Protocol of the Session on November 16, 2006

Staatsminister Tillich hat sein OP zum ELER am 10. November in Brüssel eingereicht und dazu erklärt: „Mit der Meldung nach Brüssel haben wir die Weichen gestellt, damit im neuen Jahr schnellstmöglich mit der Bewilligung und Auszahlung von Fördergeldern begonnen werden kann.“ Ja, vor so viel Weitsicht kann man nur den Hut ziehen und den Landwirten gratulieren, dass ihr zuständiger Minister Druck macht, damit alsbald mit der Antragsbearbeitung begonnen werden kann und hoffentlich kein Geld verloren geht wie beim SMWA. Dass hier nämlich 60 Millionen Euro an Brüssel zurückgegeben werden müssen, hängt auch damit zusammen, dass man eben vieles schleifen ließ, nicht rechtzeitig Programme auflegte, über die das Geld hätte abfließen können. Aber daraus wurde beim SMWA offensichtlich nichts gelernt.

Durch die eingetretenen Pannen bei der Aufstellung des ESF sind Zeitverzögerungen eingetreten, die einen Programmstart zum 1. Januar 2007 unmöglich machen. Es wird kein Geld fließen, wie bei Staatsminister Tillich angestrebt, sondern man wird vermutlich dasitzen, an Förderrichtlinien knobeln und vielleicht im Sommer 2007 irgendetwas veröffentlichen. Ja, manche Ministerien wissen bis heute nicht, was sie mit dem Geld machen sollen. Schauen Sie in den aktuellen Haushalt hinein! Das Jahr 2007 wird somit höchstwahrscheinlich ein verlorenes Jahr. Arbeitsmarktpolitisch ist das allerdings fatal. Das haben wir bereits gestern deutlich hier in diesem Hohen Hause ausgesprochen.

Ich möchte dies aber nicht nur inhaltlich, sondern auch auf das Schärfste aus haushaltspolitischer Sicht kritisieren. Eine ordnungsgemäße Haushaltsführung wird somit unmöglich. Der Haushalts- und Finanzausschuss wird zur Reparaturbrigade für die Unzulänglichkeiten des SMWA bei den EU-Fördermitteln. So mussten wir in den letzten Monaten am laufenden Band überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben bewilligen, damit nicht noch mehr Geld in Brüssel verfällt. Das ist aus parlamentarischer Sicht nicht hinzunehmen, denn so wird das Parlament immer wieder umgangen.

Meine Damen und Herren! Die Strukturfonds in der zukünftigen Förderperiode sind ein Instrument zur Umsetzung der neuen Lissabon-Strategie. Sie zielt auf die nachhaltige Stärkung von Wachstum, Beschäftigung und sozialem Zusammenhalt. Die drei zentralen Bestandteile dieser Strategie sind:

1. Wissen und Innovation für Wachstum zu entwickeln,

2. einen attraktiven Raum für Investition und Arbeit zu schaffen und

3. Wachstum und Beschäftigung für sozialen Zusammenhalt zu erzeugen.

Die EU setzt also, um die Wettbewerbs- und Beschäftigungssituation zu verbessern, auf die Entwicklung der sogenannten Humanressourcen, auf Bildung, Wissen und Innovation. Diese Ausrichtung gilt für den Einsatz der Strukturfondsmittel besonders in den Regionen mit Entwicklungsrückstand, also den sogenannten Z1Gebieten. Zu denen gehören die ostdeutschen Länder, so auch die sächsischen Regionen.

Für die Realisierung der Lissabon-Strategie haben sich die Mitgliedsstaaten auf ein System von Leitlinien für Wachstum und Beschäftigung geeinigt, so auch auf beschäftigungspolitische Leitlinien, in denen drei Ziele formuliert worden sind:

1. – man höre und staune – Vollbeschäftigung,

2. Steigerung der Arbeitsplatzqualität und Arbeitsproduktivität und

3. Stärkung des sozialen und territorialen Zusammenhalts.

Diesen Zielen folgend soll die Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik der Mitgliedsstaaten auf Schwerpunkte ausgerichtet werden:

erstens darauf, mehr Menschen in Arbeit zu bringen und zu halten, das Arbeitskräfteangebot zu vergrößern und die sozialen Sicherungssysteme zu modernisieren;

zweitens darauf, die Anpassungsfähigkeit der Arbeitskräfte und der Unternehmen zu verbessern und

drittens schließlich darauf, die Investitionen ins Humankapital durch Verbesserung von Bildung und Qualifikation zu steigern.

