Protocol of the Session on December 12, 2006

Lassen Sie mich noch ein, zwei Sätze zum Jugendstrafvollzug sagen. Das Bundesverfassungsgericht hat, wie Sie sicherlich wissen, die Landesgesetzgeber vor die Aufgabe gestellt, bis zum 31.12.2007 den Jugendstrafvollzug gesetzgeberisch und in der Vollzugspraxis neu zu organisieren. Das, was uns das Bundesverfassungsgericht aufgegeben hat, kann und wird es nicht zum Nulltarif geben, meine Damen und Herren. Denn nichts ist gefährlicher, als den Strafvollzug nach der Föderalismusreform als Spardose für die Finanzminister zu missbrauchen.

(Beifall der Abg. Martin Dulig, SPD, Klaus Bartl, Linksfraktion.PDS, und Dr. Jürgen Martens, FDP)

Bei einem billigen Verwahrvollzug zahlen die Menschen mit ihrem Leben oder zumindest mit ihrer Lebensqualität. Resozialisierung ist nicht Täter-, sondern Opferschutz, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und des Abg. Dr. Jürgen Martens, FDP)

Wir werden im Laufe der Plenarwoche noch Gelegenheit haben, über die Vorstellungen der Koalition zur Zukunft des sächsischen Jugendstrafvollzuges zu sprechen. Dem möchte ich jetzt nicht vorgreifen. Wie haushaltsrelevant dieses Thema aber ist, sehen Sie an der Jugendstrafanstalt Regis-Breitingen, deren bauliche Vollendung und Erstausstattung Teil des vorliegenden Doppelhaushaltes sind.

Der vorliegende Justizhaushalt ist auch ein Spiegelbild der Flexibilität und des Wandels in der Justiz. Der geplante Einstieg in das automatisierte Mahnverfahren, Modellprojekte verschiedener Gerichte und länderübergreifende Zusammenarbeit von Justizverwaltungen zeigen, dass auch ein Dinosaurier wie die Justiz zur Veränderung fähig ist.

(Beifall des Staatsministers Geert Mackenroth)

Wesentlichen Anteil daran haben die engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der sächsischen Justiz, für deren Arbeit ich mich an dieser Stelle ganz herzlich

bedanken möchte. Und weil ich einmal beim Danksagen bin, gilt dieser Dank natürlich auch der Anwaltschaft und nicht zuletzt den Bürgerinnen und Bürgern, die sich ehrenamtlich in ihrer Freizeit in der Rechtspflege engagieren. Die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter, die Schöffen, die Friedensrichterinnen und Friedensrichter, die Anstaltsbeiräte seien hier genannt.

(Beifall des Abg. Marko Schiemann, CDU, und der Staatsministerin Helma Orosz)

Meine Damen und Herren! Auch in Zukunft wird sich die Justiz wandeln müssen. Dazu gehört, Verwaltungsabläufe zu verschlanken, zu entbürokratisieren; denn nur so können wir die Justiz in ihren Kernbereichen Rechtspflege, Strafvollzug und Justizvollzug wieder stärken.

Der Justizhaushalt für die kommenden zwei Jahre ist Ausdruck einer verantwortungsvollen Justizpolitik im Freistaat Sachsen. Er berücksichtigt in seinen Haushaltsansätzen sowohl die neuen Herausforderungen als auch notwendige Konsolidierungen gleichermaßen. Dazu stehen die beiden Fraktionen der Koalition.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Danke schön. – Herr Petzold ist für die NPD-Fraktion angemeldet.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Immer wieder ist das Hartz-IV-Gesetz seit seiner Einführung im Januar 2005 überarbeitet worden. Für die Betroffenen bedeutet das oft schwer verständliche Bescheide und nicht nachvollziehbare Entscheidungen. Die Folge: Allein in den ersten acht Monaten des Jahres 2006 wurden bundesweit 60 000 Klagen bei den Sozialgerichten eingereicht.

Das Hartz-IV-Gesetz hat mittlerweile das Steuergesetz an Kompliziertheit eingeholt. Nicht nur die Hartz-IVEmpfänger, auch die Behörden haben Probleme mit den ständigen Veränderungen und Erweiterungen. Den Arbeitsgemeinschaften, Kommunen und Landkreisen passieren noch viele Fehler, meist auf Kosten der Betroffenen. Viele von ihnen fühlen sich deshalb von den Behörden ungerecht behandelt und wollen für ihre Ansprüche kämpfen, wenn nötig mit einer Klage vor dem Sozialgericht.

