Protocol of the Session on January 25, 2007

Ich frage Sie von der Linksfraktion.PDS ganz ernsthaft, wer bei diesem Modell überhaupt noch arbeiten gehen soll.

(Zuruf von der Linksfraktion.PDS: Die FDP!)

Ich habe sehr wohl in der Diskussion vernommen, dass man sich in den Kreisen der Koalition ernsthaft mit diesem Problem auseinandersetzt

(Mario Pecher, SPD: Stichwort ernsthaft!)

und ernsthaft bemüht ist, Lösungsansätze zu finden. Nur, mit dem, was Sie uns hier unter Bürgerarbeit vorschlagen, ist das Problem nicht zu lösen.

(Beifall bei der FDP)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Herrmann?

Bitte, Frau Herrmann.

Herr Morlok, können Sie mir recht geben, dass Sie mit Ihrer Bitte, die Sie uns hier gerade vorgetragen haben, von der Voraussetzung ausgehen bzw. uns suggerieren, dass diese Menschen alle gar nicht arbeiten wollen?

Das geht natürlich weit in die Richtung, dass viele Menschen in diesem Bereich nicht arbeiten wollen.

(Elke Herrmann, GRÜNE: Viele!)

Aber wollen Sie es ihnen ernsthaft verdenken, wenn sie sich tatsächlich durch Nichtstun ein Nettoeinkommen generieren können, das annähernd in einem Bereich liegt, das sie erhalten können, wenn sie arbeiten gehen? Ich muss sagen, dann kann ich die individuelle Entscheidung des Einzelnen, sich im Rahmen der staatlichen Gesetze so zu verhalten, durchaus nachvollziehen. Ich finde das nicht gut, aber ich kann nachvollziehen, dass sich jemand in einer persönlichen Lebenssituation genau so entscheidet, und es geht eben nicht darum, dass es sich hier um einen Betrüger handelt, denn ein Betrüger tut etwas Unrechtmäßiges. Wenn jemand unsere gesetzlichen Gelegenheiten ausnutzt, also das in Anspruch nimmt, was ihm zusteht, weil er eben die Gesetze sehr genau und pfiffig liest, dann kann man das nicht als Betrug bezeichnen, weil er sich genau gesetzeskonform verhält. Er nutzt eben Regelungslücken in dem Gesetz aus.

Gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Darf ich erst die erste Frage beantworten, bevor ich die andere Frage gestatte? Wenn ich mit der Antwort fertig bin, antworte ich gern. Ich möchte aber erst zu Ende führen.

Ich bin Mitglied im Beirat der Arbeitsgemeinschaft in Leipzig und wir reden in unseren Sitzungen laufend über diese Fragen. Ich muss bereit sein, mich mit der Situation vor Ort in den Arbeitsgemeinschaften auseinanderzusetzen. Ich kenne die Situation. Ich weiß genau, was vor Ort los ist.

Bitte, Frau Lay.

Herr Kollege Morlok, Sie haben ja ausgeführt, dass bei höheren Regelleistungen oder höheren Zuschüssen für Arbeitslose niemand mehr Motivation hätte, einer Arbeit nachzugehen. Habe ich Sie da richtig verstanden?

Ich verstehe aber nicht, was das mit unserem Antrag zu tun hat. Das müssten Sie mir noch einmal erklären. Habe ich nicht gesagt, es geht uns darum, Arbeitsplätze statt Arbeitslosigkeit zu finanzieren? Habe ich nicht vorgerechnet, dass es volkswirtschaftlich gesehen etwa auf das Gleiche herauskommt, wenn man von einem Arbeitsverhältnis von 1 300 bis 1 400 Euro brutto ausgeht?

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Frau Lay, Ihre volkswirtschaftliche Berechnung hat allerdings ein kleines Problem: dass Sie nämlich alle Parameter konstant setzen. Sie sagen, Sie nehmen eine bestimmte Situation und packen vorhandene Transfereinkommen für Leistungen an Langzeitarbeitslose zusammen. Wenn Sie sagen, okay, Sie packen diese zusammen und geben sie den Langzeitarbeitslosen, dann gebe ich Ihnen recht in Ihrer Analyse, dass es in der Berechnung volkswirtschaftlich neutral ist. Aber die Frage ist natürlich: Wie reagiert die Gesellschaft darauf? Das setzt ja voraus, dass es keinerlei Verdrängungseffekte gibt, das heißt, dass genau die Menschen, die jetzt quasi Langzeitarbeitslose sind, diese Leistungen in Anspruch nehmen und genau auch nur diese und keine weiteren, dass alles andere konstant bleibt. In diesem sehr einfachen wirtschaftlichen Modell mag Ihre Berechnung aufgehen. Aber ich habe genauer versucht darzustellen, welche Effekte eintreten, wenn man hergeht und ein solches staatlich garantiertes Erwerbseinkommen schafft. Es wird so sein, dass immer mehr Menschen eben nicht mehr bereit sind, einer regulären Erwerbstätigkeit nachzugehen. Das ist der erste Punkt. Das heißt, Sie werden weniger haben, die in die Kassen einzahlen, und mehr, die Gelder aus den Kassen haben wollen.

Der zweite Effekt ist selbstverständlich: dass Sie einen Verdrängungseffekt haben, weil nämlich diese Vielzahl der neuen Erwerbstätigen in Ihrem Modell gewissen Arbeiten nachgeht, die eben nicht mehr auf dem freien Markt nachgefragt werden. Das heißt, dort geht Beschäftigung verloren. Genau diese volkswirtschaftlichen Effekte berücksichtigt Ihr Modell nicht. Deswegen muss man sehr sorgfältig sein, wenn man mit staatlichen Transferleistungen bei Langzeitarbeitslosen weiterhelfen möchte. Wir kennen die Erkenntnisse aus dem BofingerGutachten. Ich bin auch bereit zu sagen, dass man hieraus Schlüsse ziehen und sich ernsthaft Gedanken machen muss. Aber wenn man es so vereinfacht darstellt wie Sie, funktioniert es einfach nicht.

(Beifall bei der FDP)

Es gibt noch zwei Zwischenfragen. Lassen Sie die noch zu?

Erst Frau Lay und danach Frau Herrmann.

Verehrter Kollege Morlok, Sie haben ausgeführt, dass unser Modell reguläre sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verdrängen würde. Haben Sie mir richtig zugehört, dass wir mit diesem Modell genau reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse schaffen wollen?

Ich habe Ihnen genau zugehört. Aber letztendlich ist es ja so, wenn Sie die neuen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse schaffen wollen, dass Sie dann diese Leute auch gewisse Arbeitstä

tigkeiten vollbringen lassen müssen. Das sind Dinge, die bisher in der normalen Erwerbsarbeit erbracht worden sind.

(Zuruf des Abg. Stefan Brangs, SPD)

Ich habe Ihnen doch am Beispiel der Bahnbegleiter in Leipzig dargestellt, welche Effekte eintreten, dass eben genau dieser Verdrängungseffekt dort eintritt.

Wenn Sie sich mal die Mühe machen, in einer Arbeitsgemeinschaft in einem Beirat zu diskutieren, wenn es darum geht, welche Arten von Tätigkeit momentan im Bereich der Ein-Euro-Jobs gemacht werden können, ohne dass diese einen Verdrängungseffekt auf dem regulären Arbeitsmarkt haben, dann ist es sehr schwer, dort welche zu finden. Es ist in den Gremien nicht so, dass es die böse FDP ist, die irgendetwas verhindert. Nein, wenn Sie einmal in den Beiräten und in den Gremien der ARGE diskutieren, dann finden Sie eine seltene Einigkeit zwischen den Vertretern der Handelskammern und der Gewerkschaften, weil nämlich die Gewerkschaften genau die gleiche Sorge haben, und zwar zu Recht, dass durch diese Tätigkeiten der Ein-Euro-Jobber reguläre Arbeitsverhältnisse wegfallen werden.

Genau damit entsteht der Drehtüreffekt. Ich habe sehr wohl in den Vorschlägen von Kollegen Brangs wahrgenommen, dass man Regelungen ergreifen möchte, die diesen Drehtüreffekt vermeiden. Aber das habe ich im vorliegenden Antrag der PDS eben nicht erkannt.

(Stefan Brangs, SPD: Aha!)

Frau Herrmann, bitte.

Sie sprachen eben von zwei Punkten. Der zweite – den haben Sie eben erläutert – war die Verdrängung von regulären Arbeitsplätzen. Ich möchte zu dem Punkt 1 eine Frage stellen. Sie hatten gesagt, dass mit dem vorgeschlagenen Modell immer weniger Menschen bereit sein werden, einer regulären Tätigkeit nachzugehen. Was, Ihrer Meinung nach, machen diese Menschen, die nicht mehr bereit sind, einer regulären Tätigkeit nachzugehen? Das sind ja in dem Moment keine Langzeitarbeitslosen. – Ich bitte um eine kurze Antwort.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS – Lachen des Staatsministers Thomas Jurk)

Die Menschen, die nicht bereit sind, einer regulären Tätigkeit nachzugehen, weil sie mit dem Einkommen aus dem staatlichen Transfersystem einverstanden sind, genießen die vorhandene Freiheit. Sie gehen gegebenenfalls einer Schwarzarbeit nach, was ich aber niemandem unterstelle. Aber sie richten sich in ihrer Lebenssituation mit dem staatlichen Transfereinkommen ein und sind mit ihm offensichtlich in der Lebenssituation zufrieden. Sonst würden sie ja bereit sein, eine Arbeit aufzunehmen.

(Zuruf der Abg. Elke Herrmann, GRÜNE)

Ich kann durchaus nachvollziehen, dass eben Menschen in einem bestimmten Bereich genau diese Vorstellungen haben.

Dann möchte ich gern mal wieder zum Thema, zu meinem Vortrag zurückkommen. Ich wollte noch einmal deutlich machen – und dafür waren die ganzen Zwischenfragen, die ich beantwortet habe, Basis –, dass eben dann der Anreiz, regulärer Arbeit nachzugehen, abnimmt.

Ich hatte die Frage gestellt: Wer will denn dann tatsächlich oder wer soll noch arbeiten gehen?

(Stefan Brangs, SPD: Wo sind die Arbeitsplätze? – Alexander Delle, NPD: Sie sind doch an der Regierung!)

Genau, Herr Brangs. Wenn wir hingehen und all diejenigen – – Ich rede jetzt bewusst, Herr Brangs, damit Sie das nicht falsch verstehen, von dem Modell der Linksfraktion.

(Stefan Brangs, SPD: Gut!)

Deswegen brauchen Sie sich auch nicht so zu echauffieren. Ich habe leider keine Gelegenheit, mich in meiner knappen Redezeit auch noch mit Ihrem Modell auseinanderzusetzen. Ich spreche zu dem Modell der Linksfraktion.

Wenn wir hingehen und all diejenigen, die jetzt arbeitslos sind, beschäftigen, formal beschäftigen, auch wenn sie sinnvoll nichts zu tun haben, dann haben wir sicherlich einen Effekt: Die Arbeitslosigkeit fällt auf annähernd null. Dieses Modell haben wir schon einmal in einem Feldversuch erprobt, und zwar in einem Feldversuch über 40 Jahre mit über 18 Millionen Teilnehmern.

(Klaus Tischendorf, Linksfraktion.PDS: Na, na, na!)

Die Beschäftigungsgesellschaften hießen damals VEB und das Modell hieß DDR. Das, meine Damen und Herren, ist auf der ganzen Linie gescheitert.

(Beifall bei der FDP)

Die Fraktion der GRÜNEN, Herr Abg. Weichert.