch für eine umfassende Aufklärung über die Vorteile und Risiken einsetzt, will die FDP sogar Ausschlussstrafen einführen, wenn Kinder nicht geimpft sind. Wo bleiben dabei Ihre liberalen Ideale?

Sachsen gehört zu den Bundesländern, in denen die von der WHO empfohlene und anerkannte Durchimpfungsrate von 95 % erreicht ist. Eine Ausnahme gibt es bei der zweiten Mumps-Masern-Röteln-Impfung.

Bundesweit ist für alle empfohlenen Impfungen in den letzten Jahren ein Anstieg der Impfraten zu verzeichnen; ein Anstieg – kein Rückgang. Das ist wichtig.

Mit der Impfung suggerieren wir allerdings möglicherweise, dass sich die Eltern keine Gedanken mehr machen müssen. Frau Schütz hat das anklingen lassen.

Wie überall in der Medizin gibt es auch bei den Impfungen keinen hundertprozentigen Schutz. Auch geimpfte Kinder erkranken. Es ist festzustellen, dass bereits eine Empfehlung zur Impfung eine positive Entwicklung auf die Impfraten hat. Dies bestätigt auch die Landesuntersuchungsanstalt in ihrem jährlichen Bericht.

Vorsorge- und Schuleingangsuntersuchungen haben ebenfalls einen positiven Einfluss auf die Impfraten.

Noch etwas Wichtiges: Wir erreichen mit einer Impfpflicht für Kinder leider nicht die Erwachsenen, die nicht mehr zu Auffrischungsimpfungen gehen. Gerade hier aber sind hohe Fallzahlen von Erkrankungen und von schweren Verläufen dieser Erkrankungen zu verzeichnen. Hier hilft nur intensive Öffentlichkeitsarbeit und direkte Aufklärung in den Arztpraxen.

Ich selbst bin ein Impfbefürworter. Mit diesem Begriff komme ich zur ideologischen Seite dieser Debatte. Es gibt scheinbar nur Impfgegner und Impfbefürworter. Verantwortungsbewusste Eltern, die sich informieren und beraten lassen wollen, werden allzu schnell in die Schublade der Impfgegner gesteckt. Aber auch diese Eltern kann man überzeugen – das ist zumindest meine Erfahrung –, jedoch nicht mit einer Pflicht, sondern mit einer Aufklärung.

Natürlich ist der Weg nicht einfach. Den Kinderärzten kommt zumeist die Aufgabe zu, jedes Elternpaar einzeln von den öffentlich empfohlenen Impfungen zu überzeugen. Das kostet viel Beratungszeit, die schlecht bezahlt wird.

Außerdem ist es auch für fortbildungswillige Mediziner fast unmöglich, mit der Gerüchteküche Schritt zu halten. Fast täglich erscheinen Schreckensberichte über angebliche Impfschäden und Theorien über die Vorteile der sogenannten natürlichen Infektionen. Da kann ich mich dem, was Frau Schütz gesagt hat, nur anschließen.

ErzieherInnen in Einrichtungen und Schulen können wichtige Informationen an Eltern weitergeben. Das ist der Weg, den wir als Koalition mit unserem Antrag gehen wollen.

Trotz Freiwilligkeit hat Sachsen hohe Impfraten erreicht; ich sagte es bereits. Ich erwähne es noch einmal, weil es mir wichtig ist. Das wollen wir ausbauen.

Aber natürlich sehen wir auch die Notwendigkeit, verschiedene Maßnahmen zu bündeln, die zu einem effektiven Gesundheitsschutz für die gesamte Bevölkerung führen können. Das Robert-Koch-Institut hat dafür ein Zehn-Punkte-Programm vorgelegt. Es würde zu weit führen, das jetzt alles auseinanderzunehmen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP und der PDS! Was erreichen Sie mit einer Impfpflicht? Sie würden aus meiner Sicht alle die Bereiche schwächen, die von der Pflicht ausgenommen sind, zum Beispiel Impfungen im Erwachsenenalter, ebenso die Beratung, die Aufklärung und die Eigenverantwortung.