Beim Berliner Sozialgericht, dem größten Deutschlands, sind bereits im Zeitraum von Januar bis Oktober 2006 insgesamt 9 435 Klagen eingereicht worden. Die Tendenz ist steigend. In jedem zweiten neuen Gerichtsverfahren geht es um Klagen rund um Hartz IV. Diese Entwicklung ist ebenfalls bei uns im Freistaat Sachsen zu beobachten, wie das Beispiel Chemnitz zeigt.

Allein in diesem Jahr zogen bislang schon 330 Hartz-IVEmpfänger vor das Sozialgericht. Es gibt mehrere Gründe für die Hartz-Klagen. Die Klageflut, die aus diesen und anderen Gründen über die Sozialgerichte im Freistaat Sachsen hereinbricht, ist mit den bisher zur Verfügung

stehenden Mitteln nicht zu bewältigen. Daran ändern auch die zwei neuen Richterstellen, die bislang in Chemnitz geschaffen wurden, leider grundsätzlich nichts.

Deshalb will meine Fraktion für die kommenden beiden Jahre den Haushaltstitel „Bezüge der Beamten zur Anstellung bei den sächsischen Sozialgerichten“ um insgesamt 2 Millionen Euro erhöhen, um den Engpass bei der Bearbeitung der Klagen gegen die Hartz-Gesetze zu beseitigen.

Das lange Warten auf entsprechende Gerichtsentscheidungen, zusammengenommen mit den Fehlern, die oftmals bei den Berechnungen selbst unterlaufen, führt bei vielen Menschen dazu, dass sie sich als Opfer eines Systems fühlen, das von ihnen als Unrecht empfunden wird. Der Freistaat muss deshalb in seinem Etat für die kommenden beiden Jahre deutlich machen, dass der Rechtsstaat nicht nur die Summe einer Vielzahl von formell garantierten Rechten ist, sondern dass jeder Bürger auch tatsächlich in die Lage versetzt wird, diese Rechte in Anspruch zu nehmen.

Aus diesem Grund hat die NPD-Fraktion auch die Einstellung eines neuen Haushaltstitels „Prozesskostenhilfe und Kosten der Rechtsberatung für Bürger mit geringem Einkommen“ und dessen Ausstattung mit einer Million Euro jährlich beantragt, damit die Sozial- und Sozialrechtsberatung nicht mehr allein auf oft privat finanzierte Arbeitsloseninitiativen abgewälzt und wirklich jeder Betroffene über seine Rechte und Ansprüche gegenüber den Behörden aufgeklärt wird. Außerdem soll der Freistaat mit der Schaffung eines solchen Titels dem betroffenen Personenkreis Unterstützung bei der rechtlichen Durchsetzung seiner Interessen bis hin zur Beratung in Gerichtsverfahren leisten, wobei eine enge Zusammenarbeit mit Rechtsanwälten stattfinden sollte.

Um auch in anderen Bereichen der sächsischen Justiz eine rasche Aufarbeitung der leider immer noch hohen Zahl von Altverfahren zu gewährleisten, hat die NPD-Fraktion darüber hinaus beantragt, den Haushaltstitel zur Verstärkung der Personalausgaben des Einzelplanes, der im bisherigen Haushaltsplan nur als Leertitel existiert, mit jeweils einer Million Euro jährlich auszustatten.

Von besonderer Bedeutung ist für uns ein weiterer Änderungsantrag, mit dem wir die Mittel zur Kostenerstattung für Volksantrag, Volksbegehren und Volksentscheid deutlich aufstocken wollen. Sie wissen ja, dass wir Nationaldemokraten der Ansicht sind, dass dieses politische System mit dem Fehler behaftet ist, viel zu wenige Möglichkeiten zur Ausübung direkter Demokratie zu bieten. Im Vergleich zu vielen unserer europäischer Nachbarn, die beispielsweise ihre Völker über die EUVerfassung abstimmen ließen, ist die Bundesrepublik in dieser Hinsicht noch demokratiepolitisches Entwicklungsland und tiefste Provinz.

(Gelächter bei der FDP und der SPD)

Ich bitte Sie daher, nutzen Sie jede Möglichkeit, um die direkt demokratischen Elemente in der Landesverfassung

des Freistaates Sachsen ideell und materiell zu unterstützen. Das Credo „Mehr Demokratie wagen“ sollte dabei für uns alle gültiges Leitthema sein.

Ich bedanke mich.

(Beifall bei der NPD)

Herr Dr. Martens, FDP-Fraktion, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu meinem Vorredner nur eines: Den Leitspruch Willy Brandts in seiner Regierungserklärung für die erste sozial-liberale Bundesregierung 1969 ausgerechnet von Ihnen hier zu hören, ist schon ein starkes Stück.

(Beifall bei der FDP, den GRÜNEN und der Staatsregierung)

Dagegen verwahre ich mich als Liberaler und mit Sicherheit auch für die anderen, die als sozial-liberale Koalition es damals ernst genommen haben, mehr Demokratie zu wagen – eine Demokratie, die von Ihnen allenfalls als Altparteienkartell, das es abzuwickeln gilt, verunglimpft wird, damit Sie eine wahre Volksherrschaft nach Ihrem Gusto errichten können.

(Zuruf des Abg. Jürgen Gansel, NPD)

Meine Damen und Herren von der NPD, das mit der Demokratie lassen Sie am besten hier stecken!

Meine Damen und Herren! Für die FDP-Fraktion ist der Haushalt des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz ein besonders wichtiger Einzelplan. Wir widmen uns diesem Einzelplan mit Hingabe und Sachverstand. Wir zum Beispiel wissen, dass Rechtsanwälte keine Unterabteilung der Justiz sind, sondern unabhängiges Organ der Rechtspflege. Dies sei nur am Rande bemerkt.

(Beifall bei der FDP und den GRÜNEN)

Der Begriff des Rechtsstaates bezeichnet nicht nur ein staatsorganisatorisches Prinzip mit Gewaltenteilung und unabhängigen Gerichten, die es zu sichern gilt. Für uns ist der Rechtsstaat vielmehr Ausdruck der Herrschaft des Rechts, dem alle unterworfen sind, selbst wenn es manchmal schwerfällt, das einzusehen. Selbst der Gesetzgeber ist daran gebunden. Es gibt keine Regel, die Mehrheit hätte automatisch recht. Es gibt keine Diktatur der Mehrheit. Die Minderheit hat Rechte. Oft genug ist es unser Anliegen, diesen Rechten auch Gehör zu verschaffen. Jeder hat die gleichen Rechte. Das ist der Ausdruck der unteilbaren gleichen Menschenwürde, die jeder Einzelne hat und die der Rechtsstaat zu schützen hat. Das ist eine seiner vornehmlichsten Aufgaben, die wir einfordern.

Das Recht ist nicht Instrument der Herrschenden, Herr Kollege Bartl, sondern auch die Herrschenden sind an Recht und Gesetz gebunden. Das Recht wird so zur Waffe der Schwachen. Wenn der Staat von seinen Bürgern die Beachtung von Rechtsnormen verlangt, muss er im

Gegenzug bereit sein, die Rechte seiner Bürger selbst zu achten und durchzusetzen.

Herr Staatsminister, während in Sachsen bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit diese Rechtsgewährleistung im Vergleich zu anderen Bundesländern gelingt – das muss man anerkennend sagen –, stellt sich die Frage, ob diese Rechtsgewährleistung in den Bereichen der Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit überhaupt noch ausreichend ist. Angesichts der Verfahrensdauer ist diese Frage übrigens auch in anderen Bundesländern mehr als gerechtfertigt. Das Problem der überlangen Verfahren in diesen Gerichtsbarkeiten ist seit Langem bekannt. Konkrete Ansätze, dieses Problem zu lösen, fehlen im vorliegenden Haushalt allerdings. Aber das ist nicht nur ein Problem des vorliegenden Haushalts, sondern auch ein Problem der Staatsregierung und der sie tragenden Koalitionsparteien. Ich bin dabei allerdings nicht so einfältig zu glauben, dass wir lediglich mehr Stellen im Personalsoll zuweisen müssten, um diese Probleme anzugehen. Nein, hierbei müsste man einen weitergehenden Ansatz verfolgen. Auch das vermissen wir. Bisher ist hier recht wenig passiert.

Was wir im Haushalt an Flexibilisierungen auf der anderen Seite gefunden haben, findet nun auch nicht unsere Zustimmung, Herr Staatsminister, insbesondere die Versuche, bei Modellgerichten Einsparmöglichkeiten der Art zu schaffen, dass Verfahrensauslagen gegen Sachkosten – ich sage es untechnisch – aufgerechnet werden können, indem man eine Deckungsfähigkeit einführt. Für Nichtjuristen bedeutet das, um ein Beispiel zu nennen, Folgendes: Statt ein weiteres Gutachten in einem Verfahren einzuholen oder einen Zeugen, den eine Partei genannt hat, noch anzuhören, kann der Richter, weil dieses möglicherweise zu viel Geld kostet, davon absehen, und der Effekt, diese eingesparten Verfahrenskosten, kommt ihm bzw. dem Gericht bei den Sachausgaben entgegen. Dafür gibt es dann Anschaffungen, sprich: einen neuen Monitor für die Geschäftsstelle oder einen Kühlschrank für die Teeküche. Diese Verknüpfung zwischen Vorteil des Entscheidenden – Verfahrensauslagen, die unabhängig anfallen – und der Rechtsgewährleistung überhaupt, meine Damen und Herren, halten wir für bedenklich. Eine vorausschauende Justizpolitik würde auf solche Versuche verzichten. Sie würde andere Konzepte verfolgen.

Wir haben genügend Baustellen, denen wir uns zuwenden können und müssen. Die Föderalismusreform hat Sachsen die Zuständigkeit für viele Bereiche übertragen. Wir brauchen ein sächsisches Strafvollzugsgesetz. Das ist bereits genannt worden. Die Koalition hat dies bereits erkannt und in den Koalitionsvertrag schon hineingeschrieben, aber konkret ist dieses aus unserer Sicht noch nicht. Das gilt auch für das vom Bundesverfassungsgericht mit einer Frist zur Umsetzung bis 31.12.2007 versehene Ziel eines Jugendstrafvollzugsgesetzes. Man könnte weitere Dinge aufzählen, zum Beispiel Heimrecht, Landwirtschaftsverkehrsrecht und anderes.

Wir als Opposition haben allerdings Zweifel, ob die Koalition diese Baustellen mit der notwendigen Geschwindigkeit und Durchsetzungsstärke in den nächsten zwei Jahren angehen wird. Das letzte Beispiel, bei dem die Koalition schlicht versagt hat, war das Gezerre um ein Ladenöffnungsgesetz, das nun zwar vorliegt, aber – wir werden es noch besprechen – handwerklich juristisch ausgesprochen schlecht gemacht ist. Es weist handwerklich schlimmste Fehler auf und ist zudem reichlich spät gekommen.

Meine Damen und Herren! Die Justiz ist in manchen Fällen überfordert, die Rechte der Bürger zu gewährleisten. Manchmal kann sie sogar zur Bedrohung für Rechte der Bürger im Bereich der Strafverfolgung werden. Wir haben es bei der Überwachung von Journalisten durch Strafverfolgungsbehörden gesehen.

Ein anderes Problem ist aus unserer Sicht der Umgang mit denjenigen, die zu dem Massengentest in Dresden zwar eingeladen werden, aber nicht kommen. Das ist inzwischen über ein Drittel der Betroffenen. Hier stellt sich im Übrigen die Frage, ob diese Maßnahme selbst bei einem solchen Zahlenverhältnis noch sinnvoll ist. Es wird gesagt, dass ihnen nichts passiert, wenn sie nicht kommen. Wenn dann konkret gefragt wird, wie das aussieht, dass nichts passiert, heißt es, da werden Befragungen im Umfeld gemacht. „Nichts passieren“ sieht anders aus, Herr Staatsminister. Wem so etwas passiert ist, der kann den Möbelwagen bestellen und umziehen.

Ich denke, die Justiz muss noch einmal nachdenken, ob alles, was sie tut, tatsächlich der Rechtsgewährleistung ausreichend Rechnung trägt, und ob sie alles unternimmt, um dem Bürger das Leben nicht nur nicht schwerer, sondern auch etwas leichter zu machen, insbesondere im Bereich der Entbürokratisierung und der Deregulierung. Ich spreche hier vom Paragrafenpranger. Es ist gesagt worden: 1 800 Vorschläge sind gekommen. Davon wurden nur 400 von einer Arbeitsgruppe im Ministerium behandelt und letztlich nur 40 davon umgesetzt. Auch hier sprechen wir davon, dass sich das Handeln der Staatsregierung in den letzten Jahren durch Mutlosigkeit und nicht durch Gestaltungswillen und Gestaltungskraft ausgezeichnet hat.

Dieser vorliegende Haushalt ist Ausdruck des mangelnden Gestaltungswillens und der mangelnden Gestaltungskraft. Die FDP wird deshalb im Ergebnis diesem Einzelplan nicht zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)