Protocol of the Session on November 15, 2006

(Zuruf des Abg. Dr. Fritz Hähle, CDU)

Die haben sich untereinander unterhalten und meinten, Plexiglas wäre vielleicht noch eine relativ liberale Art, es zu verhindern.

Vielleicht sollten in Zukunft unsere Sicherheitsgremien, die Verwahrstandards austüfteln, sich stärker mit Vertretern der Gefangenen zusammensetzen, da denen die Befindlichkeit und Kompetenz der Betroffenheit zukommt.

Wenn man dieser ganzen Sache überhaupt etwas Positives abgewinnen will, dann das: diese schlimmen Ereignisse als Signal dafür zu nehmen, dass es seinen Preis hat, wenn wir bei der Ausstattung des Strafvollzugs oder sonst wo im Bereich der öffentlich-rechtlichen Aufgabenwahrnehmung des Staates zuallererst an Einsparpotenziale sächlicher, technischer, organisatorischer und personeller Art denken.

Herr Minister, die Statistik ist dabei hochriskant, abgesehen von der Volksweisheit „Der Graben war im Durchschnitt 30 Zentimeter tief und trotzdem ist die Kuh ertrunken“. Das Problem ist, wir haben seit Langem überfüllte Justizvollzugsanstalten. Das ist bekannt, auch wenn sich momentan eine gewisse Lockerung ergeben hat.

Wir haben ein seit Langem nachhaltig überfordertes Anstaltspersonal. Wir haben seit Langem chronisch unterbelegte Bereiche der psychologischen, sozialen und vor allem fachtherapeutischen Intervention. Längst haben wir eine in den Gleisen festgefahrene Routine, Alltagstrott und Nachlässigkeit im Zusammenwirken an der Ausgestaltung der Untersuchungshaft durch die Beteiligten. Die Strafverteidiger wissen, die Richter machen überhaupt nicht mehr die Kontrolle der Durchführung der Untersuchungshaft. Mit der ersten Haftvernehmung gibt es einfach automatisch die Unterschreibung des Revers, dass die weitere Durchführung der Vollziehung der Untersuchungshaft dem Staatsanwalt übertragen wird. Wo ist hier der Strafrichter? Das nenne ich Routine.

Dann wird einfach angekreuzt, ohne sich im Einzelfall eine „Birne“ zu machen. Was der Richter an sich im Einzelfall überprüfen muss, wird mit formalem Bogen einfach delegiert. Wird sich unter Umständen ein Richter im Fall Mederake vorher nochmals Informationen einholen, was in Bautzen oder anderswo war? Auch Routine und Alltagstrott haben das ermöglicht.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS und den GRÜNEN)

Es versteht sich von selbst – und dabei bleiben wir –, dass die politische Verantwortung für die Tatsache, dass der

sächsische Strafvollzug diesem Mario M. nicht gewachsen war – – Er ist nach allen Verlautbarungen hochintelligent und ein bis in die Fußspitzen abgebrühter Schwerstkrimineller. Er konnte sein Programm durchziehen und mit gewaltigem Nachhall von der so medienträchtigen Bühne abtreten. Die Verantwortung dafür trägt natürlich zuallererst der Justizminister. Das ist unbestritten und das habe ich auch jetzt hier gehört.

Völlig egal, wie der Justizminister heißt, völlig egal, wie unbeteiligt und schuldlos er im Detail sein mag, völlig egal, ob, wann und von wem es unterlassen wurde, ihm und andere herausgehobene Verantwortliche rechtzeitig über alle Risiken, die von der Persönlichkeit dieses Mannes ausgehen, zu unterrichten – dafür kann es keine Rechtfertigung geben.

Wir bleiben bei unserer Auffassung: Der Maßstab dafür, dass der Staatsminister der Justiz jetzt im Amt seiner Verantwortung gerecht wird, ist, dass er den Schneid und das Verantwortungsbewusstsein entwickelt, alles, aber auch alles, was sich um den Fall Mario M. und dessen spektakuläre Aktion im Gewahrsam dreht, lückenlos und ehrlich aufzuklären, eingeschlossen die Kommunikation bei der Entscheidung über den Vollzug der Untersuchungshaft unter Feststellung begünstigender Ursachen und Bedingungen, und durchgreifende Konsequenzen anbietet. Dazu sage ich nur noch einen Satz – –

Bitte zum Schluss kommen.

Wenn aus dem Fall Mederake eine Lex-Mederake wird, im Sinne von Sicherungsverwahrung bei bestimmten Deliktsgruppen zum Regelstrafmaß zu machen, dann wird dies nicht mit uns zu machen sein. Sicherungsverwahrung ist ein Armutszeugnis des Rechtsstaates. Dabei bleiben wir. Ein Armutszeugnis des Rechtsstaates ist eine Kapitulation, weil man der Auffassung ist, man kann den betreffenden Menschen nicht mehr anders, in irgendeiner Form, behandeln. Sicherungsverwahrung ist ja nicht Krankenanstalt und nicht Krankenhaus. Insofern meinen wir unter dem Aspekt aller Erwartungshaltungen, Mederake soll nicht die Genugtuung haben, den Justizminister und andere Leiter zu Fall gebracht zu haben. Darauf setzt er. Wir wollen dies in aller Ruhe besprechen, und am Montag wird im Ausschuss dazu Gelegenheit sein.

(Beifall bei der Linksfraktion.PDS)

Ich erteile der Fraktion der CDU das Wort. Herr Schiemann, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Je länger man sich mit diesem Thema befasst, umso schwieriger wird es.

Als ich die Bilder am Mittwoch vor einer Woche im Fernsehen gesehen habe, war ich der Meinung, das kann sich nur um einen Fall in Amerika handeln. Als ich merkte, dass dies das Gefängnis zu Dresden ist, war ich

fassungslos. Ich habe mir nicht vorstellen können, dass so etwas im Freistaat Sachsen passieren kann!

Viele von Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, haben Kinder. Können Sie sich vorstellen, welche Gefühle und Ängste diese Bilder bei Stephanie und bei ihren Eltern auslösen mussten? Werden wir jemals verstehen, was dieses Mädchen durchmachen musste, was dieser Verbrecher ihr angetan hat? Entführung, Vergewaltigung und dann die Demütigung auf dem Dach des Dresdner Gefängnisses! Was fühlt eine Mutter, was fühlt ein Vater in einer solchen Situation? Können wir das Leid des Opfers überhaupt begreifen oder fühlen oder es uns vorstellen? Oder verstehen?

Aber verstehen müssen wir, was Stephanie erleben musste. Deshalb muss alles getan werden, um dem Opfer und seinen Eltern in dieser Situation zu helfen. Stephanie hat ein Recht darauf, mit ihren Klassenkameraden eine gute Schulzeit, eine Jugend und ein Leben künftig ohne Ängste zu führen. Deshalb darf sich so eine Situation wie vor einer Woche im Dresdner Gefängnis niemals – ich betone: niemals – wiederholen!

Ich bin sicher, dass die Staatsregierung und der zuständige Staatsminister daraus die nötigen Konsequenzen ziehen werden. Damit ich es hier nochmals klipp und klar sage: Es ist nicht allein eine Blamage für die sächsische Justiz; es ist ein tiefer, grober Verstoß gegen die Menschenwürde von Stephanie. Wenn die Justiz das Strafrecht, das Prozessrecht und das Haftrecht ernst nehmen, dann muss der Schutz des Opfers wirksam durchgesetzt werden.

Dabei gibt es keine Abwägung zwischen Opfer oder Täter, sondern nur eine klare Entscheidung für das Opfer. Deshalb darf es jetzt nach der Panne in der JVA Dresden keine Verharmlosung und kein Schönreden in dieser Sache geben.

Die CDU-Fraktion trägt Sorge dafür, dass hierbei nichts unter den Teppich gekehrt werden kann. Stephanie hat ein Recht darauf, aber auch die Bürger Sachsens, dass wir dafür Sorge tragen. Dies ist auch die einzige Chance, das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen. Selbstverständlich wird der Sächsische Staatsminister der Justiz den Vorfall lückenlos aufklären. Darin bin ich mir ganz sicher. Das kann das Opfer auch erwarten.

Ich nehme an, der Staatsminister der Justiz wird dazu auch weiterhin im Rechtsausschuss Stellung nehmen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Täter dem Staat und den Opfern auf der Nase herumtanzen können und damit das Leid des Opfers vergrößern.

Die Einschätzung des Täters durch meine Vorredner teile ich: Es handelt sich um einen intelligenten, eiskalt und brutal planenden und agierenden Verbrecher.

Als Abgeordnete sind wir bisher noch zu wenig informiert. Die Justiz muss aber mehr wissen, kennt sie den Täter doch seit über sieben Jahren.

Für die CDU-Fraktion besteht deutlicher Bedarf, die Situation der Opfer zu verbessern. Opferschutz steht

deutlich vor Täterschutz. Dieser Grundsatz muss wieder in den Vordergrund gerückt werden. Die Opfer müssen auch später vor ihren Tätern Schutz finden können bzw. geschützt sein.

Mir ist es ein besonderes Anliegen, dass Mutter und Vater von Stephanie wissen, dass wir alles unterstützen, damit Stephanie nicht weiter verletzt oder gedemütigt wird. Ihnen als Vater wünsche ich, dass Sie und Ihre Familie in Sachsen sicher leben können und nicht die Heimaterde verlassen müssen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie in Sachsen ein Leben in Würde führen können.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die CDUFraktion steht deutlich für einen besseren und stärkeren Opferschutz, denn wir können nicht die Abwägung zwischen Opfern und Tätern treffen; und das sage ich ohne Wenn und Aber. Ein Vorfall wie dieser darf sich niemals wiederholen. Der Rechtsstaat darf sich nicht vorführen lassen.

Die CDU-Fraktion wird den Staatsminister der Justiz bei allen Maßnahmen unterstützen, die Gefängnisse sicher zu gestalten und die Fragen des Personals zu überprüfen – mein Vorredner hat das schon kritisch angesprochen; deshalb werden wir uns diesem Thema auch zuwenden –, und alles dafür tun, dass Hierarchiebildungen, die in den Gefängnissen Fuß gefasst haben – auch im Freistaat Sachsen –, endlich unterbunden werden. Wir brauchen keine Hierarchien in Gefängnissen. Das ist eine Sache, die in anderen Ländern zu Hause ist. 1989 haben wir einen ordentlichen und sauberen Strafvollzug gewünscht, und eben nicht mit Hierarchien, mit denen die Verbrecher auch in Gefängnissen bestimmen können.

Ich möchte aber auch eine Bitte äußern: Ich bitte die Medien zu überlegen, wie man künftig von ähnlichen Ereignissen berichtet und dabei auch die Interessen der Opfer beachtet.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und vereinzelt bei der Linksfraktion.PDS, der SPD, der FDP und den GRÜNEN)

Ich erteile der Fraktion der SPD das Wort; Herr Bräunig, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als feststand, dass es heute hier im Landtag eine Aussprache über die Ereignisse des 8. November in der Justizvollzugsanstalt Dresden geben wird, drängte sich mir natürlich als Erstes eine Frage auf: Was würde Stephanie wohl denken, wenn sie bei der heutigen Debatte anwesend wäre oder wenn sie Ausschnitte derselben im Fernsehen mitbekäme? Bei allen Fragestellungen, mit denen wir uns in diesem Zusammenhang als Abgeordnete beschäftigen, sollte an allererster Stelle das Wohl von Stephanie stehen; denn niemand von uns kann ermessen, was sie durchleben musste, und der laufende Prozess und die Eskapaden ihres Peinigers M. erlauben ihr kaum – im Moment zumindest

nicht –, Abstand von diesen schrecklichen Erlebnissen zu gewinnen. Auch die heutige Debatte ist sicherlich kein Beitrag, das Geschehene hinter sich zu lassen.

Trotzdem glaube ich, dass es notwendig ist, dass der Sächsische Landtag die jüngsten Ereignisse zum Gegenstand seiner Beratungen macht. Ich bin Herrn Staatsminister Mackenroth für seine Erklärungen dankbar, weil es eben an der Zeit war, dass nunmehr ein direktes Wort des verantwortlichen Ministers gesprochen wurde.

Sicherlich hat M. durch seinen Aufenthalt auf dem Dach der Justizvollzugsanstalt Dresden keine Straftat begangen, und doch ist dieses Ereignis schon etwas anderes, als wenn er sich fernab der Öffentlichkeit beispielsweise in der Gefängnistoilette eingeschlossen hätte. Der Herr Staatsminister hat die entstandenen Bilder zu Recht als verheerend bezeichnet; denn welcher Eindruck mag bei Stephanie entstanden sein, wenn der Täter – zwar ohne jemanden konkret zu gefährden und ohne die realistische Möglichkeit zu entkommen – fast 20 Stunden ein Gefühl des Triumphes auskosten kann?

Ich möchte in dem Zusammenhang nicht missverstanden werden. In der Situation, in der M. auf dem Dach stand, wäre es in der Tat unverantwortlich gewesen, ihn gewaltsam herunterzuholen. Der Rechtsstaat kann und darf es sich nicht leisten, er kann und darf es nicht dulden, dass sich ein Angeklagter seiner Verantwortung entzieht – sei es durch Selbstmord oder dadurch, dass er der Verhältnismäßigkeit zuwider ohne Not verletzt wird. M. muss sich mit seinen Taten und ihren Folgen in einem öffentlichen Strafverfahren auseinandersetzen, ob ihm das nun gefällt oder nicht.

Aus diesem Grund hat die Frage, ob es richtig war, ihm Tee oder eine Decke zu reichen, für mich in dem Zusammenhang keine Bedeutung. Ich bin vielmehr überzeugt davon, dass die Polizei auch unter den schwierigen Bedingungen des 8. November richtig gehandelt hat. Es sei mir daher gestattet, an dieser Stelle der Polizei meinen Dank für ihr besonnenes Verhalten auszusprechen.

Die Frage, der wir uns allerdings intensiv widmen müssen, ist: Wie war es möglich, dass M. überhaupt auf das Dach gelangen konnte? Ich und viele andere haben die JVA Dresden nicht zuletzt auch wegen ihres neueren Baujahres bisher für absolut sicher gehalten. Leider wurden wir hier eines Besseren belehrt. Auch wenn es sich beim Erklimmen des Anstaltsdaches nicht um einen Ausbruch im förmlichen Sinne gehandelt hat, so muss doch in einer Anstalt eine hinreichende bauliche Vorsorge dafür getroffen werden, dass sich ein Häftling nicht unbefugt – auch innerhalb der Anstalt – bewegen kann. Hier sehe ich, hier sieht meine Fraktion deutliche Versäumnisse. Zudem glauben wir, dass das Verhalten von M. am vorhergehenden Prozesstag nicht nur in der Rückschau hinreichend Anlass für besondere Sicherheitsvorkehrungen geboten hätte. Mir ist nach wie vor unverständlich – das sage ich ganz deutlich –, warum ihm ein Hofgang im Beisein von zwei weiteren Insassen in Begleitung von lediglich zwei Justizvollzugsbeamten

gestattet wurde. Diese Praxis muss in der Tat kritisch hinterfragt werden.

Meine Damen und Herren, ich glaube, zu einer ehrlichen Analyse der Vorkommnisse des 8. November gehört auch eine Reflexion der Rolle der Medien. Spätestens seit dem Geiseldrama von Gladbeck im Jahre 1988 wissen wir, dass auch die Medien in ihrer Berichterstattung nicht zum Erfüllungsgehilfen von Straftätern werden dürfen. Es war erkennbar, dass M. auch deshalb diese lange Zeit auf dem Dach verblieb, weil er der permanenten Aufmerksamkeit der Medien sicher sein konnte. Man muss kein Kriminologe oder Psychologe sein, um zu erkennen, dass für M. die öffentliche Aufmerksamkeit und die Möglichkeit der Selbstdarstellung Antrieb zum Verbleib auf dem Dach gewesen ist. Bei aller Notwendigkeit der Berichterstattung über das Ereignis, die ich sehe, müssen sich auch die Medien die Frage gefallen lassen, ob ihre Dauerberichterstattung ihn nicht zusätzlich in seinem Handeln beflügelt hat.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Auch diese Frage möchte ich geprüft wissen.

Noch eines: In den letzten Jahren sind immer wieder Vorgänge im Strafvollzug in die Kritik geraten. Schnell wird dann nach härteren Gesetzen gerufen. Leider wird in derartigen Debatten häufig übersehen, dass die Ursache von sogenannten Justizpannen meist nicht in unzureichenden Gesetzen, sondern eher in Defiziten bei deren Umsetzung zu suchen ist. Aus diesem Grund wird meine Fraktion Bestrebungen entgegentreten, die auf eine Novellierung des Strafvollzugsrechts aus diesem speziellen Einzelfall heraus abzielen.

Herr Staatsminister Mackenroth hat angekündigt – ich habe es zumindest so verstanden –, auch über die heutige Plenarsitzung hinaus zur Aufarbeitung des Sachverhaltes beizutragen. Ich denke, dass der Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss der richtige Ort dafür ist.

Wichtig ist mir auch, dass nunmehr seitens des Gerichts jene Voraussetzungen dafür geschaffen wurden, dass M. die Sicherheitsmaßnahmen erfährt, die aufgrund seiner Persönlichkeit offenbar notwendig sind.

Lassen Sie mich abschließend noch ein Wort an die Familie des Opfers richten – gerade weil wir auch schon miteinander gesprochen haben: Ich empfinde große Bewunderung dafür, wie Stephanie um eine Bewältigung der Ereignisse bemüht ist, und ich bitte Sie trotz aller Vorkommnisse, in Sachsen zu bleiben und nicht auszuwandern.