Sachsen kann sich mit den erreichten Impfquoten durchaus sehen lassen. Damit komme ich noch einmal auf die Zahlen zurück. Wir wollen, ähnlich wie die skandinavischen Länder, sehr hohe Impfquoten ohne Impfpflicht erreichen.

Die Kostenübernahme, die angemahnt wird, ist mit der Gesundheitsreform kein Problem. In Sachsen war das bereits 2006 gelöst.

Ich zitiere zum Abschluss einen Arzt aus Halle, der das Problem folgendermaßen beschrieb: „Um Eltern von der Notwendigkeit von Schutzimpfungen im Kindesalter zu überzeugen, müssen Ärzte und Pharmaindustrie vor allem das Vertrauen ihrer Patienten wiedergewinnen. Dazu gehört auch, jeweils individuell nach echten Risikofaktoren, etwa schweren Infektionen, zu fahnden, statt hopplahopp und ohne Diskussion die Spritze zu geben. Der Preis für die Wahlfreiheit der Patienten ist die Geduld der Ärzte.“

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Für die Linksfraktion.PDS spricht Frau Lauterbach.

Frau Präsidentin! Werte Damen und Herren Abgeordneten! Der Antrag der Fraktionen der CDU und der SPD mit dem Titel „Erhöhung der Impfraten bei Kindern“ ist lediglich ein Berichtsantrag. Es ist wichtig, dieses Zahlenmaterial zu kennen. Es ist interessant und aufschlussreich, aber es erhöht nicht die Impfrate. Auch eine weitere Publikation

für Kindertagesstätten auf den Markt zu bringen ist erstens eine unnütze Geldverschwendung, denn es gibt bereits zahlreiches Informationsmaterial bei Ärzten und Krankenkassen, und zweitens erhöht auch eine weitere Broschüre nicht die Impfrate. Der Antrag ist also seinen Namen nicht wert.

Der Antrag der FDP-Fraktion geht mit einigen Punkten unseres Antrages konform, wie der Pflicht zur Impfung der Kinder. Eine wichtige Voraussetzung für gesunde Kinder sind natürlich gesunde Eltern und Erzieher. Die Schutzimpfungen für Personal in Gemeinschaftseinrichtungen zur Pflicht zu machen ist dabei ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung.

Der Punkt 3, Kinder in Einrichtungen nur aufzunehmen, wenn die erforderlichen Impfungen erfolgt sind, wird durchaus schon mit Erfolg praktiziert.

Die Eltern über die Impfrate in der jeweiligen Einrichtung aufzuklären ist eine Folgeerscheinung und ein lösbares Problem.

Wir können diesen Punkten schon einigen Charme abgewinnen; der Antrag insgesamt geht uns aber nicht weit genug. Wir werden uns deshalb an dieser Stelle der Stimme enthalten.

Die Entscheidung, einen Antrag zur Impfpflicht bei Kindern zu stellen, haben wir uns innerhalb der Fraktion sehr wohl überlegt. Aber angesichts der statistischen Erhebungen zu den durchgeführten Schutzimpfungen in Sachsen halten wir es für dringend geboten, dass sich unsere Regierung für eine Impfpflicht einsetzt. Mit einigen Zahlen, die etwas anders als die bisherigen aussehen, möchte ich das unterstreichen. Diese können Sie in der Antwort auf die Drucksache 4/5069, einer Kleinen Anfrage von Herrn Krauß, nachlesen. Vielen Dank, Herr Krauß.

(Alexander Krauß, CDU: Bitte!)

Hiernach liegt der Impfstatus für Einschüler im Schuljahr 2004/2005 bei Keuchhusten bei 39,6 %, bei Diphtherie und Tetanus bei 42,7 %, bei Masern, Mumps und Röteln bei knapp über 50 %. Das reicht nicht aus. Das reicht wirklich nicht!

