Protocol of the Session on January 24, 2007

Herr Zastrow, wie können Sie uns dann erklären, dass die Beteiligung an Jugendstadtratswahlen zum Beispiel in Oschatz bei 2 % liegt? In Oschatz ist es so, dass der Jugendstadtrat nicht irgendein Gremium ist, sondern wirklich etwas zu sagen hat. Dort wäre also der Einfluss der Jugendlichen auf die Kommunalpolitik direkt gegeben – und trotzdem nur 2 % Wahlbeteiligung.

(Einzelbeifall bei der CDU)

Weil der Jugendliche sehr genau erkennt, ob es der Politik mit der Mitbestimmung ernst ist oder ob das nur ein Alibi ist; ob es eine Worthülse ist, ob man kleine Placebos verteilt.

(Beifall bei der FDP, der Linksfraktion.PDS und der SPD – Michael Weichert, GRÜNE: Das ist Quatsch!)

Dass dies dort passiert, ist nett; Runde Tische sind nett und Diskussionsrunden sind nett.

(Zuruf von der CDU: In Torgau ist es dasselbe!)

Aber es ist kein hartes Instrument. Wenn ich Mitbestimmung will, muss ich ihnen das Recht geben, wählen zu können. Dann werden übrigens auch die Parteien Rücksicht auf diese Wählergruppe nehmen, und das ist das, wofür wir als FDP eintreten.

(Beifall bei der FDP – Zuruf von den GRÜNEN: Wir auch!)

Auch die GRÜNEN. Übrigens auch noch andere Parteien hier im Sächsischen Landtag.

Wenn ich aber sehe, dass 15 % der Jugendlichen sagen, sie könnten sich unter Umständen vorstellen, in einer Partei mitzuarbeiten, und weiß, dass in Deutschland nicht einmal 2 % der Deutschen überhaupt Mitglieder einer Partei sind, dann weiß ich auch, was dort für eine Bereitschaft vorhanden ist, was dort für ein Interesse vorhanden ist. Dieses Interesse, meine Damen und Herren, sollten wir bedienen.

Innerhalb unserer Jugend gibt es eine enorme Bereitschaft, sich politisch zu engagieren, sich gesellschaftlich zu engagieren. Die Bereitschaft ist oftmals – so nehme ich es zumindest wahr – viel größer als bei manch älterem Semester. Aber anstatt dieses Potenzial zu nutzen und den Jugendlichen echte Mitwirkungsmöglichkeiten anzubieten, beschränkt sich die Politik – Herr Kupfer! – auf ein paar kosmetische Aktivitäten und vor allem auf die Behauptung, dass gerade auf kommunaler Ebene schon ausreichend Mitwirkungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden.

Es ist möglich, dass Oschatz die rühmliche Ausnahme ist. Das halte ich Ihnen zugute, wenn es so sein sollte. Aber wie die Realität aussieht, hat mein Kollege Dr. Martens in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage – ich verweise auf die Drucksache 4/7070 – erfahren. Die Frage, die er gestellt hat, lautete: „Welche Landkreise und Gemeinden haben wann und zu welchen Angelegenheiten Jugendliche bis zu 17 Jahren als sachkundige Einwohner zur Beratung hinzugezogen?“

Die Antwort: Acht Gemeinden beteiligen Jugendliche als ständige Mitglieder in Ausschüssen, sechs Kommunen verfügen über einen Kinder- und Jugendbeirat bzw. über ein Jugendparlament und immerhin 22 Kommunen können sich erinnern, zu irgendeinem Sachverhalt – das war dann ein Fußballplatz oder Ähnliches – schon einmal Jugendliche in Sachsen gefragt zu haben. – Nur zur Erinnerung, falls Sie die Zahlen nicht kennen: In Sachsen gibt es 511 Gemeinden und 22 Landkreise. – Das ist keine kommunale Mitbestimmung, das ist Alibipolitik, das ist nichts anderes als ein Feigenblatt für jungendpolitische Versäumnisse. Und das, meine Damen und Herren, muss sich ändern!

(Beifall bei der FDP)

Übrigens ist das, was wir in unserem Gesetzentwurf fordern, nichts vollkommen Neues. Andere sind uns in dieser Frage schon längst vorausgegangen. Soweit ich es vernommen habe, haben andere damit durchaus positive Erfahrungen gemacht. In Nordrhein-Westfalen, in Niedersachsen, in Sachsen-Anhalt, in Berlin, in MecklenburgVorpommern und in Schleswig-Holstein dürfen Jugendliche bereits mit 16 Jahren an Kommunalwahlen teilnehmen, und zwar trotz der immer und immer wieder arg strapazierten verfassungsrechtlichen Bedenken. Ich werde

heute sicherlich dieses Argument zu hören bekommen. Derjenige, der darauf antworten wird, kann schon einmal nachschauen, wo es einen Verfassungsrichter gibt und wo es ein Urteil gibt, die diese Praxis in anderen Bundesländern verurteilt haben. Mir ist – aber ich bin kein Jurist, das werden Sie mir besser sagen können – nicht ein einziger Fall bekannt, meine Damen und Herren.

