Studie die existierende Armut eher unterzeichnet. Und der schon im vergangenen Jahr veröffentlichte zweite Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung erklärte, der Anteil der Bevölkerung unter der Armutsgrenze sei 1998 von 12,1 auf jetzt 13,5 % gestiegen. Jeder achte Haushalt war davon betroffen, insgesamt also etwa elf Millionen Menschen.
Eine aktuell in diesem Jahr erschienene Untersuchung von Irene Becker bestätigt diese Größenordnung. Insgesamt gut zehn Millionen dürften einen gesetzlichen Anspruch auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld haben. Tatsächlich erhalten derzeit 7,4 Millionen Menschen Hartz-IV-Leistungen. Fast zwei Millionen Erwerbstätige leben in verdeckter Armut. Besonders alarmierend ist, dass den neuen Armen nach den Ergebnissen der Friedrich-Ebert-Stiftung zwar nur 4 % der Westdeutschen, aber erschreckende 20 % der Mitteldeutschen angehören. Deshalb stehen die mitteldeutschen Länderregierungen in einer ganz besonderen Verantwortung, wenn in Berlin solch ein Mammutprojekt in der Form des Niedriglohnsektors behandelt wird. Für den Freistaat Sachsen und die anderen mitteldeutschen Bundesländer ist es deshalb geradezu von essenzieller Bedeutung, bereits jetzt in der bei der Bundesregierung angesiedelten Projektgruppe Niedriglohnsektor als wichtiger Verhandlungspartner wahrgenommen zu werden.
Die Armutsdimensionen, die finanzielle Unsicherheit und die Zukunftssorgen sind nun einmal in Mitteldeutschland wesentlich ausgeprägter als in Westdeutschland. Leider aber wächst das Verantwortungsbewusstsein der hiesigen Politiker für die Schicksale derjenigen Bürger, von denen Schaden abzuwenden sie versprochen haben, nicht in gleichem Maße mit.
Darüber kann auch nicht die in der Sache richtige Rüttgers-Forderung nach einem nach der Einzahlungsdauer gestaffelten Arbeitslosengeld hinwegtäuschen, denn während der nordrhein-westfälische Ministerpräsident auf der politischen Bühne den Robin Hood der sozial Schwachen spielt, überbieten sich hinter den Kulissen andere Unionspolitiker mit Streichvorschlägen.
Man lese sich nur das schon im Oktober an die Öffentlichkeit gelangte Pofalla-Söder-Papier durch, das im Hinblick auf die geplante Reform des Niedriglohnsektors im kommenden Jahr geschrieben wurde und eine einzige Kampfansage an die Bezieher von Arbeitslosengeld II darstellt. Die beiden Generalsekretäre der Unionsparteien schreiben sich in diesem Papier geradezu in einen Sanktions- und Kürzungsrausch. Wer ein Arbeitsangebot ausschlägt, soll mit einer Halbierung der Gelder rechnen müssen, heißt es in dem Papier. Im Wiederholungsfall soll das Arbeitslosengeld II ganz gestrichen werden. Außerdem sollen Hartz-IV-Empfänger – ich bleibe dabei – künftig keinen Urlaub mehr nehmen können, sondern ununterbrochen für die Vermittlung im Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Wer also unbedingt an das neu erwachte soziale Gewissen der Union glauben will, der muss nur
Schon das am 1. August dieses Jahres in Kraft getretene Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende, auf das rund 50 Gesetzesänderungen beim Arbeitslosengeld II und beim Sozialgeld erfolgten, war in seiner Grundtendenz kein Fortentwicklungsgesetz, sondern die Ausweitung des Strafkatalogs gegen Arbeitslose. Unter anderem wurden die Sanktionen gegenüber Hartz-IV-Empfängern, die wiederholt eine angebotene Arbeit, beispielsweise einen Ein-Euro-Job oder Eingliederungsmaßnahmen, ablehnen, erheblich verschärft, bis zur vollständigen Leistungskürzung nach drei Pflichtverletzungen.
Außerdem müssen Unverheiratete künftig viel eher ihr Einkommen und Vermögen für bedürftige Mitbewohner einsetzen, denn die Ämter vermuten künftig schon eine Eheähnlichkeit, wenn Partner länger als ein Jahr zusammenleben oder mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben oder Kinder als Angehörige im Haushalt versorgen oder befugt sind, über Einkommen und Vermögen des anderen zu verfügen. Solche Regeln sind verfassungsrechtlich problematisch und haben de facto zur Etablierung einer gegen Arbeitslose gerichteten Verfolgungsbetreuung geführt.
Denjenigen Politikern, die jetzt schon die Wirkung der beschlossenen Verschärfung gar nicht abwarten können und noch weitergehende Sanktionen fordern, muss endlich die rote Karte gezeigt werden. Spätestens jetzt müssen die Koalitionäre zeigen, was sie über eine Verschärfung der Hartz-Reformen hinaus noch im arbeitspolitischen Werkzeugkasten an Instrumenten bereithalten. Wenn die Menschen später in Rente gehen sollen, dann müssen sie zumindest die Möglichkeit haben, auch länger zu arbeiten. Diese Zusicherung auf eine Beschäftigungsperspektive wurde im Koalitionsvertrag an die beabsichtigte Heraufsetzung des Renteneintrittsalters gekoppelt. Auf die Einhaltung dieses Versprechens muss die Bundesregierung nun verpflichtet werden, wenn es sein muss, auch durch eine Initiative des Bundesrates. Es kann nicht sein, dass nur explodierende Ausgabensteigerungen und kurzfristige Mitteleinsparungen die öffentliche Diskussion bestimmen und gleichzeitig die zielführendere Frage, wie umfassende und passgenaue Hilfen ausgebaut und neue Brücken für Langzeitarbeitslose in die Erwerbstätigkeit gebaut werden können, unterbleibt.
Zweifelsohne schießen die Ausgaben im Hartz-IV-System über die Planzahlen hinaus. Es wurde offensichtlich, dass die für Hartz IV schöngerechneten Zahlen und die in Aussicht gestellten Effizienzgewinne nicht realisiert werden konnten. Sehr unbefriedigend ist auch die Aufgabenstruktur, denn die komplexen Verwaltungsaufgaben binden viel zu viel Personal, woran Beratung und Förderung massiv leiden.
Während sich die steigenden Energie- und Mietkosten sowie der sich ausbreitende Niedriglohnsektor kostentreibend auswirken, sinken die bislang nicht ausgeschöpften
Mittel für Wiedereingliederung. Zusammen mit den vielen Ein-Euro-Jobs lässt das die Chance auf Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt sinken.
Meine Damen und Herren! Einen Weg, der nicht zum Ziel führt, sollte man nicht weiter beschreiten. Im Schlusswort wird mein Fraktionskollege Apfel noch auf einige Alternativen zur derzeit praktizierten Arbeitsmarktpolitik eingehen.
Herr Pietzsch, selbstverständlich würden wir am liebsten Hartz IV abschaffen. Aber im Moment müssen wir auch die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat und im Bundestag berücksichtigen und wissen, dass diese Forderung unrealistisch ist. Also muss man zumindest versuchen, Änderungen am bestehenden System zu machen, die zielführend sind.
Gibt es von den anderen Fraktionen noch Redebedarf? – Das kann ich nicht erkennen. Dann ist die NPD-Fraktion noch einmal dran. Herr Apfel, bitte. Herr Apfel, ist das das Schlusswort oder ein zweiter Redebeitrag?
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, in einem Punkt sind wir uns einig: Hartz IV hat die versprochene Verbesserung der Eingliederung Langzeitarbeitsloser und die Schaffung einer effizienten Verwaltungsstruktur nicht erreicht. Das Leistungsniveau des ALG II ist nicht armutsfest und berücksichtigt besondere Bedarfslagen nicht. Den Leistungskürzungen für bisherige Arbeitslosenhilfeempfänger und den hohen Anforderungen an die Arbeitsuchenden stehen keine Förderungsangebote gegenüber, weshalb man mit Fug und Recht davon sprechen kann, dass der Grundsatz „Fördern und Fordern“ von den Initiatoren selbst verraten wurde. Diese können nur als ein einziger Fehlschlag bezeichnet werden. Deswegen haben wir immer gesagt, und Herr Pietzsch muss mich falsch verstanden haben, nur weil wir gegenwärtig von den Gegebenheiten ausgehen müssen, die HartzGesetze sind falsch und müssen nach wie vor weg.
Stattdessen braucht Deutschland endlich wieder eine zielführende, moderne Arbeitsmarktpolitik. Wir brauchen eine Grundsicherung für Arbeitslose, die ein armutsfestes Niveau aufweist und zur Deckung besonderer Bedarfslagen, vor allem für Familien mit Kindern, ausreicht. Wir müssen endlich grundsätzlich neue Wege beschreiten, um wieder für mehr Beschäftigung zu sorgen. Solange die Aufnahmefähigkeit des ersten Arbeitsmarktes unterentwickelt ist, besitzt öffentlich geförderte Beschäftigung eine wichtige arbeitsmarktpolitische Entlastungsfunktion und muss deshalb eine ernsthafte politische Option bleiben. Gerade in schwierigen Arbeitsmarktregionen, wie dem ländlichen Raum, wäre die Entwicklung eines zweiten Arbeitsmarktes sozialpolitisch sinnvoll und für Personen mit Vermittlungserschwernissen eventuell der letzte
Rettungsanker. Die Politik muss sich ferner im Klaren sein, dass Arbeitsplätze nur durch kontinuierliche Weiterbildung geschaffen werden können. Bereits heute ist trotz der herrschenden Massenarbeitslosigkeit erkennbar, dass es einen Fachkräftemangel gibt, der sich aus demografischen Gründen schon 2010 stärker zeigen wird. Eine vorausschauende Bildungsförderung kann nicht allein auf die Bundesagentur abgeschoben werden, sie muss als Aufgabe der gesamten Politik begriffen werden.
Gerade deshalb ist es wichtig, dass Sachsen die Schulen in freier Trägerschaft weiterhin ausreichend fördert. Sie werden vielleicht sagen, dass gehört nicht zum HartzThema, aber ich sage Ihnen, das gehört sehr wohl hierher; denn wenn die Staatsregierung mutwillig die Schullandschaft ausgerechnet im Bereich der klassischen Ausbildungsberufe plattmacht, produziert sie schon heute die Langzeitarbeitslosen von morgen und die daraus folgende Kostenexplosion im System.
Meine Damen und Herren! Ein solches Maßnahmenpaket würde einen gangbaren Ausweg aus dem kostspieligen Hartz-Desaster bedeuten. Lassen Sie uns deshalb lieber in Arbeit als in Arbeitslosigkeit investieren. Es ist für unser Gemeinwesen zum Beispiel ein unwürdiger Zustand, wenn ab morgen 48 Leipziger als Begleitservice in Bussen und Bahnen eingesetzt werden. Können Sie die innere Sicherheit wirklich nicht mehr durch die Arbeit der Polizei garantieren, weil das zu kostspielig ist? Ist es richtig, Tätigkeiten, die die Betroffenen leicht in brenzlige Situationen bringen können, von Ein-Euro-Jobbern erledigen zu lassen? Nein, natürlich nicht, denn gerade die Garantie der inneren Sicherheit ist ein klassisches Gut.
Zwei Jahre nach Inkrafttreten von Hartz IV, meine Damen und Herren, muss das Fazit gezogen werden, dass es genug ist. Es handelt sich nicht um Anlaufprobleme bei der Umsetzung von Hartz IV, sondern allein um einen Webfehler im System selbst.
Wenn das die Bundesregierung nicht erkennen will, dann muss der Bundesrat ihr eben mit einer Eigeninitiative auf die Sprünge helfen. Ich bitte Sie noch einmal herzlich um die Unterstützung unseres Antrages.
Meine Damen und Herren! Ich stelle nun die Drucksache 4/6829 zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Ich frage nach Gegenstimmen. – Wer enthält sich der Stimme? – Bei Stimmen dafür und ohne Stimmenthaltung wurde die Drucksache 4/6829 abgelehnt. Dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.
Hierzu können die Fraktionen Stellung nehmen. Die Reihenfolge in der ersten Runde lautet: die Fraktion der GRÜNEN als Einreicherin, danach CDU, Linksfraktion.PDS, SPD, NPD, FDP und die Staatsregierung. Ich erteile Herrn Dr. Gerstenberg das Wort.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Nachdem durch Absetzung eines Tagesordnungspunktes unsere Redezeit rapide zusammengeschmolzen ist, versuche ich, Ihnen einen kurzen Querschnitt durch meinen Redebeitrag zu bieten. Das Thema ist ja auch nicht neu, aber es ist brandaktuell.
Vor einem reichlichen halben Jahr hat unsere Fraktion einen Antrag zur Einführung des Hochschullastenausgleichs eingebracht, dessen Prinzip „Geld folgt Studierenden“ eine breite Zustimmung fand und der dennoch abgelehnt wurde. Ich hatte damals angesichts des zu erwartenden „Studentenbergs“ zumindest die leise Hoffnung, dass aus dem erfreulichen Problem auch eine erfreuliche Lösung werden könnte, nämlich dass Bund und Länder die Herausforderung nutzen, um aus der Politik der kleinen Schritte auszubrechen und endlich einen Systemwechsel zu wagen.
Wer die Hochschulminister in diesen Tagen hört, merkt, dass daraus nur kleinlaute Absichtserklärungen geworden sind. Von einem Hochschulpakt 2020 war zu Beginn der Verhandlungen zwischen Bund und Ländern die Rede, und das zu Recht. Angesichts massiv steigender Studentenzahlen im Westen und deutlich sinkender Studienanfängerzahlen im Osten wäre eine Politik der kleinen Schritte der größte anzunehmende Rückschritt. Genau dieser steht jedoch an, denn jetzt geht es nur noch um die nächsten drei Jahre.
Aber machen wir uns nichts vor. Wer die Zahlen kennt, weiß, dass das eigentliche demografische Problem mit 40 % weniger sächsischen Studienbewerbern und 25 % weniger Studienanfängern erst nach 2010 auf uns zukommt. Vor Lösungen für diesen Zeitraum, in dem die Probleme am größten zu werden drohen, drücken sich die Hochschulminister derzeit. Hochschulleitungen müssen jedoch zusammen mit ihren demokratisch gewählten Gremien vorausschauende Struktur- und Bewilligungsplanung betreiben. Dazu brauchen sie Sicherheit über das nächste Jahr hinaus. In einer Situation, in der eine Hochschule nicht weiß, ob sie in drei Jahren Mittelkürzungen von bis zu einem Drittel des bisherigen Budgets erdulden muss oder ob sie reale Chancen hat, mehr Geld zu bekommen, wird sie vor allem eins tun: nichts. Wer an Hochschulen derartige Unsicherheit sät, wird wenig ernten. Keine gute Lehre, kaum exzellente Forschung.
Vor dem Hintergrund dieser wenig verlockenden Perspektive wird deutlich, dass langfristig tragfähige Lösungen notwendiger denn je sind. Dabei ist uns klar, dass wir auf die Befindlichkeiten und die ganz konkreten finanziellen Probleme der anderen Bundesländer Rücksicht nehmen müssen. Deshalb ist es klar, dass die abrupte Einführung eines neuen Ausgleichssystems für die Hochschulfinanzierung chancenlos ist.
Deshalb machen wir mit unserem Antrag einen konkreten Vorschlag zu einer realistischen Einführung des Hochschullastenausgleichs. Wir schlagen drei Elemente vor: erstens Komplementärfinanzierung von tatsächlich in Anspruch genommenen Studienplätzen durch Bund und Länder bis zum Jahr 2020, zweitens Einstieg in den Hochschullastenausgleich durch eine Steigerung von der Teilkosten- zur Vollkostenfinanzierung von Studienplätzen – –
Vielen Dank, Herr Gerstenberg. – Ist Ihnen klar, wenn Sie den Hochschullastenausgleich fordern, dass es zu Gegenrechnungen der Bundesländer, wie zum Beispiel Bayerns und BadenWürttembergs, kommen wird und dass der Solidarpakt II infrage gestellt wird?
Herr Dr. Schmalfuß, ein Hochschullastenausgleichssystem geht davon aus, dass der Solidarpakt und andere Ausgleichssysteme davon nicht betroffen sind, und ich freue mich insbesondere, dass das nicht nur ein Projekt des Freistaates Sachsen und des Bundeslandes Bayern ist, nicht nur ein Vorschlag, den die GRÜNEN im Sächsischen Landtag eingebracht haben, sondern dass auch die FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag dieses Prinzip in ihrem Antrag vorgeschlagen hat. Sie haben früher heftig gegen dieses Prinzip gesprochen. Jetzt ist die FDP offensichtlich auf unserer Seite. Das freut mich sehr.
Ist Ihnen bewusst, dass die FDP-Bundestagsfraktion Bildungsgutscheine favorisiert hat und keinen Hochschullastenausgleich? Ähnlich wie der Gesundheitsfonds wollen Sie einen Hochschul
Da ich Ihren Antrag im Bundestag gründlich gelesen habe, kann ich Ihnen mitteilen, dass Bildungsgutscheine eine Variante sind, aber auch explizit der Hochschullastenausgleich als ein neues Finanzierungssystem aufgeführt wird.