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich zitiere aus der Antwort auf die Kleine Anfrage: „Um die Ausbreitung von Infektionskrankheiten sicher verhindern zu können, sind Durchimmunisierungsraten von 92 bis 95 % notwendig.“

Im Infektionsschutzgesetz besteht die Möglichkeit, Anordnungen für Pflichtimpfungen im Bedarfsfall zu nutzen. Muss in Sachsen erst eine Epidemie ausbrechen, um den Bedarfsfall zu proben? Wollen wir es so weit kommen lassen oder wollen wir unsere Menschen vorher mit Schutzimpfungen schützen? Wie weit muss eine Durchimpfungsrate sinken, um den Bedarfsfall zu rechtfertigen?

Aus oben genannter Antwort auf die Kleine Anfrage: „Durchimmunisierung bei Röteln bei allen Schülern im Jahr 2004/2005 Landkreis Annaberg 18,7 %, Landkreis Riesa-Großenhain 28,5 %.“

Ich denke, das ist schon besorgniserregend.

(Staatsministerin Helma Orosz: Das ist nur ein Jahreswert!)

Unser zweiter Punkt fordert besonders die Kinderärzte und Krankenkassen auf, über Vorteile und über Risiken aufzuklären. Ja, liebe Abgeordnete, impfen kann auch krank machen. Es gibt keine medizinische Behandlung ohne Nebenwirkungen. Es gibt normale Impfreaktionen, aber es gibt auch atypische Impfverläufe. Über diese Nebenwirkungen und Häufigkeiten müssen Eltern aufgeklärt werden, um das Vertrauen in eine Impfung zu erhalten.

Fortschritte auf dem Gebiet der Hygiene, Ernährung und Infektionstherapie sowie Impfschutz haben zu einem Rückgang von Infektionskrankheiten geführt. Impfungen sind zudem eine der kosteneffektivsten Präventionsmaßnahmen.

Die Notwendigkeit von Schutzimpfungen wird heutzutage oftmals angezweifelt. Ich habe mich dazu sehr intensiv mit einer Impfgegnerin unterhalten, konnte ihre Bedenken oft nicht verstehen, sie auch nicht ausräumen. Wir haben meist aneinander vorbeigeredet. Aber es wird immer Menschen geben, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden dürfen, die aus religiösen Gründen diese Impfung verweigern oder die Impfen generell ablehnen. Um auch diesen Menschen einen Impfschutz zu gewähren, muss die Impfrate zwingend über 90 % liegen. Prinzipiell müssen in begründeten Fällen Ausnahmeregelungen von der allgemeinen Impfpflicht, wie bereits vorhanden, erhalten bleiben.

Den Punkt 4 unseres Antrages möchten wir streichen, da diese Kosten künftig von der Krankenkasse getragen werden.

Sehr geehrte Damen und Herren! Vor über 15 Jahren hatten sich 150 Länder verpflichtet, für mindestens 90 % aller Kinder den Impfschutz zu verwirklichen. Dieses Vorhaben sollte ein wichtiger Schritt der WHO sein, wenigstens in Europa ohne Kinderlähmung, ohne Mumps, ohne Röteln in dieses Jahrtausend zu starten. 44 Länder haben dieses Ziel erreicht. Dazu gehören zum Beispiel Österreich und die USA.

(Zuruf von der Linksfraktion.PDS)

In Österreich ist die Kindergeldzahlung an die durchgeführten Schutzimpfungen gebunden. Nun ja! Spätestens wenn Ihr Kind ein Schuljahr in den USA verbringen möchte, sind alle Schutzimpfungen nachzuholen. Deutschland gehört in dieser Hinsicht eher zu einem der Entwicklungsländer. Jedes fünfte Kind und fast jeder zweite Erwachsene ist hierzulande ohne ausreichenden Impfschutz. Freiwilligkeit könnte ich noch verstehen, wenn es nur um mein Kind geht, aber es geht nicht nur

um mein Kind, denn bei einer niedrigen Impfrate können auch geimpfte Kinder und Erwachsene erkranken. Deshalb muss die Freiheit eingeschränkt werden.

Aber ich bin da zuversichtlich. Wir haben uns an eine Helmpflicht gewöhnt. Wir haben uns an eine Gurtpflicht gewöhnt, und keine Mutti würde heute ihr Kind nicht mehr angurten. Wir werden uns auch und vielleicht sogar dankbar an eine Impfpflicht gewöhnen.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und vereinzelt bei der FDP)