Gestatten Sie mir, weil auch immer wieder gesagt wird, die jungen Leute würden nur radikal wählen, einen Hinweis: Die 16- und 17-Jährigen in Sachsen oder auch in Mecklenburg-Vorpommern sind nicht daran schuld, dass die Dame und die Herren hier im Parlament sitzen.

(Jürgen Gansel, NPD: Sondern die 18- bis 29-Jährigen!)

Daran erinnern Sie sich bitte. Viele Bundesländer sind jugendpolitisch schon weiter als wir. Selbst anderswo in Europa hat der Zug längst Fahrt aufgenommen. Erst vor zwei Wochen beispielsweise hat die ÖVP/SPÖBundesregierung in Österreich ihr Regierungsprogramm verabschiedet. Ein zentraler Punkt in diesem Regierungsprogramm ist die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre. Dass die Vorsitzende der Kinderkommission im Deutschen Bundestag – das ist die SPD-Politikerin Marlene Rupprecht – erst vor ungefähr zehn Tagen die Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre gefordert hat, will ich an dieser Stelle auch nicht verschweigen.

(Dr. André Hahn, Linksfraktion.PDS: Hört, hört!)

Ich will auch ganz klar sagen, dass das, was in unserem Gesetzentwurf steht, für uns nur ein erster Schritt ist.

(Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Wir halten die Absenkung des Alters für das aktive Wahlrecht nicht nur auf kommunaler Ebene, sondern auch auf höheren Ebenen, also auf der Bundesebene oder auf der Landesebene, für absolut richtig. Das hängt sicherlich damit zusammen – vielleicht ist das auch eine Antwort auf das mangelnde Interesse, das Sie, Herr Kupfer, aus Oschatz geschildert haben –, dass viele junge Leute keine Lust haben, sich mit der Hauptsatzung einer Stadt auseinanderzusetzen, sondern vielleicht doch eher visionäre Themen haben, vielleicht auch in größeren Dimensionen denken und sich für die größeren Themen interessieren. Zumindest war es bei mir so, dass ich als junger Mensch nicht unbedingt die Bürokratie einer Stadtverwaltung sehr spannend gefunden habe, sondern dass mich schon Natur- und Klimaschutz und viele andere Dinge bewegt haben.

(Johannes Lichdi, GRÜNE: Was? – Lachen und weiterer Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Ja, Herr Lichdi. Das, was mich als junger Mensch 1989 bewegt hat, Herr Lichdi, unterscheidet uns. Wie man ein System richtig ändern kann und wie man es, indem man auf die Straße geht, auch verschwinden lassen kann, das unterscheidet uns tatsächlich in unserer Biografie, Herr Lichdi.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU – Zuruf des Abg. Johannes Lichdi, GRÜNE)

Wir würden also gern noch etwas mehr wollen. Aber ich gebe zu, dass wir als FDP ängstlich sind. Denn so viele revolutionäre Momente, dass wir gleich alles in diesen Gesetzentwurf hineinpacken, wollen wir Ihnen nicht zumuten.

(Zuruf von der Linksfraktion.PDS)

Deswegen heute nur die Kommunen. Umso leichter fällt Ihnen am Ende Ihre Zustimmung, ganz gewiss.

In der öffentlichen Anhörung zu unserem Gesetzentwurf vor zwei Monaten haben sich vier der acht Sachverständigen für eine Absenkung des Wahlalters ausgesprochen. Das waren zum Beispiel der frühere Kinderbeauftragte aus Nordrhein-Westfalen, Herr Dr. Eichholz, und die niedersächsische SPD-Landtagsabgeordnete Frau Merck. Herr Prof. Herrmann von der Pädagogischen Hochschule in Weingarten sagte unter anderem – ich zitiere ihn –, dass man gerade aus der Perspektive der Jugendsoziologie und der Entwicklungspsychologie zwingend zu dem Ergebnis kommen müsse, dass eine Wahlalterabsenkung den tatsächlichen Entwicklungen der Jugendphase entspreche.