Kompakter geht es nicht, meine Damen und Herren.

Seit über zwei Jahren liegen diese Dokumente vor. Man hätte sich diesbezüglich mit Eckpunkten und Plandokumenten befassen können. In Sachsen geschah mit Ausnahme des ELER eigentlich nichts. Wir lebten von Pleiten, Pech und Pannen. Gut, dass die Koalition dies heute noch einmal zur Sprache gebracht hat. Sicher, sie wollten sich heute eigentlich ein bisschen feiern so nach vollbrachter Arbeit. Doch – das möchte ich Ihnen ins Stammbuch schreiben – diese Arbeit liegt noch vor Ihnen. Fangen Sie endlich damit an! Es ist an der Zeit.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Für die NPDFraktion Herr Gansel, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meistens haben Berichtsanträge wenig Spektakuläres an sich und es gibt für die Oppositionsparteien kaum Gründe, sich einem Auskunftsverlangen zu verweigern. Auch dem vorliegenden Antrag kann man so weit zustimmen, doch möchte die NPDFraktion die Gelegenheit nutzen, einmal Grundsätzlicheres anzusprechen.

An den Eckpunkten der Operationellen Programme für die neue Strukturförderperiode oder – ehrlicher gesagt – an den Eckpunkten der Fremdbestimmung durch Brüssel kommt man unter den obwaltenden Umständen auch in Sachsen leider nicht vorbei. Durch eine bewusste Kompetenzabtretungspolitik an Brüssel ist der Handlungsspielraum der Staatsregierung sowieso erschreckend gering. Aber diese politische Selbstentmündigung der deutschen Exekutive wurde ja von ihr selbst gewollt. So weit, so schlecht.

Ganz konkret greifen die Operationellen Programme tief in die Haushaltsgestaltung ein. Dabei sprechen wir über einen Betrag von 3,9 Milliarden Euro. Hinzu kommt, dass die Opposition durch eine miserable Informationspolitik der Hauptentscheider ihrem Verfassungsauftrag der Kontrolle der Regierung kaum noch nachkommen kann. Die Regierung, auch die in Sachsen, redet sich natürlich damit heraus, dass die Europäische Union sowieso das letzte Wort habe und dass folglich nichts als „abschließend gesetzt“ betrachtet werden könne. Dies ist aber auch das Eingeständnis, dass die gesamte Haushaltsberatung nichts als Kaffeesatzleserei ist, eine Kaffeesatzleserei, die zweifelsohne eine direkte Folge des Verlustes jeglicher wirtschaftspolitischen Selbstbestimmung ist.

Meine Damen und Herren der etablierten Parteien! Wenn die Mehrheit im Lande wüsste, was es mit dem Bevormundungs- und Umverteilungssystem in Brüssel auf sich hat, würde sie den Brüsseler Umverteilungsapparat zum Teufel wünschen. Ist es nicht gerade von einer bitterbösen Komik, dass mit dem vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen die Staatsregierung erst aufgefordert werden muss, überhaupt einmal über die geänderten Rahmenbedingungen auf EU-, Bundes- und Landesebene für die neue Förderperiode 2007 bis 2013 zu berichten, also darüber zu berichten, wie es ab 2007 mit den Operationellen Programmen überhaupt konkret weitergeht? Es drängt sich förmlich der Eindruck auf, dass sich hier eine gesamte politische Klasse auf EU-Diktiertem im Blindflug befindet.

Wenn von sogenannten EU-Geldern die Rede ist, kann man gar nicht oft genug betonen, dass es sich dabei weitgehend um umverteiltes deutsches Steuergeld handelt, um Steuergelder, von denen Brüssel ganz großherzig einen Teil nach Deutschland zurückfließen lässt und dabei noch über die Mittelverwendung entscheidet. Die Europäische Union ist eine riesige Umverteilungsmaschine insbesondere deutschen Steuergeldes, wie eine wissenschaftliche Untersuchung der Universität Heidelberg belegt.

Bereits im Dezember 2003 veröffentlichte der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Franz-Ulrich Willeke eine vielsagende Studie mit dem Titel „Europäische Strategien zur Identifizierung von Nettozahlern und Nettoempfängern“. Die darin errechneten Nettozahlungen Deutschlands an die Europäische Union übertreffen die schlimmsten Befürchtungen über das Ausmaß des Geldabflusses nach Brüssel. Der Wissenschaftler hat unter Einberech

nung sämtlicher volkswirtschaftlicher Faktoren ermittelt, dass die BRD in den Jahren von 1958 bis 2002 Nettozahlungen von über einer halben Billion Mark, also von über 500 Milliarden Mark, an die Europäische Union geleistet hat. So viel zur Konkretisierung dessen, was EU-Mittel sind, wer sie finanziert und welche Größenordnung sie haben.

Bislang liegt, um ganz konkret auf den Antrag einzugehen, lediglich ein erster Entwurf des Operationellen Programms für den Europäischen Sozialfonds für regionale Entwicklung vor, und nicht mehr. Im Wirtschaftsausschuss erklärte die Staatsregierung, bis Ende Oktober solle ein Entwurf für den Europäischen Sozialfonds nebst indikativem Finanzplan ins Internet gestellt werden, was aber erst am 14. November der Fall war. Hier riecht geradezu alles nach einer informationellen Verschleierungstaktik, die dem Prinzip demokratischer Offenheit und politischer Verantwortlichkeit hohnspricht. Nun denn, die NPD-Fraktion wird diesem Antrag zustimmen, weil er für uns ein schlichtes Auskunftsbegehren ist, für CDU, SPD sowie die Staatsregierung hingegen ein Armutszeugnis darstellt.

(Beifall bei der NPD)

Für die FDPFraktion spricht Herr Morlok. Während Sie nach vorn kommen, sage ich Ihnen aus Fairnessgründen, dass Ihre Fraktion noch 6 Minuten Redezeit für den ganzen Tag hat.

Ich weiß; es geht auch schnell.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Selten hat ein Berichtsantrag der Koalitionsfraktionen eine solche Berechtigung wie dieser. Es wurden schon die Erlebnisse letzte Woche im Wirtschaftsausschuss angesprochen. Sie hatten einen Entwurf des Operationellen Programms ESF für Ende Oktober zugesagt. Herr Minister, Sie haben die Zusage nicht eingehalten. Sie hatten einen Entwurf vorliegen und haben ihn dem Ausschuss am Freitag vorenthalten. Ich kann sagen, selten wurde ein Minister im Ausschuss so vorgeführt wie Sie am letzten Freitag. Selbst die Koalitionsfraktionen waren genötigt, Sie letztendlich unter Fristsetzung aufzufordern, den Programmentwurf vorzulegen. Wie eine ernsthafte Diskussion angesichts dieses Zeitplans noch möglich sein soll, ist mir schleierhaft. Herr Jurk, Sie haben Ihr Ministerium nicht im Griff. Schön, dass es inzwischen auch die Koalitionsfraktionen erkannt und deswegen diesen Berichtsantrag gestellt haben.

Vielen Dank.

(Vereinzelt Beifall bei der FDP)

Frau Hermenau, Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN, beschließt die erste Runde.

Sie glauben doch nicht, dass es eine zweite Runde geben wird.

Das weiß ich ja noch nicht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen! Wissen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, die Punkte 2 und 3 hätten Sie schon am 16. März dieses Jahres beschließen können. Sie hätten sie auch auf Antrag der Linksfraktion.PDS am 7. April beschließen können oder am 20. Juli wieder auf Antrag der Bündnisgrünen. Es ist nicht so, dass es keine Gelegenheiten gegeben hätte, diese Berichtswünsche, die Ihnen drei Minuten vor der Angst eingefallen sind, vorher mit Beschluss im Landtag auszusprechen.

Herr Jurk, Sie haben am 16. März 2006 wortwörtlich gesagt: „Im September“ – das ist übrigens auch schon ein Vierteljahr her – „wird der Haushaltsentwurf einschließlich Aufteilung der Strukturfondsmittel dem Landtag vorgelegt.“ So ist es aber nicht gewesen. Wir haben ein bisschen zu EFRE bekommen, zu ESF kam schnellatmig etwas in den letzten Tagen.

(Mario Pecher, SPD: Es steht doch drin!)

Wissen Sie, eine reale Mitbestimmung des Parlaments – Herr Kollege Pecher, nehmen Sie sich das einmal zu Herzen – bei der Gestaltung der OPs sieht auch Ihr Koalitionsantrag nicht vor. Er bleibt hinter den Forderungen zurück, die wir damals versucht haben zu stellen, weil wir der Meinung waren, dass man unbedingt mehr für dieses Königsrecht des Parlaments tun muss. Die Ablehnungsgründe der Koalition – egal, ob Sie dazwischenrufen oder nicht –, die Sie zu den genannten Anträgen vorgebracht haben, müsste man theoretisch heute bei Ihnen suchen, aber jetzt kommen Sie mit unseren Argumenten, und springen dabei noch viel kürzer.

Haben Sie sich einmal überlegt, warum das Budgetrecht des Parlaments eigentlich Königsrecht heißt? Wissen Sie das? Nicht weil man sich dabei ein bisschen nobel fühlt? Das ist nicht der Grund. Das Königsrecht leitet sich aus der Geschichte ab. Das englische Parlament hatte als ursächliche Aufgabe die Kontrolle der königlichen Steuern vorzunehmen und später wurden auch noch die königlichen Ausgaben kontrolliert. Das war die ursprünglichste, wichtigste und vornehmste Aufgabe des Parlaments. Und was macht das sächsische Parlament? Es lässt den Minister hinter verschlossenen Türen murkeln und ruft zwei Tage vor der Angst, wir wollen vielleicht noch eine Information kriegen.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Sven Morlok, FDP)

Sie haben davon gesprochen, Herr Bolick, dass Sie zeitgleich zur abschließenden Haushaltsberatung unbedingt noch diese Informationen haben wollen. Sie versuchen damit zu heilen, was nicht mehr zu heilen ist, denn die GRÜNEN haben die Klage bereits eingereicht. Die Klage wird beim Verfassungsgericht entschieden werden.

Es ist ein windiges Manöver, das Sie hier vorlegen, eine Art Versuch, so zu tun, als ob die Klage nicht nötig wäre. Aber die Argumente bleiben bestehen.

Das Finanzvolumen der Strukturfondsmittel ist ungefähr so groß wie das, was wir seit über drei Monaten in diesem Parlament beraten, nämlich die flexiblen Mittel im Haushalt. Sie können doch nicht allen Ernstes der Meinung sein, dass irgendein Mensch in diesem Land Ihnen abnimmt, dass man das, wofür das Parlament drei Monate bräuchte, einer Tischvorlage, ein bis zwei Wochen vor der Angst eingereicht, entnehmen und heilen könnte. Wenn Sie drei Monate brauchen, um den Haushaltsentwurf zu bereden, und denken, bei den Strukturmitteln, die vom Volumen her ähnlich sind, reicht eine Tischvorlage, dann frage ich mich, was Sie die letzten 16 Jahre in der parlamentarischen Arbeit der Ausschüsse gemacht haben. Es müsste Ihnen klar sein, dass Ihr Vorschlag ein unseriöses Beratungsverfahren ist. Man könnte auch sagen, das ist parlamentarische Selbstentmannung, Herr Lehmann.

(Beifall bei den GRÜNEN – Kopfschütteln des Abg. Heinz Lehmann, CDU)

In der Begründung des Antrages steht „zur Unterstützung der Haushaltsberatungen“, Herr Pecher. Die sind fast durch. Sie haben vielleicht gemeint, zur Unterstützung der Endberatung des Haushalts.

(Staatsminister Thomas Jurk: Richtig!)

Es ist klar, dass Sie behaupten, dass das richtig ist, Herr Jurk. Sie wollen es gerne so haben. Aber, wissen Sie, es geht im Kern um eine rechtzeitig bearbeitbare Information und um eine eigene Entscheidung des Parlaments. Das alles liefern Sie nicht. Deswegen ist Ihr Antrag so was von egal. Es ist wurscht. Man kann ihm zustimmen, man kann ihn ablehnen, man kann sich enthalten. Es spielt alles keine Rolle. Es ändert überhaupt nichts, weder im Guten noch im Schlechten.