Nein, den jungen Leuten heute fehlt nicht die Reife, um mit 16 oder 17 Jahren zu wählen. Wir müssen ganz klar sagen: Der Hinweis auf die Reife, der immer wieder gern von Konservativen vorgebracht wird, verbietet sich für mich spätestens in dem Moment, in dem ich – das kommt ab und zu vor – nachmittags einen privaten deutschen Fernsehsender schaue und sehe, wie sich erwachsene wahlberechtigte Bürger – –

(Marko Schiemann, CDU: Nachmittags? – Johannes Lichdi, GRÜNE: Da haben Sie Zeit?)

Herr Schiemann, ich bin selbstständig. Das ist die Chance. Selbstständigkeit heißt doch Freiheit. – Wenn ich dann sehe, was sich auf diesen Kanälen an Erwachsenen und Wahlberechtigten so tummelt, muss ich sagen: Ob das immer so reif ist, wage ich zu bezweifeln, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der Linksfraktion.PDS)

Im Gegenteil, unsere Jugend ist politisch meist wesentlich interessierter und sehr oft wesentlich informierter als viele Ältere und unsere Jugend ist auch offener. Offenheit bedeutet auch, dass man sich vielleicht noch nicht festgelegt hat, dass man sucht, dass man probiert, dass man schaut.

Ich will an dieser Stelle ganz klar sagen: Wenn es uns als Parteien der Mitte nicht gelingt, den Jugendlichen eine Heimat zu geben

(Jürgen Gansel, NPD: Gelingt Ihnen nicht!)

und sie von demokratischen Grundwerten zu überzeugen, dann liegt das nicht an den Jugendlichen, sondern an uns.

(Beifall des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Sollten junge Leute am Ende tatsächlich radikal wählen, haben nicht die jungen Leute versagt, sondern dann haben wir als demokratische Mitte in diesem Land versagt, meine Damen und Herren.

Vor genau zehn Jahren, im Jahr 1997, wurde dieses Thema hier schon einmal diskutiert. Es war damals eine Initiative der SPD. Die SPD hatte einen – aus meiner Sicht sehr guten – ähnlichen Gesetzentwurf eingebracht. Barbara Ludwig, inzwischen Oberbürgermeisterin von Chemnitz, sagte damals etwas aus meiner Sicht sehr Wichtiges und sehr Richtiges. Ich zitiere sie: „Wer den Jugendlichen ihre Kompetenz abspricht, der zeigt damit, wie ernst er Jugendliche als Partner wirklich nimmt. Die Folgen einer solchen Jugendpolitik sind fatal, weil sie mündige Bürger, was Jugendliche in diesem Alter sind, von der Teilhabe an demokratischen Prozessen abhält.“

Besser kann man es nicht ausdrücken, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der SPD)

Liebe Kollegen von der SPD – weil ich gerade bei Ihnen bin –, Sie haben heute die Chance, Ihren vor zehn Jahren formulierten Gesetzentwurf hier umzusetzen. Wie ich die Sache sehe, dürfte es für die Absenkung des Wahlalters in diesem Parlament eigentlich eine Mehrheit geben.

(Stefan Brangs, SPD: Eigentlich ja!)

Wenn Sie noch zu Ihrem Wort stehen und wenn Sie vor allem noch zu dem stehen, was Sie selbst in den aktuellen Koalitionsvertrag geschrieben haben – darin steht: „Junge Menschen sollen verstärkt die Möglichkeit erhalten, sich aktiv und eigenverantwortlich am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen, und ermutigt werden, sich mit politischen Fragen zu beschäftigen“ –, dann müssen Sie unserem Gesetzentwurf zustimmen; dann werden Sie dafür sorgen, dass dieser Gesetzentwurf heute durchgeht.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der Linksfraktion.PDS)

Oder, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, war das nur wieder so eine Floskel? Ist auch das wieder einmal nur ein Spruch gewesen, für den sich hier niemand etwas kaufen kann? War das doch wieder nur eine Grußformel an unsere Jugend, die nicht untersetzt ist? Ist es irgendein blumiges Bekenntnis gewesen, das Sie ganz gewiss nicht einhalten, wenn es einmal zum Schwur kommt?

Ich kann mir das nicht vorstellen, denn dieses Thema war Ihnen immer sehr wichtig. Ich habe die Debatte damals nachgelesen. Sie war hoch interessant. Wir als FDP saßen damals noch nicht im Sächsischen Landtag.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie diesen Punkt – weil er Ihnen immer so wichtig war – nicht im Koalitionsvertrag so festgeschrieben und ihn nicht zur Bedingung Ihres Mitregierens gemacht haben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Freya-Maria Klinger, Linksfraktion.PDS – Zuruf des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU)